Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1. Zur Frage des Vorliegens einer besonderen Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 AufenthG bei türkischen Frauen wegen einer gesellschaftlichen Diskriminierung im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei nach Trennung und anschließender Scheidung von einem deutschen Staatsangehörigen.
2. Das fiktive Fortbestehen einer Aufenthaltserlaubnis nach § 81 Abs. 4 AufenthG führt nicht auf eine ordnungsgemäße Beschäftigung im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80, wenn die beantragte Aufenthaltserlaubnis versagt wird.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- EUR festgesetzt.
G r ü n d e:
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, die vom Senat im Beschwerdeverfahren nur zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat mit zutreffenden Gründen, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, den Aussetzungsantrag abgelehnt.
31. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Anhörungsmangel ist für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren nach der Senatsrechtsprechung
4- vgl. Senatsbeschluss vom 4. Februar 2002 – 18 B 693/00 -
5schon deshalb unerheblich, weil eine Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 28 VwVfG NRW schon dann nicht zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde führt, wenn - wie hier - die Anhörung (zumindest) noch mit heilender Wirkung nachgeholt werden kann (vgl. § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 VwVfG NRW) . Anderes könnte allenfalls dann in Erwägung zu ziehen sein, wenn eine befristete Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erforderlich sein sollte, um zu gewährleisten, dass ein Antragsteller überhaupt die Möglichkeit zu einer Äußerung hat, bevor eine später nicht mehr rückgängig zu machende Maßnahme vollzogen wird. Ein solcher Fall liegt hier aber schon deshalb nicht vor, weil die fragliche Verfügung umfassend begründet war und die Antragstellerin damit Gelegenheit hatte, sich zu allen relevanten Punkten zu äußern.
62. Des Weiteren führt das Beschwerdevorbringen nicht auf ein eigenständiges Aufenthaltsrecht aus § 31 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Die insoweit darlegungs- und beweispflichtige Antragstellerin
7- vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 14 Juli 2005 18 B 2457/04 -
8hat mit ihrer Beschwerde keine Umstände aufgezeigt, die es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich machen, ihr einen weiteren Aufenthalt in Deutschland zu ermöglichen.
9Mit dem Vorbringen der Antragstellerin, wegen der Trennung von ihrem deutschen Ehemann und der zu erwartenden Ehescheidung bei ihrer Rückkehr in die Türkei dort gravierenden gesellschaftlichen Diskriminierungen ausgesetzt zu sein, wird keine besondere Härte im Sinne von § 31 Abs. 2 Satz 2 Altern. 1 AufenthG begründet. Denn es ist von der Antragstellerin nicht dargelegt, dass ihr deshalb eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange droht, die über die allgemeine im Gesetz als hinnehmbar bewertete Härte hinausgeht, wie sie vielfach Ausländer trifft, die nach kurzer Zeit Deutschland wieder verlassen müssen. Namentlich in Fällen der Trennung einer ehelichen Lebensgemeinschaft hat der Gesetzgeber durch die Anforderung einer besonderen Härte in Kauf genommen, dass – wie allgemein bekannt - die betroffenen Frauen in zahlreichen Ländern Belastungen ausgesetzt sind, die nicht zwangsläufig auf ein weiteres Aufenthaltsrecht in Deutschland führen sollen.
10Vgl. Senatsbeschluss vom 21. Juni 2005 – 18 B 92/05 -.
11Davon ausgehend wäre insbesondere aufzuzeigen gewesen, dass die befürchteten Diskriminierungen, die in ländlichen Gebieten der Türkei vorkommen mögen,
12- so wohl VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 13 S 2194/01 -, InfAuslR 2003, 190, und Hess. VGH, Beschluss vom 5. April 2000 12 TG 43/00 -, InfAuslR 2000, 404 -
13auch in einer großen Stadt wie U. - mit immerhin rund 256.000 Einwohnern (Quelle: www.wikipedia.de) –, in der die Antragstellerin geboren wurde und vor ihrer Ausreise auch gelebt hat, zu befürchten sind. Die Antragstellerin lässt bei ihrer Argumentation völlig außer Betracht, dass sie selbst in der Türkei schon einmal (1992) geschieden worden ist und danach jahrelang in U. gelebt hat. Ferner bleibt unberücksichtigt, dass in türkischen Großstädten inzwischen etwa jede zehnte Ehe geschieden wird, mithin die Ehescheidungen in der Türkei ein Teil der sozialen Wirklichkeit sind und als solche akzeptiert werden.
14Vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2003 – 17 B 1451/03 -; Oguz, Ankara, Das reformierte türkische Scheidungsrecht, FamRZ 2005, 766.
15Unter diesen Umständen führt die im übrigen durch nichts belegte und schon deshalb unbeachtliche Behauptung der Antragstellerin, sie könne bei einer Rückkehr in die Türkei nicht mit der Unterstützung ihres Vaters sowie ihrer Geschwister rechnen, weil diese nach der Eheschließung mit einem deutschen Staatsangehörigen jeden Kontakt zu ihr abgebrochen hätten, für sich genommen nicht auf eine besonderen Härte.
16Die von der Antragstellerin ferner geltend gemachte Aufgabe einer Arbeitsstelle in der Türkei und das Fehlen einer wirtschaftlichen Existenz im Falle der Rückkehr dorthin sind das Maß einer besonderen Härte im Sinne des § 31 Abs. 2 Satz 2 Altern. 1 AufenthG nicht erreichende Beeinträchtigungen, die die überwiegende Zahl der Ausländer treffen, die mit dem Ziel eines langfristigen Aufenthalts in Deutschland aus ihrem Heimatland ausgereist sind, aber Deutschland schon nach kurzer Aufenthaltsdauer wieder verlassen müssen.
17Vgl. Senatsbeschluss vom 12. November 2003 18 B 2137/02 -.
18Darüber hinaus wird ebenfalls nicht die Behauptung belegt, dass der Antragstellerin nach einer Rückkehr in die Türkei ihren dort zuletzt ausgeübten Beruf einer Arzthelferin nicht erneut wird ausüben können.
19Es führt auch nicht auf eine besondere Härte, dass die Antragstellerin mit Blick auf die 2. Alternative des § 31 Abs. 2 Satz 2 AufenthG geltend macht, sie habe erst durch das von ihrem Ehemann beim Familiengericht eingeleitete, auf die Aufhebung der Ehe gerichtete Verfahren Kenntnis davon erhalten, dass jener sie gezielt hintergangen habe, wodurch bei ihr ein tiefen Schock ausgelöst worden sei, der einer körperlichen Misshandlung gleich stehe. Ein derartiges Verhalten des Ehemannes wäre zwar zu beklagen. Damit würde aber unbeschadet der Frage danach, ob nach vollzogener Trennung der Eheleute die Tatbestandsvoraussetzungen der vorgenannten Norm noch erfüllbar sind, jedenfalls nicht die darin zum Ausdruck gebrachte Schwelle zur besonderen Härte überschritten. Dies zeigt ein Vergleich mit den zur Gesetzesbegründung aufgezeigten Beispielsfällen. Danach soll das Festhalten an einer Ehe zur Erlangung eines eigenständigen Aufenthaltsrechts nicht zumutbar sein, wenn der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgehoben oder der andere Ehegatte das in der Ehe lebende Kind sexuell missbraucht oder misshandelt hat.
20So bereits Senatsbeschluss vom 4. Mai 2001 – 18 B 1908/00 -, NVwZ-Beil. I 2001, 83 = EZAR 023 Nr. 23; vgl. zum Ganzen auch Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) vom 14. März 2000, BT-Drs. 14/2902.
21Diese Beispielsfälle machen deutlich, dass der Verlängerungsanspruch nicht etwa in jedem Fall des Scheiterns einer ehelichen Lebensgemeinschaft besteht, zu dem es ja in aller Regel wegen der von einem oder beiden Ehegatten subjektiv empfundenen Unzumutbarkeit des Festhaltens an der Lebensgemeinschaft kommt, und dass dementsprechend gelegentliche Ehestreitigkeiten, Auseinandersetzungen, Meinungsverschiedenheiten, grundlose Kritik und Kränkungen, die in einer Vielzahl von Fällen trennungsbegründend wirken, für sich genommen noch nicht das Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 2, 2. Alternative AuslG machen.
22Vgl. Senatsbeschluss vom 24. Januar 2003 – 18 B 2157/02 -, AuAS 2003, 170 = EZAR 023 Nr. 29 = NVwZ-RR 2003, 527 (Ls).
23Gemessen hieran ist nicht erkennbar, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Gesichtspunkte den Grad der aufgezeigten Beeinträchtigung erreichen. Es wird nicht einmal belegt, dass es überhaupt zu einem Schock gekommen ist. Die von der Antragstellerin sinngemäß behauptete Schuldlosigkeit am Scheitern der ehelichen Lebensgemeinschaft sowie ihre etwaige persönliche Betroffenheit vom Verhalten des Ehemannes und von der Trennung sind hier ohne Belang.
24Vgl. Senatsbeschlüsse vom 20. August 2002 – 18 B 1279/02 – und vom 4. Mai 2001 18 B 1908/00 , EZAR 023 Nr. 23.
25Soweit die Antragstellerin eine Rückkehr in die Türkei auch wegen des noch nicht abgeschlossenen familiengerichtlichen Eheaufhebungsverfahrens (Amtsgericht L. – ) und der dort erfolgten Anordnung ihres persönlichen Erscheinens zur mündlichen Verhandlung am 17. Oktober 2005 für unzumutbar hält, ist ihr Vortrag in vorliegenden Zusammenhang irrelevant, weil diesbezüglich allenfalls ein im Rahmen des § 31 Abs. 2 AufenthG nicht berücksichtigungsfähiger vorübergehender Aufenthalt im Bundesgebiet in Betracht kommen kann. Hierzu sei lediglich noch angemerkt, dass ein Ausländer für derartige Aufenthaltszwecke grundsätzlich auf eine vorübergehende Rückkehr nach Deutschland zu verweisen ist
26- vgl. dazu nur Senatsbeschlüsse vom 7. Oktober 2003 – 18 625/03 – und vom 12. April 2000 - 18 B 114/00 -
27und vorliegend keine Umstände erkennbar sind, die zwingend eine davon abweichende Entscheidung erfordern, zumal – wie von der Antragstellerin für sich reklamiert - eine mittellose Partei gegebenenfalls Reisekostenentschädigung erhalten kann.
283. Der mit der Beschwerde ferner noch geltend gemachte Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis aus dem Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) ist ebenfalls nicht gegeben.
29Ein derartiger Anspruch folgt nicht aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80. Zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der zuletzt erteilten Aufenthaltserlaubnis (18. März 2005),
30- vgl. zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt nur EuGH, Urteil vom 16. März 2000 - Rs. C-329/97 (Ergat) -, InfAuslR 2000, 217 (220), sowie Senatsbeschluss vom 12. März 2004 – 18 B 233/04 – mit weiteren Nachweisen -
31war die Antragstellerin nicht wie von der allein in Betracht kommenden Regelung des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 gefordert ein Jahr ordnungsgemäß bei dem gleichen Arbeitgeber beschäftigt.
32Diesbezüglich ist die am 1. Mai 2004 aufgenommene Beschäftigung bei der Firma Gebäudereinigung C. ohne Belang, weil jene mit dem Ablauf der Aufenthaltserlaubnis am 18. März 2005 nicht ordnungsgemäß im Sinne von Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 erfolgte. Der von der Antragstellerin gestellte Verlängerungsantrag hatte lediglich bis zur Entscheidung über ihn gemäß § 81 Abs. 4 AufenthG zu einem fiktiven Fortbestehen der bisherigen Aufenthaltserlaubnis geführt und ist deshalb entgegen der Ansicht der Beschwerde zur Begründung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung ebenso wenig geeignet wie vormals die Erlaubnisfiktion nach § 69 Abs. 3 AuslG.
33Vgl. zu Letzterem Senatsbeschluss vom 12. März 2004 – 18 B 233/04 – ebenfalls mit weiteren Nachweisen.
34Denn der Begriff der ordnungsgemäßen Beschäftigung im Sinne des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 setzt eine gesicherte und nicht nur – wie bei § 81 Abs. 4 AufenthG - vorläufige Position auf dem Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates und damit das Bestehen eines nicht bestrittenen Aufenthaltsrechts voraus.
35Vgl. nur EuGH, Urteil vom 19. November 2002 – Rs. C-188/00 (Kurz) -, InfAuslR 2003, 41, 43 = DVBl. 2003, 451 = EZAR 816 Nr. 12 = AuAS 2003, 134.
36Art. 10 ARB 1/80 hilft der Antragstellerin ebenfalls nicht weiter. Denn in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist geklärt, dass diese Vorschrift ebenfalls wie das im Wesentlichen gleichlautende Diskriminierungsverbot des Art. 37 des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 zum Assoziierungsabkommen EWG-Türkei vom 12. September 1963 dem Inhaber einer unbefristeten Arbeitsgenehmigung kein selbstständiges Aufenthaltsrecht vermittelt.
37Vgl. die Senatsbeschlüsse vom 27. August 1999 18 B 1448/99 , AuAS 1999, 254 = EZAR 029 Nr. 11 = InfAuslR 1999, 485 = NVwZ-Beil. I 2000, 28, und vom 20. Mai 2005 – 18 B 2776/04 - sowie OVG NRW, Beschluss vom 25. August 2004 - 19 B 1741/03 -, InfAuslR 2005, 29 = EZAR 029 Nr. 28 und Beschluss vom 26. Oktober 2004 - 17 B 1542/03 -.
38Angesichts dessen hat der Senat auch keinen Anlass gesehen im Hinblick auf den an den EuGH gerichteten Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 29. Dezember 2004 - 8 K 3570/04 -, InfAuslR 2005, 136 dem Aussetzungsantrag zu entsprechen oder – wie hilfsweise beantragt – das vorliegende Verfahren auszusetzen, was im übrigen auch bereits prozessual schon vom Ansatz her ausscheidet.
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2, 53 Abs. 3 GKG.
40Dieser Beschluss ist unanfechtbar.