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Erfolgreiche Beschwerde einer Studienrätin, deren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gerichtet ist.
§ 4 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG ist europarechtskonform dahin auszulegen, dass Zeiträume, in denen der Beamte teilzeitbeschäftigt war, nicht nur zu dem Teil auf die versorgungsrechtliche Wartezeit anzurechnen sind, der dem Verhältnis der ermäßigten zur regelmäßigen Arbeitszeit entspricht, sondern voll zu berücksichtigen sind.
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (VG Köln - 3 K 6853/11 -) gegen die Entlassungsverfügung des Antragsgegners vom 15. November 2011 wird wiederhergestellt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf bis 30.000,00 Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Entlassungsverfügung des Antragsgegners vom 15. November 2011 ist wiederherzustellen. Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Ihre Entlassung aus dem Beamtenverhältnis ist offensichtlich rechtswidrig und verletzt sie in ihren Rechten. Ein öffentliches Interesse am Vollzug eines offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht regelmäßig und so auch hier nicht, so dass das Suspensivinteresse der Antragstellerin überwiegt.
4Die Annahme des Antragsgegners, die Antragstellerin sei zu entlassen, weil eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit mangels Erfüllung einer versorgungsrechtlichen Wartezeit nicht in Betracht komme, geht fehl. Die versorgungsrechtliche Wartezeit ist im Fall der Antragstellerin erfüllt. Sie ist mit Wirkung vom 9. August 2006 in das Beamtenverhältnis berufen worden und hat bereits mit Ablauf des 8. August 2011 eine ruhegehaltfähige Dienstzeit von fünf Jahren zurückgelegt. Der Umstand, dass sie in der Zeit vom 1. August 2007 bis zum 27. August 2010 nicht die volle Pflichtstundenzahl (25,5) geleistet hat, sondern im Umfang von 20 bzw. 21 Stunden teilzeitbeschäftigt war, steht dem nicht entgegen.
5Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamte u.a. dann zu entlassen, wenn sie dauernd dienstunfähig sind und das Beamtenverhältnis nicht durch Versetzung in den Ruhestand endet (Nr. 3) bzw. wenn sie nicht in den Ruhestand oder einstweiligen Ruhestand versetzt werden können, weil eine versorgungsrechtliche Wartezeit nicht erfüllt ist (Nr. 2). Dementsprechend bestimmt § 32 BeamtStG, dass die Versetzung in den Ruhestand die Erfüllung einer versorgungsrechtlichen Wartezeit voraussetzt. Die versorgungsrechtliche Wartezeit i.S.d. vorstehenden Bestimmungen ist erfüllt, wenn der Beamte aufgrund der von ihm zurückgelegten Dienstzeit ein Ruhegehalt beanspruchen kann. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG wird ein Ruhegehalt nur gewährt, wenn der Beamte eine Dienstzeit von mindestens fünf Jahren abgeleistet hat. Die Dienstzeit wird vom Zeitpunkt der ersten Berufung in das Beamtenverhältnis ab gerechnet und nur berücksichtigt, soweit sie ruhegehaltfähig ist (§ 4 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG).
6Es ist umstritten, wie die Einschränkung "soweit sie ruhegehaltfähig ist" zu verstehen ist, wenn - wie hier - Zeiträume in Rede stehen, in denen der Beamte teilzeitbeschäftigt war. Teilweise wird unter Hinweis auf § 6 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 BeamtVG, der bestimmt, dass Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung nur zu dem Teil ruhegehaltfähig sind, der dem Verhältnis der ermäßigten zur regelmäßigen Arbeitszeit entspricht, vertreten, Zeiträume, in den der Beamte teilzeitbeschäftigt war, seien nur zu dem Teil auf die versorgungsrechtliche Wartezeit anzurechnen, der dem Verhältnis der ermäßigten zur regelmäßigen Arbeitszeit entspreche.
7Vgl. Stadler, in: Fürst, GKÖD, Bd. 1, Loseblattslg. Stand: Mai 2012, § 4 BeamtVG Rn. 14.
8Die herrschende Gegenmeinung nimmt an, allein die Zeitspanne des Dienstverhältnisses sei maßgebend. Zeiträume, in denen der Beamte teilzeitbeschäftigt war, seien voll zu berücksichtigen, so dass die versorgungsrechtliche Wartezeit auch im Fall einer Teilzeitbeschäftigung nicht mehr als fünf Jahre betrage. Die Einschränkung "soweit sie ruhegehaltfähig ist" beziehe sich auf die Ruhegehaltfähigkeit der Dienstzeit dem Grunde, nicht dem Umfang nach. § 6 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG gelte hier nicht.
9Vgl. Schachel, in: Schütz/Maiwald, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Loseblattslg. Stand:
10April 2012, § 4 BeamtVG Rn. 10; Groepper/Tegethoff, in: Plog/Wiedow, Bundesbeamtengesetz, Bd. 2, Loseblattslg. Stand: April 2012, § 4 BeamtVG Rn. 13a, 14a - 14 b.
11Der Wortlaut des § 4 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG ist nicht eindeutig. Er lässt es zu, die Einschränkung "soweit sie ruhegehaltfähig ist" sowohl dahin zu verstehen, dass Zeiten einer Teilzeitbeschäftigung nur anteilig auf die versorgungsrechtliche Wartezeit anzurechnen sind, als auch dahin, dass Zeiträume, in denen der Beamte teilzeitbeschäftigt war, voll zu berücksichtigen sind. Der Entstehungsgeschichte der Bestimmung lassen sich insoweit ebenfalls keine eindeutigen Hinweise entnehmen.
12Die Systematik der §§ 4 ff. BeamtVG spricht allerdings dafür, dass allein die Zeitspanne des Dienstverhältnisses maßgebend ist. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeamtVG normiert eine Anspruchsvoraussetzung, während § 6 Abs. 1 Satz 3 BeamtVG (lediglich) eine Berechnungsregelung beinhaltet. Die "Umrechnung" der Teilzeitbeschäftigung nach dem Zeitfaktor ändert demnach nichts daran, dass der gesamte Zeitraum, in dem der Beamte teilzeitbeschäftigt war, dem Grunde nach ruhegehaltfähig ist.
13Vgl. Groepper/Tegethoff, a.a.O., Rn. 13a.
14Letztlich kann indes dahinstehen, ob bereits das nationale Recht es gebietet, § 4 Abs. 1 Satz 2 BeamtVG in dem Sinne auszulegen, dass Zeiträume, in denen der Beamte teilzeitbeschäftigt war, voll auf die versorgungsrechtliche Wartezeit anzurechnen sind. Diese nach nationalem Recht zumindest mögliche Auslegung ist jedenfalls deshalb geboten, weil allein sie europarechtskonform ist.
15Maßgeblicher europarechtlicher Prüfungsmaßstab ist die Richtlinie Nr. 97/81/EG des Rates vom 15. Dezember 1997 (im Folgenden: RL 97/81). Durch sie wurde die im gleichen Jahr zwischen den europäischen Sozialpartnern geschlossene Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit in Gemeinschaftsrecht überführt. Den Mitgliedstaaten wurde aufgegeben, die für ihre Umsetzung in nationales Recht erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften bis zum 20. Januar 2000 in Kraft zu setzen (vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 1 RL 97/81). Der Anhang der RL 97/81 (im Folgenden: Anhang RL 97/81) ist Bestandteil dieser Richtlinie und kann deshalb wie diese gegenüber den Mitgliedstaaten Geltung und nach Ablauf der Umsetzungsfrist gegebenenfalls auch unmittelbare Anwendung im innerstaatlichen Recht beanspruchen.
16Vgl. BVerwG, Urteile vom 23. September 2010 - 2 C 27.09 - NVwZ 2011, 296, und vom 25. März 2010 - 2 C 72.08 -, BVerwGE 136, 165.
17Nach gefestigter Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs folgt das Gebot europarechtskonformer Auslegung bei versäumter oder unzureichender Umsetzung einer Richtlinie in innerstaatliches Recht aus der Verpflichtung der Mitgliedstaaten nach Art. 249 Abs. 3 EG, die in einer Richtlinie vorgesehenen Ziele zu erreichen, und der sich aus Art. 10 EG ergebenden Obliegenheit, alle zur Erfüllung dieser Verpflichtung geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Das Gebot der europarechtskonformen Auslegung trifft alle Träger öffentlicher Gewalt in den Mitgliedstaaten und damit im Rahmen ihrer Zuständigkeit auch die Gerichte. Das nationale Gericht muss das innerstaatliche Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der Richtlinie auslegen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 249 Abs. 3 EG nachzukommen. Der Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts verlangt, dass das nationale Gericht nicht nur die zur Umsetzung der fraglichen Richtlinie erlassenen Bestimmungen, sondern das gesamte nationale Recht so auslegt, dass seine Anwendung nicht zu einem der Richtlinie widersprechenden Ergebnis führt.
18Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Januar 2007 - 20 F 1.06 u.a. -, BVerwGE 127, 282, und vom 13. Dezember 2006 - 6 C 23.05 -, juris.
19Die RL 97/81 ist vorliegend sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht anwendbar. Die Antragstellerin fällt als ehemals teilzeitbeschäftigte Beamtin in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie (vgl. § 2 Nr. 1 Anhang RL 97/81). Dem steht nicht entgegen, dass gemäß § 3 Nr. 1 Anhang RL 97/81 Teilzeitbeschäftigter im Sinne der Richtlinie ein "Arbeitnehmer" ist. Als Arbeitnehmer gilt, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Dabei ist ohne Belang, in welchem Status diese Tätigkeit ausgeübt wird. Aus diesem Grund fallen Beamte - als besondere Gruppe - ebenfalls unter diesen Begriff.
20Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Februar 2011 - 3 A 750/10 -, juris, mit weiteren Nachweisen.
21Die RL 97/81 und die Rahmenvereinbarung sollen zum einen die Teilzeitarbeit fördern und zum anderen die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten beseitigen.
22vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juni 2010 - Rs. C-395/08 und C-396/08 -, Bruno und Pettini, Slg. 2010, I-5119.
23Im Einklang mit dem Ziel, die Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten zu beseitigen, bestimmt § 4 Nr. 1 Anhang RL 97/81, dass Teilzeitbeschäftigte in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil sie teilzeitbeschäftigt sind, nicht schlechter als vergleichbare Vollzeitbeschäftigte behandelt werden dürfen, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.
24Zu den "Beschäftigungsbedingungen" im Sinne dieser Bestimmung zählen u.a. die finanziellen Bedingungen wie solche, die die von einem öffentlichen Dienstherrn an einen Beamten gezahlten Versorgungsbezüge betreffen. Erfasst werden hiervon auch die Bedingungen für den Zugang zum Altersversorgungssystem bzw. die Berechnung der hierfür erforderlichen Dienstzeit.
25Vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 1. März 2012 - C-393/10 -, O’Brien, NZA 2012, 313, und vom 10. Juni 2010, Rs. C-395/08 und C-396/08 -, Bruno und Pettini, a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 23. Februar 2011 - 3 A 750/10 -, juris.
26Gemessen an § 4 Nr. 1 Anhang RL 97/81 ist eine innerstaatliche Vorschrift zu beanstanden, die hinsichtlich der Berechnung der Dienstzeit, die für den Zugang zum Altersversorgungssystem erforderlich ist, zwischen Teilzeit- und vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten unterscheidet, es sei denn, eine unterschiedliche Behandlung ist aus objektiven Gründen gerechtfertigt.
27Vgl. hierzu EuGH, Urteile vom 1. März 2012 - C-393/10 -, O’Brien, a.a.O., und vom 10. Juni 2010, Rs. C-395/08 und C-396/08 -, Bruno und Pettini, a.a.O.
28Eine unterschiedliche Behandlung von Teil- und vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie einem echten Bedarf entspricht und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Allein der Zweck, die öffentlichen Ausgaben zu begrenzen, kann sie nicht rechtfertigen.
29Vgl. EuGH, Urteil vom 1. März 2012 - C-393/10 -, O’Brien, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 - 2 C 27.09 -, a.a.O.
30Ein Grund, der vorliegend eine unterschiedliche Behandlung von Teil- und vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten i.S.v. § 4 Nr. 1 Anhang RL 97/81 rechtfertigen könnte, ist nach diesen Maßgaben nicht ersichtlich.
31Schließlich gilt auch der Pro-rata-temporis-Grundsatz (vgl. § 4 Nr. 2 Anhang RL 97/81) nicht für die Bestimmung des Zeitpunkts, ab dem ein Anspruch auf Altersversorgung besteht, da dieser ausschließlich von den berücksichtigungsfähigen Zeiten abhängt, die der Arbeitnehmer erworben hat. Denn diese Zeiten entsprechen der tatsächlichen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und nicht dem Umfang der während des Beschäftigungsverhältnisses geleisteten Arbeit. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten erfordert daher, dass die Zeiten, die bei der Bestimmung des Zeitpunkts berücksichtigt werden, ab dem ein Anspruch auf Altersversorgung besteht, bei einem Teilzeitbeschäftigten so berechnet werden, als hätte dieser eine Vollzeitstelle innegehabt.
32Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juni 2010, Rs. C-395/08 und C-396/08 -, Bruno und Pettini, a.a.O.
33Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
34Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 52 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
35Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).