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Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für Jugendhilfeleistungen, die sie dem am 1992 geborenen K. S. (im Folgenden: Hilfeempfänger) für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 5. Oktober 2012 in Höhe von 158.735,14 € erbracht hat.
3Die Eltern des Hilfeempfängers hatten ursprünglich als Eheleute das gemeinsame Sorgerecht inne. Das Amtsgericht F. übertrug mit Scheidungsurteil vom 19. Oktober 1998 das alleinige Sorgerecht auf die Mutter des Hilfeempfängers. Der Hilfeempfänger lebte seit März 1998 bis zum 7. Juni 2000 bei seiner Mutter in T. . Am 7. Juni 2000 wurde er durch das Jugendamt der Beklagten in Obhut genommen. Von diesem Zeitpunkt an war der Hilfeempfänger bis zu seiner Volljährigkeit durchgehend stationär untergebracht (bis zum 27. März 2003 im Kinderheim F. , vom 28. März 2003 bis zum 31. Mai 2010 im Kinderhaus L. in B. und vom 1. Juni 2010 bis zum 15. April 2012 in der Jugendwohngruppe L1. e.V. in B. ; danach zog der Hilfeempfänger in eine eigene Wohnung und erhielt bis zum 5. Oktober 2012 weitere Leistungen, u.a. in Form von Fachleistungsstunden).
4Mit Beschluss vom 9. Juni 2000 entzog das Gericht der Mutter des Hilfeempfängers das Aufenthaltsbestimmungsrecht über den Hilfeempfänger und übertrug es auf das Jugendamt der Beklagten. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht fiel an die Mutter zurück, als das Amtsgericht durch Beschluss vom 7. Februar 2001 den Beschluss vom 9. Juni 2000 aufhob. Am 18. November 2002 zog die Mutter des Hilfeempfängers nach C. . Am 1. Dezember 2003 zog sie ausweislich einer persönlichen in der Haft abgegebenen Erklärung wieder nach T. und lebte dort bei ihrem damaligen Lebensgefährten Herrn X. . Gemeldet war sie dort nicht. Ab dem 22. Januar 2004 war sie in der JVA L2. inhaftiert. Ausweislich ihrer bereits genannten persönlichen Erklärung beabsichtigte sie, nach der Entlassung aus der JVA L2. erneut ihren Aufenthalt unter der vorherigen Adresse in T. bei Herrn X. zu nehmen. Am 25. Juli 2005 wurde sie aus der Haft entlassen und hielt sich in der Therapieeinrichtung U. in C1. auf. Mit Beschluss vom 8. September 2005 wurde der Mutter des Hilfeempfängers schließlich gerichtlich die elterliche Sorge über den Hilfeempfänger entzogen und das Jugendamt der Stadt B. zum Vormund bestimmt. Diese sorgerechtliche Situation blieb bis zur Volljährigkeit des Hilfeempfängers unverändert. Die Mutter des Hilfeempfängers verließ die Therapieeinrichtung in C1. Ende November 2005 und hielt sich spätestens ab dem 1. Dezember 2005 in Q. auf. Vom 30. Dezember 2009 bis zum 25. April 2012 saß sie erneut in der JVA L2. ein und lebte dann in einer Therapieeinrichtung in O. (C2. ).
5Der Kindesvater lebte bis zum 19. Oktober 1998 in P. . Vom 28. Januar 2003 bis zum 31. August 2004 hielt er sich in C. auf. Zwischenzeitlich war er in B. gemeldet, wo er von Amts wegen ohne festen Wohnsitz abgemeldet wurde. Für die übrige Zeit ist sein Aufenthalt unbekannt.
6Angesichts des Umzugs der Mutter des Hilfeempfängers von T. nach C. am 18. November 2002 beantragte die Beklagte bei der Klägerin die Übernahme des Hilfefalles und die Erstattung der seit dem 18. November 2002 angefallenen Kosten. Mit Schreiben vom 5. Februar 2004 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie den Hilfefall des Hilfeempfängers ab dem 1. März 2004 übernehmen werde, und sicherte für die Zeit vom 18. November 2002 bis zum 29. Februar 2004 Kostenerstattung zu. Die tatsächliche Fallübernahme durch den Allgemeinen Sozialen Dienst der Klägerin erfolgte offenbar bereits früher, offenbar im Mai 2003.
7Nachdem die Mutter des Hilfeempfängers zum 1. Dezember 2003 wieder nach T. gezogen war, teilte die Klägerin, nachdem ihr dies bekannt geworden war, der Beklagten mit Schreiben vom 22. April 2004 mit, dass die örtliche Zuständigkeit wieder auf die Beklagte übergegangen sei, da die Mutter des Hilfeempfängers im Dezember 2003 in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten verzogen sei. Für die Fallübergabe bitte sie, die Klägerin, um Benennung eines Ansprechpartners.
8Unter dem 27. April 2004 teilte die Beklagte mit, dass über den Antrag auf (Rück)Übernahme des Hilfefalles nicht entschieden werden könne, da die Mutter des Hilfeempfängers derzeit in T. nicht polizeilich gemeldet sei. Nachdem sie ermittelt hatte, dass die Mutter des Hilfeempfängers seit Januar 2004 in der JVA L2. inhaftiert war, lehnte sie mit Schreiben vom 13. Mai 2004 eine
9(Rück-)Übernahme des Hilfefalles ab, da angesichts der Inhaftierung der Mutter des Hilfeempfängers nicht feststellbar sei, ob diese subjektiv den Willen gehabt habe, T. wieder zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu machen. Mit Schreiben vom 14. Mai 2004 bat die Klägerin erneut um Benennung eines Ansprechpartners für die Fallübergabe. Eine Antwort hierauf erfolgte soweit ersichtlich nicht; weitere entsprechende Anfragen der Klägerin vor dem Jahr 2012 sind nicht erkennbar; die Klägerin beantragte vielmehr in den Jahren 2008 und 2009 (erfolglos) die Fallübernahme durch den Landkreis Q. .
10Die Beklagte wies die Klägerin mit Schreiben vom 30. Juni 2005 darauf hin, dass der von ihr geltend gemachte Erstattungsbetrag (für den Zeitraum vom 18. November 2002 bis zum 29. Februar 2004) nicht vollständig von der Klägerin beglichen worden sei. Mit Schreiben vom 2. Mai 2006 erklärte die Klägerin, dass sie zur Kostenerstattung nur für den Zeitraum bis zum 30. November 2003 bereit sei, da die Mutter des Hilfeempfängers ihren Aufenthalt am 1. Dezember 2003 wieder in T. genommen habe. Auf erneute Nachfrage der Beklagten wiederholte die Klägerin unter dem 7. November 2007 ihre diesbezüglichen Ausführungen und führte am Ende ihres Schreibens aus: „Ich hoffe, die Angelegenheit ist damit geklärt.“ In einer handschriftlichen Aktennotiz vom 31. Mai 2012 hielt sie fest, dass keine weitere Mahnung eingegangen sei und die Beklagte auf Kostenerstattung für den Zeitraum vom 1. Dezember 2003 bis zum 29. Februar 2004 verzichtet habe.
11Die Klägerin bat die Beklagte mit Schreiben vom 6. Juni 2012 darum, den Jugendhilfefall des Hilfeempfängers erneut zu übernehmen und die seit dem 1. Dezember 2003 aufgewandten Kosten zu erstatten. Unter dem 12. Juni 2012 lehnte die Beklagte dies ab. Die Ansprüche bestünden schon dem Grunde nach nicht. Sie seien zudem verjährt.
12Die Klägerin hat am 21. Dezember 2012 Klage erhoben. Ihr Anspruch auf Kostenerstattung ergebe sich aus § 89c SGB VIII oder § 105 Abs. 1 SGB X. Die Beklagte sei von Beginn der Hilfeleistung am 7. Juni 2000 bis zum 18. November 2002 für den Jugendhilfefall örtlich zuständig gewesen. Danach sei die örtliche Zuständigkeit wegen des Aufenthalts der Mutter des Hilfeempfängers in C. zu ihr, der Klägerin, gewechselt. Ab dem 1. Dezember 2003 sei die Beklagte wegen des Umzugs der Mutter nach T. erneut örtlich zuständig geworden. Auch während des Aufenthalts der Mutter des Hilfeempfängers in der JVA L2. habe diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin bei der Beklagten gehabt, da sie die Absicht erklärt habe, nach der Haftentlassung zu ihrem in T. lebenden Lebensgefährten zurückkehren zu wollen. Die weiteren Wechsel der Aufenthalte hätten wegen des Entzugs des Sorgerechts und der Vorschrift des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII keine Auswirkungen mehr auf die örtliche Zuständigkeit gehabt. Die einjährige Ausschlussfrist des § 111 SGB X sei eingehalten worden. Der Anspruch sei ab dem 1. Januar 2008 auch nicht verjährt. Eine Verwirkung des Anspruchs komme nicht in Betracht, da für diese wegen der kurzen Verjährungsfristen kein Raum sei. Zudem sei auch ein Umstandsmoment nicht ersichtlich.
13Die Klägerin hat beantragt,
14die Beklage zu verurteilen, an sie 158.735,14 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 21. Dezember 2012 zu zahlen.
15Die Beklagte hat beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Ein Verzicht auf eine eigene Kostenerstattung sei nie ausgesprochen worden. Zum Zeitpunkt des Antrags der Klägerin auf Kostenerstattung sei der Hilfeempfänger bereits volljährig gewesen. Gemäß § 86a Abs. 4 SGB VIII bleibe für Hilfen, die über das 18. Lebensjahr hinaus geleistet würden, der örtliche Träger zuständig, der bis zu diesem Zeitpunkt zuständig gewesen sei. Die Ansprüche der Klägerin seien zumindest verjährt oder verwirkt.
18Mit angefochtenem Urteil vom 20. November 2014 hat das Verwaltungsgericht der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung von 36.207,90 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen.
19Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch der Klägerin sei § 105 SGB X. Für die im geltend gemachten Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2012 geleistete Jugendhilfe sei die Beklagte, nicht die Klägerin örtlich zuständig gewesen. Zum Zeitpunkt des Hilfebeginns am 7. Juni 2000 sei die Beklagte nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII für die Jugendhilfeleistungen örtlich zuständig gewesen. Nach dem Umzug der Mutter des Hilfeempfängers nach C. am 18. November 2002 sei die Klägerin nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII der örtlich zuständige Jugendhilfeträger geworden. Ab dem 28. Januar 2003 habe nicht mehr nur die Mutter, sondern auch der Vater des Hilfeempfängers in C. gelebt. Die Klägerin sei deshalb ab diesem Zeitpunkt nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig gewesen. Seit dem erneuten Umzug der Mutter des Hilfeempfängers nach T. am 1. Dezember 2003 sei die Beklagte für den Jugendhilfefall örtlich zuständig gewesen. Dies folge für den Zeitraum ab dem 1. Dezember 2003 zunächst aus § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII. Denn ab dem 1. Dezember 2003 habe die Kindesmutter, die weiterhin die alleinige Personensorge inne gehabt habe, bei ihrem damaligen Lebensgefährten in T. gelebt. Soweit wegen der vorherigen örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nunmehr von der Anwendbarkeit von § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII ausgegangen werde, wäre ebenfalls die Beklagte örtlich zuständig gewesen. Auch während der Inhaftierung der Mutter des Hilfeempfängers in der JVA L2. im Zeitraum vom 22. Januar 2004 bis zum 25. Juli 2005 sei die Beklagte nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII (oder § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII) örtlich zuständig gewesen, denn die Mutter habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt trotz des Haftaufenthalts weiterhin in T. gehabt. Ob ein gewöhnlicher Aufenthalt in einer JVA durch die dortige Haft begründet werde, sei eine Frage des Einzelfalls. Anhaltspunkte für die Beurteilung seien etwa die Haftdauer, der Haftgrund (Untersuchungshaft vs. Freiheitsstrafe) und ein erklärter Wille zur Rückkehr an einen bestimmten Ort nach der Haftentlassung. Hier habe die Mutter ausweislich der von ihr unterschriebenen Erklärung während der Haft die Absicht besessen, zu ihrem damaligen Lebensgefährten nach T. zurückzukehren. Aus diesem Grund habe sie einen eindeutigen Rückkehrwillen und wegen der Beziehung zu ihrem Lebensgefährten nach den tatsächlichen Verhältnissen auch objektiv eine Rückkehrmöglichkeit besessen. Auch die nicht übermäßig lange Haftdauer von ca. 18 Monaten widerspreche der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs in der JVA. Auch nach der Haftentlassung und der Aufnahme einer Therapie durch die Kindesmutter in der Einrichtung "U. " in C1. ab dem 25. Juli 2005 sei die Beklagte nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII (oder § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII) örtlich zuständig geblieben. Denn auch dort habe die Mutter des Hilfeempfängers einen gewöhnlichen Aufenthalt nicht begründet. Zwar könne ein gewöhnlicher Aufenthalt in einer geschützten Einrichtung begründet werden, allerdings sei auch bei einer geschützten Einrichtung zu prüfen, ob nach den tatsächlichen Verhältnissen im Einzelfall von einem zukunftsoffenen Verbleib auszugehen ist. Dies sei nicht der Fall. Ausweislich des Hilfeplans vom 11. Januar 2006 sei im zuvor benannten Zeitraum Herr X. weiterhin der Lebensgefährte der Mutter des Hilfeempfängers gewesen. Aus diesem Grund könne sicher davon ausgegangen werden, dass sie nach der Therapie zu ihm nach T. habe zurückkehren wollen und auch objektiv zu diesem Zeitpunkt eine Rückkehrmöglichkeit nach T. bestanden habe. Der Sorgerechtsentzug am 8. September 2005 habe ebenfalls nichts an der örtlichen Zuständigkeit der Beklagten geändert. Denn diese sei nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII a.F. auch ab diesem Zeitpunkt örtlich zuständig gewesen. Gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a.F. bleibe die bisherige Zuständigkeit bestehen, solange die Personensorge keinem Elternteil zustehe. § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a.F. finde vorliegend noch in der bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung Anwendung, sodass die in der ab dem 1. Januar 2014 neu vorgenommene Ergänzung "in diesen Fällen" nicht zu berücksichtigten sei. Die Regelung in § 86 Abs. 5 SGB VIII über die örtliche Zuständigkeit im Falle des fehlenden Sorgerechts beider Elternteile erfasse nach der nicht unumstrittenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der sich die Kammer aus Gründen der Wahrung der Rechtseinheit zumindest für § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a.F. anschließe, alle Fallgestaltungen, in denen die Eltern nach Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besäßen. Es sei demnach unerheblich, ob sie vor dem Beginn der Leistung einen gemeinsamen oder getrennten gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätten. Die Vorschrift sei zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch dann anwendbar, wenn sich nur die Sorgerechts-, nicht aber die Aufenthaltsverhältnisse änderten. Die Beklagte sei damit auch nach den weiteren Umzügen der Mutter des Hilfeempfängers weiter örtlich zuständig geblieben. Da sich an der Sorgerechtssituation nichts mehr geändert habe, hätten die weiteren Aufenthaltswechsel keinen Einfluss mehr auf die bestehende örtliche Zuständigkeit der Beklagten gehabt.
20Die weiteren Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs nach § 105 SGB X lägen ebenfalls vor. Trotz der im streitgegenständlichen Zeitraum bestehenden Zuständigkeit der Beklagten habe die Klägerin Leistungen der Jugendhilfe erbracht. Sie sei für die Leistung auch nicht nach § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig gewesen. Wechsle die örtliche Zuständigkeit für eine Leistung, so bleibe nach dieser Vorschrift der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetze. Die Klägerin habe die Leistung in dem Jugendhilfefall des Hilfeempfängers ab dem 1. März 2004 übernommen. Zu diesem Zeitpunkt sei aber bereits die Beklagte örtlich zuständig gewesen, sodass die Klägerin nicht der „bisher zuständige örtliche Träger“ im Sinne des § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sei. Daran ändere auch nichts, dass die Klägerin in der Vergangenheit örtlich zuständig gewesen wäre, den Jugendhilfefall aber zunächst nicht übernommen habe.
21Der geltend gemachte Anspruch sei aber für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 5. Juni 2011 nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Die Klägerin habe vorliegend erst durch ihr Schreiben vom 6. Juni 2012 einen Erstattungsanspruch geltend gemacht. Damit seien sämtliche Ansprüche für den Zeitraum vor dem 6. Juni 2011 ausgeschlossen. Etwas anderes folge auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass sämtliche Hilfemaßnahmen in einem Hilfefall als Erbringung einer Gesamtleistung (sogenannter zuständigkeitsrechtlicher Leistungsbegriff) zu sehen seien. Der zugrundeliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts lasse sich nicht entnehmen, dass wegen des darin erfolgten Abstellens auf den Beginn der (Gesamt-)Leistung die Ausschlussfrist erst mit dem Ende der (Gesamt-)Leistung anlaufe. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts treffe lediglich eine Aussage zum Begriff der Leistung im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X und zu ihrem Beginn, nicht hingegen zu dem Zeitraum, für den die Leistung erbracht werde. Der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ließen sich insbesondere keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass entgegen dem Wortlaut des § 111 Satz 1 SGB X, der mit der Formulierung "Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde" eindeutig auf einen abgegrenzten Leistungszeitraum abstelle, die Anknüpfung an Teilzeiträume völlig aufgegeben werden sollte. Die von der Klägerin vertretene Ansicht widerspreche dem von § 111 SGB X verfolgten Zweck, dass Erstattungsansprüche zeitnah geltend zu machen seien. Die vorgenommene Auslegung nehme auch der Verjährungsregelung des § 113 SGB X nicht ihren Anwendungs-bereich, denn nach der rechtzeitigen Geltendmachung von einem Jahr zwinge die Verjährungsfrist des § 113 SGB X den erstattungsberechtigten Leistungsträger dazu, seinen Anspruch ggf. im Klageverfahren durchzusetzen, wenn der erstattungspflichtige Leistungsträger trotz der Anmeldung nach § 111 SGB X keine Zahlungen vornehme.
22Für den Zeitraum vom 6. Juni 2011 bis zum 5. Oktober 2012 sei die Frist des § 111 Satz 1 SGB X hingegen gewahrt worden. Der Anspruch sei für diesen Zeitraum nicht verjährt. Die Beklagte könne sich auch nicht auf eine Verwirkung des Anspruchs für diesen Zeitraum berufen. Im Hinblick auf den Zeitraum ab dem 6. Juni 2011 und der Anmeldung des Anspruchs am 6. Juni 2012 liege schon keine verspätete Geltendmachung vor. Im Hinblick auf die kurze Frist des § 111 Satz 1 SGB X sei bei Kostenerstattungsansprüchen regelmäßig - und so auch hier - für eine Verwirkung des Anspruchs kein Raum. Es fehle zudem an einem Verhalten der Klägerin, das die Geltendmachung des Anspruchs als treuwidrig erscheinen lassen könnte.
23Zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 16. Oktober 2015 zugelassenen Berufung trägt die Klägerin vor:
24Zur Wahrung der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X für den Anspruch auf Erstattung der Kosten bei Maßnahmen und Hilfen, die jugendhilferechtlich als eine (Gesamt-)Leistung zu werten seien, genüge jede innerhalb der Frist des § 111 Satz 1 SGB X erfolgende Geltendmachung des Anspruches nach Beginn der (Gesamt-)Leistung. Dabei bildeten alle zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahmen und Hilfen eine einheitliche Leistung, zumal wenn sie nahtlos aneinander anschlössen, also ohne beachtliche zeitliche Unterbrechung gewährt würden. Für den Hilfeempfänger seien seitens der Klägerin seit dem 7. Juni 2000 ununterbrochen jugendhilferechtliche Maßnahmen erbracht worden. Hierbei handle es sich eine kontinuierlich gewährte Hilfe zur Deckung des jugendhilferechtlichen Bedarfs, so dass es sich um eine einheitliche Gesamtleistung i.S.d. § 111 Satz 1 SGB X handle. Für das fristgerechte Geltendmachen eines Kosten-erstattungsanspruchs für eine unter Bedarfsgesichtspunkten als Einheit zu wertende Jugendhilfemaßnahme sei auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine bedarfsorientierte Gesamtbetrachtung zugrunde zu legen. Danach komme es also nicht (mehr) darauf an, ob die Kosten für die Maßnahme von einem Dritten gegebenenfalls zeitabschnittsweise, hier monatlich, in Rechnung gestellt und beglichen würden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ende demnach der Lauf der Zwölf-Monats-Frist des § 111 Satz 1 SGB X zur Geltendmachung von Kostenerstattungsansprüchen aus der Erbringung der geltend gemachten Gesamtleistung vom 1. Januar 2008 bis 5. Oktober 2012 mit Ablauf des 5. Oktober 2013. Sie, die Klägerin, habe in ihrem Schreiben vom 6. Juni 2012, also noch vor Ende der Erbringung der Gesamtleistung am 5. Oktober 2012, ausdrücklich um Kostenerstattung gebeten. Vor diesem Hintergrund weiche die Entscheidung des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, da das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung entgegen der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts für die Berechnung der Zwölf-Monats-Frist des § 111 Satz 1 SGB X nicht auf die zuständigkeitsrechtliche Gesamtleistung abstelle.
25Auch die Voraussetzungen des § 105 Abs. 3 SGB X lägen vor. Die Beklagte habe spätestens seit dem 1. Dezember 2003 Kenntnis von den ihre eigene Leistungspflicht begründenden Umständen sowie der Hilfebedürftigkeit gehabt. Ursprünglich sei die Beklagte gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII für die Jugendhilfeleistungen örtlich zuständig gewesen. Nach dem Umzug der Kindesmutter nach C. am 18. November 2002 sei indes die Klägerin zunächst gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, ab 28. Januar 2003 gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, örtlich zuständig geworden, nachdem die Beklagte den Wechsel der örtlichen Zuständigkeit bei der Klägerin beantragt habe. Daraufhin habe sie, die Klägerin, mit Schreiben an die zuständige Jugendhilfesachbearbeiterin der Beklagten, Frau R. , vom 6. Februar 2004, bestätigt, dass sie den Jugendhilfefall ab dem 1. März 2004 übernehmen wolle und gleichzeitig Kostenerstattung für die Zeit vom 18. November 2002 bis 29. Februar 2004 zugesichert, nachdem die Beklagte mit Schreiben vom 15. Januar 2004 wiederholt darum gebeten habe, den Hilfefall zu übernehmen. In der Zwischenzeit habe sich jedoch herausgestellt, dass sich die Mutter des Hilfeempfängers in C. zum 30. November 2003 abgemeldet habe. Während ihrer Haft in der JVA L2. vom 22. Januar 2004 bis zum 26. Juli 2005 habe sie eine Erklärung unterschrieben, aus der sich ergeben habe, dass sie in der Zeit vom 1. Dezember 2003 bis zur Aufnahme in die JVA in T. gelebt habe und C. somit tatsächlich ab dem 30. November 2003 wieder verlassen habe. Ferner sei der Erklärung zu entnehmen, dass sie nach der Entlassung aus der JVA sich an der Adresse in T. habe aufhalten wollen. Die Klägerin habe die Beklagte mit Schreiben vom 22. April 2004 aufgefordert, den Hilfefall wieder zu übernehmen. Da die Beklagte nicht reagiert habe, habe sie, die Klägerin, die Beklagte erneut mit Schreiben vom 14. Mai 2004 aufgefordert, den Hilfefall zu übernehmen. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 13. Mai 2004 reagiert und eine Übernahme des Hilfefalles abgelehnt, da nicht feststellbar sei, dass die Mutter des Hilfeempfängers den Willen habe, T. zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu machen. Zwischenzeitlich habe die Beklagte mit Kostenrechnung vom 6. Februar 2004 auf Grundlage des Kostenanerkenntnisses der Klägerin vom 5. Februar 2004 für die Zeit vom 18. November 2002 bis zum 29. Februar 2004 abgerechnet. Dabei habe die Klägerin der Beklagten aber lediglich Kostenerstattung in der Zeit vom 18. November 2002 bis einschließlich 30. November 2003 geschuldet. Entsprechend seien seitens der Klägerin lediglich 38.616,42 € überwiesen worden, so dass aus Sicht der Beklagten noch ein Betrag von 8.822,13 € offen gestanden habe, worauf die Beklagte mit Schreiben vom 30. Juni 2005 hingewiesen habe. Mit Schreiben vom 2. Mai 2006 habe sie, die Klägerin wiederholt darauf hingewiesen, dass die Rechnung deshalb gekürzt worden sei, weil die Mutter des Hilfeempfängers sich seit dem 1. Dezember 2003 bei Herrn X. in T. aufgehalten habe. Ferner habe sie, die Klägerin, diesem Schreiben an die Beklagte die Erklärung der Mutter beigefügt. Mit erneutem Schreiben vom 29. August 2007 habe die Beklagte noch einmal an den aus ihrer Sicht noch offenen Betrag in Höhe von 8.822,13 € erinnert und dies mit Schreiben vom 25. Oktober 2007 wiederholt. Mit Schreiben vom 7. November 2007 habe sie, die Klägerin, darauf reagiert und erneut darauf hingewiesen, dass sich die Mutter laut der von ihr unterschriebenen Erklärung seit dem 1. Dezember 2003 nicht mehr in C. aufhalte, sondern in T. . Die Beklagte habe daraufhin ihre Kostenforderung nicht weiter verfolgt, da sie aufgrund der Beantragung der Übernahme des Hilfefalles durch die Klägerin mit Schreiben vom 22. April 2004 und der mit Schreiben vom 2. Mai 2006 übersandten Selbstauskunft der Mutter des Hilfeempfängers davon habe ausgehen müssen, dass sie gem. § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII örtlich zuständig gewesen sei. Die Hilfebedürftigkeit des Hilfeempfängers habe zwischen den Beteiligten ohnehin nie in Streit gestanden. Die Beklagte habe deshalb davon ausgehen müssen, dass sie aufgrund der Selbsterklärung der Mutter des Hilfeempfängers fortan, auch nach deren Haftentlassung, aber auch bereits schon vorher, örtlich zuständig gewesen sei. Soweit die Beklagte in ihrem Schreiben vom 12. Juni 2012 darauf hingewiesen habe, dass sie allein deshalb nicht zuständig sei, weil die Mutter des Hilfebedürftigen sich in der Therapieeinrichtung U. in C1. aufgehalten habe und sich in T. bis zur Zeit ihrer lnhaftierung lediglich besuchsweise aufgehalten habe, da sie polizeilich nicht gemeldet gewesen sei, dokumentiere die Beklagte hierdurch bereits selbst, dass sie Kenntnis von den tatsächlichen Voraussetzungen für die eigene Leistungspflicht gehabt habe, da sie über den Verbleib der Mutter des Hilfebedürftigen im Anschluss an deren Inhaftierung in der JVA L2. offensichtlich in Kenntnis gewesen sei.
26Die Klägerin beantragt,
27das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere 120.118,72 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21. Dezember 2012 zu zahlen.
28Die Beklagte beantragt,
29die Berufung zurückzuweisen.
30Entscheidungsgründe:
31Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Der Klägerin stehen weder der mit der Berufung geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von weiteren 120.118,72 € noch der Zinsanspruch zu.
32Als Grundlage für den geltend gemachten Anspruch kommt nicht § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Kosten, die ein örtlicher Träger im Rahmen seiner Verpflichtung nach § 86c SGB VIII aufgewendet hat, von dem örtlichen Träger zu erstatten, der nach dem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit zuständig geworden ist. Der Anspruch aus § 89c SGB VIII setzt damit eine Leistungspflicht nach § 86c Abs. 1 SGB VIII voraus. Nach § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bleibt bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit für eine Leistung der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt.
33Eine derartige Verpflichtung der Klägerin aus § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII bestand aber nicht. Voraussetzung für das Eingreifen des § 86c SGB VIII ist nämlich, dass der bisher zuständige Träger die Leistung zum Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels bereits gewährt.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2002 - 5 C 57.01 -, juris, Kern, in: Schellhorn/Fischer/Mann/ Kern, SGB VIII, 4. Auflage 2012, § 86c, Rn. 4; Reisch, in: Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, 3. Auflage, Stand Januar 2015, § 86c SGB VIII, Rn. 2; Wiesner, in: Wiesner, SGB VIII, 4. Auflage 2011, § 86c, Rn. 3.
35§ 86c SGB VIII soll nämlich verhindern, dass der Hilfeempfänger "zwischen die Zuständigkeitsstühle fällt",
36Kunkel/Kepers, in: LPK-SGB VIII, 5. Auflage 2014, § 86c, Rn. 1,
37und die Kontinuität der Hilfeleistung gewährleisten,
38vgl. VG Lüneburg, Urteil vom 27. Februar 2001 - 4 A 167/98 -, juris, |
indem eine Verpflichtung zur Weitergewährung der Leistung angeordnet wird, was notwendigerweise voraussetzt, dass der bisher zuständige Träger mit der Leistung auch tatsächlich bereits begonnen hat. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Zum Zeitpunkt des hier maßgeblichen Zuständigkeitswechsels am 1. Dezember 2003 wurde die Jugendhilfeleistung in Form der stationären Unterbringung nach § 34 SGB VIII nicht durch die Klägerin, sondern durch die Beklagte erbracht. Der Allgemeine Soziale Dienst der Klägerin hatte zwar bereits das Hilfeplanverfahren übernommen, die Erbringung der Leistung durch Zahlung der durch die Unterbringung entstehenden Kosten erfolgte aber weiterhin durch die Beklagte. Die Leistung der Klägerin im hier streitgegenständlichen Zeitraum beruhte insoweit nicht darauf, dass sie nach einem Zuständigkeitswechsel weiter geleistet hätte, sondern auf ihrer unter dem 6. Februar 2004 erklärten Fallübernahme zum 1. März 2004. Damit unterscheidet sich ihre Situation nicht von der jedes anderen Jugendhilfeträgers, der irrigerweise von seiner Zuständigkeit ausgeht und daher einen Hilfefall in seine Zuständigkeit übernimmt. Diese Konstellation erfasst § 86c Absatz 1 Satz 1 SGB VIII aber nicht.
40Anspruchsgrundlage für das Erstattungsbegehren kann damit allein § 105 SGB X sein. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB X vorliegen, so ist nach § 105 Abs. 1 SGB X der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.
41Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Klägerin hat, wie das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt hat, im vorliegenden Fall im streitgegenständlichen Zeitraum (1. Januar 2008 bis 5. Oktober 2012) als unzuständiger Träger Jugendhilfeleistungen erbracht, denn die Beklagte war der für den Hilfefall zuständige Jugendhilfeträger.
42Die Zuständigkeit für die Gewährung von Jugendhilfeleistungen an Kinder und Jugendliche ist in § 86 SGB VIII geregelt. Ursprünglich zuständig für die Jugendhilfemaßnahme in Form der stationären Unterbringung gemäß § 34 SGB VIII war die Beklagte gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, denn die Eltern des Hilfeempfängers hatten verschiedene gewöhnliche Aufenthalte und die allein sorgeberechtigte Mutter hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in T. . Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts durch Beschluss des Amtsgerichts F. vom 9. Juni 2000 änderte hieran nichts, denn nach § 86 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 gilt die Zuständigkeitsbestimmung des § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII auch dann, wenn dem personensorgeberechtigten Elternteil einzelne Angelegenheiten der Personensorge entzogen sind.
43Mit dem Umzug der Mutter des Hilfeempfängers nach C. wechselte die Zuständigkeit - ebenfalls gemäß § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII - auf die Klägerin über. Da der Vater des Hilfeempfängers ab dem 28. Januar 2003 ebenfalls seinen gewöhnlichen Aufenthalt in C. hatte, folgte im Zeitraum vom 28. Januar 2003 bis zum 1. Dezember 2003 die Zuständigkeit der Klägerin aus § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Diese grundlegende Zuständigkeitsregelung des § 86 SGB VIII greift nämlich nicht nur ein, wenn die Eltern bei Beginn der Leistung ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Zuständigkeitsbereich desselben Trägers haben, sondern auch dann, wenn die Eltern während der Jugendhilfeleistung diesen im Zuständigkeitsbereich desselben Trägers begründen.
44Vgl. BayVGH, Urteil vom 28. September 2006 - 12 B 04.1266 -, juris; BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 5 C 34.12 -, BVerwGE 148, 242, juris.
45Mit dem Umzug der Mutter des Hilfeempfängers zu ihrem damaligen Lebensgefährten nach T. wurde anschließend wieder die Beklagte für den Jugendhilfefall zuständig. Hierdurch begründeten die Eltern des Hilfeempfängers verschiedene gewöhnliche Aufenthalte nach § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VII, so dass nach dieser Vorschrift wiederum die Beklagte für die Hilfeleistung zuständig wurde, da die Mutter des Hilfeempfängers zu diesem Zeitpunkt (noch) alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge war. Falls die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, § 86 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1 SGB VIII beziehe sich vielmehr nur auf solche Fallgestaltungen, in denen Eltern nach Leistungsbeginn erstmals verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründeten und in der Folge beibehielten,
46vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013
47- 5 C 34.12 -, BVerwGE 148, 242, juris,
48so zu verstehen sein sollte, dass Fälle, in denen - wie hier - die Eltern zunächst verschiedene gewöhnliche Aufenthalte hatten, danach einen gewöhnlichen Aufenthalt im Gebiet eines Jugendhilfeträgers begründet haben und danach wieder verschiedene gewöhnliche Aufenthalte begründeten, von § 86 Abs. 5 Satz 1 SGB VIII nicht erfasst werden, ergäbe sich die Zuständigkeit der Beklagten jedenfalls aus § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII.
49Dass die Mutter des Hilfeempfängers ab dem 1. Dezember 2003 nicht in T. gemeldet war, steht - worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen hat - der Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts in T. nicht entgegen.
50Seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand gemäß der Bestimmung des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I, zu der sich für den hier zu beurteilenden Fall aus dem SGB VIII nichts Abweichendes ergibt (vgl. § 37 Satz 1 SGB I), dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Danach ist zur Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich; es genügt vielmehr, dass der Betreffende an dem Ort oder in dem Gebiet tatsächlich seinen Aufenthalt genommen hat und sich dort "bis auf Weiteres" im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2010
52- 5 C 21.09 -, juris, m.w.N.
53Auf die Meldung nach den melderechtlichen Bestimmungen kommt es demnach nicht an. Angesichts des Aufenthalts der Mutter des Hilfeempfängers bei ihrem damaligen Lebensgefährten ist auch davon auszugehen, dass sie T. zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen machen wollte. Auch ist von einem zukunftsoffenen Verbleib „bis auf Weiteres“ auszugehen. Hiergegen spricht nicht, dass die Mutter des Hilfeempfängers bereits am 22. Januar 2004 eine Haftstrafe in der JVA L2. antrat. Die - wohl abzusehende - nur kurze Dauer des Aufenthalts in T. vor der Haftverbüßung in der JVA steht der Zukunftsoffenheit des Aufenthalts in T. jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil die Mutter des Hilfeempfängers nach ihrer in der Haft in der JVA abgegebenen Erklärung beabsichtigte, nach der Haft nach T. zu ihrem Lebensgefährten zurückzukehren.
54Die Zuständigkeit der Beklagten ist im Übrigen nicht aufgrund der bis zum 25. Juli 2005 dauernden Inhaftierung der Mutter des Hilfeempfängers in der JVA L2. auf die Stadt L2. übergegangen. Zwar kann ein gewöhnlicher Aufenthalt auch in einer JVA begründet werden, was sich schon aus der Existenz des § 89e SGB VIII („Schutz der Einrichtungsorte“) ergibt. Ein freiwilliger Aufenthalt ist nicht erforderlich; grundsätzlich kann daher auch ein Zwangsaufenthalt in einer Haftanstalt oder Therapieeinrichtung einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen, mit Ausnahme der Untersuchungshaft, die nach ihrem Zweck und ihrer Ausrichtung nur vorübergehender Natur ist. Ob die Lebensverhältnisse bei einer Inhaftierung im Einzelfall die erforderliche Verfestigung aufweisen, ist unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse im Wege einer in die Zukunft gerichteten Prognose zu bestimmen.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 30. September 2009 - 5 C 18.08 -, BVerwGE 135, 58, juris; Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 25.96 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 16. Februar 2009 - 12 A 3303/07 -, juris.
56Dabei ist nicht allein auf die Dauer der Inhaftierung abzustellen, sondern es sind auch die sonstigen Lebensumstände zu berücksichtigen.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1997 - 1 C 25.96 -, juris; OVG NRW, Urteil vom 16. Februar 2009 - 12 A 3303/07 -, juris.
58Dabei ist zu beachten, dass angesichts des Umstandes, dass der tatsächliche Aufenthalt eine zwar nicht hinreichende aber notwendige Bedingung für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthaltes darstellt, der sich aus einer ex-ante Beurteilung ergibt, der Fortfall des bisherigen tatsächlichen Aufenthaltes, der mit einer Aufenthaltnahme zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt zwangsläufig einhergeht, ein gewichtiges Indiz für die Aufgabe des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes ist. Allerdings kann dieses Indiz im Rahmen der gebotenen Einzelfallbetrachtung in den Hintergrund treten, sofern es andere konkrete Anhaltspunkte gibt, die für eine Aufrechterhaltung des bisherigen gewöhnlichen Aufenthaltes sprechen wie etwa familiäre, häusliche, soziale oder berufliche Bindungen, die sich beispielsweise in konkreten Rückkehrplanungen manifestieren.
59Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. Februar 2009
60- 12 A 3303/07 -, juris, m.w.N.
61Vorliegend sind hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass der vor der Inhaftierung der Mutter des Hilfeempfängers bestehende gewöhnliche Aufenthalt in T. aufrechterhalten wurde. Die Mutter des Hilfeempfängers hat mit ihrer in der Haft unterzeichneten Erklärung, sie wolle nach Ende der Haft zu ihrem damaligen Lebensgefährten in dessen Wohnung nach T. zurückkehren, konkrete Rückkehrplanungen deutlich gemacht. Die Beziehung zu diesem Lebensgefährten bestand ausweislich des Hilfeplanprotokolls vom Januar 2005 auch während der Zeit der Haftstrafe fort, so dass diese Rückkehrpläne auch umsetzbar waren. Zudem handelte es sich bei der Haftdauer von 18 Monaten um einen überschaubaren Zeitraum, der nicht bereits dafür spricht, dass die Mutter des Hilfeempfängers den Ort ihrer Inhaftierung zukunftsoffen zum Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen machen wollte.
62Für den Aufenthalt in der Therapieeinrichtung in C1. gilt Entsprechendes, da die Beziehung der Mutter des Hilfeempfängers zu ihrem damaligen Lebensgefährten in T. während des Aufenthalts in der Einrichtung noch bestand. Dass die Mutter des Hilfeempfängers letzten Endes nicht nach T. zurückgekehrt ist, sondern Ende November 2005 die Einrichtung verlassen hat und nach Süddeutschland gegangen ist, spricht angesichts der erforderlichen ex-ante-Betrachtung nicht gegen diese Einschätzung, da jedenfalls nicht festgestellt werden kann, dass sie ihre diesbezügliche Absicht bereits bis zum Zeitpunkt des Entzugs des Sorgerechts am 8. September 2005 geändert hatte.
63Die Zuständigkeit der Beklagten ist auch nicht durch den Umzug der Mutter des Hilfeempfängers nach Q. untergegangen. Vielmehr blieb gemäß § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII in der im streitgegenständlichen Zeitraum maßgeblichen bis zum 31. Dezember 2013 geltenden Fassung (a.F.) die bisherige Zuständigkeit der Beklagten bestehen.
64§ 86 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB VIII a.F. bestimmte:
65„Begründen die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte, so wird der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat; dies gilt auch dann, wenn ihm einzelne Angelegenheiten der Personensorge entzogen sind. Solange die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen.“
66Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts fand, sofern keinem Elternteil das Sorgerecht zustand (§ 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a.F.), die Vorschrift in allen Fallgestaltungen Anwendung, in denen die Elternteile nach Beginn der Leistung verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besaßen. Anders verhielt es sich nur für die Fälle des - hier nicht vorliegenden - gemeinsamen Sorgerechts der Eltern, weil § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 1 SGB VIII a.F. dahin auszulegen war, dass die Vorschrift auf die Voraussetzungen des § 86 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 SGB VIII in vollem Umfang Bezug nahm und damit auch ein (erstmaliges) Begründen verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte nach Leistungsbeginn voraussetzte. § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a.F., der die Fälle des fehlenden Sorgerechts beider Elternteile nach Leistungsbeginn regelte, fand hingegen auch dann Anwendung, wenn die Elternteile nach Beginn der Leistung bereits verschiedene gewöhnliche Aufenthalte besaßen und nicht erstmalig begründeten.
67Vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 5 C 34.12 -, BVerwGE 148, 242, juris, m.w.N.
68Der § 86 SGB VIII a.F. zugrunde liegenden Konzeption wäre es nämlich zuwidergelaufen, den Geltungsbereich des Absatzes 5 Satz 2 Alt. 2 a.F. durch eine entsprechende Inbezugnahme nicht nur des Merkmals „nach Beginn der Leistung“ im Sinne des Absatzes 5 Satz 1 Halbsatz 1, sondern auch der darin vorgesehenen weiteren Anknüpfungstatsache der erstmaligen Begründung verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte der Elternteile auf die zuvor allein von Absatz 1 Satz 1 erfassten Fallgestaltungen zu reduzieren. Die Konzeption des § 86 Abs. 5 Satz 2 Alt. 2 SGB VIII a.F. gründete auf dem Umstand, dass die individuellen Jugendhilfeleistungen nach dem SGB VIII, die Eltern in Anerkennung ihrer in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG beruhenden Verantwortung gewährt werden, darauf ausgerichtet sind, die Erziehungsfähigkeit der Elternteile zu stärken und ihre erzieherische Kompetenz zu fördern, um auf diese Weise eine eigenständige Wahrnehmung der elterlichen Erziehungsverantwortung zu ermöglichen (vgl. § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Dieser Situation Rechnung tragend verfolgten die Bestimmungen über die örtliche Zuständigkeit das Ziel, durch eine grundsätzliche Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt der Erziehungsverantwortlichen eine effektive Aufgabenwahrnehmung sicherzustellen. Die regelmäßig erforderliche enge und kontinuierliche Zusammenarbeit des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe mit den Eltern wird gerade durch dessen räumliche Nähe zu ihrem Aufenthaltsort ermöglicht und begünstigt. Hingegen bedurfte es eben dieser räumlichen Nähe im Falle, dass kein Elternteil (mehr) das Sorgerecht hatte (§ 86 Abs. 5 Satz 2 Art. 2 SGB VIII a.F.), regelmäßig nicht. Gerade in Fällen, in denen die Erziehungsverantwortung (vgl. § 1626 Abs. 1, § 1631 Abs. 1 BGB) infolge des Entzugs der elterlichen Sorge nicht bei den Eltern lag und sich das Kind oder der Jugendliche regelmäßig auch nicht bei einem Elternteil aufhielt, bestand keine Notwendigkeit, die örtliche Zuständigkeit weiterhin an den (künftigen) gewöhnlichen Aufenthalt eines Elternteils zu binden und sie mit diesem „mitwandern“ zu lassen.
69Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Oktober 2011 - 5 C 25.10 -, BVerwGE 141, 77, juris, und vom 14. November 2013 - 5 C 34.12 -, BVerwGE 148, 242, juris.
70Gegen diese Auslegung sprechen auch nicht die zum 1. Januar 2014 in Kraft getretenen - und damit den streitgegenständlichen Zeitraum nicht erfassenden - Änderungen des § 86 Abs. 5 SGB VIII durch das Gesetz zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz - KJVVG) vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3464). Zwar hat der Gesetzgeber die Formulierung des § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII durch die Änderung um die Worte „in diesen Fällen“ ergänzt, so dass die Regelung nunmehr lautet: „Solange in diesen Fällen die Personensorge beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil zusteht, bleibt die bisherige Zuständigkeit bestehen.“ Dies geschah ausweislich der Begründung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung in Reaktion auf die jüngere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Hierzu wurde ausgeführt:
71„Den Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit im SGB VIII liegt der Grundsatz der dynamischen Zuständigkeit zugrunde. Dies bedeutet, die Zuständigkeit „wandert“ mit dem maßgeblichen Elternteil, wenn dieser seinen gewöhnlichen Aufenthalt wechselt. Die dynamische Zuständigkeit will die Beibehaltung der räumlichen Nähe zwischen Elternteil und örtlichem Träger (dem Jugendamt) sicherstellen. Erst räumliche Nähe ermöglicht das Eingehen einer Hilfebeziehung und einen kontinuierlichen, möglichst engen Kontakt. Für eine wirksame Unterstützung von Familien ist diese Nähe zum leistungsgewährenden örtlichen Träger somit unbedingt erforderlich. Eine statische Zuweisung regelt das Gesetz daher nur in eng umrissenen Ausnahmefällen. Ein gesetzlich geregelter Ausnahmefall liegt nach § 86 Absatz 5 vor, wenn die Eltern nach Beginn einer Leistung verschiedene Aufenthalte begründen und beiden Elternteilen gemeinsam oder keinem Elternteil die Personensorge zusteht.
72Das Bundesverwaltungsgericht hat in jüngerer Zeit zu der Zuständigkeitsregel des § 86 Absatz 5 mehrfach entschieden, dass dieser auch in den Fällen anwendbar sei, in denen die Eltern bereits vor bzw. bei Leistungsbeginn verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben und solche während des Leistungsbezuges beibehalten.
73Dieses Verständnis der Zuständigkeitsregel führt zu unbefriedigenden Ergebnissen, weil es die Unterstützungsleistungen für die Elternteile erschwert. Bedarfsgerechte Hilfen für die Eltern erfordern eine enge und kontinuierliche Zusammenarbeit des örtlichen Trägers, die durch eine räumliche Nähe zu dem Aufenthaltsort der Eltern (bzw. des maßgeblichen Elternteils) ermöglicht und begünstigt wird. Eine Ausweitung der eng begrenzten Ausnahmefälle läuft daher unmittelbar den Absichten zuwider, die der Gesetzgeber mit der Zuständigkeitsregel des § 86 Absatz 5 verfolgt hat. Mit der Ergänzung in Satz 2 soll der Bezug und damit die zeitliche Abfolge klargestellt werden: Die Anwendung ist beschränkt auf die Fälle, in denen nach Beginn der Leistung zum Zeitpunkt der Begründung verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte die Personensorge beiden gemeinsam oder keinem Elternteil zugestanden hat. Ziel der Änderung ist es, den mit der Zuständigkeitsregel des Absatzes 5 verfolgten Gesetzeszweck zu wahren und zugleich unerwünschte Auswirkungen der Neuberechnungen von Kostenerstattungen der örtlichen Träger zu vermeiden.“
74Vgl. Deutscher Bundestag, Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (13. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung - Drucksache 17/13023 - Entwurf eines Gesetzes zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz - KJVVG), BT-Drs. 17/13531 vom 15. Mai 2013, S. 8.
75Diese Ausführungen bieten aber keinen zwingenden Grund, von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den hier betroffenen Zeitraum abzuweichen. Der Hinweis auf die erforderliche enge und kontinuierliche Zusammenarbeit des Trägers, die durch eine räumliche Nähe zu dem Aufenthaltsort der Eltern bzw. des maßgeblichen Elternteils ermöglicht und begünstigt wird, trifft sachlich in den Fällen, in denen - wie hier - kein sorgeberechtigter Elternteil mehr vorhanden ist, nämlich nicht zu.
76Vgl. BVerwG, Urteile vom 19. Oktober 2011 - 5 C 25.10 -, BVerwGE 141, 77, juris, und vom 14. November 2013 - 5 C 34.12 -, BVerwGE 148, 242, juris; siehe auch VG Koblenz, Urteil vom 23. Februar 2015 - 3 K 1243/13.KO -, juris.
77Angesichts des Entzugs des Sorgerechts mit Beschluss des Amtsgerichts F. vom 8. September 2005 verblieb die Zuständigkeit damit nach § 86 Abs. 5 Satz 2 SGB VIII bis zur Volljährigkeit des Hilfeempfängers bei der Beklagten und wurde durch die weiteren Aufenthaltsänderungen der Mutter des Hilfeempfängers nicht berührt. Für die nach dem Erreichen der Volljährigkeit des Hilfeempfängers geleistete Hilfe blieb die Beklagte gemäß § 86a Abs. 4 Satz 1 SGB VIII als bis zu diesem Zeitpunkt zuständiger Jugendhilfeträger zuständig.
78Ob die Klägerin mit ihrem Begehren für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 5. Juni 2011 nach § 111 Satz 1 SGB X ausgeschlossen ist, kann offen bleiben. Zwar spricht Einiges dafür, dass die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung, dass im Rahmen des § 111 SGB X auf Teilzeiträume abzustellen sei,
79vgl. hierzu auch BayVGH, Beschluss vom 7. Januar 2014 - 12 ZB 13.2512 -, juris; VG Regensburg Urteil vom 24. Oktober 2013 - RO 7 K 13.218 -, juris; VG Augsburg, Urteil vom 27. Januar 2015 - Au 3 K 14.1617 -, juris; Mutschler, in: Schlegel/Voelz-ke, jurisPK-SGB X, Stand: 22. September 2015, § 111 SGB X, Rn. 29; Ziegler, JAmt 2014, 222 (223); siehe hierzu auch OVG NRW, Urteil vom 17. April 2002 - 12 A 4007/00 -, juris; BayVGH, Urteil vom 21. Mai 2010 - 12 BV 09.1973 -, juris,
80was vorliegend dazu führen soll, dass nur für Kosten, die im Jahr vor der Anmeldung der Kostenerstattungsansprüche angefallen sind, Erstattung verlangt werden kann, zu einer dem Sinn der Verjährungsvorschriften des § 113 SGB X widersprechenden zeitlichen Beschränkung des Kostenerstattungsanspruchs führen dürfte und zudem Fragen der Vereinbarkeit mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff aufwirft.
81Vgl. zu letzterem BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 14.09 -, BVerwGE 137, 368, juris.
82Dem Erstattungsbegehren der Klägerin nach § 105 Abs. 1 SGB X steht unabhängig von dieser Frage jedenfalls die Vorschrift des § 105 Abs. 3 SGB X entgegen. Danach gilt § 105 Abs. 1 SGB X u.a. gegenüber den Trägern der Jugendhilfe nur von dem Zeitpunkt ab, von dem ihnen bekannt war, dass die Voraussetzungen für ihre Leistungspflicht vorlagen.
83Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist dabei auf die positive Kenntnis des erstattungspflichtigen Trägers abzustellen, Kennenmüssen oder auch die grob fahrlässige Unkenntnis reichen insoweit nicht aus. Der jeweilige Träger der Jugendhilfe soll davor geschützt werden, wegen Aufwendungen in Anspruch genommen zu werden, bei denen ihm nicht bekannt war, dass die Voraussetzungen für seine Leistungspflicht vorlagen.
84Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juni 2005 - 5 C 30.04 -, NVwZ 2005, 1196 f., juris.
85Erforderlich ist dabei das Wissen des in Anspruch genommenen Jugendhilfeträgers, dass sowohl Hilfebedürftigkeit als auch die tatsächlichen Voraussetzungen für die eigene Leistungspflicht vorliegen, während die rechtsirrige Meinung, ein anderes Jugendamt sei zuständig, insoweit unerheblich ist.
86Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juni 2005 - 5 C 30.04 -, NVwZ 2005, 1196 f., juris; LSG NRW, Urteil vom 9. Februar 2012 - L 9 AS 36/09 -, juris; BayVGH, Urteil vom 27. September 1984 - 12 B 81 A.462 -, juris (Leitsatz); VG B. , Urteil vom 3. Februar 2004
87- 2 K 71/02 -, juris; VG Koblenz, Urteil vom 23. Februar 2015 - 3 K 1243/13.KO -, juris.
88Erforderlich ist dabei im Rahmen des § 105 Abs. 3 SGB X die tatsächliche Kenntnisnahme des zuständigen Jugendhilfesachbearbeiters, die Kenntnis anderer Dienststellen reicht nicht aus.
89Vgl. VG B. , Urteil vom 11. Mai 2004 - 2 K 3204/99 -, juris, unter Verweis auf BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - Gr. Sen. 1.84 und 2.84 -, juris, zu § 48 VwVfG; Roos, in: von Wulffen, SGB X, Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz, Kommentar, 8. Auflage 2014, § 105, Rn. 13 i.V.m. § 103, Rn. 24, Böttiger, in: Diering/Tim-me/Waschull (Hrsg.), LPK-SGB X, 3. Auflage 2011, § 105, Rn. 20 i.V.m. § 103, Rn. 36.
90Vorliegend hatte(n) der/die zuständige(n) Sachbearbeiter des Jugendamtes der Beklagten zu Beginn der Leistung im Juni 2000 positive Kenntnis vom Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen der Leistungspflicht des Beklagten, denn schließlich hatte zunächst der Beklagte die Hilfe nach §§ 27, 34 SGB VIII durchgeführt.
91Für den hier noch streitgegenständlichen Zeitraum - 1. Januar 2008 bis 5. Juni 2011 - kann indes nicht mehr von einer Kenntnis i.S.d. § 105 Abs. 3 SGB X ausgegangen werden.
92Wenn ein Jugendhilfeträger ursprünglich mit einem Hilfefall befasst war und dann den Fall an einen anderen Jugendhilfeträger abgegeben hat, ist ein Fortbestehen der Kenntnis unproblematisch zu bejahen, wenn der übernehmende Träger den abgebenden Jugendhilfeträger über den Fortgang des Hilfefalls informiert. Wenn der abgebende Jugendhilfeträger nach der Abgabe keine Informationen über den Hilfefall mehr erhält, tritt indes ein Wegfall der Kenntnis i.S.d. § 105 Abs. 3 SGB X ein. Verlangt § 105 Abs. 3 SGB X positive Kenntnis von der Leistungspflicht, so kann es nicht ausreichen, dass der abgebende Jugendhilfeträger schlicht nicht weiß, ob der Hilfebedarf fortbesteht, und dies allenfalls vermuten kann. Dies wäre schon wegen der vielfältigen Gründe, aus denen ein Hilfebedarf entfallen kann, nicht sachgerecht.
93Vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. Oktober 2015
94- 12 A 1450/14 -, juris; siehe auch VG Koblenz, Urteil vom 23. Februar 2015 - 3 K 1243/13.KO -, juris.
95Dies zugrunde gelegt hatte die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 5. Juni 2011 keine Kenntnis von ihrer Leistungspflicht i.S.d. § 105 Abs. 3 SGB X. Zwar hatte die Klägerin bei der Beklagten mit Schreiben vom 22. April 2004 die (Rück-)übernahme des Hilfefalles beantragt, so dass die Beklagte zu diesem Zeitpunkt Kenntnis davon hatte, dass die Voraussetzungen ihrer Leistungspflicht vorlagen. Nachdem sie die Übernahme jedoch abgelehnt hatte und die Klägerin nach dem Schreiben vom 14. Mai 2004 auf dieses Begehren auch nicht mehr zurückgekommen war, ist diese positive Kenntnis entsprechend der dargestellten Grundsätze weggefallen und kann jedenfalls für den hier streitgegenständlichen Zeitraum damit nicht vom Vorliegen der erforderlichen Kenntnis ausgegangen werden. Spätere Korrespondenz zwischen den Beteiligten bis ins Jahr 2007 betraf lediglich noch die Frage, welche Summe die Klägerin der Beklagten erstatten sollte; über die Fortdauer des Hilfefalls war diesem Schriftwechsel nichts zu entnehmen. Selbst wenn in dem Umstand, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin nach deren Erklärung, sie sei zu einer Kostenerstattung nur bis zum 30. November 2003 bereit, weil die Mutter des Hilfeempfängers zum 1. Dezember 2003 wieder nach T. gezogen war, die vom 1. Dezember 2003 bis zum 29. Februar 2004 entstandenen Kosten nicht mehr geltend machte, ein „Anerkenntnis“ der eigenen Leistungspflicht zum 1. Dezember 2003 zu sehen sein sollte, so könnte sich dieses nach den obigen Grundsätzen jedenfalls nicht auf den hier streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 1. Januar 2008 erstrecken. Soweit die Klägerin eine positive Kenntnis der Beklagten auch im streitgegenständlichen Zeitraum damit begründen möchte, dass die Beklagte angesichts ihres Verweises auf die Therapieeinrichtung in C1. über den Verbleib der Mutter des Hilfebedürftigen im Anschluss an deren Inhaftierung in der JVA L2. offensichtlich in Kenntnis gewesen sei, ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin selbst der Beklagten diese Information im Antrag auf Kostenerstattung vom 6. Juni 2012 mitgeteilt hat; dass die Beklagte diese Kenntnisse bereits zuvor besessen hätte, ist nicht erkennbar.
96Steht der Klägerin somit der begehrte Hauptanspruch nicht zu, hat sie auch keinen Anspruch auf die geltend gemachte Zinszahlung.
97Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO.
98Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aufgrund § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
99Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.