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Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen.
Im Übrigen wird das angefochtene Urteil geändert.
Die Beklagte wird unter Aufhebung ihres Bescheides vom 25. November 2009 und des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2010 verpflichtet, der Klägerin eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG auszustellen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
2Die am 5. Oktober 1975 in Q. (damals: UdSSR; heute: Russische Föderation) geborene Klägerin stellte unter dem 6. November 1993 einen „Antrag auf Aufnahme als Aussiedler“, über den das Bundesverwaltungsamt nicht entschied. Die Klägerin legte u. a. eine Kopie ihres am 7. September 1993 ausgestellten Inlandspasses vor, in dem sie mit deutscher Nationalität geführt wird. Ihre am 2. März 1994 erhobene Untätigkeitsklage wies das Verwaltungsgericht Köln mit Gerichtsbescheid vom 15. Juli 1996 ‑ 4 K 1511/94 ‑ ab. Die Klägerin legte gegen diesen Gerichtsbescheid Berufung ein. Im Berufungsverfahren erklärten die Beteiligten die Hauptsache übereinstimmend für erledigt, nachdem die Klägerin am 28. Oktober 1998 in den ihrer mittlerweile verstorbenen Mutter O. C. am 23. September 1998 erteilten Aufnahmebescheid einbezogen worden war. Der 2. Senat des erkennenden Gerichts stellte das Berufungsverfahren mit Beschluss vom 16. Dezember 1998 ‑ 2 A 4322/96 ‑ ein und erklärte den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. Juli 1996 für wirkungslos.
3Die Klägerin reiste am 28. März 1999 nach Deutschland ein und beantragte am 11. Mai 1999 sowohl eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG als Spätaussiedlerin als auch nach § 15 Abs. 2 BVFG als Abkömmling eines Spätaussiedlers. Als Ergebnis eines am 27. Mai 1999 durchgeführten Sprachtests hielt das Landratsamt U. -P. fest, dass die Klägerin Deutsch gut versteht und spricht. Den Antrag lehnte das Landratsamt des Landkreises U. -P. mit Bescheid vom 7. Dezember 2001 ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Regierungspräsidium M. mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2003 zurück. Die beim Verwaltungsgericht M. erhobene Klage blieb erfolglos. Unter dem 25. September 2007 hob das Landratsamt des Landkreises U. -P. seinen Bescheid vom 7. Dezember 2001 auf, nachdem das Sächsische OVG in einem Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren die Auffassung vertreten hatte, der Landkreis U. -P. sei für die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung nicht mehr zuständig, da die Klägerin bereits im Jahr 2002 nach Stuttgart umgezogen sei.
4Am 14. Februar 2008 beantragte die Klägerin beim Regierungspräsidium L. -ruhe unter Bezugnahme auf die Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 7. Dezember 2001 eine Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG. Dieses leitete den Vorgang nach Inkrafttreten des Achten Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. Juli 2009 an das nunmehr zuständig gewordene Bundesverwaltungsamt weiter. Am 16. Juli 2009 stellte die Klägerin formlos einen Aufnahmeantrag, über den das Bundesverwaltungsamt bisher nicht entschieden hat.
5Mit Bescheid vom 25. November 2009 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Antrag der Klägerin auf Ausstellung einer Bescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, die Klägerin sei keine deutsche Volkszugehörige im Sinne des § 6 Abs. 2 BVFG, weil ihr erster im Jahr 1991 ausgestellter Inlandspass eine russische Nationalitätseintragung enthalten habe. Darüber hinaus fehle es an einer ausreichenden familiären Vermittlung der deutschen Sprache im Sinne des § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG.
6Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies das Bundesverwaltungsamt mit Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2010, zugestellt am 11. Oktober 2010, zurück.
7Am 10. November 2010 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 BVFG für die deutsche Volkszugehörigkeit in ihrer Person vorliegen.
8Die Klägerin hat beantragt,
9die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 25. November 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2010 zu verpflichten, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hat die angefochtenen Bescheide verteidigt.
13Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Februar 2013 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BVFG in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts geltenden und maßgebenden Fassung nicht, weil sie nicht deutsche Volkszugehörige und damit nicht Spätaussiedlerin sei. Es fehle eine ausreichende familiäre Vermittlung der deutschen Sprache und ein durchgängiges Bekenntnis zum deutschen Volkstum.
14Zur Begründung ihrer vom Senat zugelassenen Berufung macht die Klägerin geltend, sie erfülle die Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit und damit der Spätaussiedlereigenschaft.
15Die Klägerin beantragt,
161. die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin einen Aufnahmebescheid zu erteilen,
2. das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesverwaltungsamtes vom 25. November 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Oktober 2010 zu verpflichten, der Klägerin eine Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 BVFG auszustellen.
Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Sie trägt vor: Die Berufung sei unzulässig, weil sie nicht dem Darlegungserfor-dernis entspreche. Die Klägerin habe in der Berufungsbegründung ausdrücklich beantragt, die Beklagte zu verpflichten, ihr einen Aufnahmebescheid zu erteilen. Mit den angefochtenen Bescheiden habe die Beklagte jedoch nicht die Erteilung eines Aufnahmebescheides abgelehnt, sondern die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG. Soweit die Klägerin später einen Vergleich angeboten habe mit dem Ziel, ihr eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erteilen, sei dieser Schriftsatz nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingegangen. In der Sache erfülle die Klägerin die Voraussetzungen der §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung des Zehnten BVFG-Änderungsgesetzes. Auf diese Fassung sei jedoch nicht abzustellen, weil die Frage, ob eine Person mit ihrer Einreise nach Deutschland Spätaussiedlerin werde, gemäß § 4 Abs. 1 BVFG von der Rechtslage im Zeitpunkt der Einreise der Klägerin am 28. März 1999 abhänge. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 100a Abs. 1 BVFG. Der Wortlaut der Vorschrift verweise mit seiner klaren Benennung des Rechts, „das nach dem 7. September 2001 gilt“ in die Richtung einer einmaligen Übergangsvorschrift. § 15 Abs. 2 Satz 2 BVFG stehe hier der Erteilung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG nicht entgegen, weil die Klägerin einen Antrag auf Aufnahme als Spätaussiedlerin gestellt habe, über den nicht entschieden worden sei.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge (14 Hefter) Bezug genommen.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25I. Die erst im Berufungsverfahren erhobene Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheides hat Erfolg.
261. Die insoweit vorgenommene Klageänderung in Form einer Klageerweiterung ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 91 Abs. 1 VwGO zulässig. Eine Klageänderung ist auch noch im Berufungsverfahren möglich.
27Vgl. Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 19. Auflage 2013, § 91 Rdnr. 21.
28Der Senat hält die Klageänderung auch für sachdienlich. Die Klägerin ist nicht gehindert, auf ihren bislang unbeschiedenen Aufnahmeantrag vom 16. Juli 2009 noch einen Aufnahmebescheid zu erlangen und sodann eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG zu erhalten.
29Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 5. Juli 2007 - 5 C 30.06 -, Buchholz 412.3. § 15 BVFG Nr. 32.
302. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides im Härteweg gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Maßgebend ist die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltende Fassung des am 14. September 2013 in Kraft getretenen Zehnten BVFG-Änderungsgesetzes (BGBl. I S. 3554).
31Vgl. zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt BVerwG, Urteil vom 22. April 2004 - 5 C 27.02 -, Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr. 11 (zu dem gleichlautenden § 27 Abs. 2 BVFG a. F.).
32Das Bundesverwaltungsgericht hat in dieser Entscheidung ausdrücklich betont, dass an eventuellen Aussagen, es komme bei Klagen auf Erteilung eines Aufnahmebescheides im Härteweg auf eine zu einem früheren Zeitpunkt bestehende Rechtslage an, nicht festgehalten werde.
33Die nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG erforderliche besondere Härte ergibt sich für die Klägerin daraus, dass sie in Deutschland seit 15 Jahren und nunmehr mit ihrem Ehemann zusammenlebt. Es stünde daher mit der in Art. 6 Abs. 1 GG enthaltenen Wertentscheidung nicht in Einklang, wenn die Klägerin in die Russische Föderation zurückkehren und dort die Erteilung des Aufnahmebescheids im Aussiedlungsgebiet abwarten müsste.
34Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18. November 1999 - 5 C 4.99 -, BVerwGE 110, 106.
35Die Klägerin erfüllt auch die „sonstigen Voraussetzungen“ des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Maßgeblich für die Beurteilung der „sonstigen Voraussetzungen“ ist ebenfalls die im Entscheidungszeitpunkt des Senats geltende Fassung des § 6 Abs. 2 BVFG.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. April 2004 – 5 C 27.02 -, Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr. 11 (zu dem gleichlautenden § 27 Abs. 2 BVFG a. F.).
37Unter Zugrundelegung der aktuellen Fassung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Zehnte BVFG-Änderungsgesetz erfüllt die Klägerin die „sonstigen Voraussetzungen“ des § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG. Sie stammt von einem deutschen Volkszugehörigen ab, hat ein Bekenntnis durch eine Nationalitätenerklärung abgegeben und konnte im Zeitpunkt der Begründung ihres Aufenthalts in Deutschland ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Beklagte hat dies im Schriftsatz vom 20. März 2014 ausdrücklich zugestanden.
38II. Auch die Berufung hat Erfolg.
391. Die Berufung ist zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten entspricht die Berufungsbegründung den formalen Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Danach muss die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung. Allerdings weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die Klägerin in der Berufungsbegründung vom 23. September 2013 die Erteilung eines Aufnahmebescheides beantragt hat, obwohl Gegenstand des Klagebegehrens und des angefochtenen Urteils allein die Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG war. Nach dem Gesamtzusammenhang des Verfahrens ist aber offensichtlich, dass die Klägerin die endgültige Spätaussiedlerbescheinigung gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG begehrt und nicht nur den vorläufigen Aufnahmebescheid gemäß § 26 BVFG, zumal die im vorliegenden Verfahren streitigen Fragen, ob in der Person der Klägerin die Voraussetzungen der deutschen Volkszugehörigkeit gemäß den §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 BVFG vorliegen, sich für Spätaussiedlerbescheinigung und Aufnahmebescheid inhaltsgleich stellen. Die Verwendung des Begriffs „Aufnahmebescheid“ stellt sich daher als offenbare Unrichtigkeit dar, die nicht zu Lasten der Klägerin geht.
40Vgl. etwa OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. April 2005 ‑ 6 A 10085/05 ‑, juris, Rdnr. 17.
412. Die Berufung ist auch begründet. Der ablehnende Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 25. November 2009 und sein Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2010 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
42Die Klägerin hat neben dem Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides auch einen Anspruch auf Ausstellung einer Spätaussiedlerbescheinigung. Rechtsgrundlage für die Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung ist § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG.
43Für das Begehren der Klägerin ist die Rechtslage im Zeitpunkt der vorliegenden Berufungsentscheidung maßgebend, also die zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltende Fassung des am 14. September 2013 in Kraft getretenen Zehnten BVFG-Änderungsgesetzes (BGBl. I S. 3554), und nicht - wie die Beklagte meint - die Rechtslage zum Zeitpunkt der Übersiedlung der Klägerin im März 1999.
44a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Begehren, die Beklagte zur Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG zu verpflichten, nach der im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts geltenden Rechtslage zu beurteilen.
45Vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 13. September 2007 ‑ 5 C 38.06 ‑, BVerwGE 129, 265 (266), m. w. N.
46Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG stellt das Bundesverwaltungsamt Spätaussiedlern zum Nachweis ihrer Spätaussiedlereigenschaft eine Bescheinigung aus. Für die Verpflichtung auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 BVFG kommt es auf die aktuellen Voraussetzungen nach dieser Vorschrift an. Die Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG dient dem Antragsteller zum Nachweis seiner Spätaussiedlereigenschaft. Sie bescheinigt die Spätaussiedlereigenschaft, setzt diese also voraus. Eine Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG steht demnach nur dem zu, der in dem für die Ausstellung der Bescheinigung maßgeblichen Zeitpunkt die Spätaussiedlereigenschaft besitzt, d. h. Spätaussiedler ist.
47Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 -, BVerwGE 116, 119 (121).
48Die Merkmale der deutschen Volkszugehörigkeit nach § 6 Abs. 2 BVFG (in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltenden Fassung) beanspruchen Geltung auch für noch nicht abgeschlossenen Bescheinigungsverfahren nach § 15 BVFG, selbst wenn die Antragsteller bereits Jahre vor In-Kraft-Treten des neuen Rechts im Aufnahmeverfahren nach §§ 26 ff. BVFG in das Bundesgebiet eingereist sind.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 – 5 C 2.01 -, BVerwGE 116, 114.
50b) Andererseits - hierauf weist die Beklagte hin - entsteht die Spätaussiedlereigenschaft nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits dann, wenn der aus den Aussiedlungsgebieten Kommende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt nimmt bzw. genommen hat und zu dieser Zeit auch alle übrigen Voraussetzungen für die Spätaussiedlereigenschaft vorliegen. § 15 Abs. 1 BVFG enthält keine eigene Definition des Spätaussiedlerstatus, nimmt jedoch durch die Verwendung des Begriffs des Spätaussiedlers und der Spätaussiedlereigenschaft auf die Begriffsbestimmungen in §§ 4, 6 BVFG Bezug.
51Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 2.01 -, BVerwGE 116, 114 (116).
52Nach § 4 Abs. 1 BVFG ist - abgesehen von weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen - Spätaussiedler ein deutscher Volkszugehöriger, der die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31. Dezember 1992 im Wege des Aufnahmeverfahrens verlassen und innerhalb von sechs Monaten im Geltungsbereich des Bundesvertriebenengesetzes seinen ständigen Aufenthalt genommen hat. Daraus ergibt sich, dass die Spätaussiedlereigenschaft dann entsteht bzw. entstanden ist, wenn der aus den Aussiedlungsgebieten Kommende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt nimmt bzw. genommen hat und zu dieser Zeit auch alle übrigen Voraussetzungen für die Spätaussiedlereigenschaft vorliegen.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 -, BVerwGE 116, 119 (121).
54§ 4 Abs. 1 und 2 BVFG bestimmt also sowohl Voraussetzungen für den Erwerb des Spätaussiedlerstatus als auch den Zeitpunkt, zu dem die Erwerbsvoraussetzungen vorliegen müssen, nämlich zu der Zeit, zu der der Einreisende in Deutschland seinen ständigen Aufenthalt nimmt. Nach der Rechtslage in diesem Zeitpunkt entscheidet sich, ob jemand Spätaussiedler geworden ist.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. März 2002 ‑ 5 C 45.01 ‑, BVerwGE 116, 119 (121 f.); ferner BVerwG, Urteil vom 13. September 2007 ‑ 5 C 38.06 ‑, BVerwGE 129, 265 (269 ff.).
56c) Das bedeutet jedoch nicht, dass eine während des laufenden Verwaltungs- oder Klageverfahrens in Kraft tretende und für den Antragsteller günstige Änderung der Rechtslage nicht zu berücksichtigen wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Gesichtspunkt, dass die Spätaussiedlereigenschaft gemäß § 4 Abs. 1 BVFG mit der Begründung des ständigen Aufenthalts in Deutschland entsteht, immer dann hervorgehoben, wenn sich die Rechtslage im Bescheinigungsverfahren zu Lasten des Antragstellers geändert hatte, dies jedoch dem Antragsteller wegen des grundsätzlichen Verbots einer echten Rückwirkung nicht entgegengehalten werden konnte, weil er den Spätaussiedlerstatus bereits erworben hatte.
57Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. März 2002 - 5 C 45.01 -, BVerwGE 116, 119, und vom 13. September 2007 - 5 C 38.06 -, BVerwGE 129, 265.
58Die von der Beklagten aus dieser Rechtsprechung gezogene Schlussfolgerung, es sei für die Ausstellung der Spätaussiedlerbescheinigung stets die zum Zeitpunkt der Begründung des ständigen Aufenthalts des Antragstellers in Deutschland geltende Rechtslage maßgebend, widerspricht dem oben dargelegten und in vertriebenenrechtlichen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts regelmäßig betonten Grundsatz, dass auf die im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts geltende aktuelle Rechtslage abzustellen sei. Dem Gesetzgeber bleibt es - vorbehaltlich des Verbots einer echten Rückwirkung - unbenommen, die in § 6 Abs. 2 BVFG geregelten Voraussetzungen für die deutsche Volkszugehörigkeit zu ändern, dies ist in laufenden Verfahren zu berücksichtigen. Im Vertriebenenrecht besteht generell kein Vertrauensschutz dahingehend, dass der Gestzgeber die Voraussetzungen für den Erwerb eines Rechtsstatus nach dem Bundesvertriebenengesetz nicht für die Zukunft modifiziert.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 -, BVerwGE 99, 133 (138).
60Die Auffassung der Beklagten lässt sich insbesondere nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Einklang bringen, dass im Fall der Erteilung eines Aufnahmebescheides im Härteweg stets die im Entscheidungszeitpunkt des Gerichts geltende Rechtslage zur Anwendung kommt. Dies gilt insbesondere, wenn – wie im vorliegenden Fall – der Aufnahmebescheid im Härte-weg und die Spätaussiedlerbescheinigung im Berufungsverfahren parallel beantragt werden. Nach der Rechtsauffassung der Beklagten könnte ein Antragsteller unter Zugrundelegung der aktuellen für ihn günstigeren Rechtslage einen Anspruch auf Erteilung eines (vorläufigen) Aufnahmebescheides haben, während die parallel beantragte (endgültige) Spätaussiedlerbescheinigung unter Zugrundelegung einer früheren und aufgehobenen Rechtslage abgelehnt werden müsste; das wäre widersprüchlich.
61d) Unabhängig davon hat das Bundesverwaltungsgericht aus § 100a Abs. 1 BVFG, wonach auch Anträge nach § 15 Abs. 1 BVFG nach dem Recht zu bescheiden sind, das nach dem 7. September 2001 gilt, gefolgert, dass für die Prüfung der Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausstellung der Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG vorliegen, von § 6 Abs. 2 BVFG n. F. auszugehen sei. Die Entstehungsgeschichte der Neuregelung bestätige, dass die gesetzlichen Merkmale der Spätaussiedlereigenschaft nach dem neuen Recht Geltung auch für noch nicht abgeschlossene Bescheinigungsverfahren beanspruchen.
62Vgl. BVerwG, Urteile vom 12. März 2002 ‑ 5 C 45.01 ‑, BVerwGE 116, 114 (116), und vom 13. September 2007 – 5 C 38.06 -, BVerwGE 129, 265 (267).
63Die Auffassung der Beklagten, im Hinblick auf das genannte Datum handele es sich um eine „einmalige Übergangsvorschrift“, die nur für das am 7. September 2001 in Kraft getretene Spätaussiedlerstatusgesetz (BGBl. I S. 2266) gelte, nicht jedoch für die späteren Rechtsänderungen, ist mit dem Wortlaut der Vorschrift nicht vereinbar. Das in der Vorschrift genannte Datum „7. September 2001“ bezieht sich zwar auf die Neufassung des § 6 Abs. 2 BVFG durch das Spätaussiedlerstatusgesetz vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266). § 100a Abs. 1 BVFG ist jedoch anlässlich späterer Änderungen des Bundesvertriebenengesetzes, die auch § 6 Abs. 2 BVFG betrafen (Zuwanderungsgesetz vom 20. Juni 2002, BGBl. I S. 1946; Siebtes Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 16. Mai 2007, BGBl. I S. 748; Zehntes Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes vom 6. September 2013, BGBl. I S. 3554) nicht aufgehoben worden und verweist dementsprechend für die Ausstellung von Spätaussiedlerbescheinigungen - nach wie vor - auf die aktuelle Rechtslage („gilt“).
64e) Damit richten sich die materiellen Voraussetzungen für die von der Klägerin geltend gemachte Spätaussiedlereigenschaft nach der im Entscheidungszeitpunkt des Senats geltenden Fassung des am 14. September 2013 in Kraft getretenen Zehnten BVFG-Änderungsgesetzes (BGBl. I S. 3554), obwohl die Klägerin bereits am 28. März 1999 in die Bundesrepublik Deutschland übergesiedelt ist, und nicht - wie die Beklagte meint - nach der zum Zeitpunkt der Übersiedlung der Klägerin geltenden Fassung. Das mit Antrag vom 11. Mai 1999 begonnene Bescheinigungsverfahren der Klägerin ist noch nicht abgeschlossen. Der diesen Antrag der Klägerin ursprünglich ablehnende Bescheid des Landkreises U. -P. vom 7. Dezember 2001 und der Widerspruchsbescheid vom 19. März 2003 sind aufgehoben worden. Das Bundesverwaltungsamt hat den Antrag der Klägerin, nachdem das Verfahren vom Regierungspräsidium L1. abgegeben worden war, weiter bearbeitet und durch den im vorliegenden Verfahren streitigen Ablehnungsbescheid vom 25. November 2009 und den Widerspruchsbescheid vom 7. Oktober 2010 abgelehnt. Unter Zugrundelegung des Zehnten BVFG-Änderungsgesetzes hat die Klägerin einen Anspruch auf Ausstellung der begehrten Spätaussiedlerbescheinigung. Das ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Die Beklagte hat dies im Schriftsatz vom 20. März 2014 ausdrücklich zugestanden.
65III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
66Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.