Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Das angegriffene Urteil wird geändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Kläger.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
G r ü n d e:
2I.
3Die Beteiligten streiten über die Frage, ob der Kläger von seiner Pflicht zur Überlassung des Niederschlagswassers an die Beklagte freizustellen ist. Ein dahingehender Antrag des Klägers wurde seitens der Beklagten mit Bescheid vom 13. Mai 2009 unter Hinweis auf den vor seinem Grundstück seit 1984 betriebsfertig liegenden Mischwasserkanal abgelehnt. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils Bezug genommen.
4Der gegen den vorgenannten Bescheid erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht teilweise statt. Es verpflichtete die Beklagte, über den Freistellungsantrag des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
5Gegen das Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene sowie fristgerecht eingelegte und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten. Mit dieser trägt sie im Kern vor: Der Ablehnungsbescheid vom 13. Mai 2009 sei rechtmäßig. U. a. der vorhandene ausreichend dimensionierte Mischwasserkanal, der Gegenstand einer genehmigten Kanalnetzplanung vor dem 1. Juli 1995 sei, gebührenrechtliche Aspekte, Gesichtspunkte des Bestandsschutzes sowie ungeklärte haftungsrechtliche Fragen führten im Rahmen einer weitreichenden Entscheidungskompetenz bei der Bescheidung eines Freistellungsantrags nach § 53 Abs. 3a des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (LWG) zu einer rechtmäßigen ermessensgerechten Ablehnung der begehrten Freistellung von der Abwasserüberlassungspflicht. Ihre Entscheidung stelle dabei eine intendierte Ermessensentscheidung dar, die zu Lasten des Klägers ausgehe. Da hier eine gänzliche Umplanung des Mischwasserkanalnetzes für das konkrete – gesamte – Entwässerungsgebiet einen unverhältnismäßigen technischen und wirtschaftlichen Aufwand bedeuten würde und darüber hinaus – sollten sich nach und nach alle Grundstücke hinsichtlich des Niederschlagswassers vom Mischwasserkanal abkoppeln – dessen wirtschaftlicher Betrieb fraglich sei, greife vorliegend nämlich § 51a Abs. 3 LWG ein, der die Richtung für die hier auf der Grundlage des § 53 Abs. 3a LWG getroffenen Ermessensentscheidung vorgebe.
6Die Beklagte beantragt sinngemäß,
7das angegriffene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.
8Der Kläger beantragt,
9die Berufung zurückzuweisen.
10Er verteidigt das angegriffene Urteil und weist die Argumente der Beklagten für die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids im Einzelnen zurück. Dabei legt er maßgeblich auch Folgendes dar:
11Schon dem ablehnenden Bescheid der Beklagten habe entnommen werden können, dass sie verkenne, dass ihr bei der Entscheidung über den Freistellungsantrag Ermessen zustehe. Zwar bemühe sich die Beklagte im Rahmen ihrer Berufungsbegründung darum darzulegen, dass sie das ihr zustehende Ermessen gesehen und auch ausgeübt habe. Im Endeffekt führten die Ausführungen der Beklagten aber wieder zu dem gleichen Ergebnis: Die Beklagte gehe von einer Ermessensreduzierung auf Null aus. Damit bleibe der angefochtene Bescheid nach wie vor rechtswidrig. Denn die Beklagte sei immer noch der Auffassung, dass selbst bei gemeinwohlverträglicher Beseitigung des Niederschlagswassers auf dem Grundstück gemäß § 53 Abs. 3a LWG eine Freistellung nicht in Betracht komme. Dies erstaune umso mehr, weil ein eigener Niederschlagswasserkanal von der Beklagten nicht angelegt worden sei. Der Anschluss solle vielmehr an einen Mischwasserkanal erfolgen, obwohl dieser zu einem Zeitpunkt errichtet worden sei, als es überhaupt noch keinen Anschlusszwang für Niederschlagswasser gegeben habe. Zudem widerspreche die Ableitung von Niederschlagswasser in einen Mischwasserkanal auch der gesetzlichen Konzeption des LWG und sei überdies ökologisch sowie ökonomisch nicht sinnvoll. Dies gelte umso mehr, wenn – wie hier – eine gemeinwohlverträgliche Beseitigung des auf einem Grundstück anfallenden Niederschlagswassers möglich sei.
12In diesem Zusammenhang verweist der Kläger auch auf die Situation in Nachbargemeinden, in denen die Ableitung von Niederschlagswasser in auf dem Grundstück befindliche Teiche sogar teilweise finanziell gefördert, jedenfalls aber insoweit von einem Anschluss- und Benutzungszwang abgesehen worden sei.
13Ferner sei in den Blick zu nehmen, dass im Rahmen eines Ortstermins am 6. Juni 2007 durch Mitarbeiter der Beklagten festgestellt worden sei, dass er – der Kläger – das Niederschlagswasser gar nicht in den Mischwasserkanal einleitete. Vor diesem Hintergrund seien mit Bescheid vom 4. Dezember 2007 die Dachflächen seines Hauses als nicht gebührenpflichtige Flächen festgesetzt worden. Diesen Bescheid habe er nur so verstehen können, dass er – der Kläger – bezogen auf das Niederschlagswasser von der Anschlusspflicht an den Mischwasserkanal befreit worden sei.
14Sofern die Beklagte des Weiteren fiskalische Gründe für die Ablehnung der Freistellung anführe, überzeuge dies nicht. Weiterhin komme ihm – dem Kläger – Bestandsschutz zu, da die vormalige Nichteinleitung des Niederschlagswassers in den Mischwasserkanal mit Blick darauf rechtmäßig gewesen sei, dass insoweit früher kein Anschluss- und Benutzungszwang bestanden habe.
15Schließlich sei in Rechnung zu stellen, dass die Beklagte ihn – den Kläger – praktisch schon i. S. v. § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG freigestellt habe, jedenfalls aber ein Verzicht gemäß § 53 Abs. 3a Satz 2 LWG ausgesprochen habe. Denn sie wolle den Anschluss- und Benutzungszwang in der Weise durchsetzen, dass er – der Kläger – an seinem Gartenteich einen Überlauf installiere, über den ggf. tatsächlich überfließendes Wasser in den Mischwasserkanal gelange. Dieser Fall werde aber niemals eintreten. Im Ergebnis gehe es der Beklagten ausschließlich um die Verwirklichung eines Gebührentatbestandes.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der dazu beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
17II.
18Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten gemäß § 130a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einstimmig durch Beschluss, da er auch in Kenntnis und Würdigung des Schriftsatzes des Klägers vom 29. August 2011 eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.
19Die Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Unrecht zu einer Neubescheidung verpflichtet. Die zulässige Klage ist nämlich unbegründet. Die durch die angegriffene Verfügung ausgesprochene Ablehnung der begehrten Freistellung von der Pflicht zur Überlassung des Niederschlagswassers ist mangels Freistellungsanspruchs rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO).
20Die Voraussetzungen der für die begehrte Freistellung von der Pflicht zur Überlassung des Niederschlagswassers allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG liegen nicht vor.
211. Diese Vorschrift bestimmt, dass, sofern gegenüber der zuständigen Behörde nachgewiesen ist, dass das Niederschlagswasser gemeinwohlverträglich auf dem Grundstück versickert oder ortsnah in ein Gewässer eingeleitet werden kann, und die Gemeinde den Nutzungsberechtigten des Grundstücks von der Überlassungspflicht nach Absatz 1 c freigestellt hat, dieser zur Beseitigung von Niederschlagswasser verpflichtet ist. Damit ist klargestellt, dass die Freistellung neben dem Nachweis der gemeinwohlverträglichen Versickerung oder ortsnahen Gewässereinleitung zweite konstitutive Voraussetzung für einen Übergang der Pflicht zur Beseitigung des Niederschlagwassers auf den Kläger ist.
22OVG NRW, Beschlüsse vom 1. September 2010 15 A 1636/10 -, vom 23. Juni 2010 15 A 2244/09 , und vom 24. Juni 2009 15 A 1187/09 -.
23Vor diesem Hintergrund kommt es für einen etwaigen Übergang der Niederschlagswasserbeseitigungspflicht von der Beklagten auf den Kläger auf einen gegenwärtig noch fehlenden Gemeinwohlverträglichkeitsnachweis nicht an, wenn die Beklagte wie hier - die von dem Kläger begehrte Freistellung im Übrigen zu Recht versagt hat (siehe dazu unten 2.).
24Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf Bestandsschutz in dem Sinne berufen, dass er von Anfang an das Niederschlagswasser in Übereinstimmung mit früherem Recht beseitigt habe und er daher eine Freistellung gar nicht benötige. Dafür gibt das Gesetz nichts her. Im Gegenteil: Dieses weist in § 53 Abs. 1 LWG, welcher die Vorschrift des § 18a WHG a. F. in Bezug nimmt (vgl. jetzt §§ 54 ff. WHG n. F.), den Kommunen nunmehr (wieder) umfassend die Pflicht zur Beseitigung auch des Niederschlagswassers zu und verpflichtet korrespondierend damit die Nutzungsberechtigten in § 53 Abs. 1c Satz 1 LWG zur umfassenden Überlassung des Abwassers an die Gemeinden, ohne dabei Rücksicht darauf zu nehmen, dass unter Geltung alten Rechts diese Beseitigungspflicht bei dem Nutzungsberechtigten eines Grundstücks liegen konnte (vgl. § 51a Abs. 2 LWG a. F.) bzw. dass unter Geltung alten Rechts jedenfalls eine Niederschlagsüberlassungspflicht nicht bestand.
25OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2010 15 A 1636/08 -.
26Entgegen der Auffassung des Klägers hat ihn die Beklagte auch nicht etwa (konkludent) i. S. v. § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG freigestellt. Dies ergibt sich weder aus dem Bescheid vom 4. Dezember 2007, mit dem die Beklagte die Dachflächen des Klägers aus der Gebührenerhebung für die Abwasserbeseitigung herausgenommen hat, noch daraus, dass die Beklagte dem Kläger die sog. Zisternenregelung angeboten hat. Die Herausnahme der Dachflächen aus der Abwassergebührenerhebung erfolgte schlicht deshalb, weil der Kläger insoweit nicht an das öffentliche Kanalnetz angeschlossen war, dieses also – was für die Gebührenerhebung aber Voraussetzung ist – gar nicht in Anspruch nehmen konnte. Soweit der Kläger aus der ihm "angebotenen" Zisternenregelung (Regenwassernutzungsanlage mit Überlauf) die hier streitige Freistellung ableiten will, verkennt er, dass diese – rein rechtlich – an seiner Abwasserüberlassungspflicht nichts geändert hat. Er bleibt im Grundsatz abwasserüberlassungspflichtig und die Gemeinde abwasserbeseitigungspflichtig. Schließlich liegt in der Zisternenregelung auch kein Verzicht i. S. v. § 53 Abs. 3a Satz 2 LWG. Denn es fehlt – worauf die Beklagte zutreffend hinweist – an der "bereits erfolgten Übernahme" des Niederschlagswassers.
272. Die Beklagte hat dem Kläger die begehrte Freistellung nach § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG zu Recht versagt. Die Freistellung steht ersichtlich im Ermessen der Gemeinde, dessen Ausübung sich am Normzweck zu orientieren hat. Dieser ergibt sich aus dem Regelungsgefüge, in dem die vorzitierte Norm steht, und geht im Grundsatz dahin, dass die Gemeinde bei der Freistellungsentscheidung ohne Weiteres an der von ihr auf der Grundlage von § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG getroffenen Grundentscheidung über die Art und Weise der Abwasserbeseitigung festhalten darf und – sofern diese Entscheidung die Abwasserüberlassung durch den Nutzungsberechtigten an die Gemeinde vom Grundsatz her erforderlich macht - sie nur in begründeten Ausnahmefällen gehalten ist, hiervon zu befreien.
28OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2010 15 A 1636/08 -.
29Im Einzelnen ist insoweit auszuführen: Das Gesetz geht vom Grundsatz her (vgl. insoweit auch schon oben) von einer umfassenden Beseitigungspflicht der Gemeinde auch für das Niederschlagswasser und einer damit korrespondierenden Überlassungspflicht durch den Nutzungsberechtigten aus, § 53 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 1c Satz 1 LWG. Einen möglichen automatischen Übergang der Niederschlagswasserbeseitigungspflicht, wie ihn noch § 51a Abs. 2 Satz 1 LWG a. F. anordnete, kennt das Gesetz nicht mehr. Die Ermessensausübung nach § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG hat demnach in den Blick zu nehmen, dass das Gesetz die Gemeinde in der Pflicht zur Niederschlagswasserbeseitigung sieht, dass es also vom Regelungsansatz her zunächst einmal von einer Beseitigung des Niederschlagswassers durch Einleitung in das öffentliche (Regenwasser-)Kanalnetz ausgeht, was § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG ausdrücklich als zulässige Form der Niederschlagswasserbeseitigung anerkennt. Allerdings bestehen neben dieser Form der Niederschlagswasserbeseitigung nach dem Wortlaut von § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG drei weitere Beseitigungsmöglichkeiten (Versickerung, Verrieselung, Direkteinleitung in ein Gewässer), ohne dass das Gesetz einen Vorrang einer der Beseitigungsformen statuieren würde. Davon ausgehend hat die abwasserbeseitigungspflichtige Gemeinde also letztlich zu prüfen, welche Beseitigungsvariante in Betracht gezogen werden kann,
30OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2010 15 A 1636/08 -,
31wobei zu beachten ist, dass durch die gewählte Form der Niederschlagswasserbeseitigung das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird, § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG a. E.
32Zu den insoweit zu berücksichtigenden Aspekten vgl. Queitsch, in: Ders./Koll-Sarfeld/Wallbaum (Hrsg.), Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen; Loseblattsammlung (Stand: Juli 2010), § 51a Rn. 19 ff.
33Die ausgewählte Beseitigungsmethode kann die Gemeinde durch Satzung festsetzen, § 51a Abs. 2 Satz 1 LWG. Nach Satz 2 vorgenannter Vorschrift können die Festsetzungen auch in einen Bebauungsplan aufgenommen werden, wobei insoweit u. a. die Grundsätze der Planerhaltung nach §§ 214 bis 216 BauGB gelten. Vor diesem Hintergrund steht der Gemeinde bei der Bestimmung der Art und Weise der Niederschlagswasserbeseitigung ein grundsätzlich weitreichendes, nur eingeschränkt überprüfbares (Planungs-)Ermessen zu.
34Hat sie dieses namentlich zu Gunsten eines Regenwasserkanals ausgeübt und diese Beseitigungsmethode nach § 51a Abs. 2 Satz 1 in einer eigenen Satzung oder in einem Bebauungsplan festgesetzt und anschließend den Kanal entsprechend der Festsetzung oder in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens ohne eine solche Festsetzung gebaut, wird in der Regel später kein Raum mehr sein, den einzelnen Nutzungsberechtigten von der damit einhergehenden endgültigen Pflicht zur Überlassung des Abwassers an die Gemeinde nach § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG NRW freizustellen. Denn in einem solchen Fall ist die Zielsetzung des § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG in vollem Umfang erfüllt und eine einheitliche Regenwasserbeseitigung zum Wohl der Allgemeinheit sichergestellt.
35OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2010 15 A 1636/08 -; Queitsch, in: Ders./Koll-Sarfeld/Wallbaum (Hrsg.), Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen; Loseblattsammlung (Stand: Juli 2010), § 51a Rn. 24.
36Im vorliegenden Verfahren fehlt es allerdings an einer Entscheidung für einen Regenwasserkanal. Vielmehr hat sich die Beklagte bereits Anfang der 1980er Jahre auf der Grundlage alten Rechts für den Bau eines dann später errichteten, seit 1984 betriebsfertigen Mischwasserkanals entschieden. Dieser steht grundsätzlich dem aus § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG folgenden Leitgedanken der ortsnahen bzw. von der Beseitigung des Schmutzwassers getrennt vorzunehmenden Niederschlagswasserbeseitigung entgegen. Vor diesem Hintergrund könnte jedenfalls vom Ansatz her eine Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 3a LWG zu Gunsten des Klägers gerechtfertigt erscheinen.
37Eine solche für den Kläger positive Entscheidung ließe jedoch unberücksichtigt, dass der aus § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG folgende Leitgedanke hinsichtlich des Grundstücks des Klägers gar nicht angewandt werden kann. Denn mit Blick auf die dort angeordnete Stichtagsregelung (Bebauung nach dem 1. Januar 1996) gilt die Vorschrift von vorneherein mit der Folge für das Grundstück des Klägers nicht, dass es für dieses bei der vor 1996 bestehenden Entwässerungsrechtssituation verbleibt. Nach dieser war die Gemeinde dem Grunde nach auch für die Beseitigung des Niederschlagswassers verantwortlich, wenn sie auch nicht auf der Grundlage des seinerzeitigen Rechts die Überlassung des Niederschlagswassers an sie rechtlich durchsetzen konnte. Mit der Niederschlagswasserbeseitigungspflicht korrespondierte also entgegen der heutigen Rechtslage keine Niederschlagswasserüberlassungspflicht. Aus diesem Umstand kann allerdings nicht gefolgert werden, dass die früher vom Kläger unterlassene Einleitung des Niederschlagswassers in den dafür vorgesehenen Mischwasserkanal rechtlich in irgendeiner Art und Weise geschützt gewesen wäre. Denn die Beseitigungspflicht hinsichtlich des Niederschlagswassers blieb – wie ausgeführt – bei der Gemeinde, die die Planung und den Betrieb des Mischwasserkanals auf eben diese Pflicht auszurichten hatte. Dem trägt das geltende Recht mit der Stichtagsregelung in § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG Rechnung, indem es die vor dem 1. Januar 1996 bebauten Grundstücke von der Pflicht zur ortsnahen und getrennten Beseitigung von Schmutz- und Niederschlagswasser ausgenommen hat.
38Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte zu Recht die Freistellung von der Niederschlagswasserüberlassungspflicht versagt. Sie durfte ihre Entscheidung auf den sich aus § 51a Abs. 3 LWG ergebenden Rechtsgedanken stützen. Dieser führt zu einer intendierten Ermessensentscheidung mit der weitergehenden Folge, dass es einer Ermessensausübung im eigentlichen Sinne nicht bedurfte. Dies ergibt sich im Einzelnen aus Folgendem:
39Nach § 51a Abs. 3 LWG ist Niederschlagswasser, das aufgrund einer – wie hier – nach bisherigem Recht genehmigten Kanalisationsnetzplanung gemischt mit Schmutzwasser einer öffentlichen Abwasserbehandlungsanlage zugeführt wird oder werden soll, von der Verpflichtung nach § 51a Abs. 1 LWG ausgenommen, wenn der technische oder wirtschaftliche Aufwand unverhältnismäßig groß ist.
40Hier wäre der technische und wirtschaftliche Aufwand als unverhältnismäßig groß anzusehen. Die Unverhältnismäßigkeitsprüfung hat sich mit Blick auf die Systematik von § 51a Abs. 3 und Abs. 1 Satz 1 LWG darauf zu beziehen, ob eine Niederschlagswasserbeseitigung im Sinne von § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG technisch oder wirtschaftlich unverhältnismäßig wäre. Dies bedarf einer Prüfung, in deren Rahmen z. B. zu erwägen sein kann, ob etwa der wirtschaftliche Betrieb der Mischwasserkanalisation als öffentliche Einrichtung bei einer Umstellung auf ortsnahe Niederschlagswasserbeseitigung beeinträchtigt wäre. In den Blick genommen werden können auch die Kosten für die Anpassung der vorhandenen Anlagen an die geänderte Belastung und die Kosten für geänderte Betriebsweisen. Grundsätzlich ist bei dieser Unverhältnismäßigkeitsprüfung auf das gesamte Entwässerungsgebiet mit seiner abwassertechnischen Entwässerungssituation abzustellen. Eine reine Einzelfallbetrachtung eines konkreten Grundstücks wird nämlich dem Regelungsgehalt des § 51a Abs. 3 LWG nicht gerecht, so dass es auf die Auswirkungen einer Freistellung nur eines Grundstücks von der Abwasserüberlassungspflicht nicht ankommt. Denn der Nichtanschluss eines einzelnen Grundstücks würde grundsätzlich keinen technischen oder wirtschaftlich unverhältnismäßigen Aufwand hervorrufen. Würde aber bei jedem Grundstück nur auf dieses konkrete Grundstück abgestellt, so führte dies zwangsläufig in der Summe aller einzelnen Grundstücke, die nicht angeschlossen werden, dazu, dass die gesamte abwasserrechtliche Entwässerungskonzeption "Mischwasserkanal" nachträglich entwertet wird. Diese Rechtsfolge ist aber im Gesetz nicht angelegt und würde die Regelung des § 51a Abs. 3 LWG regelmäßig mit der Folge leerlaufen lassen können, dass Sinn und Zweck des Gesetzes nicht erreicht würden.
41OVG NRW, Beschluss vom 1. September 2010 15 A 1636/08 -; Queitsch, in: Ders./Koll-Sarfeld/Wallbaum (Hrsg.), Wassergesetz für das Land Nordrhein-Westfalen; Loseblattsammlung (Stand: Juli 2010), § 51a Rn. 32 f.
42Ergänzend und bestätigend ist zu berücksichtigen, dass § 51a Abs. 3 LWG nach dem Willen des Gesetzgebers dem Schutz getätigter abwasserrechtlicher Investitionen dienen soll,
43vgl. die amtliche Begründung zu § 51a im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wasserrechtlicher Vorschriften vom 15. November 2004, LT-Drs. 13/6222, 100,
44was sich aus den dargelegten Gründen bei einer grundstücksbezogenen Einzelfallbetrachtung nicht sicherstellen ließe.
45Die von diesen Erwägungen ausgehenden Ausführungen der Beklagten im Berufungsverfahren zur wirtschaftlichen und technischen Unverhältnismäßigkeit sind nachvollziehbar und lebensnah und rechtlich nicht zu beanstanden. Sie werden vom Kläger auch nicht durchgreifend in Frage gestellt. Letztlich tritt er ihnen nicht substantiiert entgegen. Auch im Übrigen sind belastbare Anhaltspunkte, die vorliegend gegen eine technische oder wirtschaftliche Unverhältnismäßigkeit sprechen könnten, nicht ersichtlich. Im Gegenteil: Die Erwägungen der Beklagten entsprechen vielmehr der Erfahrung des Senats.
46Die Vorschrift des § 51a Abs. 3 LWG entbindet allerdings nur von der Verpflichtung des § 51a Abs. 1 LWG, unter den – wie ausgeführt – das Grundstück des Klägers mit Blick auf den Zeitpunkt seiner Bebauung Ende der 1980er Jahre nicht fällt. Der aus § 51a Abs. 3 LWG folgende Rechtsgedanke des Bestandsschutzes für bestimmte Mischwasserkanäle gilt aber erst Recht für solche Grundstücke, für die – wie hier – eine Pflicht zur ortsnahen Niederschlagswasserbeseitigung nach § 51a Abs. 1 LWG nicht besteht, weil gerade dort – wie der bereits mehrfach bemühte Stichtag in vorzitierter Norm zeigt - die alte durch die damalige Abwasserbeseitigungspflicht der Gemeinde geprägte Entwässerungssituation Bestand haben sollte.
47§ 51a Abs. 3 LWG erweist sich damit bei Vorliegen seiner Voraussetzungen vom Grundsatz her als eine gesetzliche Systementscheidung für den Betrieb eines Mischwasserkanals mit einer in der Regel bestehenden Anschlusspflicht der an diesem anliegenden Grundstücke.
48Der ablehnende Bescheid ist schließlich auch nicht deshalb rechtswidrig, weil – wie der Kläger meint – die Ausübung des Ermessens durch die Beklagte nicht erkennbar sei, da diese offenbar von einer Ermessensreduzierung auf Null ausgehe. Dieses Argument greift schon deshalb nicht durch, weil vorliegend die Grundsätze über das sog. intendierte Ermessen eingreifen. Diese besagen Folgendes: Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1997 3 C 22/96 -, NJW 1998, 2233 f.; OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 2010 15 B 1766/09 -.
50Als eine das Ermessen nach § 53 Abs. 3a Satz 1 LWG lenkende Norm ist § 51a Abs. 3 LWG anzusehen. Dies ergibt sich letztlich aus dem systematischen Zusammenhang, in dem die beiden Vorschriften insbesondere auch mit § 51a Abs. 1 Satz 1 LWG stehen. Denn wenn § 51a Abs. 3 LWG die Gemeinden gerade unter der Voraussetzung der technischen oder wirtschaftlichen Unverhältnismäßigkeit von den Vorgaben des § 51a Abs. 1 Satz 1 entbindet und die Beseitigung von Niederschlagswasser durch Einleitung in einen Mischwasserkanal aus Gründen der Verhältnismäßigkeit erlaubt, dann soll nach dieser Konzeption des Gesetzes in der Regel von einer Freistellung nach § 53 Abs. 3a LWG abgesehen werden. Nur so kann für den Regelfall vermieden werden, dass durch Freistellungen die letztlich aus verfassungsrechtlichen Gründen der Verhältnismäßigkeit für die Beseitigung von Niederschlagswasser in einem Mischwasserkanal getroffene Entscheidung konterkariert wird. Dabei muss der ermessenslenkende Charakter des § 51a Abs. 3 LWG aus den bereits oben dargelegten Gründen erst Recht für solche Grundstücke gelten, die einer Pflicht zur ortsnahen und getrennten Abwasserbeseitigung nie unterlegen haben.
51Davon ausgehend sind durchgreifende Anhaltspunkte für eine ermessensfehlerhafte Entscheidung der Beklagten nicht (mehr) erkennbar. Diese hat im Berufungsverfahren gemäß § 114 Satz 2 VwGO zulässig ihre bis dahin erfolgten Ermessenserwägungen klarstellend dahin ergänzt, dass ihre Entscheidung und ihre Ausführungen den § 51a Abs. 3 LWG zugrunde liegenden Erwägungen Rechnung trügen. Einer darüber hinausgehenden Begründung bedurfte es wegen des hier – wie vorstehend dargelegt – eingreifenden intendierten Ermessens nicht.
52Anderes würde nur dann gelten, wenn – wofür hier aber nichts Belastbares ersichtlich ist – der Gemeinde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen.
53So etwa in einem – hier nicht gegebenen – Fall, in dem auf der Grundlage des § 51a Abs. 2 LWG a. F. die Niederschlagswasserbeseitigungspflicht auf den Grundstückseigentümer tatsächlich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 51a Abs. 4 Satz 2 LWG a. F. übergegangen ist und der Eigentümer vor diesem Hintergrund erhebliche Investitionen in eine Anlage zur Niederschlagswasserbeseitigung getätigt hat, oder wenn die Behörde fälschlicherweise von einem Übergang der Niederschlagswasserbeseitigungspflicht ausgegangen ist und sie den Grundstückseigentümer letztlich zur Errichtung einer entsprechenden Niederschlagswasserbeseitigungsanlage in die Pflicht genommen hat.
54Werden solche – hier nicht gegebenen – Umstände von der Gemeinde nicht erwogen, liegt trotz eines im Grundsatz geltenden intendierten Ermessens ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Juni 1997 3 C 22/96 -, NJW 1998, 2233 f.; OVG NRW, Beschluss vom 25. Januar 2010 15 B 1766/09 -.
56Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, diejenige über deren vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
57Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
58Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG.