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Die ärztliche Behandlungspflicht dient dem Schutz der Gesundheit des Patienten, nicht aber der Vermeidung primärer Vermögensschäden. Insbesondere dient die ärztliche Behandlungspflicht nicht dazu, den Patienten vor solchen Schäden zu schützen, die aus einer nicht rechtzeitigen Feststellung der Invalidität durch einen Arzt und dem Verlust von Ansprüchen gegen den Unfallversicherer resultieren.
Der Patient ist nicht als Dritter in den Schutzbereich des Vertrags einbezogen, durch den ein Unfallversicherer einen Arzt mit der Feststellung einer unfallbedingten Invalidität beauftragt. Die Unfallversicherung begründet insoweit keine über das übliche Maß hinausgehenden besonderen Treuepflichten der Unfallversicherung gegenüber dem betroffenen Dritten.
Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 06.09.2024 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 9 O 168/23 – gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem Hinweis innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses (§ 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO).
Gründe:
2I.
3Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, weil das angefochtene Urteil weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§§ 522 Abs. 2 Nr. 1, 513 Abs. 1 ZPO).
4Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Dem Kläger stehen gegen die Beklagte Ansprüche auf Schadensersatz aus keinem erdenklichen Rechtsgrund zu.
51. Schadensersatzansprüche aus dem mit der Beklagten geschlossenen Behandlungsvertrag sind nicht gegeben.
6a. Der Kläger war ab dem 19.04.2013 in der Augenklinik der Beklagten in ärztlicher Behandlung. Fehler der augenärztlichen Behandlung macht der Kläger mit der Klage nicht geltend. Solche sind nicht streitgegenständlich.
7b. Soweit der Kläger behauptet, man habe im Hause der Beklagten auf von ihm geklagten Kopfschmerzen keine weiteren Befunde erhoben, kann er hieraus keine Schadensersatzansprüche herleiten. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob und gegebenenfalls wann die augenärztlichen Behandler im Hause der Beklagten auf eine neurologische Abklärung der durch den Kläger angegebenen Kopfschmerzen hätten hinwirken müssen. Denn der Schaden, für den der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit Ersatz von der Beklagten begehrt, fällt nach seiner Art und Entstehung nicht unter den Schutzzweck der hier als verletzt gerügten Vertragspflichten.
8In der Rechtsprechung ist es anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Eine Haftung besteht nur für diejenigen äquivalenten und adäquaten Schadensfolgen, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte Vertragspflicht übernommen wurde. Der geltend gemachte Schaden muss in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein "äußerlicher", gleichsam "zufälliger" Zusammenhang genügt nicht. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (vgl. BGH, Urteile vom 22.05.2012 – VI ZR 157/11, NJW 2012, 2024, Rn. 14; vom 22.09.2016 – VII ZR 14/16, NJW 2016, 3715 ff., juris Rn. 14; vom 24.05.2022 - VI ZR 206/21, NJW 2022, 2747 ff; juris Rn. 29; Grüneberg/Grünberg. 84. Auflage, vor § 249, Rn. 29 f. mwN).
9Nach diesen Grundsätzen kommt ein vertraglicher Schadensersatzanspruch des Klägers nicht in Betracht. Der Kläger verlangt vorliegend Ersatz eines Vermögensschadens. Er begehrt von der Beklagten so gestellt zu werden, als hätte die Beklagte seiner privaten Unfallversicherung, der V. D. Versicherungs AG (im Folgenden: der Versicherer), rechtzeitig mitgeteilt, dass er infolge des Unfallereignisses vom 19.04.2013 nicht nur eine Verletzung des linken Auges, sondern auch eine Verletzung des Kopfes oder eine Trigeminusneuralgie erlitten habe. In diesem Fall, so die Argumentation des Klägers, hätte der Versicherer eine weitere Zahlung in Höhe von 36.900 € aus der Unfallversicherung leisten müssen und er, der Kläger, wäre nicht mit den Kosten des von ihm beim Landgericht Koblenz und dem Oberlandesgericht Koblenz gegen den Versicherer geführten Rechtsstreits in Höhe von 16.923,75 € belastet worden.
10Der Kläger macht in der Sache die Verletzung einer ärztlichen Pflicht zur Befunderhebung oder zur therapeutischen Aufklärung geltend. Eine solche Pflicht dient dem Schutz der Gesundheit des Patienten. Durch die Erfüllung der Pflicht sollen Erkrankungen und deren Ursachen abgeklärt werden, um dem Patienten gegebenenfalls die erforderliche Behandlung und Therapie zukommen zu lassen. Die Pflicht dient nicht dazu, den Patienten in die Lage zu versetzen, Geldleistungen aus einer privaten Unfallversicherung mit Erfolg geltend zu machen. Die durch den Kläger geltend gemachten primären Vermögensschäden fallen nach ihrer Art nicht unter den Schutzzweck der verletzten Pflicht.
112.
12Der Kläger kann von der Beklagten auch nicht wegen einer fehlerhaften Erstellung eines ärztlichen Berichts Schadensersatz verlangen.
13a. Eigene vertragliche Ansprüche bestehen nicht, weil der Kläger die Beklagte nicht mit der Erstellung des ärztlichen Berichts für den Versicherer beauftragt hat. Die Beauftragung erfolgte durch den Versicherer selbst. Dies ist zwischen den Parteien nicht im Streit und ergibt sich im Übrigen auch unmittelbar aus dem an die Beklagte gerichteten Schreiben des Versicherers vom 30.11.2015, in dem dieser die Beklagte unter dem Betreff „Gutachtenauftrag mit Nachuntersuchung: linkes Auge“ um eine gutachterliche Äußerung gemäß Nr. 85 der Anlage zum Gebührenverzeichnis der GOÄ bat. Dabei machte der Versicherer von seinem sich aus Ziff. 9.3 der Allgemeinen Unfall-Versicherungsbedingungen in der Fassung 2008 (vgl. Bl. 249 der Beiakte des LG Koblenz, Az. 16 O 31/19) ergebenden Recht Gebrauch, Ärzte auf eigene Kosten mit der Untersuchung des Versicherungsnehmers zu beauftragen. Der Kläger war nicht Auftraggeber des ärztlichen Berichts. Ihn traf als Versicherungsnehmer nach den AUB 2008 lediglich die Obliegenheit, an der ärztlichen Untersuchung mitzuwirken. Ein auf die Untersuchung und Erstellung eines ärztlichen Berichts gerichtetes Vertragsverhältnis bestand daher zwischen dem Versicherer und der Beklagten, nicht aber zwischen dem Kläger und der Beklagten,
14b. Eine Haftung der Beklagten kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in Betracht. Der Kläger war nicht in den Schutzbereich des Vertragsverhältnisses zwischen dem Versicherer und der Beklagten miteinbezogen.
15Nach ständiger Rechtsprechung gibt es unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte eine Berufshaftung für Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Sachverständige, also für Berufsgruppen, die über eine besondere vom Staat anerkannte Sachkunde verfügen, wenn deren Vertragsleistungen von vornherein erkennbar zum Gebrauch gegenüber Dritten bestimmt sind und nach dem Willen des Auftraggebers mit einer entsprechenden Beweiskraft ausgestattet sein sollen, wie dies bei einer Bilanz oder einem Sachverständigengutachten der Fall ist, die nicht nur für das Innenverhältnis zwischen Auftraggeber und Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Sachverständigen bestimmt sind. Diese Voraussetzungen können grundsätzlich auch bei einem von einem Arzt für eine Versicherung erstatteten Gutachten oder einer der Versicherung von einem Arzt erteilten Auskunft vorliegen (BGH, Urteil vom 17.09.2002 – X ZR 237/01, NJW 2002, 3625 ff., juris Rn. 13 mwN). Eine generelle Pflicht zur Wahrnehmung der Interessen des Versicherten bei der Einholung von Gutachten zur Vorbereitung der eigenen Regulierungsentscheidung, die schon als solche zur Einbeziehung des Versicherten in den Schutzbereich des Vertrages führen könnte, besteht nicht (BGH aaO, juris Rn. 14). Eine solche Pflicht kann allerdings dann bestehen, wenn dem Auftraggeber des Gutachters gegenüber dem davon betroffenen Dritten eine Personen- und Fürsorgepflicht obliegt, während die allgemeinen Sorgfaltspflichten, die Vertragsparteien im Rahmen ihrer Entscheidungen treffen, in diesem Zusammenhang nicht genügen. Eine in diesem Sinne gesteigerte Pflicht ist im Rahmen von Versicherungsverhältnissen dann denkbar, wenn diese – wie möglicherweise bei einer Krankenversicherung – wesentliche Lebensgrundlagen des Versicherten berühren, dessen Leben und Gesundheit von der Eintrittsbereitschaft des Versicherers für eine Behandlung abhängen können (BGH aaO, juris Rn. 15). Auf Versicherungen, die lediglich eine Geldzahlung betreffen, lassen sich diese Erwägungen nicht übertragen (BGH aaO; OLG Dresden, Urteil vom 23.10.2023 – 4 U 1372/23, RuS 2024, 218 f, juris Rn. 14; OLG Schleswig, Beschluss vom 09.08.2010 – 4 U 105/99, MDR 2010, 1259 f, juris Rn. 7 ff.; OLG Hamm, Beschluss vom 14.05.2019 – 7 U 74/18, juris Rn. 28). Bei einer Unfallversicherung bestehen keine über das übliche Maß hinausgehenden besonderen Treuepflichten, die eine Einbeziehung des Versicherungsnehmers in den Schutzbereich des Vertragsverhältnisses zwischen einem Unfallversicherer und dem mit der Feststellung einer unfallbedingten Invalidität beauftragten Arzt gebieten würden (so auch OLG Dresden aaO, Rn. 15).
163.
17Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB scheidet schon deswegen aus, weil die Vorschrift nicht das Vermögen schützt. Es ist kein sonstiges Recht im Sinne der Vorschrift (Grüneberg/Sprau, 84. Auflage, § 823 BGB, Rn. 11).
184.
19Unabhängig von dem Fehler einer Anspruchsgrundlage tritt der Senat dem Landgericht in der Erwägung bei, dass es an der Schadensursächlichkeit einer etwaigen Pflichtverletzung fehlt. Eine der Beklagten frühestens ab der unter dem 13.01.2016 dokumentierten Untersuchung des Klägers mögliche Feststellung eines atypischen Gesichtsschmerzes und einer Trigeminusneuralgie hätte nicht zu einer rechtzeitigen Feststellung der Invalidität im Sinne der Versicherungsbedingungen geführt.
20Die Frist zur Geltendmachung der Invalidität in Gestalt eines atypischen Gesichtsschmerzes oder einer Trigeminusneuralgie endete nach Ziff. 2.1.1.1 der UN 9006 (AUB 2008) i.V.m. UN 4176 innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall und damit am 19.10.2014. Innerhalb dieser Frist hat der Kläger der Beklagten nicht mitgeteilt, unter dauerhaften Kopfschmerzen oder Gesichtsschmerzen zu leiden. Soweit er behauptet, er habe bereits unmittelbar nach dem Unfall den Behandlern im Hause der Beklagten mehrfach von Kopfschmerzen berichtet, ist sein Vortrag unsubstantiiert und darüber hinaus nicht unter Beweis gestellt. Die am 19.10.2014 endende Frist ist auch nicht durch den Versicherer verlängert worden. Soweit der Versicherer auf die schriftlich erteilte „Fachärztliche Bescheinigung“ der Beklagten vom 11.12.2013, nach der das Heilverfahren noch nicht abgeschlossen sei und ein genauer Invaliditätsgrad erst später festgestellt werden könne, die noch laufende Frist stillschweigend verlängert hat – für eine solche stillschweigende Fristverlängerung dürfte sprechen, dass der Versicherer die Beklagte am 30.11.2015 um eine Nachuntersuchung und eine gutachterliche Äußerung bis zum 18.03.2016 bat, also selbst von einer noch laufenden Frist ausging – konnte sich eine solche Fristverlängerung nur auf die durch die Beklagte festgestellten und dem Versicherer mitgeteilten Verletzungen am linken Auge, nicht aber auf eine Schädigung des Trigeminusnervs oder eine andere, dauerhafte Kopf- oder Gesichtsschmerzen betreffende Invalidität beziehen. Bindungswirkungen entfaltet das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz im Vorprozess aus den vom Landgericht zutreffend dargelegten Gründen insoweit nicht. Unstreitig sind dem Versicherer eine solche Verletzung oder Symptome einer solchen bis zum 19.10.2014 nicht mitgeteilt worden. Die Augenverletzung und die Schädigung des Trigeminusnervs stellen auch kein einheitliches Krankheitsbild dar. Dies ergibt sich aus dem Urteil des Oberlandesgericht Koblenz vom 12.05.2021 und dem diesem zugrundeliegenden Gutachten von Dr. D., welches das Landgericht gemäß § 411a ZPO verwertet hat.
21II.
22Bei dieser Sachlage gibt die Berufung zu einer Abänderung des angefochtenen Urteils insgesamt keine Veranlassung. Die Rechtssache hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO). Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO); eine mündliche Verhandlung erscheint unter Berücksichtigung aller weiteren Aspekte des Rechtsstreites auch aus sonstigen Gründen nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO). Auf die bei förmlicher Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO dem Rechtsmittelführer verloren gehende Möglichkeit einer Kosten sparenden Rücknahme nach Nr. 1222 Kostenverzeichnis zum GKG wird vorsorglich hingewiesen.