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Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die im Jahre 1969 geborene Klägerin stand bis zu ihrer vorzeitigen Zurruhesetzung wegen Dienstunfähigkeit zum 1. Januar 2006 als Fernmeldeobersekretärin im Dienst der Deutschen Telekom AG.
3Am 6. Mai 2004 stürzte die Klägerin während des Dienstes auf einer Treppe, fiel der Länge nach hin und verlor das Bewusstsein. Sie wurde anschließend bis Anfang September 2005 stationär behandelt.
4Nach einem Bericht des Klinikums der Universität zu L. vom 13. Mai 2004 war die Klägerin nach dem Sturz kurzzeitig bewusstlos. In der Notaufnahme war sie somnolent, ansprechbar und völlig desorientiert. Im weiteren Verlauf des Klinikaufenthaltes verbesserte sich die Amnesie nicht deutlich und es entwickelte sich ein depressives Syndrom. Diese Angaben finden sich auch im ärztlichen Bericht von Dr. med. C. , Universität L. , vom 28. Dezember 2004.
5Ein Craniales Computertomogramm (CCT) nativ bei der Klägerin am 7. Mai 2004 zeigte einen unauffälligen zerebralen Befund. Bei einer Magnetresonanztomographie (MRT) am 12. Mai 2004 wurde eine partielle Verlegung der Mastoidzellen festgestellt, bevor die Untersuchung auf Wunsch der Klägerin abgebrochen wurde. Eine Untersuchung am 9. Juli 2004 zur Darstellung des Hirnglukosestoffwechsels ergab keinen pathologischen Befund. In Berichten über eine Liquoruntersuchung am 27. Juli 2004 wurden ein Verdacht auf intrathekale IgG-Synthese bei intakter Blut-Liquor-Schranke, ein Nachweis von oligoklonalem Immunglobulin im Liquor sowie eine leichtgradige lymphozytäre Reaktion vermerkt. Am 22. September 2004 ergab ein Elektroenzephalogramm (EEG) einen Normalbefund. Bei einer MRT am 24. September 2004 zeigte sich ein chronisch entzündliches Liquorsyndrom. In der kernspintomographischen Voruntersuchung ließ sich eine singuläre Marklagerläsion links frontal nachweisen.
6Nach einem neuropsychologischen Kurzbefund der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Klinikums der Universität zu L. aufgrund einer Untersuchung der Klägerin am 25. November 2004 bestanden bei dieser ausgeprägte kognitive Defizite im Bereich des verbalen sowie figuralen Gedächtnisses, ebenso Wortfindungsstörungen und Denkverlangsamung.
7Mit Bescheid vom 17. Januar 2005 erkannte die Unfallkasse Post und Telekom (im Folgenden: Unfallkasse) das Unfallereignis vom 6. Mai 2004 als Dienstunfall nach § 31 BeamtVG an. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tag erkannte sie eine Gehirnerschütterung (Commotio cerebri) mit kurzer Bewusstlosigkeit als unmittelbare Unfallfolge an. Die Unfallkasse ging davon aus, die unfallbedingte Heilbehandlung sei am 13. Mai 2004 abgeschlossen worden. Sie lehnte es ab, einen Unfallausgleich gemäß § 35 BeamtVG zu gewähren, weil die etwa noch bestehenden Folgen des Dienstunfalls die Erwerbsfähigkeit um weniger als 25 v. H. beeinträchtigten. Der Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
8Am 6. Juli 2005 bescheinigte die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums der Universität zu L. der Klägerin, sie befinde sich seit Mai 2004 in der psychiatrisch-psychotherapeutischen stationären Behandlung. Bei ihr beständen ein organisch-amnestisches Syndrom nach Schädelhirntrauma, das auf dieses zurückzuführen sei, sowie eine begleitende depressive Symptomatik.
9Am 24. August 2005 legte die Klägerin unter Vorlage dieses Attestes Widerspruch gegen den Bescheid vom 17. Januar 2005 ein und beantragte, das organisch-amnestische Syndrom nach Schädelhirntrauma sowie eine begleitende depressive Symptomatik als unmittelbare Unfallfolgen anzuerkennen.
10Nach dem Bericht von Prof. Dr. med. L1. , Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums der Universität zu L. vom 13. Oktober 2005 wurde die Klägerin dort vom 16. Juni 2004 bis zum 5. September 2005 stationär behandelt. An Befunden vermerkte er u. a. eine Marklagerläsion sowie Hinweise auf eine dissoziative Amnesie. Prof. Dr. L1. stellte fest, bei der Klägerin sei es nach einem Treppensturz zu einem organisch-amnestischen Syndrom mit begleitender schwerer depressiver Symptomatik gekommen. Die apparative Diagnostik habe keinen Hinweis für eine höhergradige organische Schädigung des Gehirns ergeben.
11Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens holte die Beklagte mehrere ärztliche Gutachten ein:
12Prof. Dr. med. S. , Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie der Universität N. , führte in seinem Zusammenhangsgutachten vom 8. November 2005 u. a. aus, auf unfallchirurgischem Gebiet sei die Erwerbsfähigkeit nicht gemindert.
13Nach dem fachpsychiatrischen Gutachten vom 19. Dezember 2006 von Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. T. , Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, und Dr. med. Dipl.-Psych. H. -N1. , Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, litt die Klägerin an einem traumatisch bedingten organisch-amnestischen (d. h. nicht durch Alkohol oder psychotrope Substanzen bedingten) Syndrom, an einem depressiven Syndrom und chronischem posttraumatischen Kopfschmerz. Außerdem bestehe der Verdacht auf eine organische Persönlichkeitsstörung. Das Unfallereignis sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die alleinige Ursache des organisch-amnestischen Syndroms.
14Der fachärztliche Berater der Unfallkasse, Dr. N2. , Neurologe und Psychiater, führte unter dem 12. September 2007 aus, der Zusammenhang zwischen dem Unfall und dem neuropsychiatrischen Krankheitsbild sei unter Berücksichtigung der trauma-untypischen frontalen Läsion, die sich im MRT gezeigt habe, unverändert vage.
15Im röntgenologischen Fachgutachten vom 21. Dezember 2007 stellte Prof. Dr. med. M. ein kleines links periventrikuläres Defekt-Areal des Marklagers im Sinne einer unspezifischen narbigen Veränderung fest, wobei er keinen Zusammenhang mit dem Unfallereignis vom Mai 2004 sah. Das übrige Hirnparenchym einschließlich des inneren und äußeren Liquorsystems sei unauffällig. Es ergäben sich keine Hinweise für posttraumatische Unfallfolgen.
16Dipl.-Psych. L2. beschrieb in ihrem neuropsychologischen Gutachten vom 8. Juli 2008 bei der Klägerin ausgeprägte Defizite insbesondere in den Bereichen Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Die Schwere der Schädigung sei jedoch nicht mit einer Commotio cerebri vereinbar. Aus der Verhaltensbeobachtung hätten sich keine Hinweise auf Aggravation oder Simulation ergeben. Als Ursache der schlechten Leistungen müsse eine Demenz in Betracht gezogen werden.
17Prof. Dr. med. U. führte in seinem neurologischen Gutachten vom 30. Juli 2008 aus, bei der körperlichen Untersuchung habe sich in allen Einzelheiten ein regelrechter organ-neurologischer Befund gezeigt. Es gebe keine Hinweise auf eine höhergradige Hirnmitbeteiligung im Rahmen des Unfallereignisses im Sinne einer strukturellen Hirnschädigung. Die Verlaufsdynamik stimme nicht mit einer primär traumatischen contusionellen, also strukturellen Hirnschädigung überein. Das Ausmaß der kognitiven Beeinträchtigungen bei der Klägerin setze, sofern man es als hirnorganisch bedingt ansähe, insbesondere aufgrund der inzwischen langjährigen Persistenz eine deutliche hirnorganische Schädigung voraus. Eine solche sei jedoch nicht nachgewiesen. Daher seien die kognitiven Beeinträchtigungen nicht auf eine unfallbedingte hirnorganische Schädigung zurückzuführen. Das gelte erst recht für die Kopfschmerzsymptomatik. Bei der Klägerin liege am ehesten eine dissoziative Störung vor. Diese beruhe aber nicht auf dem Unfallereignis.
18Durch Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2009, zugestellt am 30. Januar 2009, wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen darauf, dass ein unfallbedingter hirnorganischer Primärschaden, der die gesundheitlichen Beschwerden der Klägerin hätte verursachen können, nicht eindeutig nachgewiesen sei.
19Am 2. März 2009, einem Montag, hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat u. a. vorgetragen, dissoziative Gedächtnisstörungen könnten auch durch Stress oder traumatische Erfahrungen entstehen, und dazu einen Aufsatz von Brand/Markowitsch, Dissoziative („psychogene“) Gedächtnisstörungen – Neuropsychologie und funktionelle Hirnbildgebung, Neuroforum 2007, S. 39 ff., vorgelegt. Danach ließen sich bei solchen Störungen trotz fehlenden Hirnschadens funktionelle Veränderungen des Gehirns feststellen. Psychogene Amnesien würden nicht durch strukturelle Hirnschäden verursacht. Die Beklagte hätte daher weiter aufklären müssen, ob ein Kausalzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Krankheitsbild bestehe. Die Liquorwerte seien in den ärztlichen Gutachten berücksichtigt worden und sprächen nicht gegen die Kausalität zwischen dem Unfall und ihrem Krankheitsbild. Die Marklagerläsion habe bereits vor dem Unfall bestanden und sei nicht kausal für ihre Beschwerden.
20Die Klägerin hat eine Stellungnahme von Dr. S1. , Oberärztin in der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums der Universität zu L. , vom 2. April 2009 vorgelegt, wonach auch bei einer dissoziativen Störung der kausale Zusammenhang mit dem Unfall keinesfalls ausgeschlossen sei.
21Die Klägerin hat beantragt,
221. die Beklagte unter Abänderung der Bescheide der Unfallkasse Post und Telekom vom 17. Januar 2005 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2009 zu verpflichten, die bei der Klägerin vorhandenen neuropsychologischen Defizite und psychischen Einschränkungen als Folge des Dienstunfalls vom 6. Mai 2004 anzuerkennen und Unfallfürsorgeleistungen einschließlich Unfallausgleich zu gewähren,
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Die Beklagte hat beantragt,
27die Klage abzuweisen,
28hilfsweise, der Beklagten eine angemessene Frist zur Stellungnahme zu den protokollierten Ausführungen der Gutachten einzuräumen,
29weiter hilfsweise, zu der in Frage stehenden Kausalität zwischen dem festgestellten dementiellen Syndrom und dem Unfallereignis vom 6. Mai 2004
301. im Hinblick auf die Aussagekraft der Liquorbefunde (Blatt 148, 149 bis 151 d. A.) ein weiteres neurologisches Gutachten
sowie
332. zu der Beteiligung der festgestellten Marklagerläsion an den Unfallfolgen ein weiteres Gutachten eines geeigneten Sachverständigen
einzuholen.
36Zur Begründung hat sie sich zunächst im Wesentlichen auf das neurologische Gutachten von Prof. Dr. med. U. vom 30. Juli 2008 bezogen.
37Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, das Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. erstellt hat. Diese ist in ihrem fachpsychiatrischen Gutachten vom 12. Juli 2010 zusammen mit Dr. med. O. , Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, zu folgenden Ergebnissen gekommen: Die Klägerin leide an einem dementiellen Syndrom. Ursache sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Schädel-Hirn-Trauma von Mai 2004. Eine Simulation oder Aggravation liege nicht vor. Die Marklagerläsion sei „wahrscheinlich“ nicht ausreichend für die Begründung der umfangreichen Defizite der Klägerin. Ursache für die Demenz der Klägerin könnte eine diffuse axonale Schädigung sein. Dabei handele es sich um einen progressiven Prozess, der zwar durch die mechanischen Einwirkungen des Traumas ausgelöst werde, aber durch verschiedene Prozesse auf mikroskopischer Ebene fortgeführt werde. Eine diffuse axonale Schädigung sei nur sehr schwer mit den üblichen Methoden nachzuweisen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Klägerin habe nach dem Unfall 100 von 100 betragen, aktuell noch 90 von 100.
38Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. hat in ihrem Gutachten das neuropsychologische Gutachten vom 7. Juli 2010 von Dr. rer. physiol. T1. berücksichtigt. Dr. T1. kam darin zum Ergebnis, bei der Klägerin gebe es keine Hinweise für das Vorliegen einer depressiven Störung, allerdings für eine Antriebsstörung. Die Klägerin leide an einem dementiellen Syndrom. Leichte Schädel-Hirn-Traumata könnten nach neueren Studien bedeutsame neurokognitive Symptome hervorrufen, die zu etwa 50% andauerten. Solche Störungen seien nicht immer mit bildgebenden Verfahren nachzuweisen. Der Schweregrad an Beeinträchtigung bei der Klägerin sei nicht der Regelfall nach einem leichten Schädelhirntrauma, aber auch nicht ausgeschlossen. Weitere mögliche Ursachen für die Symptome der Klägerin seien nicht ersichtlich. Daher sei das dementielle Syndrom mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Schädelhirntraumas.
39Als Reaktion auf das gerichtliche Sachverständigengutachten hat die Beklagte vorgetragen, dieses stütze den Anspruch der Klägerin nicht. Denn danach seien die Krankheitssymptome der Klägerin nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen, sondern lediglich hinreichend wahrscheinlich. Die Gutachter hätten außerdem nicht alle relevanten Gesichtspunkte berücksichtigt: Sie hätten die Liquorbefunde und die Marklagerläsion nicht hinreichend gewürdigt. Die Beklagte hat zur Unterstützung ihrer Argumentation eine Stellungnahme von Dr. N2. vom 16. September 2010 vorgelegt.
40In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat Dr. med. Dipl.-Psych. H. -N1. ihr Gutachten erläutert. Der Liquorbefund in der Akte sei im Ergebnis unauffällig. Eine linksseitige Marklagerläsion komme bei multipler Sklerose vor, aber dann meist auch mehrfach. Solche Läsionen könnten aber auch ohne einen pathologischen Befund auftreten. Der Unfall sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Ursache der Defizite, auch wenn bildgebend nichts habe erfasst werden können. Es gebe Störungen auf molekularer Ebene mit entsprechenden Auswirkungen, die nicht abgebildet werden könnten. In solchen Fällen richte man sich nach der Symptomatik. Wesentlich mitentscheidend für ihre Diagnose sei gewesen, dass die betreffende Symptomatik zeitlich sofort nach dem Unfall aufgetreten sei. Eine Simulation der Klägerin habe sie durch mehrere Befragungen durch verschiedene Personen ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit der Kausalität zwischen dem Unfall und den Beschwerden der Klägerin hat die Gutachterin auf 80 bis 90% geschätzt. Es sei spekulativ zu vermuten, die ohnehin niedrigen Liquorwerte hätten im Zeitpunkt des Unfalls höher gelegen als im Zeitpunkt der Untersuchungen im Juli und September 2004. Sie halte es für unwahrscheinlich, dass die Marklagerläsion oder entzündliche Prozesse, etwa über eine Gleichgewichtsstörung, den Unfall hervorgerufen hätten; das sei aber eine Frage für den Neurologen. Das Wort „wahrscheinlich“ in der Aussage, die Marklagerläsion sei wahrscheinlich nicht kausal für die Beschwerden der Klägerin, habe sie mittlerweile aus dem Gutachten gestrichen, weil es verwirrend sei. Auch wenn die Marklagerläsion ein Zeichen für die diffuse axonale Schädigung sein sollte, wäre der Unfall kausal. Sie habe keine Anzeichen dafür, dass die Klägerin krankheitsbedingt gestürzt sein könnte, und auch keine Anhaltspunkte für andere Ursachen.
41Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Änderung der angefochtenen Bescheide verpflichtet, die neuropsychologischen Defizite und psychischen Einschränkungen der Klägerin als Folge des Dienstunfalls vom 6. Mai 2004 anzuerkennen und der Klägerin Unfallfürsorgeleistungen einschließlich Unfallausgleich nach einer MdE von 100% für die Zeit vom 6. Mai 2004 bis zum 31. Dezember 2009 und nach einer MdE von 90% für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 zu gewähren. Zur Begründung hat es im Kern ausgeführt: Für die Kammer stehe es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass die in Rede stehenden Beeinträchtigungen der Klägerin Folge des Dienstunfalls vom 6. Mai 2004 seien. Dies ergebe sich aus den vorliegenden ärztlichen Gutachten und aus dem Geschehensablauf des Dienstunfalls. Die Klägerin leide an einem dementiellen Syndrom. Für die Kausalität spreche zunächst, dass die Beschwerden unmittelbar nach dem Unfall aufgetreten seien. Vorher habe es keine Anzeichen für eine Vorerkrankung, Sensibilitätsstörungen oder motorische Störungen gegeben. Die Sachverständige sei nachvollziehbar von einer Kausalität ausgegangen, ebenso andere Gutachter. Die leicht erhöhten Liquorwerte und die Marklagerläsion deuteten auf keine andere Erkrankung der Klägerin hin, die Ursache für deren gesundheitliche Beschwerden sein könnte.
42Zur Begründung der vom Senat mit Beschluss vom 30. April 2012 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte zunächst im Wesentlichen vor: Aufgrund der vorliegenden Gutachten sei nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer Kausalität des Dienstunfalls auszugehen. In den schriftlichen Gutachten sei nur von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit die Rede. In der mündlichen Verhandlung habe die Gutachterin die Wahrscheinlichkeit mit 80 bis 90% angegeben. Allein ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Beschwerden genüge nicht. Außerdem habe die Gutachterin die Marklagerläsion als Ursache der kognitiven Defizite ernsthaft in Betracht gezogen. Es spreche einiges dafür, dass die Marklagerläsion bzw. eine Entzündung Ursachen für die gesundheitlichen Probleme der Klägerin seien. Die Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung selbst gesagt, nur ein Neurologe – und nicht sie – könne beurteilen, ob der Unfall selbst durch entzündliche Prozesse verursacht worden sein könnte. Ihre Ausführungen dazu seien daher insoweit nicht als Grundlage für eine richterliche Überzeugungsbildung geeignet.
43Die Beklagte beantragt,
44das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 13. Januar 2011 abzuändern und die Klage abzuweisen.
45Die Klägerin beantragt,
46die Berufung zurückzuweisen.
47Sie rügt zunächst, die vom Senat im Berufungszulassungsbeschluss aufgeworfene Frage, ob die Marklagerläsion den Unfall verursacht haben könnte, erweitere den Streitgegenstand in unzulässiger Weise. Im Übrigen bezieht sie sich im Wesentlichen auf das angefochtene Urteil.
48Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens, das Prof. Dr. med. N3. erstellt hat. In seinem Gutachten vom 9. Dezember 2013 kommt er zu folgenden Ergebnissen: Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin seien weder durch den Sturz noch durch organ-medizinische Erkrankungen erklärbar. Die Auffälligkeiten in der testpsychologischen Untersuchung seien vielmehr durch eine Antwortverzerrung zu erklären; die gebotenen Leistungen entsprächen nicht dem wahren Leistungsvermögen, sondern würden von der Klägerin (bewusst oder unbewusst) manipuliert. Der Dienstunfall der Klägerin sei dafür nicht im naturwissenschaftlichen Sinne kausal. Die Klägerin leide nicht an Demenz und auch nicht an einer organischen Persönlichkeitsstörung. Die bei der Klägerin vorliegende mittelgradige depressive Episode könne weder durch ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst werden, noch die Symptome der Klägerin erklären. Es sei auch nicht von einer anterograden oder retrograden Amnesie auszugehen. Ebenso wenig sei ein organisch-amnestisches Syndrom zu diagnostizieren. Bei der Klägerin bestehe auch keine dissoziative Amnesie. Ein chronischer posttraumatischer Kopfschmerz lasse sich allenfalls für einige Wochen mit dem Unfallmechanismus erklären. Die Liquorbefunde und die Marklagerläsion stünden in keinem Zusammenhang mit den streitgegenständlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin. Soweit in der medizinischen Literatur in neuerer Zeit auch immer wieder Untersuchungen veröffentlicht worden seien, die eine Persistenz von neuropsychologischen Einschränkungen bei Personen mit einer leichten Schädel-Hirn-Verletzung – wie bei der Klägerin – postulierten, handele es sich stets um sehr milde Symptome.
49Die Klägerin hat als Reaktion auf das gerichtlich eingeholte Sachverständigengutachten ein neurologisch-psychiatrisch-psychologisches Fachgutachten von Dipl.-Psych. Dr. med. O1. eingeholt. In seinem Gutachten vom 1. Oktober 2014 diagnostiziert er bei der Klägerin ein schweres dementielles hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma, keine depressive Symptomatik. Zu dem Gutachten des Sachverständigen N3. bemängelt der Sachverständige O1. , dieser erscheine voreingenommen und habe zum Teil psychologische Tests angewandt, die nicht zum Nachweis einer Simulation/Aggravation entwickelt worden und dafür auch nicht zugelassen seien. Einige dieser Tests fielen auch bei hirnorganisch Erkrankten und Dementen pathologisch aus, was der Sachverständige N3. nicht erwogen habe. Ein unauffälliger somatisch-neurologischer Befund nach dem Unfallereignis schließe eine substantielle Hirnschädigung nicht aus. Auch bei einer nur kurz andauernden Bewusstlosigkeit könne eine erhebliche Hirnverletzung vorliegen. Beim MRT des Kopfes der Klägerin am 12. Mai 2004 fehlten bestimmte Sequenzen, so dass multiple kleine, vor allem frontale und temporal betreffende Läsionen nicht hätten nachgewiesen werden können. Traumatisch axonale Schädigungen könnten auch ohne nachweisbare Mikroblutungen vorkommen und mit persistierenden kognitiven Einschränkungen verknüpft sein. Das Konzept der leichten traumatischen axonalen Schädigung sei mittlerweile wissenschaftlich hinreichend belegt. Die damit typischerweise verbundenen Beschwerden lägen bei der Klägerin vor.
50Ergänzend zu seinem Gutachten führt der Sachverständige O1. unter dem 29. Januar 2015 aus, bei der Klägerin liege eine Hirnverletzung mit nachfolgendem Psychosyndrom vor. Dieses sei ein schwer einzustufendes Syndrom mit erheblichen Folgeerscheinungen im Sinne einer hirnorganischen Veränderung der Persönlichkeitsstruktur. Es habe dem Grunde nach eher einen Charakter einer depressiven Veränderung als einer Demenz. Alle Vergleiche oder Untersuchungen mit altersdementen Personen hielten bei dieser Art von hirnorganisch bedingten Psychosyndromen nicht stand. Das Vorliegen einer authentischen Störung schließe Antwortmanipulationen nicht aus. Antwortverzerrungen könnten bei unterschiedlichen Untersuchern, zu unterschiedlichen Zeitpunkten und sogar innerhalb einer Untersuchung verschieden stark ausgeprägt sein. Die Klägerin sei nicht in der Lage gewesen, komplexe Testanweisungen zu begreifen und diese problemlos zu bewältigen. Dies habe er am ersten Testtag beim Konzentrationsleistungstest KLT-R 6-13, Form A, festgestellt. Die Kriterien von Slick zu antwortverzerrendem Verhalten seien nicht alle erfüllt.
51In seinem 1. Ergänzenden Neurologischen Gutachten vom 31. Januar 2015 bemängelt der Sachverständige N3. die Schlussfolgerungen des Sachverständigen O1. und erläutert sein eigenes Gutachten näher.
52In seinem 2. Ergänzenden Neurologischen Gutachten vom 4. Februar 2015 erklärt der Sachverständige N3. u. a., er habe die Leitlinie „Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma“ der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), AWMF-Register Nr. 094/002, bei seiner Begutachtung beachtet.
53Der Sachverständige O1. zweifelt unter dem 11. Februar 2015 u. a. die fachliche Kompetenz des Sachverständige N3. für die Durchführung psychologischer Tests an. Er führt weiter aus: Die Klägerin leide nicht unter einer schweren Demenz, sondern unter einem schweren hirnorganischen Syndrom, welches sowohl die Kriterien eines depressiven Zustandsbildes als auch die einer Demenz rein ICD-formal einschließe.
54Die Klägerin bemängelt den Verlauf des Untersuchungstermins beim Sachverständigen N3. in zahlreichen Punkten. Wegen der Einzelheiten wird auf ihren Schriftsatz vom 28. Mai 2013 Bezug genommen.
55Zu diesen Vorwürfen der Klägerin äußert sich der Sachverständige N3. in einer am 17. Juni 2013 bei Gericht eingegangenen Stellungnahme. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Stellungnahme verwiesen.
56Die Sachverständigen N3. und O1. haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2015 jeweils ihr schriftliches Gutachten weitergehend erläutert. Wegen des Inhalts dieser Erläuterungen wird auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 2. März 2015 verwiesen.
57Auf Anregung des Beklagtenvertreters hat der Senat den Beteiligten den Abschluss eines Vergleichs vorgeschlagen und in diesem Zusammenhang die mündliche Verhandlung unterbrochen. Diesem Vorschlag hat die Beklagte nicht zugestimmt.
58Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge (4 Bände) Bezug genommen.
59Entscheidungsgründe
60Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte neuropsychologische Defizite und psychische Einschränkungen als Folge des Dienstunfalls vom 6. Mai 2004 anerkennt (dazu 1.) und Unfallfürsorgeleistungen einschließlich Unfallausgleich (dazu 2.) gewährt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der dies ablehnende Bescheid der Unfallkasse Post und Telekom vom 17. Januar 2005 in der Fassung ihres Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
611. Die streitgegenständlichen Beschwerden sind nicht als Folge des Dienstunfalls vom 6. Mai 2004 anzuerkennen. Denn es ist nicht bewiesen, dass die Klägerin an den geklagten Beschwerden leidet und welcher Art diese konkret sind (dazu 1.1). Dementsprechend kann keine Kausalität mit dem Dienstunfall festgestellt werden (dazu 1.2). Eine weitere Beweiserhebung kommt nicht in Betracht (dazu 1.3).
621.1 Nach § 45 Abs. 3 Satz 2 BeamtVG entscheidet die oberste Dienstbehörde oder die von ihr bestimmte Stelle u. a. darüber, ob ein Dienstunfall im Sinne des § 31 BeamtVG vorliegt. Die daraus abzuleitende Entscheidungsbefugnis umfasst auch die Entscheidung darüber, ob bestimmte Leiden (und ggf. welche) Folge eines als Dienstunfall anerkannten bzw. anzuerkennenden Ereignisses sind.
63Vgl. Senatsurteil vom 28. November 2014 – 1 A 1860/14 –, juris, Rn. 41 f.
64Ein Körperschaden im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG liegt vor, wenn der physische oder psychische Zustand eines Menschen für eine bestimmte Mindestzeit ungünstig verändert ist.
65Vgl. Senatsurteil vom 28. November 2014 – 1 A 1860/14 –, juris, Rn. 44 f.
66Nach den auch im Dienstunfallrecht grundsätzlich geltenden allgemeinen Beweisgrundsätzen trägt der Beamte die Beweislast dafür, dass ein Körperschaden eingetreten ist.
67Vgl. Schnellenbach, Beamtenrecht in der Praxis, 8. Aufl. 2013, § 14 Rn. 80.
68Hinsichtlich der Kausalität zwischen einer Erkrankung und einem Dienstunfall gilt Folgendes: Als Ursache im Rechtssinne sind nur solche für den eingetretenen Schaden ursächliche Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen (natürlich-logischen) Sinne anzuerkennen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg nach natürlicher Betrachtungsweise an dessen Eintritt mitgewirkt haben, die also insofern als „wesentlich“ anzusehen sind (Theorie der wesentlich mitwirkenden Ursache). Die materielle Beweislast für den Nachweis des geforderten Kausalzusammenhangs trägt der (anspruchstellende) Beamte. Grundsätzlich bedarf es insoweit des vollen Beweises im Sinne „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“.
69Ständige Rechtsprechung; vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Oktober 2009 – 2 C 134.07 –, BVerwGE 135, 176 = juris, Rn. 26 f., vom 1. März 2007– 2 A 9.04 –, juris, Rn. 8, und vom 18. April 2002 – 2 C 22.01 –, DÖD 2002, 314 = juris, Rn. 10, sowie Beschluss vom 23. Oktober 2013 – 2 B 34.12 –, juris, Rn. 6; ferner aus der Rechtsprechung des erkennenden Senats das Urteil vom 28. November 2014 – 1 A 1860/14 –, juris, Rn. 46 ff., m. w. N.
70Die Klägerin hat nicht bewiesen, dass bei ihr Körperschäden gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG im Sinne neuropsychologischer Defizite und psychischer Einschränkungen vorliegen. Solche gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind bei ihr nicht objektiv feststellbar (dazu 1.1.1). Sie hat auch nicht nachgewiesen, dass bei ihr andere Erkrankungen bestehen, die auf den Sturz am 6. Mai 2004 zurückzuführen sein könnten (dazu 1.1.2). Beides ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den Ausführungen des Sachverständigen N3. . Soweit dessen schriftliches Gutachten vom 9. Dezember 2013 und dessen ergänzende schriftliche Erläuterungen vom 31. Januar 2015 und vom 4. Februar 2015 in bestimmten Zusammenhängen noch Unklarheiten bzw. Begründungsdefizite enthielten, hat der Sachverständige N3. alle bedeutsamen Punkte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2015 überzeugend und nachvollziehbar erläutert. Er hat keine Unsicherheiten erkennen lassen oder sich mit seinen Angaben in Widersprüche verwickelt. Insgesamt ergeben die Ausführungen des Sachverständigen N3. für den Senat eine taugliche und hinreichend fundierte Grundlage, um die Frage der hier streitigen Erkrankungen auf einer ausreichenden Tatsachenbasis beurteilen zu können. Die Feststellungen des Sachverständigen N3. entsprechen dem wissenschaftlichen Standard (dazu 1.1.3). Sie werden weder durch die Ausführungen des Sachverständigen O1. (dazu 1.1.4) noch durch die der anderen medizinischen Gutachter, welche die Klägerin früher untersucht haben (dazu 1.1.5), in Frage gestellt. Die von der Klägerin geltend gemachten Bedenken hinsichtlich der fachlichen Kompetenz, der Unparteilichkeit und des Ablaufs der Untersuchung des Sachverständigen N3. greifen nicht durch (dazu 1.1.6).
711.1.1 Der Sachverständige N3. kommt in seinem Gutachten vom 9. Dezember 2013, seinen beiden Ergänzungen des Gutachtens vom 31. Januar 2015 und vom 4. Februar 2015 sowie seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2015 zum Ergebnis, dass sich nicht objektiv feststellen lässt, ob und in welchem Umfang die Klägerin neurokognitive Einschränkungen aufweist; die Auffälligkeiten in der testpsychologischen Untersuchung sind nur durch eine Antwortverzerrung zu erklären.
72Diese Feststellungen ergeben sich aus einer Auswertung des 15 Items Tests (dazu 1.1.1.1), des Gedächtnis-Tests „Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest“ (dazu 1.1.1.2), des Alertness Tests (dazu 1.1.1.3) und der Beobachtung der Klägerin während der Tests Go/Nogo und Trail Making (dazu 1.1.1.4). Der Sachverständige N3. hat die Testergebnisse und seine Beobachtung des Verhaltens der Klägerin während der Untersuchung an den in der medizinischen Wissenschaft anerkannten Diagnosekriterien für eine Simulation neurokognitiver Funktionsstörungen nach Slick et al. gemessen (dazu 1.1.1.5) und hatsie insgesamt unter Berücksichtigung der medizinischen Vorgeschichte bewertet (1.1.1.6). Im Einzelnen:
731.1.1.1 Die Klägerin erzielte im 15 Items Test (Rey Memory Test) sowie in einer Variante dieses Tests Ergebnisse, die für eine Aggravation/Simulation sprechen.
74Bei diesem Test soll eine objektiv sehr einfach einzuprägende Anordnung von 15 Zeichen (A B C, 1 2 3, a b c, o □ ∆, I II III) aus dem Gedächtnis wiedergegeben werden. Durch die logische Ordnung ist die Gedächtnisleistung insgesamt minimal, so dass auch Probanden mit erheblicher Beeinträchtigung diesen Test bewältigen können. Dem Probanden wird mitgeteilt, dass er sich gleichzeitig 15 Informationen merken solle und es sich um einen besonders schwierigen Test handele. Gibt ein Proband weniger als 9 Zeichen wieder, besteht ein dringender Verdacht auf Simulation/Aggravation.
75Vgl. Dreßing/Widder/Foerster, Kritische Bestandsaufnahme zum Einsatz von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung, VersMed 2010, 163 (im Abschnitt „Beschwerdenvalidierungstests“).
76Nach den Angaben des Sachverständigen N3. kann ein solches – pathologisches – Ergebnis allerdings auch auf eine vorliegende Erkrankung hinweisen, nämlich und allein auf eine schwere Demenz.
77Ebenso Stellungnahme der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychologie und Nervenheilkunde zur Anwendung von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung vom 28. Januar 2011 (Seite 1), und Dreßing/Widder/Foerster, Kritische Bestandsaufnahme zum Einsatz von Beschwerdevalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung, VersMed 2010, 163 (im Abschnitt „Beschwerdenvalidierungstests“).
78Denn schwerst demente Personen verstehen die Aufgabenstellung nicht.
79Die Klägerin gab bei der Testdurchführung durch den Sachverständigen N3. nur 9 von 15 Symbolen wieder. Dieses Ergebnis deutet hier auf ein antwortverzerrendes Verhalten hin und lässt sich nicht durch eine schwere Demenz erklären. Denn die Klägerin ist nach den insoweit übereinstimmenden Feststellungen der Sachverständigen N3. und O1. nicht schwer dement. Außerdem konnte sie bei der erneuten Durchführung des Tests beim Sachverständigen O1. etwa ein Jahr später alle 15 Zeichen wiedergeben. Dies zeigt, dass sie grundsätzlich in der Lage ist, diesen Test fehlerfrei zu bestehen, und lässt insoweit Zweifel an ihrer Leistungsbereitschaft während der Testung durch den Sachverständigen N3. aufkommen.
80Um den Verdacht auf eine Antwortverzerrung weiter zu erhärten, konstruierte der Sachverständige N3. einen weiteren Test nach demselben Prinzip (Hamburg Berlin München, Mittwoch Donnerstag Freitag, September Oktober November, Euro Dollar Yen, Hund Katze Maus). Auch dabei gab die Klägerin nur 9 von 15 Wörtern wieder. Dies spricht dafür, dass das Ergebnis im 15 Items Test nicht lediglich ein Zufallsbefund war.
81Der 15 Items Test und seine Bewertung werden zwar in der medizinischen Literatur teilweise kritisch bewertet.
82Vgl. die Hinweise auf Seite 14 f. des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2015 auf Merten, Beschwerdevalidierung, 2014, S. 46, sowie Kool u. a., Der Einsatz von Beschwerdevalidierungstest in der IV-Abklärung, 2008, für Schweizerisches Bundesamt für Sozialversicherungen, S. 46.
83Dies spricht jedoch nicht gegen seine Anwendung im vorliegenden Fall. Dem Sachverständigen N3. waren die berechtigten Kritikpunkte (unzureichende Sensitivität, leichte Durchschaubarkeit sowie leichte Erlernbarkeit) bewusst. Er hielt dies aber hier für nicht entscheidend, da nach seinen Ausführungen bei auffälligem Ausgang des Test (sowie eines weiteren analogen Tests) mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Antwortverzerrung auszugehen ist. Außerdem ist das Ergebnis dieses Tests nur ein Aspekt unter mehreren, aus denen der Sachverständige N3. insgesamt das Vorliegen einer Antwortverzerrung hergeleitet hat.
841.1.1.2 Bei der Durchführung des Gedächtnis-Tests „Verbaler Lern- und Merkfähigkeitstest“ (VLMT) fehlten bei der Klägerin ein Lernzuwachs (dazu 1.1.1.2.1) und der Primacy-Effekt (serieller Positionseffekt) (dazu 1.1.1.2.2). Beides sowie der deutlich negative d´-Wert (dazu 1.1.1.2.3) für die Wiedererkennensliste dieses Tests sprechen für eine Antwortverzerrung.
85Der VLMT überprüft die Fähigkeit eines Probanden, sich Wortlisten zu merken. Hierzu werden 15 Wörter vom Versuchsleiter vorgelesen, von denen der Proband möglichst viele wiedergeben soll. Diese Prozedur wird in Folge fünfmal wiederholt, danach wird eine Interferenzliste mit anderen Wörtern vorgelegt, schließlich muss der Proband die initiale Liste wiederholen. Bei der Klägerin verzichtete der Sachverständige N3. auf einen 7. Durchgang und legte stattdessen die erste Liste nach 1,5 Stunden noch einmal vor. Nach seinen Angaben erinnert sich eine Person mit normaler Gedächtnisleistung erfahrungsgemäß an alle Wörter. Der Sachverständige N3. hat diesen Test nach eigenen Angaben hunderte Male angewandt. Dabei hat er festgestellt, dass in der Regel zumindest das erste Wort erinnert wird, das aufgenommen wird, wenn das Gedächtnis insoweit noch leer ist.
86Von den 15 Wörtern gab die Klägerin im ersten bis fünften Durchgang zwischen 4 und 6 Wörtern wieder, im sechsten Durchgang ein Wort und nach 1,5 Stunden 4 Wörter. Dabei stammten alle wiedergegebenen Wörter aus der zweiten Hälfte der Listen, überwiegend aus dem letzten Drittel. Von den Anfangswörtern gab die Klägerin keines wieder. Von der Interferenzliste mit anderen Wörtern nach dem 5. Durchgang benannte die Klägerin die letzten 4 Wörter.
871.1.1.2.1 Der Sachverständige N3. konnte keine Lernkurve feststellen, was er auch für Patienten mit einer hirnorganischen Störung für ungewöhnlich hält. Nach seinen Angaben wäre nämlich bei einer Person, die wie die Klägerin mit 4 Wörtern beginnt, zu erwarten gewesen, dass sie sich über die 5 Durchgänge vor der Interferenzliste mehr steigert, als die Klägerin dies getan hat. Dies hält er für auffällig.
881.1.1.2.2 Weiter fehlte bei der Klägerin der serielle Positionseffekt. Darunter ist zu verstehen, dass in derartigen Aufgaben stets die ersten (sog. Primacy-Effekt) und die letzten (sog. Recency-Effekt) Wörter einer Liste deutlich besser erinnert werden, weil die ersten Worte von einem noch „leeren“ Gedächtnis aufgenommen werden können bzw. weil die Erinnerung an die letzten Worte nicht mehr durch eine Überlagerung dieser Worte durch nachfolgende Begriffe beeinträchtigt wird. Die Klägerin hat nur Wörter aus der jeweils zweiten Hälfte der Listen und hierbei überwiegend sogar nur solche aus dem letzten Drittel wiedergegeben, jedoch keines von den Anfangswörtern.
89Um den auffälligen seriellen Positionseffekt als Indikator für ein antwortverzerrendes Verhalten zu überprüfen, stellte der Sachverständige N3. vier Wortlisten ad hoc zusammen und las sie der Klägerin jeweils einmal vor. Auch dabei gab die Klägerin keines der Wörter vom Beginn der Listen wieder. Dies deutet der Sachverständige N3. als weiteren Hinweis auf antwortverzerrendes Verhalten. Durch eine etwaige Demenz der Klägerin ist dies nicht zu erklären. Demenz kann sich zwar auf den seriellen Positionseffekt auswirken: Gedächtnisdefizite nehmen mit fortschreitender Demenz zu. Beeinträchtigungen des Primacy-Effekts bei Wortlistenwiedergaben vertiefen sich, während die Wiedergabe der letzten Begriffe weniger beeinträchtigt ist.
90Vgl. Abstract von Moser et al., Serial position effects in patients with mild cognitive impairment and early and moderate Alzheimer’s disease compared with healthy comparison subjects, Dementia and Geriatric Cognitive Disorders 2014; 37 (1-2): 19-26.
91Auch wurde bei der Analyse der verbalen Lernkurve, insbesondere der seriellen Positionseffekte, festgestellt, dass Alzheimerpatienten gewöhnlich einen normalen oder nur leicht verminderten Recency-Effekt zeigen, während der Primacy-Effekt deutlich reduziert ist.
92Vgl. Aebi, Validierung der neuropsychologischen Testbatterie CERAD-NP, Eine Multi-Center Studie, Diss. Basel 2002, S. 20, unter Bezugnahme auf 6 Veröffentlichungen aus den Jahren 1971, 1983, 1988, 1994, 2001.
93Der Sachverständige N3. hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass sich diese Literaturstellen immer auf eine quantitative Veränderung des Primacy-Effekts beziehen und nicht auf dessen völliges Fehlen wie bei der Klägerin. Im Ergebnis dasselbe gilt für die Studie von Bernard et al., Malingering on Neuropsychological Memory Tests: Potential Objective Indicators, Journal of Clinical Psychology 1993, S. 51 f. Darin wird die Aussagekraft des seriellen Positionseffekts für die Unterscheidung von echten Patienten und Simulanten bezweifelt. Der Sachverständige N3. hat dazu nachvollziehbar erläutert, dass sich auch die Ausführungen von Bernard zum mangelnden Primacy-Effekt (nur) auf eine Nivellierung dieses Effekts bezögen (d. h. von den ersten Wörtern werden nicht mehr erinnert als von den folgenden), nicht aber auf eine komplette Löschung der Wörter aus dem ersten Drittel.
941.1.1.2.3 Der deutlich negative d´‑Wert für die Wiedererkennensliste des VLMT spricht nach den Angaben des Sachverständigen N3. ebenfalls für eine bewusste Auswahl falscher Antworten und somit für eine Antwortverzerrung. Der d‘‑Wert ist, wie der Sachverständige N3. ausgeführt hat, ein nicht parametrisches Maß Er gibt an, mit welcher Zuverlässigkeit ein Mensch oder ein System Signale detektiert, also zutreffend alarmiert. Er wird berechnet, indem (1.) die relativen Häufigkeiten der Treffer (Signal wird erkannt) und der falschen Alarme ermittelt werden, (2.) mit den gefundenen Prozentwerten eine sog. Z‑Transformation durchgeführt wird und (3.) abschließend die Differenz der nach (2.) ermittelten Werte gebildet wird (d‘ = Z(Treffer) – Z(falsche Alarme)).
95Vgl. etwa den Eintrag bei Wikipedia zur „Signalentdeckungstheorie“.
96Hier gibt der d‘‑Wert, wie der Sachverständige N3. vereinfachend erläutert hat, die Zahl der korrekten Antworten im Verhältnis zu den falschen Alarmen an. Ein falscher Alarm in diesem Sinne liegt dann vor, wenn man ein Wort aus der Ablenkliste (neues Wort) für ein Wort aus der ursprünglichen Liste (altes Wort) hält. Normalerweise ist der d’‑Wert positiv. Je höher er ist, desto besser ist die Unterscheidungsfähigkeit. Bei einem negativen Wert ignoriert der Proband die alten Wörter und hält neue Wörter für alte. Dafür gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten: Entweder hat der Proband die Aufgabe nicht verstanden oder er verdreht bewusst die Antworten. Bei bloßem Raten ist der d´‑Wert aus statistischen Gründen regelmäßig Null. Innerhalb einer Schwankungsbreite zwischen +1 und ‑1 muss man mit der Interpretation vorsichtig sein. Hier lag der d´‑Wert indes, wie sich aus dem Kontext der gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen N3. ohne Weiteres erschließt, deutlich unterhalb eines Wertes von ‑1. Obwohl die Klägerin in der Lage war, komplexe Instruktionen für die Tests zu verstehen und umzusetzen, hielt sie deutlich mehr Wörter aus der Ablenkliste für alt als aus der ursprünglichen Liste.
971.1.1.3 Für ein antwortverzerrendes Verhalten sprechen nach den Ausführungen des Sachverständigen N3. auch die erheblichen Unterschiede zwischen den Serien 1/2 und den Serien 3/4 des Alertness-Tests. Diese Unterschiede belegen eine nicht ausreichende Mitarbeit. Auch die weit über dem Erwartungswert liegende Standardabweichung deutet auf eine Antwortverzerrung hin.
98Der Alertness-Test ist ein einfacher Reaktionstest, bei dem der Proband ein auf einem Bildschirm erscheinendes Kreuz so schnell wie möglich mit einem Tastendruck beantworten muss. Es gibt zwei Bedingungen: In der Bedingung ohne Warnton erscheint das Kreuz ohne Warnton auf dem Bildschirm, bei der Bedingung mit Warnton kurz nach einem Warnton. Der Versuch erfolgt in 4 Durchgängen (ohne Warnton, mit Warnton, mit Warnton, ohne Warnton) mit jeweils etwa 60 Punkten. Alle vier Durchgänge folgen direkt nacheinander und dauern zusammen etwa 20 Minuten.
99Die Reaktionszeit der Klägerin war in den ersten beiden Durchgängen und in den letzten beiden Durchgängen jeweils etwa gleich, verdoppelte sich aber in etwa zwischen dem zweiten und dem dritten Durchgang. Dieser Sprung der Reaktionszeit ist nach den Ausführungen des Sachverständigen N3. nicht plausibel. Er kann ihn sich nicht anders als durch antwortverzerrendes Verhalten erklären. Denn auch hirnorganisch erkrankte und demente Personen reagieren in solchen Tests langsamer, allerdings gleichförmig langsamer.
100Die hohe Standardabweichung der Klägerin bei diesem Test deutet der Sachverständige N3. dahingehend, dass die Leistung extrem inkonstant gewesen sei. Ein solches Ergebnis findet man nach seiner Erfahrung bei Probanden, die nicht optimal mitarbeiten.
1011.1.1.4 Ein weiteres Indiz für antwortverzerrendes Verhalten und mangelnde Mitarbeit ergibt sich aus dem Verhalten der Klägerin während der Durchführung des Go/Nogo-Tests und des Trail-Making-Tests.
102Beim Go/Nogo-Test werden insgesamt 5 visuelle Muster in einer randomisierten Reihenfolge auf einem Bildschirm präsentiert. Zwei der Muster sind als Zielreize definiert und müssen durch einen Knopfdruck beantwortet werden. Für die anderen drei Muster ist die Antwort zurückzuhalten. Der Sachverständige N3. beobachtete während dieses Tests, dass die Klägerin ihre Hand zur Taste bewegte, die Tasten aber nicht drückte, also aktiv Reaktionen zurückhielt. Daraus ergaben sich mehr Auslasser im Test (15 von 25).
103Beim Trail-Making-Test sind in der Version A auf einem DIN A4-Blatt angeordnete Zahlen von 1 bis 25 in ihrer natürlichen Reihenfolge durch einen Strich miteinander zu verbinden, in der Version B sind es abwechselnd Zahlen und Buchstaben (1 – A – 2 – B usw.). Normal ist eine Bearbeitungszeit von maximal einer Minute. Der Sachverständige N3. brach diesen Test nach vier Minuten ab, weil die Klägerin den Test nicht länger bearbeitete, d. h. nicht mehr mit den Augen auf dem Papier suchte.
1041.1.1.5 Der Sachverständige N3. maß die Testergebnisse und seine Beobachtung des Verhaltens der Klägerin während der Testung an den in der medizinischen Wissenschaft anerkannten Diagnosekriterien für eine Simulation neurokognitiver Funktionsstörungen nach Slick et al., um beurteilen zu können, ob antwortverzerrendes Verhalten vorliegt. Er fand in nachvollziehbarer Weise folgende Kriterien bestätigt:
105– Kriterium A (Vorliegen eines substanziellen sekundären Krankheitsgewinns): Wenn die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen, besteht die Möglichkeit, dass die eingeklagten Ansprüche bestehen und sie Unfallfürsorgeleistungen sowie einen Unfallausgleich erhält.
106– Kriterium B 2 (Beweise aus neuropsychologischen Tests, wahrscheinliche negative Antwortverzerrung. Die Leistungen in einem oder mehreren gut validierten psychometrischen Tests oder Indizes zum Nachweis einer Vortäuschung oder Übertreibung kognitiver Defizite sind mit einer Simulation vereinbar): Die Leistungen der Klägerin im 15 Items Test, im VLMT Test und im Alertness Test sind auffällig und legen eine Antwortverzerrung nahe.
107– Kriterium B 3 (Beweise aus neuropsychologischen Tests, Widersprüche zwischen Testdaten und bekannten Hirnfunktionsmustern. Das Leistungsprofil in neuropsychologischen Tests widerspricht deutlich den allgemein anerkannten Modellen von normalen und abweichenden Funktionen des Zentralnervensystems. Diese Widersprüche gehen einher mit dem Versuch einer Symptomvortäuschung oder ‑übertreibung): Die Ergebnisse der Klägerin im 15 Items Test, im VLMT Test und im Alertness Test lassen sich nicht mit den üblichen Reaktionen bei solchen Tests vereinbaren. Nach den Beobachtungen des Sachverständigen N3. hat die Klägerin während der Testung nicht so mitgearbeitet, wie es ihr möglich gewesen wäre (Go/Nogo Test, Trail-Making-Test).
108– Kriterium B 4 (Beweise aus neuropsychologischen Tests, Widersprüche zwischen Testdaten und beobachtetem Verhalten. Die Leistungen in mindestens zwei neuropsychologischen Tests innerhalb eines Bereichs stimmen in der Art nicht mit dem beobachteten Verhalten überein, dass sie auf eine Symptomvortäuschung oder ‑übertreibung hindeuten.): Der Sachverständige N3. nennt als Beispiel, dass im Bereich der Gedächtnistests das nicht beeinträchtigte Aufgabenverständnis der Klägerin auch bei komplexen Aufgaben für ein intaktes verbales Arbeitsgedächtnis sprach, der Test Zahlennachsprechen jedoch zu einem Ergebnis führte, das bei unkritischer Bewertung für eine schwere Arbeitsgedächtnisstörung spräche. Die Augenbewegungen der Klägerin während des Zahlenverbindungstests und ihr Verhalten während des Go/Nogo-Tests sind nach den Angaben des Sachverständigen N3. ebenfalls Beispiele.
109– Kriterium B 5 (Beweise aus neuropsychologischen Tests, Widersprüche zwischen Testdaten und zuverlässigen Zusatzberichten. Die Leistungen in mindestens zwei neuropsychologischen Tests innerhalb eines Bereichs stimmen in der Art nicht mit dem alltäglichen kognitiven Funktionslevel, wie von mindestens einem zuverlässigen Zusatzinformanten beschrieben, überein, dass sie auf eine Symptomvortäuschung oder ‑übertreibung hindeuten.): Der Sachverständige N3. nennt als Beispiele, dass die Klägerin angegeben hatte, sie gehe einkaufen, unternehme Radtouren und treffe sich mit Freunden. Dies sind nach seiner Einschätzung Verhaltensweisen, die mit einer derartig kognitiven Beeinträchtigung nicht vereinbar sind.
110– Kriterium B 6 (Beweise aus neuropsychologischen Tests, Widersprüche zwischen Testdaten und medizinischer Vorgeschichte. Unwahrscheinlich schwache Leistungen in mindestens zwei standardisierten Tests innerhalb eines Bereichs (z. B. Gedächtnis), die nicht mit der neurologischen oder psychiatrischen Vorgeschichte übereinstimmen.): Bei der Klägerin ist aufgrund des Initialbefundes von einer Commotio cerebri, also einem leichten Schädel-Hirn-Trauma auszugehen. Die Leistungen der Klägerin in den verschiedenen Tests zu Aufmerksamkeitsfunktionen und Gedächtnis waren durchgehend sehr schwach. Die darin zum Ausdruck kommenden Beeinträchtigungen kognitiver Funktionen sind nach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma nach den Angaben des Sachverständigen N3. erfahrungsgemäß sehr ungewöhnlich.
111Dies bestätigen Dr. N2. in seiner Stellungnahme für die Sachbearbeitung vom 1. Februar 2007 und Prof. Dr. U. in seinem neurologischen Gutachten vom 30. Juli 2008; ähnlich Dr. T1. in ihrem neuropsychologischen Gutachten vom 7. Juli 2010.
112– Kriterium C 2 (Beweise aus dem Selbstbericht, selbstberichtete Symptome widersprechen bekannten Mustern der Hirnfunktionen. Anzahl, Muster oder Schwere berichteter Symptome sind unwahrscheinlich oder widersprechen den Erwartungen bei der vorliegenden Art oder Schwere der Verletzung oder des pathologischen Befunds.): Die von der Klägerin beklagten Beeinträchtigungen kognitiver Funktionen sind nach einem leichten Schädel-Hirn-Trauma erfahrungsgemäß sehr ungewöhnlich.
113– Kriterium C 3 (Beweise aus dem Selbstbericht, selbstberichtete Symptome widersprechen dem beobachteten Verhalten): Der Sachverständige N3. nennt als Beispiel, dass im Bereich der Gedächtnistests das nicht beeinträchtigte Aufgabenverständnis der Klägerin auch bei komplexen Aufgaben für ein intaktes verbales Arbeitsgedächtnis sprach, der Test Zahlennachsprechen jedoch zu einem Ergebnis führte, das bei unkritischer Bewertung für eine schwere Arbeitsgedächtnisstörung spräche. Die Augenbewegungen der Klägerin während des Zahlenverbindungstests und ihr Verhalten während des Go/Nogo-Tests sind nach den Angaben des Sachverständigen N3. ebenfalls Beispiele.
114– Kriterium C 4 (Beweise aus dem Selbstbericht, selbstberichtete Symptome und Informationen von Zusatzinformanten sind widersprüchlich. Berichtete Symptome, Krankengeschichte oder beobachtetes Verhalten stimmen nicht mit den Informationen anderer als zuverlässig befundener Informanten überein. Diese Diskrepanz muss mit dem Versuch, die Schwere einer Verletzung zu übertreiben oder prämorbide neuropsychologische Funktionsstörungen zu bestreiten, einhergehen.): Der Sachverständige N3. nennt als Beispiele, dass die Klägerin angegeben hatte, sie gehe einkaufen, unternehme Radtouren und treffe sich mit Freunden. Dies sind nach seiner Einschätzung Verhaltensweisen, die mit einer derartig kognitiven Beeinträchtigung nicht vereinbar sind.
115– Kriterium D (Verhaltensweisen, die die Kriterien der Gruppe B oder C erfüllen, sind nicht voll durch psychiatrische, neurologische oder entwicklungsbedingte Faktoren zu erklären): Der Sachverständige N3. findet für die oben beschriebenen Testergebnisse der Klägerin vor dem Hintergrund seines Fachwissens und seiner Erfahrung keine andere Erklärung als die einer Antwortverzerrung.
1161.1.1.6 Für seine These, bei der Klägerin liege ein antwortverzerrendes Verhalten vor, hat der Sachverständige N3. die Ergebnisse neuropsychologischer Standardverfahren sowie des Beschwerdenvalidierungstests 15 Items Test analysiert und das Verhalten der Klägerin während seiner Untersuchung beobachtet. Er hat das von Slick u. a. für die Simulationsdiagnostik entwickelte Prüfverfahren angewandt sowie sämtliche Ergebnisse und Beobachtungen unter Berücksichtigung seiner medizinischen Fachkenntnisse und Erfahrungen in einer Gesamtschau bewertet. Die Gesamtbewertung des Sachverständigen N3. ist in sich stimmig, widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Er hat in seinem Gutachten vom 9. Dezember 2013 ausführlich erläutert, welche Schwierigkeiten beim Nachweis von verdeutlichendem oder simulierenden Verhalten im Rahmen einer neuropsychologischen Untersuchung bestehen können und welche Testverfahren aus welchen Gründen welche Interpretationen zulassen. Beispielsweise hat er angeführt, dass reine Zufallsentscheidungen in einem Test, bei dem sich ein Proband mindestens 100 mal möglichst schnell zwischen nur zwei Reizen entscheiden muss, statistisch mindestens zu 50% richtigen Lösungen führen. Wenn ein Proband in seinem solchen Test deutlich unter 40% richtige Antworten liefert, liegt die Vermutung nahe, dass er zumindest teilweise bewusst falsch geantwortet hat. Diese Aussage wird durch die Stellungnahme der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychologie und Nervenheilkunde zur Anwendung von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung vom 28. Januar 2011, dort Seite 2 oben, gestützt. Sie leuchtet ohne Weiteres ein. Der erzielte, signifikant negative d‘ Wert beim VLMT ist ein Beispiel dafür.
117Der Sachverständige N3. hat auch bedacht, dass bei einer Prüfung von Antworttendenzen zusätzliche Faktoren für ungenügendes Leistungsverhalten wie Müdigkeit, Erschöpfung, Schmerz, Angst, schwere depressive Verstimmung usw. zu berücksichtigen sind, die zu negativem Leistungsverhalten beitragen können.
118Vgl. dazu auch Walter/Petermann/Kobelt: Beschwerdevalidierung: Ein aktueller Überblick, in: Rehabilitation 2012, S. 342 (343, 1. Spalte unten).
119Er gibt dazu an, seine Untersuchung habe 2,5 Stunden gedauert. Diese Länge habe er bewusst so gewählt, dass es nicht zu einer übermäßigen Ermüdung habe kommen können. Schließlich wäre aber auch bei einer Ermüdung eine Verschlechterung der Testergebnisse zu erwarten gewesen, nicht jedoch das Muster, welches sich bei der Klägerin ergeben hat.
1201.1.2 Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, dass bei ihr andere Erkrankungen vorliegen, die auf den Sturz am 6. Mai 2004 zurückzuführen sein könnten. Zu anderen, hier in Betracht kommenden und in Vorgutachten erwähnten Erkrankungen hat der Sachverständige N3. Folgendes ausgeführt:
121Die Klägerin leidet nicht an Demenz. Denn für die Annahme einer Demenz sind reliable testdiagnostische Auffälligkeiten erforderlich, die bei ihr nicht nachzuweisen waren.
122Die bei der Klägerin vorliegende mittelgradige depressive Episode wird nach medizinischen Erkenntnissen nicht durch ein Jahre zurückliegendes leichtes Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst. Eine Depression kann die Symptome der Klägerin nicht erklären. Sie kann zwar kognitive Leistungseinbußen hervorrufen. Dabei gibt es typische Leistungsprofile, insbesondere infolge von leichten bis mäßiggradigen Aufmerksamkeitsbeeinträchtigungen, allerdings keine auffälligen Befunde in Beschwerdenvalidierungstests.
123Die Klägerin leidet nicht an einer organischen Persönlichkeitsstörung, weil schon keine dieser Erkrankung zugrundeliegende Schädigung der Hirnsubstanz nachzuweisen ist.
124Da die Minderleistungen der Klägerin in Gedächtnistests nicht einer tatsächlichen Störung des Gedächtnisses entsprechen, liegt auch nicht das – ggf. bei sonstigen Diagnosen mit zu bewertende – Symptom einer anterograden oder retrograden Amnesie vor.
125Ebenso wenig ist ein organisch-amnestisches Syndrom zu diagnostizieren; es liegen weder eine entsprechende organische Ursache noch eine tatsächliche Gedächtnisbeeinträchtigung in dem von der Klägerin behaupteten Ausmaß vor.
126Bei der Klägerin besteht auch keine dissoziative Amnesie. Denn ihre Symptome im Bereich der kognitiven Leistungsfähigkeit gehen weit über eine Gedächtnisstörung hinaus; außerdem sind bei der dissoziativen Amnesie in der Regel die Testverfahren für Kurz- und Langzeitgedächtnis unbeeinträchtigt.
127Ein chronischer posttraumatischer Kopfschmerz lässt sich allenfalls für einige Wochen mit dem Unfallhergang erklären. Diese Aussage des Sachverständigen N3. entspricht Ziffer 1.10 der wichtigsten Empfehlungen der Leitlinie „Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma“ (Seite 3). Danach sind Klagen über länger anhaltende Kopfschmerzen nach Schädel-Hirn-Trauma nur dann als körperliche Traumafolge zu bewerten, wenn ein morphologisches Korrelat (z. B. Hirnhautverletzung) vorliegt. (ebenso Ziffer 7.1 der Leitlinie, Seite 12).
128Die Liquorbefunde und die Marklagerläsion hält der Sachverständige N3. für die gezeigten kognitiven Störungen der Klägerin für irrelevant.
129Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin sind damit nach den Ausführungen des Sachverständigen N3. insgesamt weder durch den Sturz noch durch organ-medizinische Erkrankungen erklärbar. Einen Hinweis für eine körperlich-neurologische Störung, die auf den Unfall oder eine andere Erkrankung zurückgeführt werden könnte, sieht er nicht.
1301.1.3 Die Ausführungen des Sachverständigen N3. entsprechen – soweit für den Senat ersichtlich – dem wissenschaftlichen Standard. Soweit die Klägerin bzw. der Sachverständige O1. Gegenteiliges behaupten, trifft dies nicht zu (dazu unten unter 1.1.4 und 1.1.6).
131Der Sachverständige N3. hat nach eigenen Angaben die Leitlinie „Begutachtung nach gedecktem Schädel-Hirntrauma“ der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), AWMF-Register Nr. 094/002, (im Folgenden: Leitlinie) beachtet. Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Leitlinien in dem Gutachten nicht zitiert werden. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar erläutert, dass die Beachtung derartiger Leitlinien selbstverständlich ist. Seine Ausführungen sind sowohl mit dem Inhalt der Leitlinie (dazu 1.1.3.1) als auch mit der Stellungnahme der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychologie und Nervenheilkunde zur Anwendung von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung vom 28. Januar 2011 (dazu 1.1.3.2) vereinbar.
1321.1.3.1 Nach Ziffer 1.5 der wichtigsten Empfehlungen der Leitlinie (Seite 2) können traumatische axonale Schädigungen auch ohne nachweisbare Mikroblutungen vorkommen und mit persistierenden kognitiven Einschränkungen verknüpft sein.
133Ähnlich Dr. T1. in ihrem neuropsychologischen Gutachten vom 7. Juli 2010, S. 29, Hofmann u. a., MR Imaging, Single-photon Emission CT, and Neurocognitive Performance after Mild Traumatic Brain Injury, American Journal of Neuroradiology 2001, 441 (448) (im Abschnitt “Conclusion”), und Abstract von Lee u. a., Focal Lesions in Acute Mild Traumatic Brain Injury and Neurocognitive Outcome: CT versus 3T MRI, Journal of Neurotrauma 2008.
134Dieser Aussage widersprechen die Ausführungen des Sachverständige N3. nicht. Denn nach seiner Untersuchung steht keineswegs fest, dass die Klägerin an schwerwiegenden neurokognitiven Störungen leidet. Außerdem ist auch er davon ausgegangen, dass bei einer Commotio cerebri mit den üblichen bildgebenden Verfahren wie Computer- oder Kernspintomographie keine strukturellen Veränderungen nachzuweisen sind. Er hat weiter berücksichtigt, dass es neuropsychologische Untersuchungen gibt, die eine Fortdauer von neuropsychologischen Einschränkungen bei Personen mit einer leichten Schädel-Hirn-Verletzung postulieren. Allerdings hat er darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen fortdauernden Einschränkungen stets um sehr milde Symptome handelt und von manchen Wissenschaftlern als somatoforme, d. h. als im Wesentlichen psychogene Störung angesehen werden. Als Beleg für diese Aussage hat er sich auf eine Untersuchung von Vanderploeg et al. berufen. Ausgehend davon hat der Sachverständige N3. festgestellt, dass das bei der Klägerin aufgetretene leichte Schädel-Hirn-Trauma nicht in der Lage war, neuropsychologische Ausfälle in der von ihr gebotenen Art zu verursachen. Die von der Klägerin angegebenen Funktionsstörungen sind vielmehr so schwerwiegend, dass sie sich seiner Ansicht nach in jedem Fall auch in den üblichen MRT-Sequenzen hätten niederschlagen müssen.
135Im Übrigen mag es zwar denkbar sein, dass bei der Klägerin (traumatische) axonale Schädigungen vorhanden sind, die neuropsychologische Ausfälle verursachen können. Aber selbst diese Annahme widerspräche den Ausführungen des Sachverständigen N3. nicht. Denn auch dann wäre wegen des gezeigten antwortverzerrenden Verhaltens nicht feststellbar, welche kognitiven Störungen welchen Ausmaßes bei der Klägerin ohne dieses Verhalten vorliegen.
136Nach Ziffer 1.6 der wichtigsten Empfehlungen der Leitlinie, Seite 2, ist eine neuropsychologische Untersuchung zur Beurteilung des Defizitprofils und zur Quantifizierung der Defizite notwendig; dabei sollten bei Relevanz für die Fragestellung Untersuchungen auf Anstrengung, Leistungsverhalten und Motivation eingeschlossen sein. Solche Untersuchungen hat der Sachverständige N3. durchgeführt.
137Nach Ziffer 7.3, Absatz 3 der Leitlinie, Seite 13, lässt allein der Schweregrad der erlittenen Schädigung, gemessen an Komadauer, Dauer der posttraumatischen Amnesie oder Ausmaß der in der Bildgebung dargestellten Hirnschädigung, nicht ausreichend sicher auf Art und Schweregrad der neuropsychologischen Funktionsstörungen schließen. Dies kann grammatisch so verstanden werden, dass auch eine leichte Schädigung schwere Folgen haben kann. Da hier die schweren Folgen jedoch nicht objektiv feststellbar sind, steht diese Lesart den Ausführungen des Sachverständigen N3. nicht entgegen. Dieser versteht diese Aussage der Leitlinie im Übrigen in der Weise, dass auch nachgewiesene schwere Hirnschädigungen nicht zwangsläufig schwere Befindlichkeitsstörungen hervorrufen müssen, was dann – so die Schlussfolgerung des Senats – erst recht für nicht nachgewiesene (axonale) Schädigungen zu gelten hat. Dementsprechend wird unter Ziffer 7.5, vorletzter Absatz der Leitlinie, Seite 15, weiter ausgeführt:
138Kommt es nach einem Schädel-Hirn-Trauma zu anhaltenden psychischen Störungen, sind an deren Anerkennung als Traumafolge – zumal dann, wenn sie ohne weiteres organisches Korrelat einhergehen – hohe Anforderungen zu stellen. Diese Vorgabe hat der Sachverständige N3. beachtet.
139Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass weitere Punkte der Leitlinie den Ausführungen des Sachverständigen N3. entgegenstehen könnten.
1401.1.3.2 Nach der Stellungnahme der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychologie und Nervenheilkunde zur Anwendung von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung vom 28. Januar 2011 (Seite 2 ff.) kann allein mit einem Beschwerdenvalidierungstest weder Aggravation noch Simulation objektiv nachgewiesen werden. Keinesfalls darf ein auffälliger Befund in einem Beschwerdenvalidierungstest von vornherein mit Simulation gleichgesetzt werden. Solche Tests können vielmehr in begründeten Einzelfällen zusätzliche Informationen liefern, wenn die Ergebnisse in einer umfassenden psychiatrischen Gesamtbetrachtung gewürdigt werden, diese umfassende Gesamtwürdigung aber in keinem Fall ersetzen. Die Gesamtbeurteilung kann nur von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenarzt vorgenommen werden, da die zentrale Beurteilungsgrundlage ein umfassender psychopathologischer Befund ist.
141Die Ausführungen des Sachverständigen N3. erfüllen diese Vorgaben. Er selbst ist Facharzt für Neurologie, also Nervenarzt. Bei seiner Untersuchung hat er einen Beschwerdenvalidierungstest (15 Items Test) durchgeführt und aus verschiedenen Standardtests die oben dargestellten Schlüsse gezogen. Anschließend hat er alle Testergebnisse, die Beobachtung der Klägerin während der Testung und die medizinische Vorgeschichte unter Berücksichtigung seines Fachwissens und seiner Erfahrung in einer umfassenden Gesamtbewertung gewürdigt.
1421.1.4 Die Ausführungen des Sachverständigen O1. stellen diejenigen des Sachverständigen N3. nicht durchgreifend in Frage.
143Aus den Feststellungen des Sachverständigen O1. ergibt sich schon nicht deutlich, woran die Klägerin konkret erkrankt sein soll (dazu 1.1.4.1). Unabhängig davon setzt er sich nicht hinreichend mit den vom Sachverständigen N3. genannten Argumenten für antwortverzerrendes Verhalten der Klägerin auseinander (dazu 1.1.4.2). Seine Behauptung, der Sturz der Klägerin habe die in Rede stehenden Beeinträchtigungen verursacht, ist nicht nachvollziehbar begründet (dazu 1.1.4.3).
1441.1.4.1 Die Diagnose des Sachverständigen O1. bleibt letztlich unklar. In seinem Gutachten vom 1. Oktober 2014 diagnostiziert er bei der Klägerin ein schweres dementielles hirnorganisches Psychosyndrom nach Schädel-Hirn-Trauma. Eine Pseudodemenz sowie eine depressive Symptomatik verneint er. In seiner ersten ergänzenden Stellungnahme vom 29. Januar 2015 erläutert er seine Diagnose: Es handele sich um eine Hirnverletzung mit nachfolgendem Psychosyndrom. Dieses sei ein schwer einzustufendes Syndrom mit erheblichen Folgeerscheinungen im Sinne einer hirnorganischen Veränderung der Persönlichkeitsstruktur. Es habe dem Grunde nach eher den Charakter einer depressiven Veränderung als einer Demenz. Alle Vergleiche oder Untersuchungen mit bzw. bei altersdementen Personen hielten bei dieser Art von hirnorganisch bedingtem Psychosyndrom nicht stand. In der zweiten ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen O1. vom 11. Februar 2015 heißt es, die Klägerin leide nicht unter einer schweren Demenz, sondern unter einem schweren hirnorganischen Syndrom, welches sowohl die Kriterien eines depressiven Zustandsbildes als auch die einer Demenz rein ICD-formal einschließe. Man spreche in solchen Konstellationen auch von Pseudodemenz, sofern es sich um eine Depression handele. Während der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2015 hat der Sachverständige O1. ergänzt: Das in Rede stehende Psychosyndrom lasse sich unter der Nomenklatur des aktuellen ICD oder des DSM leider nur mit den Begriffen der Depression und der Demenz abbilden, die der Erkrankung nicht gerecht würden. Eine Demenz liege nicht vor, weil es an einer intellektuellen Minderleistung fehle.
145Aus diesen Angaben ergibt sich für den Senat schon nicht nachvollziehbar und widerspruchsfrei, woran die Klägerin konkret erkrankt sein soll. Das festgestellte Psychosyndrom weist nach den Ausführungen des Sachverständigen O1. depressive und dementielle Aspekte auf, obwohl die Klägerin nach seinen Feststellungen weder depressiv noch dement ist. Der Begriff „Psychosyndrom“ bleibt allerdings ohne diese beiden Umschreibungen wenig konkret.
1461.1.4.2 Der Sachverständige O1. setzt sich nicht hinreichend mit den vom Sachverständigen N3. angeführten Argumenten für antwortverzerrendes Verhalten der Klägerin auseinander. Er hat ein solches Verhalten bei der Klägerin zwar ausgeschlossen. Dies überzeugt jedoch weder methodisch (dazu 1.1.4.2.1) noch inhaltlich (dazu 1.1.4.2.2).
1471.1.4.2.1 Methodisch ist nach der Stellungnahme der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychologie und Nervenheilkunde zur Anwendung von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung vom 28. Januar 2011 für eine Prüfung antwortverzerrenden Verhaltens eine umfassende psychiatrische Gesamtwürdigung erforderlich, die nur von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Nervenarzt vorgenommen werden kann.
148Dieser Vorgabe werden die Ausführungen des Sachverständigen O1. nicht gerecht. Er selbst war nach seinen Angaben nicht während der gesamten dreitägigen Untersuchung anwesend, sondern hat die Klägerin nur psychiatrisch untersucht. Körperlich untersucht hat die Ärztin T. die Klägerin. Die psychologische Untersuchung hat die Rechtspsychologin T2. vorgenommen, die das Gutachten vom 1. Oktober 2014 jedoch nicht mitgezeichnet hat, weshalb zunächst davon auszugehen war, dieser Teil der Untersuchung sei ebenfalls durch den Sachverständigen O1. persönlich erfolgt. Nach dessen Angaben soll indes (allein) Frau T2. bei der Untersuchung der Klägerin durchgehend anwesend gewesen sein. Frau T2. ist aber weder Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie noch Nervenärztin. Sie kann daher nach der eben genannten Stellungnahme der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychologie und Nervenheilkunde die erforderliche umfassende Gesamtwürdigung nicht sachgerecht vornehmen. Der Sachverständige O1. war nicht während der psychologischen Testung anwesend. Deshalb ist nicht nachvollziehbar, wie er bei dieser Ausgangslage eine aussagekräftige umfassende Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung des Verhaltens der Klägerin während der Untersuchungen vornehmen will, wenn er das Verhalten der Klägerin während der psychologischen Untersuchung nicht aus eigener Anschauung zu würdigen vermag.
1491.1.4.2.2 Unabhängig davon überzeugen seine Feststellungen zu fehlendem antwortverzerrendem Verhalten auch inhaltlich nicht. Der Sachverständige O1. hat ein solches Verhalten aufgrund der Ergebnisse verschiedener Tests verneint. Diese sind dazu jedoch entweder ungeeignet oder können antwortverzerrendes Verhalten nicht ausschließen (dazu 1.1.4.2.2.1 bis 1.1.4.2.2.5). Seine Kritik an der Vorgehensweise des Sachverständigen N3. ist unberechtigt (dazu 1.1.4.2.2.6).
1501.1.4.2.2.1 Der Sachverständige O1. hat bei der Testung mit dem Minnesota Multiphasic Personality Inventory Test (MMPI-2) keine Zeichen der Antwortverzerrung gefunden. Bei diesem Persönlichkeitstest sind 567 Feststellungen mit „trifft zu“ oder „trifft nicht zu“ zu beantworten. Üblicherweise benötigen Probanden dafür bis zu 90 Minuten. Die Klägerin hat fast 5 Stunden gebraucht.
151Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen im 1. Ergänzenden Neurologischen Gutachten vom 31. Januar 2015 des Sachverständigen N3. ist der MMPI-2 ungeeignet, um Antwortverzerrungen im Bereich der kognitiven Leistungsfähigkeit aufzudecken. Denn es handelt sich um einen Persönlichkeitstest, der überprüft, ob jemand im Sinne einer sozialen Erwünschtheit antwortet. Es leuchtet ohne Weiteres ein, dass dies etwas ganz anderes ist als die (un)bewusste Minderleistung bei Leistungstests im Bereich Aufmerksamkeit oder Gedächtnis, also bei kognitiven Leistungseinschränkungen.
152Dem sind weder der Sachverständige O1. noch die Klägerin substantiiert entgegengetreten. Zur Geeignetheit dieses Tests hat der Sachverständige O1. in seiner ersten Ergänzung zu seinem Gutachten vom 29. Januar 2015 allgemein ausgeführt, der MMPI-2 enthalte Skalen, die Hinweise auf Validität und Glaubwürdigkeit des Probanden gäben. Dies besagt jedoch nicht, dass diese Skalen sich auf die hier relevanten kognitiven Leistungseinschränkungen beziehen. In seiner zweiten Ergänzung zum Gutachten vom 11. Februar 2015 hat der Sachverständige O1. nur pauschal behauptet, die Klägerin müsste auch in Persönlichkeitsfragebögen auffällig werden, sollte sie versuchen zu simulieren. Soweit er zur Begründung seiner Meinung auf bestimmte Werte dieses Tests (F-K Rohwertdifferenz, T-Wert-Differenz, ?-Werte, L-Werte, K-Werte, VRIN-Wert, TRIN-Wert, Fake-Bad-Scale) verweist, hat er nicht erläutert, dass sie antwortverzerrendes Verhalten bezogen auf die kognitive Leistungsfähigkeit betreffen.
1531.1.4.2.2.2 Der Sachverständige O1. hat weiter bei der Testung mit dem Freiburger Persönlichkeitsinventar (FPI) keine Zeichen der Antwortverzerrung festgestellt.
154Dieser Test ist aus denselben Gründen wie der MMPI-2 ungeeignet, um Antwortverzerrungen im Bereich der kognitiven Leistungsfähigkeit aufzudecken. Dies ergibt sich aus den insoweit überzeugenden Ausführungen im 1. Ergänzenden Neurologischen Gutachten vom 31. Januar 2015 des Sachverständigen N3. .
155Im Ergebnis ebenso Walter/Petermann/Kobelt, Beschwerdenvalidierung: Ein aktueller Überblick, Rehabilitation 2012, 342 (345, 2. Spalte unten), und Dohrenbusch/Henningsen/Merten, Die Beurteilung von Aggravation und Dissimulation in der Begutachtung psychischer und psychosomatischer Störungen, VersMed 2011, 81 (im Abschnitt „Fragebogenmethoden“).
1561.1.4.2.2.3 Im 15 Items Test (Rey Memory Test) während der Untersuchung in der Praxis des Sachverständigen O1. hat die Klägerin alle 15 Symbole korrekt wiedergegeben. Zu diesem Ergebnis hat der Sachverständige N3. ausgeführt, dass er diesen Test ausführlich in seinem Gutachten erklärt habe, so dass dessen nochmalige Durchführung bei vorinformierter Klägerin nicht mehr aussagekräftig sei. Dies leuchtet unmittelbar ein. Im Übrigen spricht dieses Testergebnis dafür, dass die Klägerin bei der Durchführung des 15 Items Tests während der Untersuchung durch den Sachverständigen N3. nicht wegen einer generell begrenzten kognitiven Leistungsfähigkeit schlecht abgeschnitten hat.
1571.1.4.2.2.4 In den Ergebnissen des Tests Structured Inventory of Malingered Symptomatology (SIMS) hat der Sachverständige O1. ebenfalls keine Aggravation bei der Klägerin erkennen können. Nach seinen Angaben handelt es sich um einen Selbsteinschätzungsfragebogen, der die Frage beantworten soll, ob ein Proband simuliert oder aggraviert, und der in der psychologischen Diagnostik zu Beschwerdevalidierungszwecken eingesetzt wird. Die Klägerin hat einen Wert von 15 erzielt. Der Sachverständige O1. hält einen Cut-Off-Wert von 16 für sachgerecht und weist darauf hin, dass manche Autoren sogar einen Cut-Off-Wert von 19 bis 24 für richtig hielten. Oberhalb des Cut-Off-Wertes liegt eine Simulation nahe. Der Sachverständige N3. hat geltend gemacht, das Ergebnis der Klägerin sei keineswegs unauffällig; in der Literatur werde der Cut-Off-Score teilweise schon bei 14 angesetzt.
158Der Senat kann nicht aus eigenem Sachverstand beurteilen, welcher Cut-Off-Wert bei diesem Test sinnvollerweise gelten soll, ob also gemessen an dem Zweck, zu welchem der Test hier eingesetzt worden ist, eher Abstriche bei der Sensitivität (durch Wahl eines höheren Cut-off-Wertes) oder bei der Spezifität (durch Wahl eines niedrigeren Cut-off-Wertes) hingenommen werden können und sollen.
159Vgl. insoweit näher den von beiden Sachverständigen in ihren schriftlichen Stellungnahmen in Anspruch genommenen Artikel von van Impelen, Merckelbach, Jelicic und Merten, „The Structured Inventory of Malingered Symptomatology (SIMS): A Systematic Review and Meta-Analysis, in der Zeitschrift „The Clinical Neuropsychologist“ 12/2014; 28(8): 1 – 30, insb. 20 ff. („Optimal cutoff“).
160Die Ausführungen der beiden Sachverständigen zu diesem Punkt zeigen jedoch, dass der Wert 15 verschieden interpretiert werden kann und allein aus diesem Wert keine eindeutigen Schlüsse zu ziehen sind, weder zugunsten noch zu Lasten der Klägerin. Selbst wenn das Ergebnis des SIMS-Tests hier als unauffällig im Hinblick auf eine Aggravation zu bewerten sein sollte, sprechen weiterhin die vom Sachverständigen N3. benannten Umstände für ein antwortverzerrendes Verhalten der Klägerin.
1611.1.4.2.2.5 Die weiteren vom Sachverständigen O1. angeführten Testergebnisse stehen den Feststellungen des Sachverständigen N3. zu antwortverzerrendem Verhalten der Klägerin nicht entgegen. Denn sie beziehen sich auf andere Eigenschaften, Fähigkeiten oder Umstände: Die Tests FPI und MMPI-2 erfassen über die oben gewürdigten Aspekte hinaus die Persönlichkeitsstruktur der Klägerin. Der Beck´sche Depressionsfragebogen bezieht sich auf eine depressive Symptomatik. Der RAVEN-Test testet die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Klägerin. Aus der tiefenpsychologischen Testung im TAT hat der Sachverständige O1. nichts zu einer Antwortverzerrung abgeleitet. Soweit die Konzentrationsfähigkeit der Klägerin nach dem Konzentrationsleistungstest und nach dem d2‑R Test unterdurchschnittlich ist, besagt dies nichts darüber, ob dies auch ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht oder ob schlechte Ergebnisse durch mangelnde Leistungsbereitschaft zu erklären sein könnten. Dasselbe gilt für die Ergebnisse des Uhren-Zeichen-Tests, des Zahlenverbindungstests und der Beobachtung beim Nachsprechen von mehreren vorgegebenen Begriffen oder mehrstelligen Zahlen.
162Nach den Feststellungen des Sachverständigen O1. befindet sich die Klägerin nach dem Mini-Mental-Status-Test (MMST) und dem DemTect-Test an der Grenze zur Demenz bzw. besteht eine milde kognitive Beeinträchtigung; deutliche Defizite bestehen im verbalen Gedächtnis der Klägerin. Diese Feststellungen besagen als solche nichts darüber, ob die Testergebnisse durch eine Antwortverzerrung zu erklären sein könnten. Denn dass die Klägerin in Tests teilweise schlechte Ergebnisse betreffend ihre Gedächtnisleistung erzielte, hat auch der Sachverständige N3. festgestellt. Er hat die Ergebnisse jedoch nicht einfach unkritisch hingenommen, sondern hinterfragt, ob sie durch andere Ursachen als durch objektiv schlechte Gedächtnisleistungen zu erklären sein könnten. Im Übrigen hat er darauf hingewiesen, dass der Sachverständige O1. keine eigenen Gedächtnistests durchgeführt hat. Dem hat der Sachverständige O1. nicht substantiiert widersprochen: Er hat dazu lediglich ausgeführt, er habe im Gespräch mit der Klägerin Gedächtnisstörungen festgestellt; so habe die Klägerin drei vorgegebene Worte nach 5 Minuten nicht mehr benennen können.
1631.1.4.2.2.6 Die Kritik des Sachverständigen O1. an der Vorgehensweise des Sachverständigen N3. und dessen Bewertung der Testergebnisse überzeugt nicht.
164Er bemängelt zunächst, der Sachverständige N3. habe zum Teil psychologische Tests verwendet, die nicht zum Nachweis einer Simulation/Aggravation entwickelt worden und auch nicht dafür „zugelassen“ seien, so z. B. den Alertness-Test, Go/Nogo-Test und den Test zur Prüfung der geteilten Aufmerksamkeit aus der Testbatterie der Aufmerksamkeitsprüfung.
165Dem ist entgegenzuhalten, dass es bisher in der Begutachtungspraxis in Deutschland keinen Konsens darüber gibt, welche und wie viele der Beschwerdenvalidierungstests sinnvollerweise zum Einsatz kommen sollten.
166So Dreßing/Widder/Foerster, Kritische Bestandsaufnahme zum Einsatz von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung, VersMed 2010, 163 (am Ende des Abschnitts „Beschwerdenvalidierungstests“; ebenso der Sachverständige N3. , S. 10 seines 1. ergänzenden Neurologischen Gutachtens vom 31. Januar 2015.
167Auch der Sachverständige O1. hat keine entsprechenden Empfehlungen oder Richtlinien medizinischer oder psychologischer Fachgesellschaften benannt. Solche sind auch sonst nicht ersichtlich. Im Übrigen hat der Sachverständige N3. ausführlich und nachvollziehbar begründet, dass und warum sich aus der Verhaltensanalyse und der genauen Analyse der Testergebnisse verwertbare Hinweise auf antwortverzerrendes Verhalten ergeben können.
168Der Sachverständige O1. kritisiert weiter, der Sachverständige N3. habe eine hirnorganische Erkrankung und eine etwaige Demenz nicht überprüft und berücksichtigt. Diese Kritik ist unberechtigt. Der Sachverständige N3. hat diese Diagnosen bei der Klägerin begründet verneint. Im Übrigen ist die Klägerin sogar nach den eigenen Feststellungen des Sachverständigen O1. allenfalls leicht dement. Dies ergibt sich auch aus den Testergebnissen des Klinikums der Universität zu L. vom 25. November 2004, den neurologischen Kurzbefunden von Prof. Dr. L3. , Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universität L. , vom 14. Januar 2005 und vom 15. April 2005 sowie dem Gutachten von Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. vom 12. Juli 2010 (Testergebnisse im MMST von 24 bis 25 Punkten sprechen für allenfalls leichte Demenz, und Testergebnisse im DemTect-Test von 4 über 6 bis zu 10 bzw. 9 Punkten legen zuletzt nur noch eine milde kognitive Beeinträchtigung nahe). Außerdem hat der Sachverständige N3. überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei einer Demenzerkrankung oder auch einer hirnorganischer Erkrankung andere Ergebnisse zu erwarten gewesen wären als die von der Klägerin erzielten: Z. B. wirkt sich beim 15 Items Test nur eine schwere Demenzerkrankung auf das Testergebnis aus.
169Der Sachverständige O1. meint ferner, die fehlende Lernkurve und der fehlende serielle Positionseffekt beim VLMT könnten auch durch eine hirnorganische Erkrankung zu erklären sein. Dazu hat der Sachverständige N3. erläutert, eine fehlende Lernkurve sei auch bei Patienten mit einer hirnorganischen Störung ungewöhnlich. Unter Berufung auf medizinische Untersuchungen hat er darauf hingewiesen, dass eine Demenz den Primacy-Effekt nivellieren könne, nicht aber völlig beseitige. Soweit der Sachverständige O1. anführt, die Klägerin könne sich nur die letzten Worte einer Wortliste merken, besagt diese Feststellung nichts darüber, ob dies ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit entspricht, oder ob sie die Wiedergabe der ersten Wörter der Liste (un)bewusst unterdrückt.
170Aus dem unsystematischen langsamen Arbeiten der Klägerin beim Kopieren und Reproduzieren der Rey-Figur hat der Sachverständige N3. entgegen der Annahme des Sachverständigen O1. keine Schlüsse für eine Antwortverzerrung gezogen.
171Soweit der Sachverständige O1. darauf hinweist, Ergebnisse aus Untertests wie dem Test Zahlennachsprechen aus der Harvey-Testbatterie und dem Test logisches Gedächtnis aus dem Test Wechsler-Memory-Scale seien ohne die Durchführung des vollständigen Testverfahrens nur mit Vorsicht zu interpretieren, hat der Sachverständige N3. dies getan. Er hat die Testergebnisse, das Verhalten der Klägerin während der Untersuchung und ihre medizinische Vorgeschichte umfassend gewürdigt.
172Die pauschale Kritik des Sachverständigen O1. , Ad-hoc-Wortlisten seien nicht valide, überzeugt nicht. Er hat schon nicht erläutert, aus welchen Gründen dies der Fall sein sollte und warum es für das Testverfahren gerade auf bestimmte Wörter in den Listen ankommen könnte, wenn es darum geht, sich überhaupt Wortlisten zu merken. Vor allem aber hat der Sachverständige N3. ausführlich und nachvollziehbar begründet, zu welchem Zweck er solche Wortlisten verwendet hat: Nachdem beim Wortlistentest mit den vorgegebenen Listen der Primacy-Effekt gefehlt hatte, hat er mit weiteren Wortlisten geprüft, ob es sich dabei um einen Zufallsbefund gehandelt haben könnte. Es ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich, aus welchem Grund eine solche Überprüfung einer Hypothese methodisch falsch sein könnte.
173Der Sachverständige O1. hält dem Sachverständigen N3. weiter vor, dessen Beobachtung, die Klägerin habe während des Go/Nogo-Tests aktiv Reaktionen zurückgehalten, sei eine rein subjektive Einschätzung. In seiner Befragung während der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2015 hat der Sachverständige N3. seine Beobachtung erläutert: Die Klägerin hat während dieses Tests Bewegungen zur Taste vollführt, die Taste dann aber nicht gedrückt. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung erscheint die Folgerung des Sachverständigen N3. nachvollziehbar.
174Im Ergebnis ohne Erfolg weist der Sachverständige O1. darauf hin, dass ein unauffälliger somatisch-neurologischer Befund nach dem Unfallereignis eine substanzielle Hirnschädigung nicht ausschließe. Denn aus dieser allgemein bestehenden Möglichkeit folgt nicht, dass dies auch bei der Klägerin der Fall ist.
175Der Hinweis des Sachverständigen O1. , aus den vor dem Gutachten des Sachverständigen N3. erstellten neuropsychologischen Gutachten ergäben sich keine Hinweise auf antwortverzerrendes Verhalten bei der Klägerin, spricht nicht gegen die Richtigkeit der Feststellungen des Sachverständigen N3. . Denn selbst wenn die Klägerin in früheren Untersuchungen kein antwortverzerrendes Verhalten gezeigt hat, schließt dies nicht aus, dass dies während der Untersuchung durch den Sachverständigen N3. erfolgt ist. Unabhängig davon geben diese Gutachten – soweit sie sich mit der Möglichkeit antwortverzerrenden Verhaltens befassen – die dortige Einschätzung nur ergebnishaft wieder; es mangelt an einer ausführlichen und nachvollziehbaren Begründung. Soweit die Gutachter das Vorliegen einer Simulation mit dem schlichten Hinweis darauf verneint haben, demente Menschen zeigten ähnliche Testergebnisse (neuropsychologisches Gutachten von Dipl.-Psych. L2. vom 8. Juli 2008, Seite 14, neuropsychologisches Gutachten von Dr. rer. physiol. T1. vom 7. Juli 2010, Seite 27), stehen dieser Erklärung die näher begründeten Feststellungen der Sachverständigen N3. und O1. sowie weiterer Ärzte, welche die Klägerin in den vergangenen Jahren untersucht haben, entgegen, wonach die Klägerin nicht oder allenfalls leicht dement ist (siehe dazu weiter oben unter dem vorliegenden Gliederungspunkt).
176Der Sachverständige O1. bemängelt weiter, der Sachverständige N3. habe die Reihenfolge und das Maß zur Beurteilung von Antwortverzerrungen nach den sog. Slick-Kriterien nicht eingehalten. Dieser Vorwurf greift nicht durch. Wie oben erläutert, hat der Sachverständige N3. diese Kriterien geprüft und etliche davon bejaht. Insbesondere hat er auch andere Erklärungen als eine Antwortverzerrung für die von der Klägerin produzierten Ergebnisse in Betracht gezogen. Dass der Sachverständige O1. meint, es sei zunächst das Slick-Kriterium D zu prüfen, ist nicht nachvollziehbar. Denn das Slick-Kriterium D lässt sich schon nach der von ihm selbst vorgelegten Definition erst nach den Kriterien B oder C prüfen: „Kriterium D: Die Verhaltensweisen, die unter B und C aufgeführt sind, dürfen nicht vollständig durch psychiatrische, neurologische oder Entwicklungsfaktoren erklärt werden.“ Wie der Sachverständige O1. in methodisch korrekter Weise zu der Ansicht gekommen sein will, er sei vor der Prüfung der Kriterien B und C nach der Prüfung des Kriteriums D zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die geklagten Beschwerden und Symptome der Klägerin mit dem Vorliegen einer traumatisch bedingten hirnorganischen Schädigung vereinbar seien, bleibt unerfindlich.
177Der Sachverständige O1. macht weiter geltend, das Vorliegen einer authentischen Störung schließe Antwortverzerrungen nicht aus. Dieser allgemeine Einwand führt hier nicht weiter: Er besagt nichts darüber, ob dies auch bei der Klägerin der Fall ist. Im Übrigen ließe sich in einem solchen Fall nicht feststellen, in welchem Umfang eine authentische Störung vorhanden wäre. Weiter gibt der Sachverständige O1. zu bedenken, dass verschiedene Faktoren wie z. B. Frustration, Unlust, Langeweile oder Erschöpfung die Testergebnisse beeinflussen und diese Ergebnisse innerhalb einer Testung im zeitlichen Verlauf deswegen erheblich schwanken könnten. All dies schließt jedoch eine Antwortverzerrung nicht per se aus.
178Ohne Erfolg wendet der Sachverständige O1. ein, die Klägerin sei nicht in der Lage, komplexe Testanweisungen zu begreifen und diese problemlos zu bewältigen. Er mag dies während seiner Untersuchung festgestellt haben. Der Sachverständige N3. hat während seiner Untersuchung demgegenüber beobachtet, dass die Klägerin durchaus in der Lage war, komplexe Testanweisungen zu verstehen und umzusetzen. Dass diese Beobachtung des Sachverständigen N3. , der solche Untersuchungen seit Jahren selbst durchführt und Erfahrung auf diesem Gebiet besitzt, falsch gewesen sein sollte, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
179Der Sachverständige O1. sieht in der Feststellung, dass die Klägerin lange Spaziergänge mit dem Hund verrichte, keinen Widerspruch zu dem von ihm diagnostizierten schweren dementiellen Syndrom. Denn sie sei gerade nicht hochgradig dement. Letzteres hat jedoch auch der Sachverständige N3. nicht behauptet. Dieser hat aus den Spaziergängen der Klägerin mit einem Hund keine Schlüsse gezogen; dies geschah vielmehr durch den von der Beklagten eingeschalteten Dr. N2. in dessen 5. Stellungnahme für die Sachbearbeitung vom 11. Dezember 2014.
180Schließlich hält der Sachverständige O1. dem Sachverständigen N3. vor, während dessen Untersuchung sei das dabei notwendige affektive Reset nicht erfolgt. Dazu hat der Sachverständige N3. entgegnet, der Proband bei einer Untersuchung solle sich zwar wohlfühlen. Er hat aber zu Recht darauf hingewiesen, dass der Wohlfühlfaktor bei Untersuchungen im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens meist begrenzt ist. Dies liegt daran, dass in diesem Fall ein gewisser Druck vorhanden ist, weil der Ausgang des Gerichtsverfahrens vom Gutachten abhängen kann. Außerdem hat der Sachverständige N3. bekundet, dass bei der von ihm durchgeführten Untersuchung ein affektives Reset nicht notwendig gewesen sei. Dass der Sachverständige N3. die sich für die Klägerin aus der Untersuchungssituation ergebenden Beschwernisse so gering wie möglich halten wollte, ergibt sich im Übrigen bereits daraus, dass er sie zur Untersuchung bewusst nach I1. eingeladen hat, um ihr den noch weiteren Anreiseweg von G. nach M1. zu ersparen.
1811.1.4.3 Die Behauptung des Sachverständigen O1. , der Sturz der Klägerin habe die in Rede stehenden Beeinträchtigungen verursacht, ist weder anhand seiner Ausführungen noch sonst nachvollziehbar.
182Vor dem Hintergrund, dass in bildgebenden Verfahren keine Verletzung festgestellt werden konnte, leitet der Sachverständige O1. seine entsprechende Behauptung zur Kausalität der Sache nach letztlich aus den dafür typischen Symptomen her, die er bei der Klägerin als erfüllt ansieht, sowie aus einer verlässlichen Fremdanamnese. Dementsprechend führt er in seiner 1. Ergänzung zu seinem Gutachten vom 29. Januar 2015 aus, man sollte die bestehenden Symptome den primär möglichen Ursachen zuzuordnen versuchen, bevor man gutachtlich Untersuchungen zu Antwortverzerrungen unternehme. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2015 hat der Sachverständige O1. ausgeführt, hier hätten drei Dinge zusammengepasst: ein auslösendes Ereignis, entsprechende Eingangsbefunde sowie der Umstand, dass die Klägerin vorher gesund gewesen sei, nach dem Treppensturz aber nicht mehr. Im Übrigen sei für ihn keine andere Ursache erkennbar.
183Diese Ausführungen bilden keine Grundlage für die Annahme, der Dienstunfall sei im dienstunfallrechtlichen Sinne, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, kausal für die Beschwerden der Klägerin. Dies liefe im Ergebnis auf einen Anscheinsbeweis hinaus, dessen Voraussetzungen aber nicht gegeben sind: Die Klägerin wies zwar typische Symptome eines Schädel-Hirn-Traumas auf. Es mag auch sein, dass die in Rede stehenden Beschwerden mit einer axonalen Schädigung vereinbar sind. Der Schluss von den Symptomen auf die Ursache ist jedoch hier nicht im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit möglich. Denn bei den in Rede stehenden Beeinträchtigungen handelt es sich nach medizinischer Ansicht um ungewöhnliche und atypische Folgen eines leichten Schädel-Hirn-Traumas. Die auf medizinischen Sachverstand gestützte Erfahrung spricht also gerade nicht dafür, dass die von der Klägerin gezeigten Symptome auf eine bestimmte Ursache (Treppensturz) zurückgehen. Außerdem hat der Sachverständige N3. antwortverzerrendes Verhalten festgestellt. Damit liegt für die teilweise schlechten Testergebnisse der Klägerin eine plausible andere Erklärung als das Unfallereignis vor. Die Kausalität zwischen den Beschwerden und dem Dienstunfall bleibt damit zumindest unklar.
1841.1.5 Die Ergebnisse anderer medizinischer Gutachter, die die Klägerin früher untersucht haben, stehen den Feststellungen des Sachverständigen N3. zu antwortverzerrendem Verhalten und der fehlenden Kausalität zwischen Beschwerden und Dienstunfall im Ergebnis nicht entgegen.
1851.1.5.1 In ihrem fachpsychiatrischen Gutachten vom 19. Dezember 2006 stellte Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. u. a. fest, beim Unfallereignis handele es sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit um die alleinige Ursache des organisch-amnestischen Syndroms. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, es gebe keinerlei Hinweise, dass eines oder mehrere der aufgeführten Symptome oder die genannten Störungen bereits vor dem Unfall bestanden hätten. Dies mag richtig sein, begründet aber keine Kausalität im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit.
186Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. kam in ihrem weiteren fachpsychiatrischen Gutachten vom 12. Juli 2010 zum Ergebnis, die Klägerin leide unter einem mittelgradigen dementiellen Syndrom, welches diagnostisch laut ICD 10 am ehesten als nicht näher bezeichnete Demenz oder Demenz bei anderen Erkrankungen einzuordnen sei. Ursache dafür sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Schädelhirntrauma von Mai 2004 als diffuse axonale Schädigung. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 13. Januar 2011 hat Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. ihr Gutachten weiter erläutert: Der Unfall sei mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Ursache der Defizite, ohne dass bildgebend etwas hätte erfasst werden können. Bei solchen Störungen auf molekularer Ebene mit entsprechenden Auswirkungen, die nicht abgebildet werden könnten, richte man sich nach der Symptomatik. Wesentlich mitentscheidend für die Diagnose sei der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Symptomatik gewesen. Der Kausalzusammenhang sei höchst wahrscheinlich (80 bis 90%). Anhaltspunkte für anderweitige Ursachen gebe es nicht. Nachdem Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. in ihrem Gutachten noch ausgeführt hatte, die Marklagerläsion sei wahrscheinlich nicht ausreichend für die Begründung der umfangreichen Defizite der Klägerin, hat sie in der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren erklärt, sie habe das Wort „wahrscheinlich“ gestrichen, weil es verwirrend sei. Auch wenn die Marklagerläsion ein Zeichen für die diffuse axonale Schädigung sein könne, wäre eine Kausalität gegeben.
187Der Sache nach hat sie damit von den Symptomen der Klägerin auf das Vorliegen einer axonalen Schädigung geschlossen und aus dem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Sturz und dem Beginn der Symptome die Kausalität hergeleitet, zumal andere Ursachen für sie nicht ersichtlich waren. Dem für die Kausalität im Dienstunfallrecht geltenden Beweismaßstab einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit genügt dies schon nach ihrer eigenen Wortwahl nicht. Eine Wahrscheinlichkeit von nur 80 bis 90% ist eine überwiegende, aber keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit. Dessen ungeachtet läuft ihre Schlussfolgerung auf einen Anscheinsbeweis hinaus, der aber aus den schon erwähnten Gründen hier nicht zulässig ist. Ist danach die Kausalität zwischen dem Dienstunfall und den Beschwerden der Klägerin nicht im dienstunfallrechtlichen Sinne bewiesen, steht das Gutachten von Dr. Dipl.-Psych. H. -N1. vom 12. Juli 2010 den Feststellungen des Sachverständigen N3. und der Annahme einer fehlenden Kausalität nicht entgegen.
1881.1.5.2 Dipl.-Psych. L2. konnte in ihrem neuropsychologischen Gutachten vom 8. Juli 2008 nicht feststellen, dass die Klägerin simuliert. Dies schließt nicht aus, dass die Klägerin während der Untersuchung durch den Sachverständigen N3. antwortverzerrendes Verhalten gezeigt hat (siehe dazu auch oben unter 1.1.4.2.2.6).
1891.1.5.3 Nach dem neurologischen Gutachten vom 30. Juli 2008 von Prof. Dr. U. war bei den Beeinträchtigungen der Klägerin am ehesten an eine inzwischen vermutlich fixierte, nicht unfallbedingte dissoziative Störung z. B. im Sinne einer dissoziativen Amnesie zu denken. Eine solche Störung muss ein antwortverzerrendes Verhalten nicht notwendig ausschließen. Die Diagnose eines organisch-amnestischen Syndroms hielt Prof. Dr. U. bei vollständig fehlendem Nachweis eines Primärschadens für nicht nachvollziehbar. Diese Aussage deckt sich mit den Ausführungen des Sachverständigen N3. . Dass Prof. Dr. U. auf der Grundlage des gerade genannten Gutachtens von Dipl.-Psych. L2. vom 8. Juli 2008 nicht von einer Simulation ausging, steht den Feststellungen des Sachverständigen N3. aus denselben Gründen wie eben ausgeführt nicht entgegen.
1901.1.5.4 Dr. rer. physiol. T1. verneinte in ihrem neuropsychologischen Gutachten vom 7. Juli 2010 eine Aggravation/Simulation der Klägerin. Auch wenn dies zutreffend gewesen sein mag, schließt dies ein antwortverzerrendes Verhalten während der Untersuchung durch den Sachverständigen N3. nicht aus (siehe dazu auch oben unter 1.1.4.2.2.6). Zur Kausalität zwischen dem Dienstunfall und den Beschwerden der Klägerin führt Dr. T1. aus, es hätten sich keine Hinweise auf das Vorliegen weiterer möglicher Ursachen für die detektierten Symptome ergeben. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sei das dementielle Syndrom Folge des Schädelhirntraumas. Diese Aussagen belegen aus den schon erwähnten Gründen keine Kausalität im Sinne einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit.
1911.1.6 Die von der Klägerin bzw. dem Sachverständigen O1. geltend gemachten Bedenken hinsichtlich der fachlichen Kompetenz (dazu 1.1.6.1), der Unparteilichkeit (dazu 1.1.6.2) und dem Ablauf der Untersuchung (dazu 1.1.6.3) des Sachverständigen N3. greifen nicht durch.
1921.1.6.1 Der Sachverständige O1. hat die fachliche Kompetenz des Sachverständigen N3. in Frage gestellt, indem er angezweifelt hat, dass dieser als Nichtpsychologe befähigt gewesen sei, psychologische Tests nach den einschlägigen Kriterien der Testdiagnostik durchzuführen und zu beurteilen. Dies stellt die Ausführungen des Sachverständigen N3. nicht in Frage. Zum einen hat die Bundesärztekammer den Sachverständigen N3. auf Nachfrage des Senats als Gutachter gerade für die in Rede stehenden Beeinträchtigungen und Fragestellungen empfohlen. Daher ist davon auszugehen, dass er fachlich dazu in der Lage war. Zum anderen kann nach der Stellungnahme der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychologie und Nervenheilkunde zur Anwendung von Beschwerdenvalidierungstests in der psychiatrischen Begutachtung vom 28. Januar 2011 die Gesamtbeurteilung, ob antwortverzerrendes Verhalten vorliegt, u. a. nur von einem Nervenarzt vorgenommen werden. Diese Voraussetzung erfüllt der Sachverständige N3. . Außerdem hat er nach eigenen Angaben langjährige Erfahrungen in der neuropsychologischen Testung und Begutachtung. Aus welchen Gründen er vor diesem Hintergrund fachlich nicht in der Lage gewesen sein sollte, die notwendigen Testverfahren sachgerecht selbst anzuwenden, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
1931.1.6.2 Ohne Erfolg behauptet der Sachverständige O1. in seinem Gutachten vom 1. Oktober 2014, der Sachverständige N3. sei gegenüber der Klägerin voreingenommen gewesen. Zur Begründung führt er der Sache nach im Wesentlichen an, die Ausführungen des Sachverständigen N3. seien inhaltlich nicht nachvollziehbar. Der Umstand, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger zu anderen Ergebnissen kommt als der ursprünglich von der Klägerin beauftragte Sachverständige, genügt jedoch nicht ansatzweise für die Annahme einer Unparteilichkeit des gerichtlich beauftragten Sachverständigen. Ansonsten könnte man ohne Weiteres auch die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen O1. in Zweifel ziehen und von vornherein von seiner Parteilichkeit zugunsten der Klägerin ausgehen. Dass die Ergebnisse des Sachverständigen N3. nicht den Erwartungen der Klägerin und den Einschätzungen des Sachverständigen O1. entsprechen, stellt keinen Beleg für eine Voreingenommenheit des Sachverständigen N3. dar, zumal dieser seine Ergebnisse ausführlich und nachvollziehbar begründet hat. Im Übrigen sind Anhaltspunkte für eine Voreingenommenheit weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Umstand, dass der Sachverständige N3. die Untersuchung der Klägerin in I1. und nicht in M1. durchgeführt hat, um ihr einen noch weiteren Anreiseweg zu ersparen, zeigt vielmehr, dass er bereit war, auf ihre Belange Rücksicht zu nehmen.
1941.1.6.3 Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 28. Mai 2013 den Ablauf der Untersuchung durch den Sachverständigen N3. kritisiert, führt dies nicht dazu, dass dessen Gutachten und weitere Ausführungen nicht verwertbar wären. Der Sachverständige N3. hat sich zu den entsprechenden Vorwürfen der Klägerin in einer am 17. Juni 2013 bei Gericht eingegangenen Stellungnahme und in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2013 geäußert. Eine etwaige Voreingenommenheit oder ein etwaiges methodisch falsches Vorgehen während einer Untersuchung ergeben sich daraus nicht. Im Einzelnen:
195Der Sachverständige N3. hat die Klägerin nicht ins Universitätsklinikum T3. -I2. , sondern nach I1. ins „K. “ zur Untersuchung gebeten, um ihr einen noch weiteren Anreiseweg von ihrem Heimatort G. zu ersparen. Dies belegt ein Entgegenkommen seitens des Sachverständigen und ist ihm nicht vorzuwerfen.
196Die Klägerin hat die Raumverhältnisse dort für extrem beengt gehalten, zumal auch ihr Vater dabei gewesen ist. Der Sachverständige N3. hat eine Skizze zur Anordnung von Mobiliar und Personen während der Untersuchung vorgelegt. Er hat dazu erläutert, der Untersuchungsraum sei etwa 20 m² groß gewesen und habe ein Fenster gehabt. Der Schreibtisch sei etwa 1,10 m lang gewesen, auf dem an der einen Seite ein Bildschirm aufgestellt gewesen sei. Zur Bearbeitung der Testbögen seien auf dem Tisch etwa 70 cm Platz gewesen. Diesen Angaben hat die Klägerin nicht widersprochen. Damit sind keine für eine Untersuchung ungeeigneten räumlichen Verhältnisse feststellbar.
197Die Klägerin rügt weiter, auf anfängliche Fragen habe sie jeweils nur kurz antworten können; bei Denkpausen habe der Sachverständige gleich die nächste Frage gestellt. Der Sachverständige N3. hat dazu vorgetragen: Die Klägerin habe auch bei einfachsten Fragen Pausen von bis zu einer halben Minute gemacht; er habe diese Pausen durch Stellen der nächsten Frage beendet. Der Senat vermag nicht selbst zu bewerten, wann und inwieweit es aus gutachterlicher Sicht sinnvoll sein kann, eine Antwort eines Probanden auch noch längere Zeit abzuwarten. Dazu hat auch die Klägerin nichts weiter vorgetragen. Aufgrund der unter 1.1.6.1 genannten Gründe geht der Senat davon aus, dass der Sachverständige N3. in der Lage war, die Begutachtung sachgerecht durchzuführen.
198Die Klägerin hat sich während der Untersuchung durch das Eingehen von SMS-Meldungen auf dem Handy des Sachverständigen gestört gefühlt, das zwischen ihr und dem Sachverständigen gelegen habe. Der Sachverständige N3. hat nicht ausschließen können, dass sein Handy, das er zur Zeitmessung benutzt habe, möglicherweise eingegangene SMS durch kurze Piepsignale angezeigt habe. Dass sich dies entscheidend auf die Testergebnisse insgesamt ausgewirkt haben und insbesondere die von dem Sachverständigen N3. aufgezeigten Auffälligkeiten erklären könnte, ist jedoch weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
199Die Klägerin macht auch geltend, während der Tests am Bildschirm habe der Sachverständige seitlich dicht hinter ihr auf einer Behandlungsliege gesessen, sie beobachtet und lange auf einem Handy getippt. Dadurch habe sie sich sehr unwohl gefühlt und sei unruhig geworden; sie habe sich nicht mehr auf die Tests konzentrieren können und nur noch wahllos geklickt. Der Sachverständige N3. hat dazu vorgetragen: Da die meisten der vorgelegten Testverfahren feste zeitliche Vorgaben hätten, habe er die Stoppuhr-Funktion seines Handys zur Bestimmung der Zeiten verwendet. Dies erklärt das Tippen auf dem Handy. Den Laptop habe er zur Durchführung bestimmter computergestützter Tests zur Aufmerksamkeitsprüfung aufgestellt. Er habe sich seitlich hinter die Klägerin platziert, um ihr die auf dem Bildschirm zu lesenden Erklärungen vorzulesen und um auf die unterschiedlichen Symbole während der Testphase zu deuten. Die Beobachtung während der Testphase gehöre zur sorgfältigen Durchführung einer psychologischen Testung. Dies leuchtet ein. In der Beschreibung des äußeren Ablaufs stimmen die Darstellungen der Klägerin und des Sachverständigen N3. überein. Die Erklärungen des Sachverständigen N3. dazu sind plausibel und lassen keine Fehler erkennen.
200Bei einer ungewöhnlich langen Testung sind nach dem Gefühl der Klägerin keine zu erkennenden Doppelbilder mehr aufgetreten; sie hat dann nicht mehr gewusst, welche Reaktion bei ihr jetzt habe hervorgerufen werden sollen. Der Sachverständige N3. hat dies wie folgt erläutert: Dabei habe es sich um eine Testbatterie von 12 verschiedenen Tests zur Aufmerksamkeitsprüfung gehandelt. U. a. sei die Daueraufmerksamkeit einer Testperson unter Monotoniebedingungen geprüft worden. Demnach waren die Testbedingungen bewusst so ausgestaltet, wie die Klägerin sie geschildert hat. Ein Fehler liegt darin nicht.
201Nach den Angaben der Klägerin hat der Sachverständige während einer Pause im Flur telefoniert und u. a. über C1. , möglicherweise über die dort erfolgte frühere Begutachtung der Klägerin, gesprochen. Der Sachverständige N3. hat dies teilweise bestritten: Er habe zwar außerhalb des Testraumes mit größerem Abstand zu diesem mit seiner Klinik in M1. telefoniert; von C1. sei aber keine Rede gewesen. Allein aus einem solchen Telefonat folgen weder Untersuchungsfehler noch eine Voreingenommenheit des Sachverständigen.
202Als die Klägerin eine schriftliche Aufgabe habe lösen sollen, habe der Sachverständige bereits seinen Laptop abgebaut und seien Unterlagen zusammengepackt; dadurch sei eine erhebliche Unruhe eingetreten. Der Sachverständige N3. hat dazu angegeben, er habe den Laptop zum Schluss der Untersuchung vom Tisch genommen, um einen papier-basierten Test durchführen zu können. Dagegen ist nichts einzuwenden. Dass sich die dadurch angeblich verursachte Unruhe entscheidend auf die Testergebnisse ausgewirkt haben könnte, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
203Die Klägerin meint weiter, eine psychologische Testung wie bei den Vorgutachten sei nicht erfolgt; der Sachverständige habe Testbögen scheinbar wahllos aus einem Stapel gezogen. Der Sachverständige N3. hat dazu erläutert: Der überwiegende Teil seiner Begutachtung sei der psychologischen Untersuchung gewidmet gewesen. Bei schwierigen Fragestellungen führe er die im Rahmen einer psychologischen Untersuchung notwendigen Testungen selbst durch, um die Testperson währenddessen beobachten zu können. Er habe der Klägerin verschiedene Aufgaben mehrfach vorgelegt, um die Konsistenz ihres Antwortverhaltens zu überprüfen. Hierfür habe er die Testbögen jeweils aus einem Stapel von Testbögen ziehen müssen. Diese Erläuterungen sind ohne Weiteres nachvollziehbar. Dass der Sachverständige N3. auch psychologische Tests durchgeführt hat, hat auch der Sachverständige O1. bestätigt. Der Umstand, dass die Klägerin diese Tests nicht als psychologische Tests erkannt hat, besagt nichts, weil sie dies nach ihrer Ausbildung und ihren Kenntnissen nicht fachgerecht beurteilen kann.
204Schließlich hält die Klägerin es für unprofessionell, dass der Sachverständige N3. ihr am Schluss einige Fragebögen zu Depressionen mitgegeben habe, die sie zu Hause habe ausfüllen und ihm zusenden sollen, obwohl damit nicht gesichert sei, dass sie sie selbst ausfülle. Dem Sachverständigen N3. war jedoch bewusst, dass solche Selbstauskunftsbögen vorsichtig zu interpretieren sind. Nach seinen Angaben ist es üblich, diese Tests ohne Beisein des Untersuchers ausfüllen zu lassen. Dass die Klägerin sie nicht zurückgesandt hat, hat er als problemlos für die Erstellung des Gutachtens angesehen.
2051.2 Da sich ein Körperschaden im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG in Form von neuropsychologischen Defiziten und psychischen Einschränkungen nicht feststellen lässt, kann auch keine Kausalität zwischen diesem und dem Dienstunfall vom 6. Mai 2004 bejaht werden. Soweit die Klägerin an einer Depression und an chronischem Kopfschmerz leidet, besteht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen N3. kein Zusammenhang mit dem Unfall (dazu oben 1.1.2).
2061.3 Eine weitere Beweiserhebung kommt hier wegen der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht in Betracht. Insbesondere ist kein weiteres Sachverständigengutachten zur Frage einzuholen, ob die streitgegenständlichen Beeinträchtigungen bei der Klägerin vorliegen. Denn soweit unklar ist, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen in welchem Ausmaß bei der Klägerin bestehen, ergeben sich diese Unklarheiten nicht aus Mängeln der Ausführungen des Sachverständigen N3. . Sie liegen vielmehr darin begründet, dass bei der Klägerin antwortverzerrendes Verhalten festgestellt worden ist. Dadurch ist nicht objektiv feststellbar, in welchem Ausmaß neurokognitive Einschränkungen bei der Klägerin gegeben sind. Unabhängig davon, ob die Klägerin ihr antwortverzerrendes Verhalten überhaupt bewusst steuern könnte, ist es nicht Aufgabe des Gerichts, die Klägerin im Rahmen der Sachverhaltsermittlung so lange begutachten zu lassen, bis ein Sachverständiger neurokognitive Einschränkungen ohne antwortverzerrendes Verhalten überzeugend feststellen könnte. Hinzu kommt, dass völlig ungewiss ist, ob solche Einschränkungen bei der Klägerin überhaupt durch andere Ursachen zu erklären sind und ob es medizinisch möglich wäre, zwischen etwaigen verschiedenen Verursachungsanteilen für neurokognitive Einschränkungen zu unterscheiden. Abgesehen davon hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 2. März 2015 bereits angekündigt, sich nicht weiter begutachten lassen zu wollen.
207Der Senat musste auch nicht aufklären, welche konkreten Beschwerdenvalidierungsverfahren Dr. T1. bei ihrer Untersuchung zu ihrem Gutachten vom 7. Juli 2010 verwendet hat. Eine entsprechende Anfrage des Senats war Anfang Februar 2015 vorsorglich erfolgt in der Annahme, dadurch könnten sich Widersprüche zwischen den Gutachten der Sachverständigen N3. und O1. klären lassen. Nachdem der Sachverständige N3. jedoch sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nachvollziehbar und ausführlich erläutert hat, kann sich der Senat zur Begründung des Urteils auf die Ausführungen dieses Sachverständigen stützen. Weiterer Erläuterungen oder Ergänzungen bedarf es nicht.
2082. Die Klägerin besitzt auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte ihr Unfallfürsorgeleistungen nach § 33 BeamtVG einschließlich Unfallausgleich nach § 35 BeamtVG gewährt. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass die streitgegenständlichen neuropsychologischen Defizite und psychischen Einschränkungen Folge des Dienstunfalls vom 6. Mai 2004 sind.
209Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
210Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO, § 127 BRRG nicht gegeben sind.