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Der angegriffene Beschluss wird geändert:
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren 24 K 1905/11 bewilligt und Rechtsanwalt T. aus L. beigeordnet.
Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Der Klägerin ist Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren zu bewilligen, weil sie nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann und die Klage hinreichende Erfolgsaussichten bietet (vgl. § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i. V. m. §§ 114, 115 der Zivilprozessordnung - ZPO -).
4Die Klägerin ist durch den angefochtenen Vergnügungssteuerbescheid vom 2. März 2011 für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 zu einer Vergnügungssteuer in Höhe von insgesamt 1.800,00 Euro herangezogen worden. Dabei wurden ausweislich des Bescheides für jeden Monat 25 Veranstaltungstage mit einem Steuersatz von 6,00 Euro pro Tag veranschlagt. Gegen die Rechtmäßigkeit dieses Vergnügungssteuerbescheides bestehen Bedenken, die es rechtfertigen, Prozesskostenhilfe zu gewähren.
5Soweit dieser Bescheid seine Rechtsgrundlage in der rückwirkenden Satzung der Stadt L. über die Erhebung einer Steuer auf Vergnügungen sexueller Art vom 19. Mai 2010 hat, bestehen Bedenken, ob die rückwirkende Einführung dieser Steuer die hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die rückwirkende Belastung der Steuerpflichtigen erfüllt. Auf die entsprechenden Ausführungen in dem Beschluss vom heutigen Tag in dem Verfahren 14 E 231/12 wird verwiesen.
6Es ist auch Prozesskostenhilfe hinsichtlich der festgesetzten Steuer zu gewähren, die unter die Satzung der Beklagten über die Erhebung einer Steuer auf Vergnügungen sexueller Art vom 19. Mai 2010 (VS) für die Zukunft fällt und für die somit keine satzungsrechtliche Rückwirkung maßgeblich ist. Hinreichende Erfolgsaussichten zur Gewährung von Prozesskostenhilfe bestehen, wenn eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Erfolg der Klage spricht. Das ist schon dann zu bejahen, wenn der Erfolg von der Klärung schwieriger Rechtsfragen oder der Ermittlung weiterer Tatsachen abhängt. Das trifft bezüglich der hier angewandten Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VS zu, nach der 25 Veranstaltungstage für jeden Kalendermonat zugrunde zu legen sind, wenn nicht weniger Veranstaltungstage nachgewiesen sind.
7Sollte darin eine Regelung zu sehen sein, dass nur bei Nachweis einer geringeren Anzahl von Veranstaltungstagen diese Zahl Besteuerungsgrundlage ist, ansonsten aber zwingend 25 Veranstaltungstage zugrunde zu legen sind, dürfte dies gegen § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) i. V. m. § 162 Abs. 1 der Abgabenordung (AO) verstoßen.
8Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2012
914 B 1520/11 , NRWE Rn. 41.
10Denn nach dieser Vorschrift hat die Steuerbehörde, wenn sie die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln kann, nicht etwa eine satzungsrechtlich festgelegte Besteuerungsgrundlage zugrunde zu legen, sondern diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.
11Im Übrigen bedürfte es zur Ausübung der Schätzungsbefugnis eines Schätzungsanlasses. Als solcher kommt hier allenfalls die Nichtabgabe einer Steuererklärung in Betracht.
12Vgl. zur Verletzung der Steuererklärungspflicht als Schätzungsanlass OVG NRW, Beschluss vom 19. März 2012 14 A 435/12 , NRWE Rn. 14 f.
13Die Klägerin dürfte aber nicht zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet gewesen sein. Eine Aufforderung dazu (§ 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a KAG i. V. m. § 149 Abs. 1 Satz 2 AO) ist den Akten nicht zu entnehmen. § 13 Abs. 1 Satz 1 VS statuiert keine solche Pflicht. Danach sind Veranstaltungen im Sinne des § 2 VS (also auch nach Nr. 4 der Vorschrift: das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt außerhalb näher bezeichneter Einrichtungen) spätestens drei Werktage vor Beginn der Veranstaltung anzumelden.
14Unabhängig davon, ob dies überhaupt eine rechtmäßig statuierte Mitwirkungspflicht ist, handelt es sich jedenfalls bei einer solchen Anmeldung nicht um eine Steuererklärung. Die Steuererklärung ist eine formalisierte Auskunft des Steuerpflichtigen, die der Steuerbehörde die Festsetzung der Steuer oder die Feststellung von Besteuerungsgrundlagen ermöglichen soll und in der Regel zum Erlass eines Steuerbescheides führt. Ein Steuerpflichtiger hat eine Steuererklärung ordnungsgemäß abgegeben, wenn er der Steuerbehörde die gesetzlich formalisierte Auskunft über den Besteuerungstatbestand und seine Bemessungsgrundlage in einer Weise erteilt, dass diese die Steuer festsetzen bzw. die Besteuerungsgrundlagen feststellen kann. Durch die Abgabe der Steuererklärung wirkt der Steuerpflichtige bei der Ermittlung des Sachverhalts mit (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a i. V. m. § 90 Abs. 1 Satz 1 AO), indem er der Steuerbehörde die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen offen legt und auf diese Weise die Sachverhaltsbasis für das Veranlagungsverfahren schafft.
15Vgl. BFH, Beschluss vom 22. Mai 2006 VI R 49/04 , BFHE 213, 508 (531 f.).
16Mit der Angabe der Besteuerungsgrundlage in der Steuererklärung werden die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse offen gelegt, die für die Steuerpflicht und für die Bemessung der Steuer maßgebend sind (vgl. die Legaldefinition in § 199 Abs. 1 AO). Steuertatbestand ist hier das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt außerhalb näher bezeichneter Einrichtungen (§ 2 Nr. 4 VS), Steuermaßstab ist der Veranstaltungstag (§ 5 Abs. 1 VS). Die hier in Rede stehende Anmeldung betrifft also nicht die Erklärung über einen erfüllten Steuertatbestand sowie die verwirklichte Bemessungsgrundlage, sondern allein eine Erklärung über eine für das Entstehen und die Höhe der Steuer unerhebliche und somit keine Besteuerungsgrundlage darstellende Absicht, einen Steuertatbestand in bestimmtem Umfang zu erfüllen. Das ist keine Steuererklärung, auch wenn § 13 Abs. 6 Satz 1 VS das fingiert. Der gesetzliche Begriff steht der Definitionsmacht des Satzungsgebers nicht offen, vielmehr ergibt sich sein oben beschriebenes Wesen durch Auslegung unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck einer Steuererklärung.
17Eine Steuererklärungspflicht wurde auch nicht nach § 13 Abs. 1 Satz 2 VS begründet. Danach ist bei unvorbereiteten und nicht vorherzusehenden Veranstaltungen die Anmeldung an dem auf die Veranstaltung folgenden Werktag nachzuholen. Zu diesem Zeitpunkt ist zwar eine Steuerklärung möglich, da die Steuer dann durch Verwirklichung des Steuertatbestands entstanden ist (§ 12 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b KAG i. V. m. § 38 AO, § 9 VS). Es ist jedoch nicht erkennbar und darüber hinaus auch unwahrscheinlich, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen hier erfüllt wären (unvorbereitet, nicht vorherzusehen). Schließlich wäre es auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bedenklich, von einer Prostituierten an jedem auf einen Veranstaltungstag folgenden Werktag eine Steuererklärung zu fordern.
18Allenfalls wird man erwägen können, ob in der Nichtausübung der Gelegenheit nach § 5 Abs. 2 VS, binnen 14 Tagen nach Ende des jeweiligen Veranstaltungsmonats zu erklären, dass weniger als 25 Veranstaltungstage im Kalendermonat stattgefunden haben, ein hinreichender Anlass zu sehen ist, auf dem Wege der Schätzung unter Beachtung des § 162 Abs. 1 Satz 2 AO 25 Tage zugrunde zu legen.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO.
20Dieser Beschluss ist unanfechtbar.