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Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Verfahrens erster Instanz mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen und die Kosten des Verfahrens zweiter Instanz einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
2Die Beschwerde der Beigeladenen hat Erfolg.
3Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, führen zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
4Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 7. September 2006 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 28. November 2006 zum Neubau eines Einfamilienhauses mit Doppelgarage zu Unrecht angeordnet.
5Die im Rahmen der §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der erteilten Genehmigung das Interesse der Antragsteller, vom Vollzug der angefochtenen Baugenehmigung verschont zu bleiben, überwiegt.
6Die Antragsteller haben keinen Abwehranspruch gegen das Vorhaben. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts, das einen Verstoß gegen Bauordnungsrecht sowohl nach der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Fassung der BauO NRW (BauO NRW 2000) als auch nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung geltenden Neufassung (BauO NRW 2006) angenommen hat, ist das Vorhaben mit Vorschriften des Bauordnungsrechts, die auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind, unter Zugrundelegung sowohl der §§ 6, 73 BauO NRW 2000 als auch der §§ 6, 73 BauO NRW 2006 vereinbar.
7Das grenzständig errichtete Vorhaben der Beigeladenen verstößt nicht gegen die Abstandflächenvorschriften des § 6 BauO NRW 2000 in der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung gültigen Fassung. Die Einhaltung einer (seitlichen) Abstandfläche ist hier nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW 2000 entbehrlich, weil es sich bei dem geplanten Gebäude der Beigeladenen - entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts - um eine Doppelhaushälfte handelt und planungsrechtlich die Zulässigkeit von Einzel- und Doppelhäusern festgesetzt ist.
8Vgl. OVG NRW, Urteil vom 22. August 2005 - 10 A 3611/03 -, BRS 69 Nr. 91.
9Ein Doppelhaus entsteht, wenn zwei Gebäude derart zusammengebaut werden, dass sie einen Gesamtkörper bilden, dessen beide "Haushälften" in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. Nicht erforderlich ist, dass die Doppelhaushälften gleichzeitig oder deckungsgleich (spiegelbildlich) errichtet werden. Das Erfordernis einer baulichen Einheit schließt es auch nicht aus, dass die ein Doppelhaus bildenden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zueinander versetzt aneinandergebaut werden. In welchem Umfang die beiden Haushälften an der Grenze zusammengebaut sein müssen lässt, sich weder abstrakt-generell noch mathematisch-prozentual festlegen. Ausschlaggebend sind die Umstände des Einzelfalls.
10Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2000 - 4 C 12.98 -, BRS 63 Nr. 185.
11Danach handelt es sich bei dem geplanten Gebäude der Beigeladenen um eine Doppelhaushälfte. Sie soll nur um 2,00 m (straßenseitig) bzw. 2,20 m (gartenseitig) gegenüber dem Baukörper der Antragsteller versetzt errichtet werden, und die geplante Traufhöhe von 7,30 m überragt diejenige des Nachbargebäudes lediglich um ca. 80 cm. Damit bleibt es bei dem Eindruck eines die gemeinsame Grundstücksgrenze überbrückenden einheitlichen Baukörpers, da die beiden Haushälften grenzständig über eine Länge von 11 m aneinandergebaut werden sollen. Der vordere bzw. rückwärtige Versprung des Neubaus erweckt auch nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus und löst deshalb keinen neuen Bodennutzungskonflikt aus. Die von dem Verwaltungsgericht genannte Verschattungswirkung und eventuelle Einsichtnahmemöglichkeiten aufgrund der vorgesehenen Balkone im ersten Obergeschoss des geplanten Gebäudes der Beigeladenen führen zu keiner anderen Bewertung. Bei einem Doppelhaus wird die durch den gemeinsamen Grenzanbau erhöhte bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke durch einen Verzicht auf seitliche Grenzabstände und damit auf Freiflächen, die dem Wohnfrieden dienen, "erkauft". So ist es für eine Doppelhausbebauung typisch, dass im Erdgeschoss in begrenztem Umfang ein Sichtschutz möglich ist, und dass von dem Balkon der einen Haushälfte aus der Außenwohnbereich der anderen Hälfte eingesehen werden kann. Die Verschattungswirkungen und eventuelle Einsichtnahmemöglichkeiten aufgrund des vorgesehenen Gebäudes - auch unter Berücksichtigung des dargestellten Versprungs - beeinträchtigen danach nicht in unzumutbarer Weise die Antragsteller als Bewohner der anderen Haushälfte.
12Es ist auch öffentlich-rechtlich gesichert, dass auf dem Grundstück der Antragsteller ebenfalls ohne Grenzabstand gebaut ist (vgl. § 6 Abs. 1 Satz 2 Buchstabe b) BauO NRW 2000). Dies folgt nach der Rechtsprechung der mit Bausachen befassten Senate des beschließenden Gerichts ohne Hinzutreten weiterer Voraussetzungen allein daraus, dass dort das Wohnhaus der Antragsteller tatsächlich grenzständig errichtet worden ist. Auf eine vollständige oder jedenfalls weitgehende Deckungsgleichheit der beiden an die Grenze gebauten Häuser kommt es dabei nicht an, sofern der entstehende Baukörper noch als Doppelhaus anzusehen ist.
13Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. Dezember 1995 - 7 A 159/94 -, BRS 57 Nr. 137 und Beschluss vom 4. Juni 1998 - 10 A 1318/97 -, BRS 60 Nr. 72.
14Auch im Übrigen ist das innerhalb der überbaubaren Grundstücksfläche liegende Vorhaben nicht zu beanstanden. Es wirkt sich insbesondere trotz des Versprungs des geplanten Gebäudes um etwa 2,00 m nicht rücksichtslos gegenüber dem Grundstück der Antragsteller aus. Der Senat verkennt nicht, dass Auswirkungen auf die Belichtungsverhältnisse mit dem Vorhaben verbunden sind und eventuelle Einsichtnahmemöglichkeiten geschaffen werden. Diese Wirkungen stellen sich als typische und planbedingte Folgen des die beiden Grundstücke erfassenden Bebauungsplans dar.
15Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. Dezember 1984 - 4 B 278.84 -, BRS 42 Nr. 183 und vom 6. März 1989 - 4 NB 8.89 -, BRS 49 Nr. 44.
16Das Gebot der Rücksichtnahme verlangt von dem Bauherrn nicht, auf ein zulässiges und für den Nachbarn zumutbares Vorhaben zu verzichten, weil es an einem aus der Sicht des Nachbarn besser geeigneten Alternativstandort errichtet werden könnte.
17Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 1997 - 4 B 97.97 -, BRS 59 Nr. 176; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2000 - 10 B 870/00 -.
18Zusätzliche Anhaltspunkte für die Annahme einer Rücksichtslosigkeit sind nicht ersichtlich.
19Allerdings verstößt das geplante Vorhaben gegen die Abstandflächenvorschriften, weil die rückwärtige Abstandfläche (T 3) zum Teil auf dem Grundstück der Antragsteller liegt. Diese Verletzung der Abstandflächenvorschriften stellt einen Verstoß gegen nachbarliche Abwehrrechte dar. Jedoch kommt die Zulassung einer Abweichung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2000 zur Legalisierung des bestehenden Abstandflächenverstoßes in Betracht.
20Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung sind entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts gegeben. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2000 kann die Genehmigungsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen dieses Gesetzes und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind.
21Dies kommt nur dann in Frage, wenn im konkreten Einzelfall eine besondere, d.h. "atypische" Situation vorliegt, die sich vom gesetzlichen Regelfall derart unterscheidet, dass die Nichtberücksichtigung oder Unterschreitung des normativ festgelegten Standards gerechtfertigt ist.
22Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Mai 1991 - 4 C 17.90 -, BRS 52 Nr. 157; OVG NRW, Beschluss vom 28. August 1995 - 7 B 2117/95 -, BRS 57 Nr. 141 und Urteil vom 22. August 2005 - 10 A 3611/03 -, BRS 69 Nr. 91; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 3. November 1999 - 8 A 10951/99 -, BRS 62 Nr. 143; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein- Westfalen, Kommentar, Loseblatt, Stand Oktober 2006, § 73 Rdnr. 22.
23Von diesen Grundsätzen ausgehend ist in dem hier zu entscheidenden Einzelfall ein Verzicht auf die Einhaltung des an sich erforderlichen Abstands gerechtfertigt. Die gemeinsame Grundstücksgrenze zwischen den Flurstücken der Antragsteller und der Beigeladenen verläuft - im Gegensatz zu den umliegenden Grenzen - nicht parallel im rechten Winkel zur Straße, sondern schräg, und weist zudem einen Knick auf. Dieser atypische Grundstückszuschnitt führt dazu, dass die Abstandfläche der hinteren Gebäudeabschlusswand zum Teil auf dem Nachbargrundstück liegt, obwohl das Gebäude - wie üblich - mit seiner vorderen Gebäudeabschlusswand parallel zur Straße errichtet ist. Die Wand müsste also einen Knick aufweisen, um den Abstandflächenvorschriften zu genügen. Die Möglichkeit der Beigeladenen, den geplanten Baukörper zur Straße hin zu verschieben, steht der angenommenen Atypik nicht entgegen. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplans vorgegebene überbaubare Grundstücksfläche kann von dem Grundeigentümer grundsätzlich ausgenutzt werden. Die Ablehnung einer atypischen Grundstückssituation unter Verweis der Beigeladenen auf ein Verschieben des Baukörpers liefe auf eine Einschränkung der nach dem Bebauungsplan möglichen ausnutzbaren überbaubaren Grundstücksfläche hinaus.
24Die Abweichung ist auch mit nachbarlichen Interessen vereinbar. Eine ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der durch die Abstandflächenvorschriften geschützten Belange ist, wie bereits oben ausgeführt, mit dieser Verletzung der Abstandflächenvorschriften nicht erkennbar. Ebenso wenig werden öffentliche Belange berührt, städtebauliche Aspekte stehen nicht entgegen.
25Nichts anderes ergibt sich bei der vom Verwaltungsgericht ebenfalls vorgenommenen Prüfung der Rechtslage anhand der §§ 6, 73 BauO NRW in der Fassung des 2. Gesetzes zur Änderung der Landesbauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 12. Dezember 2006, GV. NRW., S. 614 (BauO NRW 2006). Auch nach diesen Vorschriften liegt zwar ein Verstoß gegen das Abstandflächenrecht hinsichtlich der rückwärtigen Abstandfläche T 3 vor. Allerdings liegt diese rückwärtige Abstandfläche zu einem geringeren Teil auf dem Grundstück der Antragsteller als nach altem Recht, weil gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW 2006 nunmehr auf einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände von nicht mehr als 16 m gegenüber jeder Grundstücksgrenze als Tiefe der Abstandfläche 0,4 H genügt.
26Dieser Abstandflächenverstoß kann aber weiterhin durch eine Abweichung gemäß § 73 Abs. 1 BauO NRW 2006 ausgeräumt werden. § 73 Abs. 1 BauO NRW 2000 ist durch einen Satz 2 ergänzt worden. Danach sind Abweichungen von § 6 insbesondere zulässig, wenn durch das Vorhaben nachbarliche Interessen nicht stärker oder nur unwesentlich stärker beeinträchtigt werden als bei einer Bebauung des Grundstücks, die nach § 6 zulässig wäre. Der Entwurf der Landesregierung hat diese Änderung wie folgt begründet (LT-Drs. 14/2433):
27"Damit soll klargestellt werden, dass Abweichungen von § 6 vor allem dann zugelassen werden können, wenn die von § 6 abweichende Bebauung den jeweiligen Angrenzer nicht stärker oder nur unwesentlich stärker beeinträchtigt, als eine andere, § 6 entsprechende Bebauung des jeweiligen Grundstücks.
28Mit der Formulierung "unwesentlich stärker" wird auf geringfügige Unterschreitungen der Abstandflächen abgestellt. Unterschreitungen im Zentimeterbereich können z.B. schon aufgrund üblicher Bautoleranzen entstehen. Mutwillige Unterschreitungen der Abstandflächen sollen dadurch aber nicht sanktioniert werden.
29Satz 2 schließt nicht aus, dass Abweichungen von den Anforderungen des § 6 nach wie vor auch nach Satz 1 erteilt werden können."
30Mit dieser Neuregelung ist allerdings keine Änderung des Abweichungssystems verbunden. Nach wie vor sind die tatbestandlichen Voraussetzungen sowohl des § 73 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW als auch die des Satzes 2 restriktiv auszulegen:
31Weder aus dem Wortlaut des § 73 BauO NRW 2006 noch aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit der Einfügung des Satzes 2 für das Abstandflächenrecht eine von der bisherigen Rechtslage und ihrer Anwendung durch das beschließende Gericht grundsätzlich abweichende Regelung schaffen wollte. Satz 2 knüpft an die allgemeine Vorschrift des Satzes 1 an und macht mit der Wendung: "insbesondere zulässig" deutlich, dass er beispielhaft einen Anwendungsfall für eine mögliche Abweichung von § 6 BauO NRW aufzeigen will. In der zitierten Begründung des Gesetzesentwurfes ist ausdrücklich davon die Rede, dass mit dieser Einfügung (lediglich) eine Klarstellung beabsichtigt ist und auch keine beliebigen Unterschreitungen der Abstandflächen sanktioniert werden sollen. Abgesehen davon ist auch kein Grund dafür benannt worden oder sonst ersichtlich, weshalb im Unterschied zu sonstigen bauaufsichtlichen Anforderungen der Landesbauordnung, von denen nur nach Maßgabe des Satzes 1 bei einer atypischen Situation abgewichen werden kann, für das Abstandflächenrecht eine andersartige Abweichungsregelung geschaffen werden sollte, die die als Folge der Neufassung des § 6 BauO NRW erweiterten Möglichkeiten nochmals ausweiten würde.
32Das in § 6 BauO NRW geregelte, in sich geschlossenen System der Abstandflächenvorschriften enthält weiterhin Regel- und Ausnahmetatbestände, so dass die schutzwürdigen und schutzbedürftigen Interessen betroffener Grundstücksnachbarn sowie die relevanten öffentlichen Belange regelmäßig schon durch die Vorschrift des § 6 BauO NRW in einen gerechten Ausgleich gebracht werden. Das Erfordernis, Gesetze gleichmäßig, d.h. unter Wahrung des Gleichheitssatzes auszulegen und zu vollziehen, gestattet nicht ein mehr oder minder beliebiges Abweichen von den Abstandflächenvorschriften. Mit diesen hat der Gesetzgeber nicht nur die zu wahrenden Rechtsgüter festgelegt, sondern auch die Art und Weise, in der diesen Anforderungen Rechnung zu tragen ist. Dies gilt auch nach der Neufassung der §§ 6 und 73 BauO NRW, weil das bisherige gesetzliche System des Abstandflächenrechts im Wesentlichen beibehalten worden ist. Zu Gunsten einer besseren Ausnutzbarkeit der Grundstücke und damit zu Lasten der Nachbarn sind lediglich teilweise die Grenzen dessen verändert worden, was dem Nachbarn zugemutet wird. Im Rahmen des § 6 BauO NRW 2006 sind die durch das Abstandflächenrecht geschützten Belange tendenziell weniger stark berücksichtigt. Nichts geändert hat sich daran, dass eine atypische Grundstückssituation vorliegen muss, um eine Abweichung von dem gesetzlich festgelegten Maß dessen, was der Nachbar hinnehmen muss, rechtfertigen zu können. Nur eine grundstücksbezogene Atypik - insbesondere Besonderheiten im Zuschnitt der Nachbargrundstücke oder im topografischen Geländeverlauf - kann eine Abweichung rechtfertigen, nicht aber außergewöhnliche Nutzungswünsche eines Eigentümers, die eine noch stärkere Ausnutzung seines Grundstücks erfordern als nach § 6 BauO NRW 2006 ohnehin schon zulässig ist. Auch bleibt es dabei, dass § 73 BauO NRW 2006 kein Instrument zur Legalisierung gewöhnlicher Rechtsverletzungen darstellt.
33Im Übrigen muss § 73 BauO NRW 2006 so ausgelegt werden, dass er dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit von Normen genügt und dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht widerspricht. Eine Auslegung der Vorschrift, die es der Behörde ermöglichen würde, über die Normanwendung im Bereich des Abstandflächenrechts mehr oder minder nach Belieben zu verfügen, würde diesen Anforderungen nicht genügen.
34Vgl. Wilke, Die juristische Konstruktion der bebauungsrechtlichen Befreiung, Festschrift für Konrad Gelzer, 1991, S. 165 (166); Boeddinghaus/ Hahn/ Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Loseblatt, Stand Oktober 2006, § 73 Rdnr. 18.
35Die Anwendung des § 6 BauO NRW wäre jedoch ins Belieben der Bauaufsichtsbehörden gestellt, wenn es für die Zulässigkeit einer Abweichung - unter Verzicht auf das Erfordernis einer besonderen Situation im Einzelfall - allein darauf ankäme, ob denkbare alternative Bebauungsmöglichkeiten, die nach § 6 BauO NRW zulässig wären, zu allenfalls unwesentlich stärkeren Beeinträchtigungen nachbarlicher Interessen führen würden. Die Regelungen des § 6 BauO NRW sollen, wie auch in der Begründung des Gesetzesentwurfs ausgeführt wird, dem Nachbarn ein angemessenes Maß an Schutz garantieren, aber zugleich auch den Standard dessen festlegen, was ein Nachbar an Bebauung in welchem Abstand hinzunehmen hat. Die Gewährleistung dieser Schutzziele erfordert eine strikte Beachtung der vorgeschriebenen Abstandflächen. Könnten die festgelegten normativen Standards allein mit Blick auf die Möglichkeit einer alternativen, nach § 6 BauO NRW zulässigen Bebauung außer Acht gelassen werden, wäre eine gleichmäßige Anwendung des Gesetzesvollzugs nicht gewährleistet.
36Die für die Abweichung danach weiterhin erforderliche grundstücksbezogene Atypik ist - wie bereits dargestellt - gegeben. Das von den Beigeladenen geplante Gebäude beeinträchtigt im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 2 BauO NRW auch die nachbarlichen Interessen allenfalls unwesentlich stärker als bei einer entsprechend dem Grenzverlauf versetzten und den Vorgaben des § 6 BauO NRW entsprechenden Bebauung, die im Übrigen auch wegen des Entstehens einer Schmutzecke im Widerspruch zur vorgesehenen Doppelhausbebauung stünde.
37Schließlich ist das Vorhaben der Beigeladenen mit den Vorschriften des Bauplanungsrechts, die auch dem Schutz der Antragsteller zu dienen bestimmt sind, vereinbar. Es entspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 20/24. Das Vorhaben ist zudem im Verhältnis zum Grundstück der Antragsteller und dem dort aufstehenden Wohngebäude unter den Gegebenheiten des Einzelfalls nicht rücksichtslos. Auf die vorstehenden Ausführungen wird verwiesen.
38Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
39Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.
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