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Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2009 und des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 verpflichtet, die geklagten psychischen Beschwerden (Agoraphobie mit Panikattacken) als Folge des Dienstunfalls vom 16. Februar 2000 anzuerkennen und dem Kläger Unfallausgleich nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 vom Hundert zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Mit seiner Klage begehrt der 1953 geborene Kläger die Anerkennung bestimmter geklagter psychischer Beschwerden als Folgen seines Dienstunfalls vom 16. Februar 2000 sowie die Gewährung eines Unfallausgleichs. Er steht seit 1967 im Dienste der Beklagte, und zwar seit 1995 als Posthauptsekretär. Seit 1982 ist er als Mitarbeiter im Kassenwesen/Schalterdienst tätig, zunächst für die Deutsche Bundespost, seit dem 1. Januar 1995 für die Deutsche Post AG und seit dem 1. Januar 2006 für die Postbank AG.
3Am 16. Februar 2000 arbeitete der Kläger in der Filiale der Deutschen Post AG in F. -G. . Am Vormittag betrat ein mit einer Strumpfmaske maskierter Mann die Filiale durch den Kundeneingang und zog eine Handfeuerwaffe. Die Kunden rannten aus der Filiale. Der Kläger forderte den Täter auf, die Filiale sofort zu verlassen, flüchtete – hierbei stolpernd und sich Prellungen zuziehend – in den Betriebsraum, alarmierte von dort aus durch Betätigung des Alarmknopfes die Umgebung und rief die Filialbezirksleitung an. Der Täter floh und wurde nie gefasst. Der Kläger versah seinen Dienst an diesem Tag sodann weiter und begab sich an den beiden Folgetagen in ärztliche Behandlung. Unter dem 18. Februar 2000 diagnostizierte Herr Dr. S. aus F. , Facharzt für Chirurgie, an welchen der Hausarzt des Klägers, der Facharzt für Allgemeinmedizin X. aus F. , diesen überwiesen hatte, eine schwere multiple Prellung und Hämatome am rechten Ellenbogen, Knie und Unterschenkel. Dienstunfähig war der Kläger in der Folge des Überfalls vom 17. Februar 2000 (Folgetag des Überfalls) bis zum 25. März 2000 (38 Tage).
4Mit Schreiben vom 1. März 2000 meldete der Kläger formblattmäßig das Ereignis als Dienstunfall. In der Rubrik „Verletzte Körperteile“ führte er eine Prellung am rechten Unterschenkel an. Daraufhin teilte die Unfallkasse Post und Telekom dem Kläger mit Schreiben vom 6. März 2000 mit, das Unfallereignis vom 16. Februar 2000 sei als Dienstunfall anerkannt.
5Am 7. April 2000 begab sich der Kläger auf Veranlassung seines Hausarztes in kardiologische Behandlung bei Frau Dr. I. , Q.-stift F. , und gab zur aktuellen Symptomatik an, dass er nach einer Stresssituation (Überfall während des Schalterdienstes) an mehreren Tagen wiederholt ein Brennen hinter dem Brustbein verspürt habe, das bis in den Unterkiefer ausgestrahlt habe. Mit Blick auf den dringenden Verdacht einer Ischämie im inferolateralen Myokardgebiet und das ausgedehnte kardiovaskuläre Risikoprofil des Klägers (arterielle Hypertonie, Nikotinabsus, Hypercholsterinämie und Adipositas) erfolgte bereits wenige Tage später eine invasive Abklärung, in deren Rahmen sich der Verdacht einer koronaren Gefäßerkrankung bestätigte und diese Erkrankung mittels PCTA (Angioplastie/Dilatation) und Stentimplantation erfolgreich behandelt wurde. Im September 2000 fand ein weiterer Eingriff dieser Art statt. In einem Schreiben vom 24. April 2001 an das Versorgungsamt F. führte der Hausarzt des Klägers u.a. aus, dass es bei dem Kläger im Zusammenhang mit dem Überfall „zu einem psychischen Trauma“ gekommen sei, an welchem der Kläger lange gelitten habe. Im Januar 2004 erlitt der Kläger einen Hinterwand-Infarkt, in dessen Folge am 16. Januar 2004 ein operativer Eingriff in Form einer myokardialen Dreifachrevaskularisation erfolgte. Vom 2. bis 28. Februar 2004 befand der Kläger sich zur Rehabilitation in der Herz-Kreislauf-Klinik C. C1. . In deren Bericht vom 29. März 2004 an Frau Dr. I. führte die Klinik unter dem Abschnitt „Aufnahmebefund“ u.a. aus: „Psyche regelgerecht“. Am 26. Juli 2004 nahm der Kläger seinen Dienst stufenweise wieder auf. Zwischen dem 25. Januar 2005 und dem 1. Februar 2005 wurde der Kläger in der Medizinischen Klinik II des akademischen Lehrkrankenhauses der Universität E. -F. stationär behandelt. Ausweislich des Entlassungsberichts der Assistenzärztin Dr. G1. sowie der– inzwischen an dieses Krankenhaus gewechselten und Professorin gewordenen – Fachärztin für Innere Medizin und Kardiologie Prof. Dr. I. vom 17. November 2008 war die Aufnahme mit reduzierter Belastbarkeit bei bekannter koronarer Herzkrankheit und nach Bypassoperation erfolgt. Nachdem sich kein Hinweis auf eine Bypassinsuffizienz gezeigt habe, habe der Kläger in stabilem Allgemeinzustand entlassen werden können.
6Im November 2005 begab der Kläger sich auf Veranlassung seines Hausarztes in die Behandlung des Facharztes für Psychiatrie Dipl.-Med. A. aus F. .
7Im Zeitraum vom 10. Mai 2006 bis 7. Juni 2006 befand der Kläger sich in stationärer Behandlung in der O. Reha-Klinik St. Q. -P. . Nach dem Entlassungsbericht vom 14. Juni 2006 (Herr Dr. E1. , Herr Dr. E2. , Frau Stationsärztin N. ) lag bei dem Kläger diagnostisch u.a. eine „reaktive depressive Störung b. Z. n. 3-fach ACBV OP b. koronarer 2 Gefäßerkrankung 1/04 (F432)“ vor. In der vegetativen Anamnese war u.a. ausgeführt, dass seit 2000 Durchschlafstörungen bestünden, die seit der Einnahme von Insidon gebessert seien. Zu den jetzigen Beschwerden hieß es:
8„Seit Manifestation einer koronaren Herzerkrankung im Jahr 2000 mit Z. n. 3-fach ACVB 01/2004 und Stent-Operationen im Jahr 2000 und 2002 (Anm. des Senats: Muss richtig heißen: 2000) leide der Pat. unter rez. depressiven Verstimmungen, Ängsten und Schlafstörungen. Er mache sich Sorgen, daß eine erneute Obliteration der Koronargefäße auftreten könne und er ein solches Ereignis evtl. nicht überleben werde. Darüber hinaus leide er unter Ängsten seit eines Überfalls auf den Postbetrieb, in den er arbeite. Seit 11/2005 befindet sich der Pat. in psychotherapeutischer Behandlung, unterstützend erfolgt eine thymoleptische Medikation mit Insidon. Seit Einnahme der Medikation seien die Schlafstörungen deutl. gebessert.“
9Arbeitsanamnestisch wurde festgehalten, dass der Kläger insgesamt sehr gut mit seiner Arbeit zurechtkomme und sich an seinem Arbeitsplatz wohl fühle. Im psychologischen Abschlussbericht vom 7. Juni 2006, der Bestandteil des Entlassungsberichts ist, wurde u.a. ausgeführt:
10„Im Aufnahmegespräch berichtete der Pat., dass in den letzten sechs Jahren gehäuft einschneidende Lebensereignisse aufgetreten seien. Begonnen habe es mit einem Überfall 2000 in der Postfiliale in der er gearbeitet habe. Nach diesem Überfall habe er massive Ängste und Alpträume gehabt. Es sei keine psychotherapeutische Traumabehandlung durchgeführt worden. Dann seien in den Jahren danach Herzbeschwerden aufgetreten, die sich so verschlimmert hätten, dass eine Bypassoperation im Januar 2005 (Anm. des Senats: Muss richtig heißen: 2004) notwendig geworden sei. Nach der Operation seien verstärkt Angstzustände mit Schweissausbrüchen, Herzrasen, muskulärer Anspannung und Katastrophenphantasien aufgetreten. Wegen dieser Angststörung sei er seit November 2005 in psychotherapeutischer Behandlung. Diese Rehamaßnahme sei aufgrund der geschilderten Symptomatik veranlasst worden. Im Mittelpunkt der psychologischen Gespräche stand die Angst des Pat. vor einer erneuten Erkrankung.“
11In seiner seit dem 13. Februar 2001 betriebenen Schwerbehindertenangelegenheit berief der Kläger sich – nach diversen Bescheidungen, Änderungsanträgen und Widersprüchen – mit seinem insgesamt vierten Änderungsantrag (3. August 2006) erstmalig auch auf psychische Beschwerden („Reaktive depressive Störungen, Angstzustände, Schlafstörung, Schweißausbrüche nachts auch bedingt durch Überfall (dienstliche)“). Zu diesem Änderungsantrag legte der Kläger u.a. eine Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie Dipl.-Med. A. aus F. vom 18. September 2006 vor. Zu den erhobenen Befunden hieß es darin:
12„2004 Bypass-Op. Danach zunehmende depressiv-ängstliche Symptomatik, erhebliche vegetative Begleitsymptomatik, innerer Unruhe, Durchschlafstörungen, diffuse körperliche Beschwerden, anankastische Persönlichkeitsstrukturen, arbeitet seit 39 Jahren bei der Post (Schalterdienst).“
13Als Diagnosen nannte Herr A. „Angst und Depression gemischt (F 41.2), Anpassungsstörung (F 43.2), Somatisierungsstörung (F 45.0)“. Die Therapie bestehe in der Gabe von Insidon und der Durchführung verhaltensorientierter Gespräche. Vom 6. November 2006 bis zum 10. November 2006 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im Q.-stift in F. . In der Rechnung von Frau Prof. Dr. I. vom 17. Januar 2007 ist als Diagnose u.a. aufgeführt: „Seit 05/05 posttraumatisches Belastungssyndrom mit Angststörung“.
14Zur Begründung seines Widerspruchs gegen die Ablehnung seines bereits angesprochenen schwerbehindertenrechtlichen vierten Änderungsantrags führte der Kläger unter dem 9. Januar 2007 gegenüber dem Versorgungsamt F. u.a. aus:
15„Erwähnen muss ich meinen Bluthochdruck in Verbindung mit meiner koronaren Herzerkrankung. Auch bedingt durch diese Behinderung liegt bei mir ein sehr starkes Angstgefühl vor. Trotz Bypass-OP ist bei mir ein sehr negatives Lebensgefühl geblieben. Erschwerend kommt hinzu, dass ich im Februar 2000 während meiner Dienstzeit (ich bin Postbeamter im Filialbereich) überfallen wurde. Auch aus diesem Grund hat sich mein Leben sehr negativ verändert.“
16In dem im April 2007 eingeleiteten Verfahren vor dem Sozialgericht E. (S 22 SB 83/07), in welchem der Kläger die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung begehrte, äußerte sich Herr Dipl.-Med. A. unter dem 18. September 2007 u.a. wie folgt: Nach Angaben des Klägers habe dieser seit dem Überfall zunehmende Ängste entwickelt. Er leide unter Durchschlafstörungen, innerer Unruhe und Schweißausbrüchen. Diese Symptome hätten sich nach einem erlittenen Herzinfarkt und im Jahre 2004 durchgeführter Bypass-Operation eigentlich noch verschlimmert. Es liege eine ausgeprägte Angststörung sowie eine schwere Anpassungsstörung vor; leider sei eine Chronifizierung eingetreten.
17Am 18. Januar 2008 beauftragte das Sozialgericht E. in dem bereits erwähnten Rechtsstreit den Orthopäden Dr. U. B. aus F. mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens und beauftragte ihn zugleich, von dem Neurologen und Psychologen Dr. X1. aus F. ein Zusatzgutachten einzuholen. In seinem fachorthopädischen Gutachten vom 15. Mai 2008 gab Herr Dr. B. die Klagen des Klägers u.a. wie folgt wieder:
18„Erheblich eingeschränkt bin ich durch die psychische Belastung seit dem Überfall 2000. Die Panikattacken und Angstzustände überfallen mich seit 2005, seit dem bin ich auch in ständiger psychiatrischer Behandlung, bei Dr. A. . Weiter habe ich Angst, dass die Bypässe, die ich nach einem Herzinfarkt im Dezember 2003 und im Januar 2004 erhalten habe, sich wieder verschließen könnten.“
19In seinem zuvor gefertigten, im vorgenannten Gutachten berücksichtigten Zusatzgutachten hielt der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Herr Dr. med. Dipl.-Psych. X1. unter dem 2. April 2008 in anamnestischer Hinsicht u.a. folgende Angaben des Klägers fest: Bei dem Überfall sei er allein in der Filiale gewesen. Nach dem Überfall sei er zunächst völlig fertig gewesen, nichts sei mehr gegangen, dennoch habe er nachmittags ab 15.00 Uhr wieder die Filiale geöffnet. Er habe dann seinen Hausarzt konsultiert, der Blutdruck sei steil nach oben gegangen, Magen- und Darmprobleme hätten sich eingestellt. Nach seinem Herzinfarkt sei er dann 2003 in die Essener Hauptpost versetzt worden und habe dort mehrere Angst- und Panikattacken erlitten. Wegen dieser Beschwerden habe er dann nach Überweisung durch den Hausarzt Herrn Dipl.-Med. A. aufgesucht. Er sei heute immer noch gerne bei der Post, fühle sich auch in der Hauptpost im Bereich des Schalters wohl, habe guten Kontakt zu den Kollegen. Bedrohlich sei für ihn allerdings der Anblick von „vermummten“ Leuten vor dem Schalter oder in der Schalterhalle. Erblicke er „vermummte“ Kunden, dann erlebe er, ohne dass er sich dagegen wehren könne, Angst und Panik, Herzrasen, Schweißausbrüche, Luftnot und müsse dann – nicht selten – sofort aus dem Schalter raus, um nicht eventuell zusammenzubrechen. Die Angst habe dazu geführt, dass er mit dem Rauchen aufgehört habe; er habe auch Angst, dass die Bypässe sich wieder verschließen könnten. Der Gutachter diagnostizierte (sachlich ausdrücklich übereinstimmend mit der Diagnose des Herrn Dipl.-Med. A. vom 18. September 2006) eine bei dem Kläger vorliegende „Anpassungsstörung mit ängstlich-depressiver Färbung und Neigung zur Somatisierung, ICD – 10: F 43.2 G“. In der Zusammenfassung hielt er u.a. fest:
20„Nach einem Überfall auf die damals von ihm geführte Postfiliale in F. -G. entwickelte er zunächst im Sinne einer Belastungsreaktion psychosomatische und psychovegetative Störungen und eine hypertone Blutdrucklage.
21In der Folge war dann eine Stent-Implantation (2 Stents) wegen coronarer Herzkrankheit notwendig und noch später (Januar 2004) – nach einem Hinterwandinfarkt – eine Bypass-Operation (3 Bypässe) unumgänglich.
22Auf dem Boden der vorgenannten gravierenden Belastungen entwickelten sich Anpassungsstörungen mit Neigung zur Somatisierung und ängstlich-depressiver Färbung, wobei die Ängste vielschichtig sind, einerseits bezogen auf die Traumatisierung im Rahmen des Überfalls (Ängste und Panik beim Anblick „vermummter“ oder sonst für ihn auffälliger Kunden) und andererseits Ängste bezogen auf die Bypass-Situation und dabei vor allem die Angst, die Bypässe könnten sich wieder verschließen (Angst vor dem Tod).“
23Zum Krankheitsverlauf auf seinem Fachgebiet führte der Gutachter aus, „dass spätestens im Laufe des Jahres 2005 die Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet ein Ausmaß angenommen“ hätten, das vom Hausarzt nicht mehr habe alleine behandelt werden können.
24Zu Durchführung einer von Herrn Dipl.-Med. A. veranlassten stationären Rehabilitationsmaßnahme befand sich der Kläger vom 18. August 2008 bis zum 13. September 2008 in der C2. -Klinik C. U1. . In dem Entlassungsbericht der Dres. I1. , L. -I1. und H. an den Hausarzt des Klägers vom 13. Oktober 2008 ist als Diagnose u.a. festgehalten: „Posttraumatische Belastungsstörung mit langer depressiver Reaktion (F 32.0)“. Nach dem Bericht gab der Kläger an, seit dem Überfall an einer Angststörung zu leiden. Es bestehe auch eine Problematik am Arbeitsplatz; er müsse größere Menschenmengen wie etwa bei Konzerten meiden und fühle sich durch Stress und kleine außergewöhnliche Belastungen schnell aus der Bahn geworfen, wie z.B. vermummte Personen oder aggressive Kunden.
25Mit Schreiben vom 23. Oktober 2008 beantragte der Kläger im Hinblick auf den Dienstunfall vom 16. Februar 2000 Unfallausgleich und führte zur Begründung aus: Der Dienstunfall habe schon früh zu gesundheitlichen Problemen geführt, in deren Folge die Eingriffe am Herzen zu sehen seien. Seit Mai 2005 sei eine posttraumatische Belastungsstörung durch Frau Prof. Dr. I. diagnostiziert.
26Herr Dipl.-Med. A. führte in seinem Fachärztlichen Behandlungsbericht vom 30. Juli 2009 u.a. aus: Der Kläger habe ihm bei Beginn der Behandlung im Jahre 2005 das Folgende berichtet: Am 16. Februar 2000 habe sich sein bisheriges Leben völlig verändert. An diesem Tag sei seine Poststelle überfallen worden. Er habe u.a. unter fürchterlichen Ängsten gelitten und habe nicht mehr schlafen können. Kurze Zeit später (April bzw. September 2000) seien ihm Stents gesetzt worden. Körperlich habe er sich dann eigentlich ganz gut wieder erholt, allerdings habe er schon damals zunehmend unter Schlafstörungen und teilweise massiven Alpträumen gelitten. Trotzdem sei er arbeiten gegangen. In der Zeit um Sylvester 2003 habe er nach Angaben von Frau Prof. Dr. I. sehr wahrscheinlich einen Herzinfarkt erlitten; 2004 habe dann eine Bypass-Operation erfolgen müssen. Weiter berichtete Herr Dipl.-Med. A. : Bei der Erstvorstellung habe der Kläger eine deutlich bedrückte Stimmungslage geboten und sei in der affektiven Schwingungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen. Er habe über massive Durchschlafstörungen, innere Unruhe, Konzentrationsstörungen, Antriebsminderung sowie panikartig auftretende Angstgefühle geklagt. Seither erfolgten eine angst- und depressionslösende Medikation mit Insidon sowie verhaltensorientierte Gespräche. Das Beschwerdebild auf seinem Fachgebiet habe sich zwar gebessert, es sei jedoch trotz der erfolgten Behandlung nebst kardiologischen Reha-Maßnahmen immer noch deutlich instabil. Der Kläger reagiere auf nur kleinere außergewöhnliche Belastungen im Alltagsleben mit einer sofortigen Verschlechterung des psychischen und auch physischen Befindens und klage dann über zunehmende Ängste, Unruhe, Konzentrationsstörungen, Durchschlafstörungen und Nervosität. Auch berichte er immer wieder über häufiges und intensives Wiederdurchleben des Überfalls in Form von Alp- oder Tagträumen. Obwohl der Kläger seiner Arbeit gern nachgehe, sei es wiederholt im Sinne von akuten Kriseninterventionen notwendig gewesen, ihn vorübergehend für arbeitsunfähig zu erklären. Zusammenfassend hieß es:
27„Zusammenfassend handelt es sich bei Herrn C. diagnostisch am ehesten um eine posttraumatische Belastungsstörung mit einer lang andauernden depressiv-ängstlichen Reaktion. Gleichzeitig besteht eine zum Teil erhebliche Somatisierungstendenz. Die psychischen Störungen werden durch die zusätzlichen körperlichen Erkrankungen insgesamt noch kompliziert.“
28Unter dem 7. August 2009 beauftragte die Beklagte den fachärztlichen Berater der Unfallkasse Post und Telekom, den Neurologen und Psychiater Dr. N1. , mit der Begutachtung des Falles nach Aktenlage. Dieser führte unter dem 17. September 2009 aus: Der Überfall sei nicht rechtlich wesentlich für die geklagten psychischen Beschwerden. Die Angstsymptomatik nach dem Überfall habe sich offensichtlich gebessert bzw. sei ohne Auswirkung auf den beruflichen Alltag des Klägers. Eindeutig abgrenzbar durch die Herzoperation 2005 (Anmerkung des Senats: richtig ist „2004“) sei eine schwere Angstneurose manifest geworden, hier lasse sich eindeutig belegen, dass die Verschlechterung und Behandlungsbedürftigkeit durch ein andere Lebensereignis bedingt worden sei, wenn es auch im Rahmen der psychischen Auseinandersetzung zu einer neuerlichen Auseinandersetzung mit dem Überfall gekommen sei. Aktuell liege eine schwere Angstneurose vor, welche rechtlich nicht wesentlich auf den Dienstunfall zurückzuführen sei. Notwendig sei aktuell eine Psychotherapie. Sollte es in deren Rahmen erforderlich werden, den Unfall noch einmal zu bearbeiten, so wäre es kulanterweise sinnvoll, die Kosten für eine solche Traumatherapie von der Unfallkasse über zehn Stunden zu übernehmen. Die Folgen der psychischen Auseinandersetzung mit den Folgen des Unfalls seien als weitgehend abgeklungen aufzufassen und bedingten keine Minderung der Erwerbsfähigkeit.
29In ihrem hierauf erlassenen, auf die Stellungnahme des Herrn Dr. N1. gestützten Bescheid vom 9. Oktober 2009 führte die Beklagte in den Entscheidungssätzen aus, dass (1.) die Angstneurose nicht rechtlich wesentlich auf den Dienstunfall zurückzuführen sei und dass (2.) Unfallausgleich nicht gewährt werde.
30Hiergegen erhob der Kläger am 21. Oktober 2009 Widerspruch. Zur Begründung legte er ein Attest seines Hausarztes vom 18. November 2009 vor, in dem es u.a. hieß: Der Kläger habe sich bei dem Überfall ein schweres Psychotrauma zugezogen. Bei der Untersuchung des Klägers am Folgetag des Überfalls seien neben Herzkreislaufproblemen (RR 180/100 mm Hg. Puls 102/min.) deutliche nervöse Unruhe- und Angstzustände aufgetreten, wie sie nach derartigen Traumata üblich seien. Diese Symptome sowie Herzrasen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen hätten in einem derartigen Umfang persistiert, dass er den Kläger bis zum 25. März 2000 krankgeschrieben habe. Da die Herzbeschwerden i.S. einer Angina pectoris – sicherlich mitverursacht durch den Überfall – in der unmittelbaren Folgezeit zugenommen hätten, sei am 5. April 2000 ein Belastungs-EKG durchgeführt worden, das deutlich pathologisch ausgefallen sei. Bei der daraufhin eingeleiteten stationären Krankenhausbehandlung sei dann die koronare Herzkrankheit festgestellt worden, welche in der Folgezeit das weitere Geschehen im Wesentlichen bestimmt habe. Dem Behandlungsbericht von Herrn Dipl.-Med. A. sei zu entnehmen, dass es sich bei der Erkrankung des Klägers aus psychiatrischer Sicht um eine posttraumatische Belastungsstörung mit reaktiver Depression handele. Abschließend führte der Hausarzt aus:
31„Das psychische Trauma des Überfalls, nicht die Reaktion auf die kurze Zeit später diagnostizierte Herzerkrankung, stellt den auslösenden Faktor für die Gesundheitsstörung meines Pat. dar, natürlich massiv verstärkt durch die Diagnose und die sich anschließenden Behandlungen der Herzerkrankung. Insofern ist als auslösender Faktor der psychischen Erkrankung von Herrn B. meines Erachtens eindeutig der Dienstunfall vom 16.02.2000 zu sehen.“
32Ergänzend begründete der Kläger seinen Widerspruch wie folgt: Aus dem Attest gehe hinreichend klar hervor, dass sich die psychische Symptomatik infolge des Überfalls rapide verfestigt habe und nachdrücklich bereits vor dem Auftreten der somatischen Beschwerden aufgetreten sei. Die Ehefrau des Klägers habe sich bei der Besprechung des Ablehnungsbescheides mit dem (damaligen) Bevollmächtigten daran erinnert, schon sehr bald nach dem Ereignis Verhaltensauffälligkeiten bei dem Kläger beobachtet zu haben, u.a. Schlaflosigkeit, Schreien und Umsichschlagen im Schlaf. Sie erinnere sich hieran, weil sie damit nicht habe umgehen können und weil die Auffälligkeiten begonnen hätten, das Familienleben und auch ihre eigene Gesundheit zu beeinträchtigen. Sie habe deshalb seinerzeit ihren Hausarzt aufgesucht, dessen Nachfolger aber leider kein älteres Befundmaterial mehr habe.
33Mit Bescheid vom 21. September 2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Der Dienstunfall sei nicht die rechtlich wesentliche (Teil-) Ursache der geltend gemachten psychischen Beschwerdesymptomatik, und Unfallausgleich könne dementsprechend mangels einer unfallbedingten MdE nicht gewährt werden. Nach der Stellungnahme des fachärztlichen Beraters der Unfallkasse Post und Telekom (vom 17. September 2009) sei die vorliegende schwere Angstneurose nicht in rechtlich erheblicher Weise durch den Dienstunfall verursacht worden, sondern durch die zwingend in Betracht zu ziehende Alternativursache der Manifestation bzw. Diagnose der koronaren Herzerkrankung. Bestätigt werde das auch durch den Entlassungsbericht der O. Reha-Klinik St. Q. -P. vom 14. Juni 2006, nach dem die rezividierenden depressiven Verstimmungen mit Angstzuständen und Schlafstörungen vorrangig seit Manifestation der koronaren Herzerkrankung bestünden. Der Hausarzt des Klägers hingegen unterscheide in seinem Attest vom 18. November 2009 nicht zwischen der Diagnosestellung einer posttraumatischen Belastungsstörung und der Begründung des Ursachenzusammenhangs zwischen der festgestellten psychischen Erkrankung mit dem angeschuldigten Unfallereignis. Er schließe aus der von Herrn Dipl.-Med. A. gestellten Diagnose auf eine zwingende Ursächlichkeit des Dienstunfalls, ohne ausreichend die anderen in Betracht kommenden Ursachen zu erwägen, die gerade bei einer psychischen Erkrankung von besonderer Bedeutung seien.
34Der Kläger hat am 22. Oktober 2010 Klage erhoben und diese wie folgt begründet: Entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Dienstunfall das auslösende Moment für die geklagte psychische Beschwerdesymptomatik und auch für die Herz-, Blutdruck- und Magenproblematik gewesen. Er sei durch den Überfall traumatisiert. Belegt werde dies schon durch die lange Krankschreibung nach dem Überfall (17. Februar 2000 bis 25. März 2000). Daran habe sich auf Anraten seines Hausarztes ein einwöchiger Urlaub in Tirol angeschlossen, damit er wieder ein „sicheres Gefühl“ bekomme. Danach sei er im Jahre 2000 noch häufiger krankgeschrieben gewesen, vor allem wegen Angstzuständen, Schlafstörungen und Unwohlsein, so dass er vom 18. Oktober 2000 bis zum 15. November 2000 gemeinsam mit seiner Ehefrau einen Kuraufenthalt in C. L1. wegen somatischer Beschwerden absolviert habe. Die Traumatisierung habe sich auch auf seine dienstliche Tätigkeit ausgewirkt. So habe er bereits ab März 2000 – d.h. sofort nach Wiederaufnahme des Dienstes – Panikattacken bekommen, unter welchen er übrigens noch heute leide. Ausgelöst würden diese Attacken durch dunkel gekleidete Personen, deren Gesicht nicht erkennbar sei (Motorradhelm, Hut, Schleier) und die sich seinem Schalter näherten. Dann schließe er sofort seinen Schalter und begebe sich in einen aus seiner Sicht geschützten Bereich. Aufgrund der regelmäßigen Angstattacken sei er nach Ansicht seines Chefs in der Zwei-Mann-Filiale in G. nicht mehr tragbar gewesen und deshalb 2001 in die Großfiliale im L2. -Center B1. versetzt worden. Dort habe er sich sicherer gefühlt, weil dort regelmäßig 5 bis 6 Postbeamte eingesetzt gewesen seien und ein Wachdienst tätig gewesen sei. Gleichwohl sei es auch dort zu Panikattacken gekommen. Wegen Schließung der Filiale in B1. werde er seit 2002 in der Großfiliale am Hauptbahnhof eingesetzt. Aus seiner Sicht sei dort ein Brennpunkt von „vermummten Personen“. Deshalb sei er ständig auf die Tür fixiert, um zu kontrollieren, wer dort hereinkomme. Schon eine Person in Ganzkörperschleier löse eine solche Attacke aus. Bis heute begleite ihn der Überfall; auch in seinem Privatleben sei er erheblich beeinträchtigt. An Tagen mit Angstattacke führe er noch immer zwei- bis fünfstündige Gespräche mit seiner Ehefrau und den Kindern. Er träume häufig von Bedrohungssituationen, aus denen er nicht herauskönne, insbesondere bei vorangegangenen Belastungssituationen. Er schlafe dann erkennbar unruhig und habe auch schon seine Ehefrau im Schlaf attackiert bzw. eine Abwehrhaltung gezeigt. Einschlaf- und Durchschlafprobleme seien an der Tagesordnung. Hierdurch und durch die Medikation (Schlaftabletten, Insidon) stehe er auch im Dienst immens unter Druck und sei häufig krank. Der Unfall habe ihn krank gemacht. Er habe in 2000 versucht, über den Schatten zu springen; er habe so schnell wie möglich in die Normalität zurückgewollt, und er und sein Hausarzt seien damals der Ansicht gewesen, dass eine symptomatische Behandlung insoweit ausreichen werde. Erst nachdem der Leidensdruck immer größer geworden sei und der Hausarzt sich nicht mehr in der Lage gesehen habe, ihn angemessen zu behandeln, habe dieser ihn an den Facharzt Dipl.-Med. A. überwiesen. Der Umstand, dass er erst so spät einen Facharzt wegen seiner psychischen Probleme aufgesucht habe, spreche nicht gegen die Ursächlichkeit des Dienstunfalls für die Belastungsstörung.
35In der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 2012 hat der Kläger die Sachanträge gestellt,
361. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2009 und des Widerspruchs-bescheides vom 21. September 2010 zu verpflichten, die schwere Angstneurose / posttraumatische Belastungsstörung mit reaktiver Depression und Somatisierungstendenz als Folge des Dienstunfalls vom 16. Februar 2000 anzuerkennen, und
372. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2009 und des Widerspruchsbe-scheides vom 21. September 2010 zu verpflich-ten, ihm Unfallausgleich entsprechend einer Min-derung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 % zu gewähren.
38Die Beklagte hat beantragt,
39die Klage abzuweisen.
40Zur Begründung hat sie auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide Bezug genommen und ergänzend ausgeführt: Der Dienstunfall sei nicht die rechtlich wesentliche Ursache der geklagten psychischen Beschwerden. Zwar sei es durch das Unfallereignis nach den Schilderungen des Hergangs und den erhobenen ärztlichen Befunden bei dem Kläger zu psychischen Reaktionen gekommen; diese seien aber offenbar nicht so gravierend gewesen, dass der Kläger schon zu dieser Zeit eine psychologische oder psychiatrische Behandlung für notwendig gehalten habe. Erst nachdem bei ihm eine koronare Herzerkrankung diagnostiziert und operativ behandelt worden sei, habe der Kläger eine anhaltende psychische Störung in Form von Ängsten entwickelt, welche ihn erst im November 2005 veranlasst habe, eine psychiatrische Behandlung zu beginnen.
41Durch das angefochtene Urteil, auf das wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung im Kern ausgeführt: Der Kläger habe nicht den notwendigen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Dienstunfall und der behaupteten Dienstunfallfolge nachgewiesen. Denn psychische Beschwerden seien bei dem Kläger nicht schon nach dem Überfall, sondern erst nach der Manifestation der Herzerkrankung aufgetreten. Gegen den Ursachenzusammenhang spreche zudem der späte Diagnosezeitpunkt (Mai 2005), da eine posttraumatische Belastungsstörung in der Regel mit einer Latenz von Wochen bis Monaten nach dem Trauma ausbreche. Die Gewährung von Unfallausgleich scheitere daran, dass eine etwaige Minderung der Erwerbsfähigkeit (jedenfalls) nicht infolge des Dienstunfalles aufgetreten sei.
42Mit Beschluss vom 19. Februar 2014 hat der Senat die Berufung wegen Durchgreifens der Aufklärungsrüge zugelassen. In der – ersten – mündlichen Verhandlung vom 12. November 2014 hat er sodann die Ehefrau des Klägers sowie Frau V. N2. (frühere Kollegin des Klägers im Schalterdienst) und Herrn K. X2. (früherer Vorgesetzter des Klägers) als Zeugen zu Veränderungen/Auffälligkeiten im Verhalten des Klägers nach dem Dienstunfall gehört; auf das Protokoll dieser mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen. Nachfolgend hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, das Univ.-Prof. Dr. med. Dr. rer. soc. T. , Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik am Universitätsklinikum B2. erstellt hat. Der Gutachter kommt in dem von ihm vorgelegten, hier in Bezug genommenen psychiatrischen Gutachten vom 1. April 2015 nebst Bericht über die testpsychologische Zusatzuntersuchung im Kern zu folgenden Ergebnissen: Bei dem Kläger liege eine Agoraphobie mit Panikattacken (ICD-10: F40.01) vor. Die Kriterien einer depressiven Episode seien zum Untersuchungszeitpunkt nicht erfüllt, wohl aber in der Vergangenheit zu verschiedenen Zeitpunkten. Die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung könne ebensowenig gestellt wie die mehr als nur geringfügiger somatoformer Beschwerden. Die beklagten Angst- und Paniksymptome seien in ihrer Gesamtheit als Folge des Dienstunfalls zu werten. Die Herzerkrankung mit der nachfolgenden Behandlung könne sicherlich als komplizierender Faktor für die Angsterkrankung gewertet werden, nicht aber als ursächlicher Faktor. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit sei im Zeitraum vom 16. Februar 2000 bis zum 21. September 2010 (und bis heute) mit 30 v.H. anzusetzen. In der nachfolgenden – zweiten – mündlichen Verhandlung vom 23. November 2015 hat der Sachverständige sein Gutachten näher erläutert; auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
43Zur Begründung seiner Berufung wiederholt der Kläger der Sache nach sein (vom Verwaltungsgericht nicht hinreichend berücksichtigtes) Sachvorbringen erster Instanz, welches insgesamt belege, dass die posttraumatische Belastungsstörung schon seit dem Dienstunfall vorgelegen habe und dass die nachfolgende Herzerkrankung quasi nur der Tropfen gewesen sei, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe. In Ergänzung des erstinstanzlichen Vortrags macht er ferner geltend: Eine fachpsychiatrische Behandlung habe er vor Aufsuchen des Herrn Dipl.-Med. A. aus Scham abgelehnt; außerdem habe er großes Vertrauen zu seinem langjährigen Hausarzt gehabt und auch deswegen insoweit einen anderen Arzt nicht konsultieren wollen. Schließlich hätten er und sein Hausarzt zunächst die Hoffnung gehabt, die medizinische (gemeint: psychische) Problematik in den Griff zu bekommen. Der späte Diagnosezeitpunkt erlaube – natürlich – nicht zwingend den Rückschluss, dass die Erkrankung nicht schon vorher (noch unerkannt) vorgelegen habe. Der Stellungnahme der Beklagten zu dem Sachverständigengutachten hält der Kläger im Kern entgegen: Die behauptete Widersprüchlichkeit des Gutachtens liege nicht vor, da die Herzerkrankung die diagnostizierte Störung nach dem Gutachten gerade nicht ausgelöst habe. Vollbeweislich zu sichern sei nur der erste Verletzungserfolg (Primärschaden), der hier in der erlittenen Prellung liege. Die weiteren, sich erst entwickelnden psychischen Beeinträchtigungen unterlägen (nur) dem Beweismaßstab des § 287 ZPO. Die von dem Beratungsarzt vermissten Brückensymptome lägen vor. So habe die Ehefrau des Klägers als Zeugin bekundet, dass der Kläger bereits unmittelbar nach dem Dienstunfall ein extrem gestörtes Schlafverhalten und Furcht vor Menschenansammlungen gezeigt habe. An einer fachärztlichen Sicherung dieser Symptome bis 2005 fehle es nur aus den bereits dargelegten und von der angeführten Zeugin glaubhaft geschilderten Gründen. Zudem ergebe sich aus dem Gutachten, dass die ersten Kriterien für die Agoraphobie bereits unmittelbar nach dem Dienstunfall vorgelegen hätten (Verweis auf den Arztbericht auf S. 5 des Gutachtens: Herzrasen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen; Wiedergabe der Exploration auf S. 22 des Gutachtens, wonach der Kläger am Tag nach dem Überfall zittrig gewesen sei, starke Ängste gehabt habe und es ihm nicht gelungen sei, die Filiale aufzuschließen).
44Der Kläger beantragt,
45das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 9. Oktober 2009 und des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 zu verpflichten,
461. die geklagten psychischen Beschwerden (Agoraphobie mit Panikattacken) als Folge des Dienstunfalls vom 16. Februar 2000 anzuerkennen und
2. ihm Unfallausgleich nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit in Höhe von 30 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
51die Berufung zurückzuweisen.
52Zur Begründung bekräftigt sie ihr bisheriges Vorbringen und macht unter Vorlage einer Stellungnahme ihres beratenden Arztes Dr. N1. (Neurologe und Psychiater) ergänzend geltend: Das Sachverständigengutachten sei nicht geeignet, eine wesentliche (Mit-) Ursächlichkeit des Dienstunfalls zu beweisen. Die Kernaussage des Gutachters zur Ursächlichkeit sei schon in sich widersprüchlich. Denn dieser nehme die alleinige Ursächlichkeit des Dienstunfalls an, gehe der Sache nach aber zugleich von einer Mitursächlichkeit der Herzerkrankung aus. Zudem sei die Beweisfrage 1. b) nicht ordnungsgemäß beantwortet. Denn die geforderte Gewichtung der in Betracht kommenden Ursachen könne nicht durch die schlichte Behauptung der alleinigen Ursächlichkeit des Dienstunfalls umgangen werden. Näheres ergebe sich aus der beratungsärztlichen Stellungnahme, welche sich die Beklagte ausdrücklich zu eigen mache. Dort ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Diagnose einer Agoraphobie mit Panikattacken sei zutreffend. Das gelte auch für den angesetzten Beginn dieser Störung (November 2005), weil zuvor das eindrückliche Krankheitsbild einer Agoraphobie mit Panikattacken, welches in der Regel zu häufigen Arztkontakten meist somatischer Natur führe, weder dem Gutachten noch den Akten zu entnehmen sei. Zu hinterfragen sei aber die Kausalitätsbetrachtung, da sie ohne Begründung erheblich von der wissenschaftlichen Standardliteratur abweiche. Zweifel ergäben sich zunächst aus der langen Latenz der Symptome bis zum 25. November 2005. Nach der Sk2-Leitlinie zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen AWMF – Registernummer 051/029 ergebe sich aus der maßgeblichen Literatur primär kein Hinweis darauf, dass die vorliegende Störung nach ICD-10 F:40.01 durch einen Unfall oder ein Trauma ausgelöst werden könne. Nach Auswertung der Akten und des Gutachtens fehle es an aber Brückensymptomen für die Zeit vom Dienstunfall bis 2005. Der Gutachter habe eine initiale Anpassungsstörung schon nicht diagnostiziert. Gehe man aber auf der Grundlage der Schilderung des Hausarztes von einer solchen aus, so klinge diese nach „Statement 13“ der erwähnten Sk2-Leitlinie nach einmaligen psychischen Traumen spätestens nach 2 Jahren ab; länger anhaltende Anpassungsstörungen seien nur bei anhaltendem – hier aber nicht erkennbarem – Stressor (z.B. anhaltende schwere körperliche Schädigungsfolgen) zu diagnostizieren und ggf. als Schädigungsfolge anzuerkennen. Falle die vorliegende Störung unter „Statement 16“ der Sk2-Leitlinie, so ergebe sich die Notwendigkeit der ausführlichen Diskussion der schädigungsunabhängigen konkurrierenden Faktoren, hier also der schweren koronaren Herzerkrankung mit Luftnot und Herzbeschwerden bis hin zur notwendigen Bypass-Operation. Eindeutige Hinweise ergäben sich insoweit aus der Anamnese, denn die psychischen Symptome hätten ab 2002/2003 in Verbindung mit den Herzbeschwerden deutlich zugenommen. Mit zeitlicher Latenz zum Schädigungsereignis auftretende psychische Symptome seien nach „Statement 17“ der Sk2-Leitlinie im Allgemeinen nur dann als – gutachterlich stets zu sichernder – Primärschaden zu werten, wenn ein auch nach objektiven Kriterien katastrophales Ereignis vorgelegen habe, dass erst mit Verzögerung dem bewussten Erleben zugänglich geworden sei. Das Vorliegen dieser Voraussetzung habe der Gutachter nicht überzeugend nachgewiesen. Es fehle im Gutachten der notwenige Beleg dafür, dass die erst 2005 aufgetretene Störung auf den Dienstunfall und nicht auf die Symptome der Herzkrankheit zurückzuführen sein soll, zumal nach der S3-Leitlinie Behandlung von Angststörungen in der wissenschaftlichen Literatur üblicherweise in der Regel eher physiologische Faktoren als Auslöser einer Agoraphobie mit Panikattacken angesehen werden. Nach der S3-Leitlinie seien bei Patienten mit einer Panikstörung in den letzten 12 Monaten vor der ersten Panikattacke signifikant mehr belastende Lebensereignisse festgestellt worden als bei Kontrollpersonen; potentiell todbringende Krankheiten wie die koronare Herzerkrankung erzeugten hingegen reale Angst, welche indes typischerweise auf Anpassungsstörungen, nicht aber auf Angststörungen führe. Angesichts dieser Literaturlage überrasche es, dass der Gutachter ausschließe, dass die ab 2005 aufgetretenen Panikattacken sich aus einer erst im Gefolge der Herzerkrankung aufgetretenen Anpassungsstörung entwickelt haben könnte, zumal diese auch vom zeitlichen Bezug her doch deutlich plausibler wäre. Hinsichtlich der vom Gutachter festgestellten MdE sei zum einen zu fragen, weshalb diese bereits ab 2000 vorliegen solle, obwohl die Agoraphobie nach den Feststellungen erst seit 2005 gegeben sei. Zum anderen erscheine die angesetzte MdE von 30 v.H. begründungsbedürftig hoch angesetzt; nach Schönberger et al., Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 157 sei bei zeitlich begrenzten Attacken nämlich nur von einer MdE i.H.v. 20 v.H. auszugehen.
53Unter dem 18. Juli 2014 bzw. dem 28. Juli 2014 haben die Beklagte bzw. der Kläger erklärt, auch nach der erfolgten Zulassung der Berufung mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) einverstanden zu sein, und der Berichterstatter hat von dieser ihm eingeräumten Befugnis nachfolgend durch die Ladung zur – ersten – mündlichen Verhandlung nach außen erkennbar Gebrauch gemacht.
54Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (3 Hefte) Bezug genommen.
55Entscheidungsgründe:
56Die zulässige Berufung ist begründet.
57Die insgesamt als Verpflichtungsklage statthafte und auch ansonsten zulässige Klage ist mit beiden in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2015 gestellten Anträgen begründet (dazu nachfolgend A. und B.).
58A. Begründet (dazu nachfolgend II.) ist zunächst die – im Berufungsverfahren nicht geänderte (dazu nachfolgend I.) – Klage mit dem im Klageantrag zu 1. formulierten Anerkennungsbegehren.
59I. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten liegt in der Neufassung des Klageantrags zu 1. in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2015 keine Klageänderung im Sinne des § 91 Abs. 1 VwGO. Denn der Klagegrund hat sich hierdurch nicht verändert; er ist im Laufe des gesamten Gerichtsverfahrens vielmehr unverändert geblieben. Ausweislich des in der Klageschrift vom 21. Oktober 2010 angekündigten einschlägigen Klageantrags war das (dem Sachbegehren im Verwaltungsverfahren entsprechende) Sachbegehren des Klägers insoweit darauf gerichtet, die bei ihm „vorliegende psychische Beschwerdesymptomatik (schwere Angstneurose/ posttraumatische Belastungsstörung mit reaktiver Depression und Somatisierungstendenz)“ als Folge des „Arbeitsunfalls vom 16.02.2000 anzuerkennen“. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger sodann einen dem inhaltlich entsprechenden Verpflichtungsantrag gestellt, indem er beantragt hat, die schwere Angstneurose/posttraumatische Belastungsstörung mit reaktiver Depression und Somatisierungstendenz als Folge des Dienstunfalls vom 16. Februar 2000 anzuerkennen; dem wiederum entsprach der in der Berufungsbegründungsschrift vom 7. März 2014 formulierte Antrag zu 1. In der ersten mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 12. November 2014 hat der Kläger sodann auf Anraten des Gerichts die anzuerkennenden Dienstunfallfolgen in dem Verpflichtungsantrag zu 1. wieder – der Sache nach dem Antrag in der Klageschrift entsprechend – als „die geklagten psychischen Beschwerden (schwere Angstneurose/ posttraumatische Belastungsstörung mit reaktiver Depression und Somatisierungstendenz)“ bezeichnet. Von diesem mithin bis dahin durchgängig verfolgten Sachbegehren ist der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung nicht abgewichen. Denn der nunmehr gestellte Antrag, die Beklagte zu verpflichten, „die geklagten psychischen Beschwerden (Agoraphobie mit Panikattacken) als Folge des Dienstunfalls vom 16. Februar 2000 anzuerkennen“, hat nach wie vor die Anerkennung der geklagten psychischen Beschwerden als Dienstunfallfolge zum Gegenstand. Die Konkretisierung dieser psychischen Beschwerden durch den Klammerzusatz ändert daran nichts. Sie ist allein dem Umstand geschuldet, dass der Kläger seine psychischen Beschwerden erstmals nach dem Vorliegen der (grundsätzlich auch vom Beratungsarzt der Beklagten für zutreffend gehaltenen) Diagnose des Sachverständigen eindeutig bezeichnen konnte, während ihm zuvor eine Vielzahl sich teilweise widersprechender Diagnosen gestellt worden war, welche er in den früheren Klammerzusätzen deshalb nur beispielhaft anführen konnte und angeführt hat.
60II. Der Kläger hat gemäß den §§ 45 Abs. 3 Satz 2, 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG einen Anspruch (dazu nachfolgend 1.) gegen die Beklagte, dass diese seine nunmehr als Agoraphobie mit Panikattacken identifizierte bestehende psychische Erkrankung als Folge des Dienstunfalls (dazu nachfolgend 2.) vom 16. Februar 2000 anerkennt. Die Beklagte ist daher verpflichtet, den entgegenstehenden Bescheid vom 9. Oktober 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. September 2010 entsprechend abzuändern (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
611. Nach § 45 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG entscheidet die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle u. a. darüber, ob ein Dienstunfall im Sinne des § 31 BeamtVG vorliegt. Die daraus abzuleitende Entscheidungsbefugnis umfasst auch die Entscheidung darüber, ob bestimmte Leiden (und ggf. welche) Folge eines als Dienstunfall anerkannten bzw. anzuerkennenden Ereignisses sind. Hierüber kann bereits in dem Anerkennungsbescheid oder durch gesonderten Verwaltungsakt entschieden werden. Der betroffene Beamte hat gegenüber seinem Dienstherrn auch einen Anspruch auf eine solche Entscheidung. Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – Streit darüber besteht, ob ein bestimmter Körperschaden Dienstunfallfolge ist, und der Dienstherr insoweit eine Anerkennung bereits abgelehnt hat.
62Vgl. das Senatsurteil vom 23. Mai 2014– 1 A 1988/11 –, juris, Rn. 47 f.
632. Die geklagte psychische Erkrankung des Klägers (Agoraphobie mit Panikattacken) ist Folge des Dienstunfalls.
64Ein Dienstunfall ist nach § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist. Ein Körperschaden in diesem Sinne liegt vor, wenn der Gesundheitszustand eines Menschen für eine bestimmte Mindestzeit ungünstig verändert ist und diese Veränderung (auch sonst) nicht nur Bagatellcharakter hat, sondern aus medizinischer Sicht Krankheitswert besitzt.
65Vgl. OVG des Saarlandes, Urteil vom 22. April 2009 – 1 A 155/08 –, juris Rn. 27, und OVG NRW, Urteil vom 28. November 2014– 1 A 1860/14 –, DÖD 2015, 104 = juris, Rn. 44 f., m. w. N.; dazu, dass auch eine (nicht unerhebliche) Verletzung der seelischen Integrität – also eine psychische Störung – einen Körperschaden darstellt, vgl. Groepper/Tegethoff, in: Plog/ Wie-dow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 31 Rn. 44, und Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 8. Aufl. 2013, § 14 Rn. 11, jeweils m. w. N. –
66Ein Dienstunfall liegt deshalb unter anderem auch dann vor, wenn der Betroffene in Ausübung oder infolge des Dienstes eine solche psychische, Krankheitswert aufweisende Gesundheitsstörung erleidet, die unmittelbar (also nicht erst über den Zwischenschritt eines physischen Traumas) auf der Wahrnehmung eines belastenden äußeren Ereignisses beruht, welche einen psychoreaktiven Prozess in Gang gesetzt hat. Auch in einem solchen Fall liegt mit Blick auf die (begrenzte) Funktion des Merkmals äußerer Einwirkung, allein auf inneren Vorgängen des Betroffenen beruhende Körperschäden vom Begriff des Dienstunfalls auszunehmen,
67vgl. insoweit etwa Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 31 Rn. 39,
68eine Einwirkung auf den Körper von außen vor.
69Deutlich Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 148.; jeweils dazu, dass ein Körperschaden i. S. d. § 31 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 BeamtVG in einer als Folge einer Traumatisierung eingetretenen seelischen Störung liegen kann, BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2009– 2 C 134.07 –, BVerwGE 135, 176 = ZBR 2010, 378 = juris, Rn. 24, und vom 25. Oktober 2012– 2 C 41.11 –, NVwZ-RR 2013, 320 = juris, Rn. 12.
70Im Dienstunfallrecht der Beamten sind als Ursache im Rechtssinne nur solche für den eingetretenen Schaden ursächlichen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise an dessen Eintritt mitgewirkt haben, die also insofern als „wesentlich“ anzusehen sind (Theorie der wesentlich mitwirkenden Ursache). Dies zielt auf eine sachgerechte Risikoverteilung. Dem Dienstherrn sollen nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit oder die nach der Lebenserfahrung auf sie zurückführbaren, für den Schaden wesentlichen Risiken aufgebürdet werden. Diejenigen Risiken, die sich aus persönlichen, von der Norm abweichenden Anlagen oder aus anderen als dienstlich gesetzten Gründen ergeben, sollen hingegen bei dem Beamten belassen werden. Dementsprechend ist der Dienstunfall dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) beigetragen hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt. Wesentliche Ursache im Dienstunfallrecht kann auch ein äußeres Ereignis sein, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder (nur) beschleunigt, wenn diesem Ereignis nicht im Verhältnis zu anderen Bedingungen – zu denen auch die bei Eintritt des äußeren Ereignisses schon vorhandene Veranlagung gehört – eine derart untergeordnete Bedeutung für den Eintritt der Schadensfolge zukommt, dass diese anderen Bedingungen bei natürlicher Betrachtung allein als maßgeblich anzusehen sind. Nicht Ursachen im Rechtssinne sind demnach sog. Gelegenheitsursachen, d. h. Ursachen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienstunfall eine rein zufällige Beziehung besteht, wenn also die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte. Haben hieran gemessen mehrere Bedingungen im Rechtssinne einen bestimmten Erfolg (Körperschaden) herbeigeführt, so sind sie jeweils als wesentliche (Mit‑)Ursachen einzustufen. Die materielle Beweislast für den Nachweis des geforderten Kausalzusammenhangs trägt der (anspruchstellende) Beamte. Grundsätzlich bedarf es insoweit des vollen Beweises im Sinne „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“.
71Ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2009 – 2 C 134.07 –, BVerwGE 135, 176 = ZBR 2010, 378 = juris, Rn. 26 f., vom 1. März 2007 – 2 A 9.04 –, Schütz, BeamtR ES/C II 3.5 Nr. 16 = juris, Rn. 8, und vom 18. April 2002 – 2 C 22.01 –, ZBR 2003, 140 = juris, Rn. 10, sowie Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 2 B 34.12 –, juris, Rn. 6; ferner aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats zuletzt die Urteile vom 28. November 2014– 1 A 1860/14 –, DÖD 2015, 104 = juris, Rn. 46 f., und vom 23. Mai 2014 – 1 A 1988/11 –, juris, Rn. 50 ff., jeweils m. w. N.
72Ausgehend von diesen Maßstäben stellt die bei dem Kläger diagnostizierte, seit dem Dienstunfall bestehende Agoraphobie mit Panikattacken einen Körperschaden dar (dazu weiter unten a)), dessen alleinige Ursache im dienstunfallrechtlichen Sinne der Dienstunfall (Überfall) ist (dazu weiter unten b)).
73Das alles steht auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung des Akteninhalts, dabei insbesondere der im Berufungsrechtszug durchgeführten Beweisaufnahmen (Zeugenbefragung, Einholung des Sachverständigengutachtens und dessen Erläuterung durch den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung) zur Überzeugung des erkennenden Gerichts fest, und zwar mit dem erforderlichen Grad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen und Bewertungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Dr. T. . Es würdigt dabei dessen gesamte Ausführungen in einer Gesamtschau, also nicht nur das vorgelegte schriftliche psychiatrische Gutachten nebst Bericht über die testpsychologische Zusatzbegutachtung, sondern auch die in der mündlichen Verhandlung gegebenen mündlichen Erläuterungen. Soweit das schriftliche Gutachten noch wegen Unklarheiten bzw. Begründungsdefiziten erläuterungsbedürftig war, hat der Gutachter die erforderlichen Erläuterungen in allen bedeutsamen Punkten in der mündlichen Verhandlung gegeben. Gerade unter Einbeziehung dieser Erläuterungen ergibt sich hier in fachlich-medizinischer Sicht insgesamt eine taugliche und hinreichend fundierte Grundlage für das Gericht, um die aufgeworfenen Fragen nach der Art und Dauer der psychischen Erkrankung und nach dem Ursachenzusammenhang auf einer zureichenden Tatsachenbasis beurteilen zu können. Das ergibt sich aus Folgendem: Der Sachverständige hat zur Überzeugung des Senats den entscheidungserheblichen Sachverhalt, soweit er ihm für die Urteilsbildung zu den Beweisfragen 1.a) und 1.b) Gewicht beigemessen hat und beimessen musste, seiner Beurteilung vollständig und zutreffend zugrunde gelegt. Er hat bei seinen Erläuterungen keine Unsicherheiten erkennen lassen oder widersprüchliche Angaben gemacht. Schließlich sind nicht ansatzweise Bedenken hinsichtlich der fachlichen Kompetenz oder Unparteilichkeit des Sachverständigen erkennbar oder geltend gemacht worden.
74a) Der Sachverständige hat bei dem Kläger eine Agoraphobie mit Panikattacken (ICD-10: F40.01) diagnostiziert und in der mündlichen Verhandlung zur Dauer dieser Erkrankung klargestellt, dass diese seiner Einschätzung nach durch das bei dem Dienstunfall (Überfall) erlebte Trauma ausgelöst worden ist und von diesem Zeitpunkt an durchgängig (jedenfalls) bis zur Untersuchung im Januar 2015 vorgelegen hat; die Begrenzung seiner Aussage auf den zuletzt genannten Zeitpunkt sei dabei lediglich dem Umstand geschuldet, dass er den Kläger nach Januar 2015 nicht mehr untersucht habe. Dies rechtfertigt ohne Weiteres die Annahme, dass dem Kläger der behauptete Anerkennungsanspruch durchgängig auch bis zu dem insoweit nach dem materiellen Recht maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im September 2010 zugestanden hat. Auf diesen Zeitpunkt kommt es vorliegend deshalb an, weil ein Anerkennungsbegehren der vorliegenden Art von Gesetzes wegen nicht zwingend – wie hier geschehen – selbständig formuliert werden muss, die mit ihm aufgeworfene Frage vielmehr auch Gegenstand eines allein gestellten Antrags auf Gewährung von Unfallausgleich sein kann,
75vgl. insoweit die eine Streitwertbeschwerde und eine Gegenvorstellung betreffenden Senatsbeschlüsse zum Aktenzeichen 1 E 433/11 vom 20. Dezember 2012, juris, Rn. 8, und vom 28. Dezember 2012, juris, Rn. 9,
76und die Frage, ob Unfallausgleich zu gewähren ist, sich unstreitig nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung beantwortet.
77Vgl. insoweit OVG NRW, Beschluss vom 3. November 2014 – 1 A 27/13 –, juris, Rn. 7 f., und Urteil vom 8. Februar 1994 – 6 A 2089/91 –, juris, Rn. 4 f., jeweils m. w. N.; ferner VG Bremen, Urteil vom 9. September 2011– 2 K 1472/10 –, juris, Rn. 41 f., und Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 35 Rn. 87, jeweils m. w. N.; zu der (bejahten) Frage, ob dem Kläger, der die Anerkennung bestimmter, bereits während des Widerspruchsverfahrens ausgeheilter Beschwerden begehrt, ein Rechtsschutzinteresse zur Seite steht, vgl. das Senatsurteil vom 28. November 2014– 1 A 1860/14 –. DÖD 2015, 104 = juris, Rn. 29 ff.
78Letzteres findet seinen Grund darin, dass es, wie die Regelung des § 35 Abs.3 BeamtVG verdeutlicht, nicht Aufgabe des Gerichts ist, den für die Gewährung von Unfallausgleich maßgeblichen, ggf. Änderungen unterworfenen Gesundheitszustand des Beamten während der Dauer des gerichtlichen Verfahrens „rechtlich unter Kontrolle zu halten“. Fiele es in die Verantwortung des Gerichts, die Frage der Fortdauer der Erkrankung und des Ursachenzusammenhangs zwischen Dienstunfall und Erkrankung bis zur mündlichen Verhandlung „rechtlich unter Kontrolle zu halten“, so würde dies im Übrigen im Einzelfall zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten führen können. Ein Sachverständigengutachten, welches das Gericht zu der Anerkennungsfrage einzuholen hatte, wird nämlich gerade bei solchen Körperschäden, hinsichtlich derer sich künftig noch relevante Änderungen ergeben könnten, grundsätzlich keine prognostischen, d.h. über den Zeitpunkt seiner Erstellung hinausweisenden Aussagen enthalten bzw. enthalten können; dieser Umstand würde das Gericht bei Eintritt relevanter gesundheitlicher Umstände nach Vorlage des Gutachtens und vor der gerichtlichen Entscheidung aber zwingen, den Gutachter zu einer ergänzenden, u.U. sogar noch eine weitere Untersuchung erforderlich machenden Begutachtung zu veranlassen, und zwar womöglich noch innerhalb der mündlichen Verhandlung.
79Aber auch dann, wenn ein selbständiges Anerkennungsbegehren entgegen dem Vorstehenden auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu beurteilen wäre, würde sich das Ergebnis hier nicht ändern. Denn vernünftige Zweifel daran, dass der Kläger an der in Rede stehenden psychischen Erkrankung auch heute – rund 10 Monate nach der Untersuchung durch den Gutachter – leidet, sind angesichts der inzwischen 15jährigen Dauer der Erkrankung und ihres längst chronischen Charakters nicht einmal ansatzweise zu erkennen.
80Der Senat ist mit dem insoweit erforderlichen Grad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit überzeugt, dass die gestellte Diagnose, welche auf die Annahme eines Körperschadens in der Form einer erheblichen Beeinträchtigung der seelischen Integrität führt, zutrifft, und zwar auch hinsichtlich der vom Gutachter angenommenen Dauer der Erkrankung bis Anfang 2015; in gleicher Weise ist der Senat aus den bereits angesprochenen Gründen im Übrigen, wie hier nur hilfsweise ausgeführt werden soll, überzeugt, dass die Erkrankung bis heute andauert. Zwar hat das schriftliche Gutachten sich noch auf eine im Kern nur ergebnishafte Mitteilung der Diagnose beschränkt und zudem u.U. nicht hinreichend klar ausgeführt, wann der Beginn der Erkrankung anzusetzen ist. Diese Punkte hat der Sachverständige aber in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat unter Rückgriff auf die Ergebnisse seiner eigenen Untersuchungen und die Ergebnisse der erfolgten intensiven Auswertung der Aktenlage nachvollziehbar und überzeugend erläutert.
81Nach ICD-10: F.40.0 wird die Agoraphobie, die „mit Panikstörung“ die Ziffer F.40.01 trägt, wie folgt beschrieben:
82„Eine relativ gut definierte Gruppe von Phobien, mit Befürchtungen, das Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, in Menschenmengen und auf öffentlichen Plätzen zu sein, alleine mit Bahn, Bus oder Flugzeug zu reisen. Eine Panikstörung kommt als häufiges Merkmal bei gegenwärtigen oder zurückliegenden Episoden vor. Depressive und zwanghafte Symptome sowie soziale Phobien sind als zusätzliche Merkmale gleichfalls häufig vorhanden. Die Vermeidung der phobischen Situation steht oft im Vordergrund, und einige Agoraphobiker erleben nur wenig Angst, da sie die phobischen Situationen meiden können.“
83Diese Beschreibung konkretisierend hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass die Diagnose dieser Erkrankung das Vorliegen von drei Kriterien verlange: Die vegetativen und psychischen Symptome müssten primär auf die Angst zurückzuführen sein. Ferner müsse sich die Angst auf mindestens zwei verschiedene Situationen beziehen, so z.B. auf den Aufenthalt in Menschenmengen oder im Dunkeln außerhalb der (eigenen) vier Wände. Schließlich müsse ein Vermeidungsverhalten vorliegen. Diese Voraussetzungen hätten bei dem Kläger ausweislich des ausgewerteten Akteninhalts und der Exploration seit dem Dienstunfall im Jahre 2000 und durchgängig bis zum Untersuchungszeitpunkt Anfang 2015 vorgelegen. Mit der zuletzt genannten Aussage sowie den von ihm hierzu sodann gegebenen näheren, nachfolgend behandelten Erläuterungen hat der Sachverständige nicht nur klargestellt, seit welchem Zeitpunkt der Kläger an der diagnostizierten Erkrankung leidet, sondern seine Diagnose insgesamt – auch in zeitlicher Hinsicht – nachvollziehbar und überzeugend begründet. Vor diesem Hintergrund ist, wie schon an dieser Stelle festgehalten werden soll, die Argumentation der Beklagten bzw. des Beratungsarztes irrelevant, soweit sie auf der These aufbaut, der Sachverständige habe die Agoraphobie mit Panikattacken erst ab November 2005 diagnostiziert (Fragen langer Latenz und des Fehlens von „Brückensymptomen“).
84Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass das schriftliche Gutachten hinsichtlich der Frage des Zeitraums der Erkrankung nicht ganz eindeutig war. Es konnte dahin verstanden werden, die Agoraphobie liege erst seit dem 25. November 2005 vor. Das ergab sich entgegen der Einschätzung der Beklagten zwar nicht schon aus der Wendung auf Seite 30 des Gutachtens, nach der davon auszugehen ist, „dass die Kriterien zu diesen Zeitpunkten ab November 2005 erfüllt waren“. Denn der Satzzusammenhang, in welchem sich diese Wendung findet, und auch ein Blick auf den vorhergehenden Satz erhellen ohne Weiteres, dass der Sachverständige sich an dieser Stelle zu den Kriterien einer depressiven Episode und nicht etwa zu der diagnostizierten Agoraphobie geäußert hat. Der Satz, welcher der Feststellung auf Seite 29 des Gutachtens, die Diagnosekriterien für eine Agoraphobie mit Panikattacken seien erfüllt, nachfolgt, konnte aber auf die Annahme führen, die Agoraphobie liege erst seit dem 25. November 2005 vor. Denn dort heißt es: „Eine erstmalige psychiatrische Vorstellung auf Grund der Beschwerden erfolgte nach dem Bericht von Dr. A. am 25.11.2005, so dass hier der Beginn anzusetzen ist“. Dass mit dieser Äußerung nicht der Krankheitsbeginn bezeichnet werden sollte, hat der Sachverständige aber in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und überzeugend dargelegt. Er hat insoweit ausgeführt, dass die Äußerung auf Seite 29 des Gutachtens ausweislich der Gliederung desselben nicht schon die Beantwortung der Beweisfragen betreffe und lediglich den Beginn der erstmaligen psychiatrischen Vorstellung und Fremddokumentation angebe. Das ist schon deshalb ohne Weiteres nachvollziehbar, weil – wie der Sachverständige im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung auch ergänzt hat – eine Krankheit in aller Regel nicht erst bei dem ersten Arztkontakt ausbricht, sondern bereits Grund für das Aufsuchen des Arztes und damit vorbestehend ist. Das kommt in der fraglichen Äußerung im Gutachten auch zum Ausdruck. Denn dort hat der Sachverständige ausgeführt, dass die erstmalige psychiatrische Vorstellung am 25. November 2005 auf Grund der (damit ja bereits vorhandenen) Beschwerden erfolgt sei. Bestätigt wird die Annahme, der Sachverständige habe den Krankheitsbeginn bereits in seinem Gutachten mit dem Tag des Dienstunfalls angesetzt und dies folglich in der mündlichen Verhandlung nur klargestellt, durch die im Gutachten auf Seite 31 gegebene Antwort auf die Beweisfrage 1.c), wie hoch der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers im Zeitraum vom 16. Februar 2000 bis zum 21. September 2010 gewesen ist. Mit der gegebenen Antwort, dass „über den besagten Zeitraum“ eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30% vorliege, hat der Sachverständige nämlich erkennbar auf die unmittelbar zuvor von ihm zitierte Beweisfrage und damit auf den in ihr genannten Zeitraum vom 16. Februar 2000 bis zum 21. September 2010 Bezug genommen und für diesen Zeitraum durchgängig das Vorliegen der angenommenen Minderung der Erwerbsfähigkeit festgestellt. Das ergäbe aber offensichtlich keinen Sinn, wenn die einzig diagnostizierte Erkrankung erst seit dem 25. November 2005 und damit nur für einen Teilzeitraum des Zeitraums der Minderung der Erwerbsfähigkeit vorgelegen hätte.
85Die demnach vom Sachverständigen von Anfang an getroffene medizinische Feststellung, der Kläger leide an einer Agoraphobie mit Panikattacken, deren Ausbruch am 16. Februar 2000 und nicht erst 2005 erfolgt sei, hat der Sachverständige jedenfalls bei Einbeziehung seiner mündlichen Erläuterungen nachvollziehbar und überzeugend begründet.
86Zusammenfassend hat er diese Einschätzung darauf gestützt, dass der Kläger in der Untersuchung entsprechend berichtet habe, dass die durchgeführten einschlägigen Untersuchungen insoweit keine Hinweise auf eine Simulation oder Aggravation erbracht hätten, dass es in keinem ärztlichen Dokument Hinweise auf einen Ausbruch der Krankheit erst zu einem nach dem Tag des Dienstunfalls gelegenen Zeitpunkt gebe und dass auch die Aussagen der Zeugen auf das Vorliegen der Erkrankung schon im Zeitraum zwischen dem Dienstunfall und dem Jahre 2005 hinwiesen. Das überzeugt aus den nachfolgenden Gründen.
87Ausgangspunkt der Betrachtung sind – wie stets bei psychischen Erkrankungen – die eigenen Angaben des Probanden, hier also der Bericht des Klägers gegenüber dem Sachverständigen. Diese Angaben stützen den Befund des Gutachters. Im Einzelnen hat der Kläger dem Sachverständigen gegenüber nämlich ausweislich des Gutachtens angegeben: Bis zu dem Überfall sei er ein lebensfroher Mensch gewesen (S. 18), habe nie psychische Probleme gehabt (S. 16) und sei (auch sonst) nie ernsthaft krank gewesen (S. 15). Am Folgetag des Überfalls habe er es nicht geschafft, die Filiale wieder zu öffnen, weil es ihm dabei sehr schlecht gegangen sei, er starke Ängste gehabt habe und er zittrig gewesen sei; von dem sogleich aufgesuchten Hausarzt sei er dann krankgeschrieben worden (S. 16 und 22). Während dieser Zeit (der Krankschreibung) habe er dann auch Luftnot und Herzbeschwerden entwickelt, welche sich dann als Herzerkrankung herausgestellt hätten (S. 16 f.). Nach der etwa zweimonatigen Krankschreibung sei er in seine alte Filiale zurückgekehrt, habe sich dort aber nicht mehr wohlgefühlt, sondern Angst gehabt, da er dort meistens alleine Dienst gehabt habe (S. 22). Er habe häufig den Schalter wegen Ängsten schließen müssen und nach sechs Monaten den Wechsel in eine andere Postfiliale beantragt, zu dem es dann auch gekommen sei (S. 22). Sehr zugesetzt habe ihm, dass es bei der Post seit 2001 nur noch „offene“ Schalter gebe, also solche ohne Glasabtrennung (S. 22). Seit 2002 arbeite er in der Postfiliale am Essener Bahnhof; auch dort sei er hoch belastet und habe oft Ängste (S. 22). Wenn als vermummt wahrgenommene Personen die Filiale beträten, werde er nervös und müsse den Schalter verlassen, um sich zu beruhigen (S. 22 f.). Seit dem Überfall habe er auch Angst davor, im Dunkeln vor die Tür zu gehen, und in größeren Menschenansammlungen fühle er sich sehr unwohl (S. 23). Häufig habe er Alpträume, welche sich in Stresssituationen noch verschlimmerten (S. 23). Seit dem Überfall leide er unter Ängsten (S. 18), welche sich zwei bis drei Jahre nach dem Überfall wieder vermehrt eingestellt hätten (s. 17), und könne keine Nacht mehr durchschlafen (S. 18). Er durchlebe in seinen Träumen den Überfall, führe im Schlaf Tritte aus und nehme, wie er beim Erwachen bemerke, eine Abwehrstellung ein (S. 18). Insgesamt fühle er sich seit dem Überfall in seiner Lebensführung und Arbeitsfähigkeit erheblich beeinträchtigt (S. 23).
88Diese Angaben des Klägers zu Beginn, Art und Dauer des Beschwerdebildes hat der Sachverständige nicht, wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2015 unterstellt hat, unkritisch übernommen. Vielmehr hat er die Eigenangaben des Klägers seiner Gesamtbewertung erst deshalb wie vom Kläger bekundet (mit) zugrunde gelegt, weil die Schilderung nach der erfolgten fachärztlichen Beobachtung des Verhaltens des Klägers während der Untersuchungen insgesamt authentisch gewirkt hat und weil sich testpsychologisch nach Durchführung mehrerer Beschwerdevalidierungstests keine Hinweise auf Aggravations- und/oder Simulationstendenzen gezeigt haben (S. 28 des Gutachtens sowie S. 23 bis 25 und S. 27 und 29 f. des Berichts über die testpsychologische Zusatzuntersuchung). Die diesbezüglichen – von der Beklagten im Übrigen auch nicht angegriffenen – Ausführungen des Sachverständigen sind nachvollziehbar und überzeugend.
89Außerdem hat der Sachverständige seiner Bewertung nicht nur die – nach dem Vorstehenden als glaubhaft bestätigten – Eigenangaben des Klägers zum Verlauf seiner Erkrankung und zum Beschwerdebild zugrunde gelegt, sondern auch das Aktenmaterial umfassend gewürdigt. Dieses rechtfertigt auch nach der Überzeugung des Gerichts in seiner Summe die Annahme, der Kläger habe bereits seit dem Dienstunfall im Februar 2000 und nicht erst seit 2004/2005 (Bypass-Operation; Vorstellung beim Facharzt) oder seit April 2000 (Ausbruch der Herzerkrankung) massive psychische Probleme i. S. einer Agoraphobie und Panikattacken.
90Insbesondere hat der Sachverständige die auf Seite 5 seines Gutachtens auszugsweise wiedergegebene Schilderung des Hausarztes des Klägers im Attest vom 18. November 2009 berücksichtigt, die das Krankheitsgeschehen unmittelbar nach dem Überfall betrifft (und die Eigenangaben des Klägers bestätigt). Nach dieser Schilderung hat der Kläger bei seiner dortigen Vorstellung am Tag nach dem Überfall „deutliche nervöse Unruhe- und Angstzustände“ gezeigt. Diese hätten in der Folge zusammen mit Herzrasen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen in einem derartigen Umfang persistiert, dass er – der Hausarzt – den Kläger bis zum 25. März 2000 einschließlich krankgeschrieben habe. Zudem hat der Sachverständige ausweislich seines Gutachtens die in den Akten vorhandenen sonstigen (fach)ärztlichen Atteste oder Gutachten ausgewertet, welche, soweit sie (auch) die Psyche des Klägers betreffen, mit der regelmäßig gestellten (nach Erkenntnis des Sachverständigen allerdings fehlerhaften) Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung im Wesentlichen übereinstimmend davon ausgehen, dass die psychische Erkrankung des Klägers (zumindest auch) auf ein bei dem Überfall erlittenes Trauma zurückzuführen sei, also seit dem Dienstunfall bestehe; eine Ausnahme bildet insoweit lediglich die auf Seite 10 des Gutachtens zitierte, für die Beklagte angefertigte Stellungnahme des Beratungsarztes Dr. N1. vom 17. September 2009, der zwar vom Vorliegen einer „schweren Angstneurose“ (Angstneurose ist der fachlich veraltete Begriff für Angststörung; vgl. insoweit Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 263. Aufl. 2012, S. 102, Stichwort „Angststörung, generalisierte“) ausgeht, diese aber nicht rechtlich wesentlich auf den Unfall zurückführen will.
91Berücksichtigt hat der Sachverständige im Gutachten und bei seinen mündlichen Erläuterungen schließlich auch das Ergebnis der Zeugenbefragung, welche das erkennende Gericht in der – ersten – mündlichen Verhandlung vom 12. November 2014 durchgeführt hat. So hat er insbesondere die Aussagen der Ehefrau des Klägers zitiert, der Kläger habe schon während seiner Krankschreibung unmittelbar nach dem Überfall ein extremes Schlafverhalten mit nächtlichen Kämpfen gezeigt und sich auch sonst nach dem Überfall verändert; er sei viel vorsichtiger und misstrauischer geworden und meide verschiedene Situationen, so etwa Menschenansammlungen. Ferner hat er die Aussage der Zeugin N2. (Kollegin des Klägers in den Jahren 2003 bis 2013) hervorgehoben, der Kläger habe sich (wegen ausgelöster Ängste) etwa drei- bis viermal im Monat vom Schalter in die hintere Räume der Filiale zurückziehen müssen. Auch die Heranziehung dieser thematisch einschlägigen Aussagen ist nicht zu beanstanden und überzeugt, weil Zweifel an der Richtigkeit dieser Bekundungen nicht erkennbar sind. Denn bei den Zeugen ist keinerlei Tendenz zu erkennen gewesen (und von der Beklagten auch nicht behauptet worden), den Kläger durch wahrheitswidrige Aussagen zu begünstigen, und der Inhalt ihrer Aussagen fügt sich wiederum in das durch den angeführten Akteninhalt sowie durch die validierten Bekundungen des Klägers gezeichnete Bild.
92Der sich nach alledem als richtig geradezu aufdrängenden Bewertung des Sachverständigen, der Kläger leide im gesamten zu betrachtenden Zeitraum an der diagnostizierten, lange Jahre nicht leitliniengerecht behandelten und sich selbst unterhaltenden Angsterkrankung, hält die Beklagte nichts Durchgreifendes entgegen. Das gilt schon deshalb, weil die insoweit mit Schriftsatz vom 18. Juni 2015 vorgelegte beratungsärztliche Stellungnahme des Herrn Dr. N1. vom 11. Juni 2015 ausweislich der dortigen Ausführungen „zur Aktenlage“ von unzutreffenden Tatsachen ausgeht. Bereits die obigen Feststellungen erhellen, dass die Behauptung von Herrn Dr. N1. fehlerhaft ist, erstmals 2005 würden Panikattacken und Angstzustände geschildert. Zwar findet sich in dem (von Dr. N1. nicht zitierten) fachorthopädischen Gutachten des Herrn Dr. B. vom 15. Mai 2008 eine Wiedergabe der Klage des Klägers, die Panikattacken und Angstzustände überfielen ihn „seit 2005“; diese Angabe ist aber angesichts des oben dargelegten Geschehens unmittelbar nach dem Überfall, angesichts der wegen der Angstzustände erfolgten Versetzung des Klägers und angesichts seiner auch schon in den Jahren vor 2005 häufigen Flucht aus dem Schalterbereich nicht nachvollziehbar und auch vereinzelt geblieben. Die weitere Feststellung des Herrn Dr. N1. , die Aktenlage ergebe „bis auf die Angabe des Hausarztes erstmals ab 2005 bzw. 2006 die Angabe von psychischen Beschwerden“, ist zwar richtig, aber erlaubt nicht den Schluss auf das Fehlen solcher Beschwerden vor den genannten Zeitpunkten. Erstens ist schon nicht erkennbar, warum den Sachangaben des Hausarztes keine Bedeutung zukommen sollte. Zweitens liegt mit den validierten Angaben des Klägers, mit den (späteren) ärztlichen Äußerungen in den Akten und mit den Zeugenaussagen eine Vielzahl von Belegen für das Bestehen der Agoraphobie mit Panikattacken seit dem Dienstunfall vor. Drittens schließlich hat der Kläger zudem glaubhaft vorgetragen, einen Facharzt trotz der längst bestehenden psychischen Beschwerden aus Scham und ferner deshalb erst 2005 aufgesucht zu haben, weil er, seine Frau und auch sein Hausarzt angenommen hätten, die Problematik durch eine hausärztliche Behandlung „in den Griff“ zu bekommen; das aber erklärt ohne Weiteres nachvollziehbar und überzeugend das Fehlen einschlägiger sonstiger (fach-) ärztlicher Befunde vor 2005.
93Die weitere Rüge der Beklagten, der Kläger habe sich ausweislich der Versorgungsakte im dortigen Verfahren bis in das Jahr 2006 hinein nicht auf eine psychische Erkrankung berufen, trifft zwar der Sache nach zu, erlaubt aber nicht den mit ihr beabsichtigten Schluss. Denn vor der Jahreswende 2005/2006 hatte dem bis dahin nur hausärztlich betreuten Kläger eine hinreichende Grundlage gefehlt, eine psychische Erkrankung geltend zu machen, weil seine fachärztliche Betreuung überhaupt erst im November 2005 eingesetzt hat. Nach dem Behandlungsbeginn bei dem Facharzt für Psychiatrie Dipl.-Med. A. und nach dem Aufenthalt in der O. -Reha-Klinik vom 10. Mai 2006 bis zum 7. Juni 2006 hat der Kläger sich dann gegenüber dem Versorgungsamt unverzüglich auch auf seine psychischen Beschwerden berufen, nämlich mit seinem Änderungsantrag vom 3. August 2006. Im Übrigen zeigt gerade auch das vorliegende Verfahren, dass von einem bestimmten Antragszeitpunkt nicht zwingend darauf geschlossen werden kann, vor diesem Zeitpunkt hätten die nun geklagten Beschwerden noch nicht bestanden. Denn der Kläger hat erst mit Schreiben vom 23. Oktober 2008 die Gewährung von Unfallausgleich begehrt, obwohl er bereits seit Ende 2005/Anfang 2006 über die Diagnose einer psychischen Erkrankung verfügt hatte und diese Erkrankung auch nach der Auffassung der Beklagten bereits seit 2005 vorgelegen hatte (vgl. die Stellungnahme des Herrn Dr. N1. vom 11. Juni 2015).
94An dieser Stelle ist mithin zusammenfassend festzuhalten: Das Gericht ist mit dem Grad an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Richtigkeit der Einschätzung des Sachverständigen überzeugt, der Kläger leide im gesamten zu betrachtenden Zeitraum an der diagnostizierten, lange Jahre nicht leitliniengerecht behandelten und sich selbst unterhaltenden Agoraphobie mit Panikattacken. Diese Überzeugung gründet sich zunächst darauf, dass der Sachverständige den Sachverhalt, welcher für die Beantwortung der Beweisfrage 1.a) entscheidungserheblich ist, in Ansehung der vorstehenden Ausführungen vollständig und zutreffend ermittelt und zugrunde gelegt hat. Ferner stützt sie sich darauf, dass der Sachverständige seine Einschätzung auch hinreichend plausibel und überzeugend begründet hat, indem er sie aus einer Gesamtschau der oben dargestellten Gesichtspunkte (validierte Angaben des Klägers zu seinem Beschwerden, Auswertung der ärztlichen Äußerungen in den Akten und Würdigung der Zeugenaussagen) widerspruchsfrei abgeleitet hat, ohne hierbei irgendwelche Unsicherheiten erkennen zu lassen.
95b) Der Dienstunfall ist im dienstunfallrechtlichen Sinne kausal für die diagnostizierte Agoraphobie mit Panikattacken. Das ergibt sich zur Überzeugung des Gerichts aus einer Gesamtwürdigung des Akteninhalts, insbesondere aus den Ausführungen des Sachverständigen, und zwar mit dem erforderlichen Grad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit. Die in dem schriftlichen Gutachten insoweit noch vorhandenen Begründungsdefizite hat der Sachverständige, hinsichtlich dessen fachlicher Kompetenz oder Unparteilichkeit auch insoweit nicht ansatzweise Bedenken ersichtlich sind, in der mündlichen Verhandlung überzeugend beseitigt, und er hat hierbei keine Unsicherheiten erkennen lassen oder widersprüchliche Angaben gemacht.
96aa) Der Sachverständige hat zunächst plausibel und überzeugend begründet, dass zwischen dem traumatischen Erlebnis des Überfalls (Dienstunfall) und der Agoraphobie mit Panikattacken ein naturwissenschaftlicher Zusammenhang in dem Sinne besteht, dass diese psychische Erkrankung ohne den Dienstunfall nicht ausgebrochen wäre, Letzterer also conditio sine qua non für Erstere ist. Er hat in der mündlichen Verhandlung nämlich nachvollziehbar und überzeugend das Folgende ausgeführt: Der Kläger habe bei dem Überfallgeschehen eine existentielle Bedrohung erlebt und sei deswegen in schwerster Weise traumatisiert worden. Ein solches massives Trauma sei nach wissenschaftlicher Erkenntnis auch dann, wenn sich hieraus – wie vorliegend – keine posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS; englisch: Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) entwickele, geeignet, die diagnostizierte Angsterkrankung hervorzurufen. Dieser Bewertung steht nicht die beratungsärztliche Äußerung des Herrn Dr. N1. vom 11. Juni 2015 entgegen, in der maßgeblichen Literatur ergebe sich „primär kein Hinweis auf die Auslösung einer Agoraphobie mit Panikattacken als Folge eines Unfalls oder Traumas“, wenn man die „Sk2-Leitlinie [Anmerkung des Gerichts: Die Bezeichnung der Leitlinien dieser Kategorie ist uneinheitlich. Die in Rede stehende Leitlinie bezeichnet sich selbst als „Sk2-Leitlinie“, während solche Leitlinien nach dem weiter unter zitierten Leitlinien-Glossar „S2k-Leitlinien“ genannt werden. Letzteres dürfte vorzugswürdig sein, da hierbei die Hierarchieebenen (2; k bzw. e) in zutreffender, nämlich absteigender Reihenfolge angegeben werden.] zur Begutachtung psychischer und psychosomatischer Erkrankungen AWMF – Registernummer 051/029“ heranziehe. Zwar trifft es zu, dass diese Leitlinie unter ihrem Punkt 2.2 (Psychoreaktive Störungen im ICD-10- und DSM-IV-System) als Kategorien psychoreaktiver Störungen auf Traumen fünf verschiedene Störungsarten aufführt (vgl. die dortige Tabelle 4, S. 102, sowie die Gliederungspunkte 2.2.1 bis 2.2.5) und dabei die Agoraphobie nicht erwähnt. Auch ist es richtig, dass bei einer nach dieser Leitlinie daher nur noch möglichen Einordnung der Agoraphobie als „sonstige psychoreaktive Störung“ i. S. d. Gliederungspunktes 2.2.6 „ein Zusammenhang mit dann ggf. auch dauerhaften Symptomen im Allgemeinen nur in zwei Fällen anzuerkennen ist“, nämlich bei dem – hier nicht gegebenen – „Nachweis einer seelischen Traumatisierung im Sinne der PTBS“ oder bei – hier ebenfalls nicht gegebenen – anhaltenden körperlichen Schädigungsfolgen, die intensiv emotional belegt sind. Der Sachverständige hat insoweit aber nachvollziehbar und überzeugend erläutert, dass diese Leitlinie insoweit wegen ihrer Fehlerhaftigkeit nicht zugrundegelegt werden könne. Zur Begründung hat er zunächst ausgeführt, dass sie als S2k-Leitlinie lediglich auf einer (fehleranfälligen) formalen Konsensfindung der Unterzeichner beruhe und damit nicht den Grad an Wissenschaftlichkeit erreiche, der den sog. S3-Leitlinien zukomme, welche ausschließlich auf Metaanalysen gestützt würden, also auf solche Analysen, welche Primär-Untersuchungen zu Metadaten zusammenfassen und ausschließlich mit quantitativen, statistischen und damit nicht subjektiven Daten arbeiten. Dies trifft zu. Die Leitlinien der Mitgliedsgesellschaften der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) werden – wie vom Sachverständigen erläutert – in drei auf die Entwicklungsmethodik bezogene Klassen eingeteilt:
97„S1: von einer Expertengruppe im informellen Konsens erarbeitet (Ergebnis: Empfehlungen)
98S2: eine formale Konsensfindung („S2k“) und/oder eine formale „Evidenz“-Recherche („S2e“) hat stattgefunden
99S3: Leitlinie mit allen Elementen einer systematischen Entwicklung (Logik-, Entscheidungs- und „outcome“-Analyse)“; Zitat aus dem Leitlinien-Glossar (= Band 30 der Schriftenreihe des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin, eines gemeinsamen Instituts von Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung), 2007, S. 66 (Stichwort: Klassifizierung von Leitlinien), welches auch im Internet verfügbar ist, und zwar über die Webseite der AWMF (www.awmf.org) und über die hinsichtlich der online-Version verlinkte Webseite www.leitlinien.de, welche von dem erwähnten Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin verantwortet wird; eine entsprechende Darstellung findet sich ferner bei Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 263. Aufl. 2012, S. 1178, Stichwort „Leitlinien“.
100Ferner trifft es zu, dass die fragliche S2k-Leitlinie von der größten, ältesten und wichtigsten Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) nicht unterzeichnet und damit in ihren Aussagen als qualitativ mangelhaft eingestuft worden ist. Bestätigt wird die Einschätzung des Sachverständigen zur generellen Eignung eines Traumas, eine Angsterkrankung hervorzurufen, durch die von der Beklagten über die Stellungnahme des Herrn Dr. N1. ins Verfahren eingeführte, einen höheren Grad an Wissenschaftlichkeit aufweisende und auch von der DGPPN herausgegebene S3-Leitlinie „Behandlung von Angststörungen“. Diese geht in ihrem Abschnitt 3.2 (Ätiopathogenese und Risikofaktoren) bei der Erörterung der verschiedenen Ursachen von Angststörungen bei der Behandlung der psychosozialen Faktoren (Gliederungspunkt 3.2.2) – sachlich mit dem Gutachter übereinstimmend – davon aus, dass auch aktuelle belastende Lebensereignisse mit einer höheren Häufigkeit von Angsterkrankungen assoziiert sind, also eine mögliche Ursache von Angsterkrankungen darstellen.
101bb) Der Dienstunfall des Klägers ist ferner im dienstunfallrechtlichen Sinne wesentliche Ursache für die bestehende Agoraphobie mit Panikattacken. Diese (auch rechtliche) Bewertung des Gerichts beruht in medizinischer Hinsicht auf den entsprechenden, ohne Unsicherheiten, ohne Widersprüche dargelegten, nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen.
102Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung seine einschlägigen, im vorgelegten Gutachten im Kern noch ergebnishaften Ausführungen nachvollziehbar und das Gericht überzeugend weiter wie folgt erläutert: Er könne mit der ihm höchstmöglichen Gewissheit sagen, dass die gegebene Agoraphobie mit Panikattacken ausschließlich auf das massive Trauma zurückzuführen sei, welches der Kläger bei dem Überfall erlebt habe, nicht aber auch auf dessen Herzerkrankung. Das ergebe sich zunächst – erstens – wesentlich aus dem Umstand, dass die Herzerkrankung überhaupt erst etwa zwei Monate nach dem erlebten Trauma aufgetreten sei. Zweitens gebe es zwar Zusammenhänge zwischen Herzerkrankungen oder auch etwa Diabetes einerseits und Angsterkrankungen andererseits; die entsprechenden allgemeinen Erkenntnisse könnten aber nicht wissenschaftlich auf den einzelnen Betroffenen „heruntergebrochen“ werden; im Einzelfall könne also nicht seriös überprüft werden, ob eine gemeinsame Bedingtheit vorliege. Drittens seien die aus der Herzerkrankung erwachsenen physiologischen Ängste im Rahmen der kardiologischen Rehabilitation gut behandelt worden; dass ergebe sich aus den in den Akten befindlichen und im Gutachten (S. 9 und 10) auch aufgeführten einschlägigen Berichten etwa des Q.-stift-Krankenhauses in F. und der O. Reha-Klinik vom 14. Juni 2006. Die Herzerkrankung sei namentlich auch nicht zu irgendeinem nach dem Dienstunfall gelegenen Zeitpunkt als Ursache der Agoraphobie mit Panikattacken hinzugetreten. Der Kläger habe nämlich dahingehend keine einschlägigen Informationen geliefert, und es fehle auch an einer entsprechenden Dokumentation für eine relevante ursächliche Beteiligung der Herzerkrankung an der Angsterkrankung, auch hinsichtlich deren Unterhalts. Die vorliegende Angsterkrankung oder auch nur ihr Schweregrad könnten auch nicht etwa auf die Persönlichkeit des Kläger zurückgeführt werden. Die Persönlichkeit bzw. deren Ausstattung seien zwar grundsätzlich relevant; die Wissenschaft habe sich aber von dem Freudschen Modell verabschiedet, welches Ursachen psychischer Erkrankungen in bestimmten lebensgeschichtlichen Prägungen sehe, weil sich dieses Modell als unwissenschaftlich erwiesen habe. Dies gelte umso mehr, als kein Anhalt dafür bestehe, dass bei dem Kläger vor dem Dienstunfall eine Angsterkrankung oder sonstige psychische Erkrankung bestanden habe.
103Mit diesen Ausführungen ist nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass alleinige Ursache – und damit auch im Rechtssinne wesentliche Ursache – der Angsterkrankung das als sehr schwer erlebte Trauma des Dienstunfalls ist, und zwar während der gesamten diagnostizierten Dauer der Erkrankung. Überzeugend ist insoweit zunächst die Schlussfolgerung, mangels psychischer Vorerkrankungen und mangels Vorliegens der Herzerkrankung im Zeitpunkt des Überfalls und auch noch knapp zwei Monate danach könne Auslöser der schon anfänglich gegebenen Agoraphobie mit Panikattacken allein der Dienstunfall sein. Ebenso überzeugt die Annahme des Sachverständigen, die Herzerkrankung und aus ihr resultierende Ängste seien auch zu keiner Zeit nach dem Dienstunfall als (Mit-)Ursache zu der festgestellten Ursache hinzugetreten, sondern stellten nur eine komplizierenden Faktor dar. Insoweit leuchtet es zunächst ein, dass die Herzerkrankung als solche nicht schon wegen insoweit bislang allein festgestellter allgemeiner Zusammenhänge zwischen Herz- und Angsterkrankungen wissenschaftlich seriös im Einzelfall als Ursache namhaft gemacht werden kann. Ferner überzeugt insoweit auch die Aussage, dass die aus der Herzerkrankung erwachsenen physiologischen Ängste, welche der Kläger nach Aktenlage insbesondere im Gefolge der Bypass-Operation wiederholt geäußert hat (vgl. insoweit den Entlassungsbericht der O. Reha-Klinik vom 14. Juni 2006 und die Wiedergabe einer entsprechenden Klage im fachorthopädischen Gutachten des Herrn Dr. B. vom 15. Mai 2008), keinen Kausalbeitrag zum Unterhalt der Agoraphobie mit Panikattacken geleistet haben. Denn die in Rede stehenden Ängste – einerseits die Angst vor einem erneuten Verschluss der Gefäße o.ä. und andererseits die Angst vor als bedrohlich eingestuften Situationen – haben gänzlich unterschiedliche Gegenstände und kommen auch aus völlig unterschiedlichen Richtungen. Die Auffassung, dass die körperliche Erkrankung die psychische Erkrankung (nur) kompliziert habe, hat übrigens auch schon Herr Dipl.-Med. A. in seinem Fachärztlichen Behandlungsbericht vom 30. Juli 2009 vertreten. Im Übrigen fällt bei Auswertung des Aktenmaterials insoweit auf, dass die mit der Herzerkrankung verbundenen Ängste anders als die mit dem Überfall assoziierten Ängste nicht durchgängig, sondern zeitlich nur im Umkreis dieser Erkrankung aufgetreten und nach Angaben des Klägers nach der „Reparatur“ des Herzens wieder (gänzlich) in den Hintergrund gerückt sind (vgl. das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12. November 2014, S. 4: „Für mich stehen ganz klar die mit dem Überfall verbundenen Ängste im Vordergrund, denn das Herz ist repariert worden, und ich werde kardiologisch gut betreut“; vgl. ferner die im Gutachten wiedergegebenen, nicht mit der Herzerkrankung verbundenen – validierten – Angaben des Klägers gegenüber dem Sachverständigen zum Gegenstand seiner Ängste: „Menschenansammlungen“, S. 15, „Vermummte“, S. 22, „Er habe seit dem Überfall auch Angst davor, im Dunkeln vor die Tür zu gehen, in größeren Menschenansammlungen fühle er sich sehr unwohl“, S. 23). Schließlich lässt sich aus den einschlägigen Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zur Überzeugung des Gerichts ableiten, dass der Dienstunfall auch nicht als sog. Gelegenheitsursache eingestuft werden kann. Hat nämlich der Kläger vor dem Dienstunfall nach der Exploration zu keiner Zeit an einer psychischen Erkrankung gelitten und scheiden Persönlichkeit und Ausstattung als konkret namhaft zu machende Ursachen einer psychischen Erkrankung nach dem Stand der Wissenschaft generell aus, wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt hat, so fehlt es schon an einer krankhaften Veranlagung bzw. an einem anlagebedingten Leiden, die bzw. das die Annahme erlauben könnte, bereits ein anderes, aber alltäglich vorkommendes Ereignis hätte zum selben Erfolg geführt wie der Dienstunfall.
104Dazu, dass der Betroffene grundsätzlich mit seiner individuellen Veranlagung (und Vulnerabilität) geschützt ist und es deshalb allein darauf ankommt, wie sich die Belastungen bei ihm abhängig von seiner Belastbarkeit und Kompensationsfähigkeit auswirken, vgl. Schönberger/Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 152 mit Fn. 61, unter Hinweis auf das die Parallelproblematik bei der Gewährung von Verletztengeld (noch nach § 560 RVO) betreffende Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 30. September 1999 – L 7 U 179/97 –, EzS 40/597 = juris, Rn. 65.
105B. Begründet ist die Klage ferner auch mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2015 gestellten Klageantrag zu 2. Der Kläger hat Anspruch auf die Gewährung von Unfallausgleich nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (im Folgenden: MdE) in Höhe von 30 v. H. Zahlungsbeginn ist mit Blick darauf, dass die MdE nach den vorstehenden Ausführungen zum Anerkennungsanspruch bereits mit dem Tag des Dienstunfalls eingetreten ist, der 16. Februar 2000.
106Zum Zahlungsbeginn bei der Gewährung von Unfallausgleich vgl. näher Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 35 Rn. 43, 77 und 78.
107Nach § 35 Abs. 1 BeamtVG erhält der Beamte, der infolge eines Dienstunfalls in seiner Erwerbsfähigkeit länger als sechs Monate wesentlich beschränkt ist, solange dieser Zustand andauert, neben seinen Bezügen einen Unfallausgleich; eine wesentliche Beschränkung im vorgenannten Sinne liegt dabei vor, wenn die MdE mindestens 25 v. H. beträgt.
108Näher zu Letzterem: Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 35 Rn. 39.
109Die MdE ist gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen. Erwerbsfähigkeit ist die Kompetenz des Verletzten, sich unter Nutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm abstrakt im gesamten Bereich des Erwerbslebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen. Für die Beurteilung dieser Kompetenz kommt es weder auf die individuellen Verhältnisse an noch auf die bislang ausgeübte Tätigkeit.
110Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 2013 – 2 B 57.12 –, juris, Rn. 9, und Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 35 Rn. 39 und 49.
111Der Grad der MdE, also der in einem Prozentsatz ausgedrückte Anteil der Erwerbsmöglichkeiten, der dem Verletzten aufgrund der Störungen verschlossen ist, ist auf der Grundlage vor allem medizinischer und ferner auch wirtschafts- und sozialwissenschaftlicher sowie rechtlicher Feststellungen und Einschätzungen zu ermitteln.
112Vgl. etwa Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 35 Rn. 50 ff.
113Er ist deshalb auf der Grundlage eines ärztlichen Gutachtens festzustellen.
114Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014– 3 A 528/12 –, juris, Rn. 45, und BayVGH, Beschluss vom 1. Februar 2013 – 3 ZB 11.1166 –, juris, Rn. 13, jeweils m. w. N.
115Für die Bemessung der Auswirkungen der jeweils maßgeblichen Gesundheitseinschränkungen haben sich in der Praxis Erfahrungswerte in Form von Richtwerten und allgemeinen Grundsätzen herausgebildet. „Richtwerte“ für die Bemessung der MdE bei psychischen Störungen finden sich nicht nur in der Fachliteratur,
116vgl. die Richtwerte-Tabelle bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 156 f.,
117sondern insbesondere auch in der seit Dezember 2008 vorliegenden Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (Versorgungsmedizin-Verordnung – VersMedV), welche aufgrund des § 30 Abs. 17 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz – BVG) erlassen worden ist und deshalb eine hinreichende demokratische Legitimierung aufweist. Diese Verordnung regelt die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG (vgl. § 30 Abs. 17 BVG und § 1 VersMedV). Dies geschieht gemäß § 2 VersMedV in der Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“, welche auf der Grundlage des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellt und fortentwickelt wird. Zwar knüpft die Verordnung an einen Rechtsbegriff an, nach welchem die allgemeinen Auswirkungen der maßgeblichen Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen in den Blick zu nehmen sind (§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG), während es für die Minderung der Erwerbsfähigkeit insoweit nur auf das allgemeine Erwerbsleben ankommt. Aus der mithin zu konstatierenden Verschiedenheit der Maßstäbe folgt aber nicht, dass die Gesichtspunkte, welche in dem für das Recht der sozialen Entschädigung nach dem BVG geltenden und auch im Schwerbehindertenrecht herangezogenen Beurteilungsgefüge der „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ niedergelegt sind, im Recht der Dienstunfallfürsorge keine Berücksichtigung finden können. Sie können vielmehr als Orientierungsmaßstab Anwendung finden, soweit das mit dem Rechtsbegriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Einklang steht.
118Vgl. BayVGH, Beschluss vom 1. Februar 2013– 3 ZB 11.1166 –, juris, Rn. 5 f. und 13, und Urteil vom 29. Juli 2010 – 3 B 09.659 –, juris, Rn. 46 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteile vom 25. März 2014 – OVG 4 B 3.11 –, juris, Rn. 42, und vom 19. Januar 2011 – OVG 4 B 32.10 –, juris, Rn. 23 (noch zu den „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht“, also zu der noch nicht im Verordnungswege ergangenen Vorgänger-Regelung der VersMedV); OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 3 A 528/12 –, juris, Rn. 45 f., m. w. N., und Beschluss vom 31. Mai 2013 – 3 A 547/12 –, n. v.; Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Stand: Oktober 2015, BeamtVG § 35 Rn. 49, 50 ff.
119Für die sachverständige Begutachtung, welche der Entscheidung über den Anspruch auf Unfallausgleich zugrundeliegt, bedeutet dies, dass der Sachverständige sich bei der gebotenen individuellen, also auf den Einzelfall des Verletzten bezogenen Beurteilung der MdE zwar an den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ orientieren darf, aber zugleich berücksichtigen muss, dass der zutreffende Maßstab die körperliche Beeinträchtigung im Erwerbsleben (und nicht etwa in allen Lebensbereichen) ist.
120Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 3 A 528/12 –, juris, Rn. 45 f., m. w. N., OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. März 2014 – OVG 4 B 3.11 –, juris, Rn. 42, m. w. N.
121Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2015 ausgeführt, dass die MdE hier für den maßgeblichen Zeitraum mit 30 v. H. anzusetzen sei. Bei Angsterkrankungen sei nach heutigem (kritikwürdigem, weil generell zu niedrige Werte auswerfenden) Stand normalerweise von einem Grad der MdE in Höhe von 20 bis 30 auszugehen. Hier sei ein Grad der MdE von 30 v. H. angemessen, weil die Panikattacken relativ häufig (einmal oder mehrmals im Monat) aufträten und der Kläger in seinem eigenen Denken eine ständige Bedrohung erlebe. Das ist ohne Weiteres nachvollziehbar und überzeugt auch vor dem Hintergrund sowohl der Richtwerte der „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ als auch der Richtwerte, welche in der von der Beklagten zitierten Literatur
122vgl. die Richtwerte-Tabelle bei Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 156 f. (157 unten),
123vorgeschlagen werden, die hier nach den weiteren – ebenfalls nachvollziehbaren – Ausführungen des Gutachters jeweils ebenfalls auf die Annahme einer MdE i. H. v. 30 v. H. führen. Bei Heranziehung der „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ ist zur Überzeugung des Gerichts zunächst davon auszugehen, dass die vorliegende psychische Beeinträchtigung des Klägers diesen im Erwerbsleben (mindestens) im gleichen Maße wie in den sonstigen Lebensbereichen betrifft, da er im Rahmen einer Erwerbstätigkeit immer wieder mit Situationen der ihn ängstigenden Art konfrontiert sein wird, deren Auftreten er weniger leicht schon im Vorfeld vermeiden kann als im weitgehend autonom bestimmten Privatleben; die für den GdS geltenden Grundsätze können hier deshalb, wie vom Sachverständigen auch zugrundegelegt, ohne Weiteres auf die hier erforderliche Bewertung übertragen werden. Die „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ sehen in ihrem Teil B (GdS-Tabelle) unter dem Gliederungspunkt 3.7 (Neurosen, Persönlichkeitsstörungen, Folgen psychischer Traumen) den Ansatz eines Grades der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 bis 40 vor, wenn eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit gegeben ist, und nennen als Beispiel insoweit u.a. ausgeprägtere phobische Störungen. Die Aussage, dass die hier diagnostizierte Agoraphobie mit Panikattacken dieser Kategorie zuzuordnen ist und nicht lediglich als eine mit einem GdS bzw. einer MdE von 0 bis 20 belegte „leichtere psychovegetative oder psychische Störung“ eingestuft werden kann, ist nach der bereits oben zitierten Begründung des Sachverständigen ohne Weiteres nachvollziehbar. Gleiches gilt für seine Aussage, nach welcher der Ansatz einer MdE i. H. v. 30 v. H. auch bei Berücksichtigung der „Richtwerte“ bei Schönberger et. al. angemessen ist. Nach dieser Literaturstelle ist bei Vorliegen einer Agoraphobie „auf Grund erheblicher sozial-kommunikativer Auswirkung“ eine MdE bis 30 v. H. anzusetzen, wenn eine „stärkergradige Einschränkung und Beeinträchtigung mit ausgeprägtem Vermeidungsverhalten“ gegeben ist. Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich erfüllt. Denn der Kläger zeigt ein ausgeprägtes Vermeidungsverhalten (Meidung von Menschenmengen, Nichtverlassen des Hauses bei Dunkelheit und Rückzug in die hinteren Diensträume bei Bemerken einer als bedrohlich empfunden Situation während des Schalterdienstes), welches ihn im Erwerbs- wie sonstigen Leben erheblich körperlich-funktionell einschränkt und psychisch-emotional beeinträchtigt. Die in diesem Zusammenhang erfolgte Äußerung des Beratungsarztes, bei „zeitlich begrenzten Attacken“ sei nach Schönberger et. al. (nur) eine MdE bis 20 v. H. angezeigt, überzeugt schon deswegen nicht, weil sie auf die Ausführungen von Schönberger et. al. zu der hier nicht diagnostizierten Erkrankung Panikstörung (ICD-10 F:41.0) bezogen sind; hierauf hat das Gericht bereits in der mündlichen Verhandlung vom 23. November 2015 hingewiesen.
124Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 Abs. 1 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
125Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen der §§ 132 Abs. 2 VwGO, 127 BRRG nicht vorliegen.