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Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses für das Verfahren erster und zweiter Instanz auf 42.900,-- Euro festgesetzt.
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
3Die Zulässigkeit des mit der Beschwerde - nunmehr als Hauptantrag - weiter verfolgten Antrags,
4vorläufig festzustellen, dass die Aufnahme der Groß- und Einzelhandelsnutzung durch die Firma Q. - Delikatessen GmbH mit dem Verkauf von italienischen Produkten gemäß der Betriebsbeschreibung vom 3. März 2006 auf dem Grundstück Gemarkung M. , Flur 22, Flurstück 479 teilweise (L.------straße 6, B. ) einer Baugenehmigung nicht bedarf,
5kann dahingestellt bleiben. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die begehrte vorläufige Feststellung für den Zeitraum bis zu einer Entscheidung über eine noch zu erhebenden Feststellungsklage zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt. Dies kommt im Verfahren nach § 123 Abs. 1 VwGO nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn die begehrte Regelung im Hinblick auf das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) schlechterdings notwendig wäre. Dies wäre der Fall, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht.
6Vgl. zur vorläufigen Gestattung: OVG NRW, Beschluss vom 22. Oktober 1993 - 7 B 2598/93 - und vom 18. März 1996 - 7 B 551/96 -.
7Hier bestehen Zweifel, ob den Antragstellern ohne die begehrte einstweilige Anordnung tatsächlich unzumutbare Nachteile drohen. Sie berufen sich auf einen monatlichen Schaden in Höhe von 7.150,-- Euro, der sich wohl im Wesentlichen aus Mietausfällen ergibt. Eine Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz ist damit jedoch nicht dargelegt. Ein irreparabler Schaden droht den Antragstellern im Übrigen nicht. Es kommt nämlich ein verschuldensunabhängiger Entschädigungsanspruch nach §§ 39 ff. OBG in Betracht, wenn das Schreiben des Antragsgegners vom 21. Juni 2006 eine unrichtige Auskunft enthalten würde.
8Der Hauptantrag ist jedenfalls unbegründet.
9Das Verwaltungsgericht hat den Antrag wegen fehlenden Anordnungsanspruchs abgelehnt. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die beabsichtigte Nutzung des streitbefangenen Grundstücks stelle eine Nutzungsänderung im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW dar und daher sei vor Nutzungsaufnahme die Durchführung eines baurechtlichen Genehmigungsverfahrens erforderlich. Das Beschwerdevorbringen gibt im Ergebnis zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass.
10Eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung liegt schon dann vor, wenn die bloße Möglichkeit besteht, dass die Zulässigkeit des geänderten Vorhabens nach den bauordnungs- oder bauplanungsrechtlichen Vorschriften anders beurteilt werden kann als die bislang genehmigte Nutzung.
11Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein- Westfalen, Stand: Oktober 2006, Rn. 64 zu § 63 m.w.N.
12Danach dürfte die vorläufige Feststellung, dass die beabsichtigte Nutzung keiner Genehmigung bedarf, im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO nur dann in Betracht kommen, wenn die Möglichkeit einer anderen baurechtlichen Beurteilung offensichtlich ausscheidet, die beabsichtigte Nutzung also bei summarischer Prüfung erkennbar von der bestehenden Genehmigungslage gedeckt ist. Dies ist hier nicht der Fall.
13Die Antragsteller machen im Wesentlichen geltend, die beabsichtigte Groß- und Einzelhandelsnutzung durch die Fa. Q. - Delikatessen GmbH sei von der Baugenehmigung vom 23. Januar 1985 und der Nachtragsbaugenehmigung vom 23. Dezember 1986 gedeckt. Diese genehmigten nämlich - so das Verwaltungsgericht - einen "Ausstellungs- und Verkaufsraum" im Erdgeschoss des Betriebsgebäudes und damit jedenfalls auch eine Einzelhandelsnutzung.
14Dem schließt sich der Senat nicht an. Genehmigt ist im Erdgeschoss - abgesehen von kleineren Nebenräumen - lediglich ein Ausstellungsraum und nicht auch ein Verkaufsraum. Bereits von daher steht eine Nutzungsänderung im Raum, weil die Nutzung als Groß-/Einzelhandel weitergehenden Anforderungen zumindest bauordnungsrechtlicher Art unterworfen ist als ein Ausstellungsraum. Dies gilt insbesondere hinsichtlich des Stellplatzbedarfs.
15Vgl. Ziff. 3 (Verkaufsstätten) und 9.2 (Ausstellungsplätze) der Anlage zu Nr. 51.11 [Richtzahlen für den Stellplatzbedarf] der Verwaltungsvorschrift zur Landesbauordnung vom 12. Oktober 2000 - VV BauO NRW -.
16Für den Inhalt einer Baugenehmigung ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats in erster Linie die im Bauschein selbst getroffene Regelung maßgebend. Der Bauschein bestimmt insbesondere Art und Umfang des genehmigten Vorhabens. Die mit dem Bauantrag einzureichenden Bauvorlagen haben demgegenüber allenfalls eine konkretisierende und erläuternde Funktion. Von ausdrücklichen Regelungen des Bauscheins abweichende Darstellungen und Angaben in den Bauvorlagen sind daher ohne rechtliche Bedeutung und werden von der Baugenehmigung nicht erfasst, selbst wenn sie mit einem baurechtlichen Genehmigungsvermerk versehen sind.
17Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2002 - 7 B 831/02 - und vom 31. März 2003 - 7 B 28/03 -; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., Rn. 137 zu § 75.
18Mit Bauschein vom 23. Januar 1985 (Nr. 1932/84) hat der Antragsgegner die "Errichtung eines Gewerbebetriebes mit Ausstellungs-, Lager- und Werkstatträumen" genehmigt. Diese Genehmigung eines Gewerbebetriebs mit einem Ausstellungsraum beinhaltet nicht - so aber die Antragsteller - auch eine Nutzung als Verkaufsfläche. Eine Ausstellung ist eine Veranstaltung, bei der Produkte oder Waren - gleichsam als Muster - lediglich präsentiert und eben nicht verkauft werden.
19Vgl. zur Definition des Ausstellungsplatzes: Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., Rn. 23 zu § 2.
20Dieser Regelungsgehalt der Baugenehmigung spiegelt sich in den genehmigten Bauvorlagen wieder. So ist im Plan "Grundriss EG" ein "Ausstellungsraum" mit einer Fläche von 989,15 m² ausgewiesen. In der Baubeschreibung (Ziff. 7 und 9.11) wird nur die Bezeichnung Ausstellungsraum bzw. -räume verwendet; gleiches gilt für die Flächenberechnung und die Berechnung des umbauten Raumes. Bei der Stellplatzberechnung ist ebenfalls eine Nutzung als Ausstellungsraum zugrunde gelegt worden (vgl. Ziff. 10.2 der Baubeschreibung). So wurden - offensichtlich für den "Ausstellungsraum" - nach Ziff. 9.2 ("Lagerräume, Lagerplätze, Ausstellungs- und Verkaufsplätze") der Anlage zu Nr. 47 der Verwaltungsvorschrift vom 29. November 1984 zu § 47 der Landesbauordnung vom 26. Juni 1984 (VV BauO NW 1984) 10-13 Stellplätze angesetzt. Wäre dagegen seinerzeit die Errichtung einer Verkaufsstätte (Einzelhandel) genehmigt worden, wären nach Ziff. 3.1 VV BauO NW 1984 ("Läden, Geschäftshäuser") bei einer Verkaufsfläche von 989,15 m² 25-33 Stellplätze erforderlich gewesen.
21Es ist daher insgesamt nicht zweifelhaft, dass ursprünglich lediglich ein Ausstellungsraum und keine Einzel- bzw. Großhandelsnutzung genehmigt worden ist. Dabei ist es unerheblich, ob der damalige Bauherr von Anfang an eine Einzelhandelsnutzung in dem Ausstellungsraum geplant und umgesetzt hat. Diese durch die Baugenehmigung vom 23. Januar 1985 festgelegte Nutzung als Ausstellungsraum ist in der Folgezeit nicht geändert worden.
22Unter dem 23. Dezember 1986 wurde dem Bauherrn eine Nachtragsbaugenehmigung (Nr. 2088/86) zur "veränderten Ausführung des Bauvorhabens" erteilt. Anlass für diesen Nachtrag war im Wesentlichen eine Veränderung im Bereich des Lagerraumes und vor allem die Ersetzung der ursprünglich geplanten mechanischen Lüftungsanlage im Erdgeschoss durch eine natürliche Querlüftung. In Ziff. 2 und 3 der Nebenbestimmungen des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes B. , die Bestandteil der Nachtragsbaugenehmigung geworden sind, wird der Begriff "Ausstellungs- und Verkaufsraum" für die in der Ursprungsbaugenehmigung als "Ausstellungsraum" bezeichnete Fläche verwendet. Dem daraus von dem Verwaltungsgericht gezogenen Schluss, dass damit der nachfolgend durchgeführte Einzelhandel genehmigt worden sei, kann nicht gefolgt werden.
23Nebenbestimmungen zu einer Baugenehmigung ändern nicht deren Regelungsgehalt - abgesehen von der sog. modifizierenden Auflage. Sie stellen lediglich sicher, dass dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
24Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, a.a.O., Rn. 123 zu § 75.
25Die gilt auch für die hier der Nachtragsbaugenehmigung beigefügten Nebenbestimmungen des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes B. . Diese stellten lediglich sicher, dass das Vorhaben mit den von der Gewerbeaufsicht zu prüfenden Regelungen der §§ 5 ("Lüftung") und 7 Abs.1 ("Beleuchtung") der Arbeitsstättenverordnung - ArbStättV - (in der bis zum 24. August 2004 geltenden Fassung, BGBl. I 1975, 729) vereinbar ist. Eine Modifizierung des Inhalts der Ursprungsbaugenehmigung lässt sich den Nebenbestimmungen dagegen nicht entnehmen. Dass mit dem Nachtrag keine Nutzungsänderung genehmigt worden ist, stellen die mit der Nachtragsbaugenehmigung vom 23. Dezember 1986 genehmigten Bauvorlagen (Grundriss EG, Schnitt A - A, B - B und C - C) klar. In diesen ist - wie in den Ursprungsplänen - nur ein Ausstellungs-, nicht jedoch ein Verkaufsraum eingezeichnet.
26Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der mit Bescheid vom 16. Juni 1987 erteilten Befreiung von § 31 Abs. 5 BauO NW 1984. Zwar ist in Ziff. 1 (Satz 2) der Auflagen zu der Befreiung von "dem erdgeschossigen Verkaufsraum" die Rede. Auch insoweit gilt aber, dass eine Befreiung die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens sicherstellt, nicht jedoch den Regelungsgehalt einer Baugenehmigung ändert.
27Damit ist nach wie vor im Erdgeschoss des Betriebsgebäudes lediglich eine Nutzung als "Ausstellungsraum" und nicht (auch) als Verkaufsstätte für Einzelhandel genehmigt. Wird dieser "Ausstellungsraum" auch zu Verkaufszwecken genutzt, führt dies zu einer Erweiterung der Nutzung. Bereits deshalb ist vor Aufnahme der beabsichtigten Nutzung ein baurechtliches Genehmigungsverfahren durchzuführen. Auf das Beschwerdevorbringen zur Frage, ob der geplante Groß-/Einzelhandel der Fa. Q. - Delikatessen GmbH von der Genehmigung eines "Verkaufsraumes" umfasst wäre, kommt es daher nicht an.
28Ein Genehmigungsverfahren für die geplante Nutzung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Ausstellungsraum tatsächlich bereits unmittelbar nach Fertigstellung (auch) als Verkaufsraum genutzt worden ist und dies der Bauaufsichtsbehörde, wie sich aus der Bescheinigung über die Bauzustandsbesichtigung vom 27. Oktober ergibt, bekannt war.
29Schützenswertes Vertrauen dahingehend, die als Ausstellungsraum genehmigte Fläche weiterhin als Verkaufsraum nutzen zu dürfen, könnte sich nur aus einer sog. aktiven Duldung ergeben. Diese liegt vor, wenn die zuständige Behörde unmissverständlich erklärt, ob und in welchem Zustand und gegebenenfalls über welchen Zeitraum sie einen illegalen Zustand hinnehmen will.
30Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. August 2005 - 10 A 4694/03 -, BauR 2006, 90, und Beschluss vom 8. November 2006 - 7 B 2218/06 -.
31Eine solche Erklärung lässt sich den vorliegenden Bauakten und insbesondere der Bescheinigung über die Bauzustandsbesichtigung nicht entnehmen. Die Bauaufsichtsbehörde hat damals wohl eine Nutzung als Verkaufsraum zur Kenntnis genommen, jedoch von bauaufsichtsrechtlichen Maßnahmen abgesehen. Dieses Verhalten stellt mangels ausdrücklicher Erklärung gegenüber dem Bauherrn, die illegale Nutzung auf Dauer hinnehmen zu wollen, lediglich eine sog. faktische Duldung dar. Aus dieser kann sich hier für die Antragsteller kein Vertrauenstatbestand ergeben.
32Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. November 2006 - 7 B 2218/06 -, m.w.N.
33Auch der erstmals mit der Beschwerdebegründung gestellte Hilfsantrag,
34vorläufig festzustellen, dass die Aufnahme der Einzelhandelsnutzung durch die Firma Q. Delikatessen GmbH mit dem Verkauf von italienischen Produkten gemäß der Betriebsbeschreibung vom 3. März 2006 auf dem Grundstück Gemarkung M. , Flur 22, Flurstück 479 teilweise (L.------straße 6, B. ) einer Baugenehmigung nicht bedarf,
35ist daher mangels Anordnungsanspruchs jedenfalls unbegründet. Die Einzelhandelsnutzung ist ebenso wie die kombinierte Groß-/Einzelhandelsnutzung von der Genehmigungslage nicht gedeckt, so dass auch insoweit vor Nutzungsaufnahme ein Genehmigungsverfahren durchzuführen ist.
36Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO.
37Der Streitwert bestimmt sich nach §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG und damit nach der sich aus dem Antrag der Antragsteller ergebenden Bedeutung der Sache für sie. Ist Streitgegenstand die Nutzungsänderung einer gewerblich genutzten Anlage, ist der Streitwertfestsetzung grundsätzlich der geschätzte Jahresnutzwert zugrunde zu legen.
38Vgl. Ziff. 3 a) des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, BauR 2003, 1883.
39Zwar machen die Antragsteller - in der Sache unzutreffend - geltend, dass überhaupt keine Nutzungsänderung vorliege. Da es den Antragstellern um die vorläufige Klärung der Zulässigkeit einer gewerblichen Nutzung geht, ist aber eine vergleichbare Interessenlage gegeben und daher auch hier auf den Jahresnutzwert abzustellen. Den monatlichen "Schaden im Falle des Leerstandes des Objektes" haben die Antragsteller mit 7.150,-- Euro beziffert. Ausgehend davon ist der Jahresnutzwert mit 85.800,-- Euro anzusetzen und im Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte dieses Betrages, also 42.900,-- Euro.
40Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
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