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Auf die Berufung der Verfügungsbeklagten wird das am 17. Juni 2024 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 28 O 59/24 - abgeändert.
Die einstweilige Verfügung vom 12. April 2024 wird aufgehoben. Der Antrag auf ihren Erlass wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt die Verfügungsklägerin.
Gründe:
2Die Berufung hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, soweit die Verfügungsklägerin ihn nicht zurückgenommen hat, unbegründet. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch (§ 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog) steht der Verfügungsklägerin nicht zu, da die angegriffenen Äußerungen ihr Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) nicht verletzen.
31. Anders als die Verfügungsklägerin und das Landgericht ist der Senat der Auffassung, dass die Verfügungsbeklagte in der angegriffenen Berichterstattung nicht über den Verdacht einer bewussten Manipulation von Umfrageergebnissen berichtet. Weder enthält der Artikel die offene Kundgabe eines Verdachts bewusster Manipulation - insbesondere nicht mit einer bestimmten Zielrichtung - noch wird dem Leser das Bestehen eines solchen Verdachts als unabweisbare Schlussfolgerung nahegelegt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 27. April 2021 - VI ZR 166/19, AfP 2021, 336 Rn. 12 mwN). Es kann deshalb dahinstehen, ob es sich bei der verdeckten Aussage, die die Verfügungsklägerin und das Landgericht den angegriffenen Äußerungen entnehmen, um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handeln würde.
4a) Richtig ist allerdings, dass sich aus dem ersten in Verbindung mit dem zweiten Absatz des Artikels ergibt, dass für die Verfügungsklägerin „Verbreiter von Fake News“ arbeiten. Richtig ist ferner, dass es sich bei Fake News dem Wortsinn nach grundsätzlich um in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen handelt (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/Fake_News). Vorliegend erschließt sich jedoch aus dem Gesamtkontext des Artikels ein anderer Sinn des Begriffs. Denn bei dem ersten Absatz des Artikels handelt es sich erkennbar um eine Einleitung, die noch keine konkrete Sachaussage erhält, sondern lediglich das Interesse der Leser für die nachfolgenden Ausführungen wecken soll.
5Im weiteren Text setzt der Verfasser sich kritisch mit verschiedenen konkreten Umfragewerten auseinander, die die Verfügungsklägerin im Vorfeld mehrerer Landtagswahlen veröffentlicht beziehungsweise dem „F.“ zur Verfügung gestellt hat. In diesem Zusammenhang erfährt der Leser, dass die Verfügungsklägerin anders als andere Meinungsforschungsinstitute ihre Daten nicht in persönlichen Gesprächen via Telefon oder Hausbesuch erhebt, sondern ein „Klicktool auf Websites“ erstellt. Weiter heißt es, durch solche Online-Umfragen könnten immer nur Zufallstreffer erzielt werden, die dann nachbearbeitet werden müssten. Die Verfügungsklägerin habe vor Gericht zugegeben, dass die Umfrageergebnisse nachbearbeitet würden. So würden Unzulänglichkeiten in den Stichproben durch „Algorithmen“ korrigiert. Nach Abschluss der automatisierten Ergebnisberechnung würden „Plausibilitätskontrollen“ vorgenommen. Auf dieser im Bericht offengelegten Tatsachengrundlage bewertet der Autor die Umfragen der Verfügungsklägerin als unsauber und nicht repräsentativ.
6Vor diesem Hintergrund wird der Leser auch in dem in der Einleitung verwandten Begriff „Fake News“ lediglich eine zugespitzte und reißerische Bewertung der mitgeteilten Tatsachen erkennen. Nichts Anderes folgt aus dem Verweis auf andere „Verbreiter von Fake News […] in U., L. und E..“ Darin, dass die Verfügungsklägerin offenbar mit nicht näher bezeichneten Stellen in autokratisch und nicht demokratisch regierten Staaten verglichen werden soll, erhält die in der Verwendung des Begriffs „Fake News“ liegende Herabsetzung der Verfügungsklägerin zwar zusätzliches Gewicht. Eine über die im Verlauf des Artikels mitgeteilten Fakten hinausgehende zusätzliche Sachaussage wird der Leser der Einleitung jedoch auch auf Grund dieses substanzlosen Verweises nicht entnehmen.
7b) Ähnliches gilt, soweit die Verfügungsklägerin ihre Sinndeutung, wonach über den Verdacht einer bewussten Manipulation berichtet werde, auf die Aussage stützt, sie sei „womöglich nur ein Meinungsmanipulations-Institut“. Zwar hat der Begriff der Manipulation nach seinem Wortsinn unter anderem die Bedeutung einer bewussten Beeinflussung (vgl. https://www.duden.de/rechtschreibung/manipulieren#Bedeutung-1). Diese Bedeutung ist jedoch im Streitfall jedenfalls deshalb nicht maßgeblich, weil der Autor im Artikel selbst erläutert, was er im vorliegenden Zusammenhang unter einer Manipulation versteht. So heißt es, per Online-Umfrage könnten nur Zufallstreffer gelandet werden, „die dann nachbearbeitet oder - salopp gesagt - manipuliert werden müssen.“ Im weiteren Text heißt es - wie vorstehend bereits ausgeführt - die Verfügungsklägerin habe vor Gericht zugegeben, dass die Umfrageergebnisse nachbearbeitet würden; Unzulänglichkeiten in den Stichproben würden durch „Algorithmen“ korrigiert. Daraus erschließt sich, dass der Autor bereits in der von der Verfügungsklägerin vor Gericht zugegebenen Nachbearbeitung der Daten durch „Algorithmen“ als solcher eine Manipulation sieht. Dass er die Verfügungsklägerin darüber hinaus verdächtigt, ihre Umfragen bewusst zu manipulieren, um die Meinungsbildung in der Bevölkerung zielgerichtet zu beeinflussen, lässt sich dem Artikel hingegen nicht entnehmen. Auch soweit es im Artikel heißt, „die Verdachtsmomente“ gegen die Verfügungsklägerin seien „erdrückend“ gewesen, kann sich dies deshalb nur auf die nach dieser Aussage mitgeteilten Tatsachen beziehen, die aus Sicht des Autors belegen sollen, dass das Vorgehen der Verfügungsklägerin nicht den branchenüblichen Standards entspricht und die von ihr ermittelten Umfrageergebnisse wenig verlässlich sind.
8c) Auch der von der Verfügungsbeklagten verbreitete Vorwurf, die Verfügungsklägerin „habe das Umfragehoch der AfD in manchen Bundesländern höher ausfallen lassen, als es tatsächlich war“, besagt nur, dass die von der Verfügungsklägerin veröffentlichten Umfrageergebnisse die tatsächliche politische Stimmung in den betreffenden Bundesländern nicht zutreffend abgebildet und insbesondere die gestiegene Zustimmung zu der Partei AfD überzeichnet haben, nicht aber, dass der Verfügungsklägerin dies auch bewusst war und sie vorsätzlich falsche Zahlen veröffentlicht hat.
9Nichts Anderes folgt daraus, dass sich die Ergebnisse der Verfügungsklägerin in der Folgezeit innerhalb einer Woche „wie von Zauberhand“ wieder auf ihr Ursprungsniveau von Dezember, also auf die für Dezember veröffentlichten Zustimmungswerte für die Parteien AfD und SPD in Sachsen, anpassten. In der Anpassung der Ergebnisse wird der Leser am ehesten einen weiteren Anhaltspunkt dafür sehen, dass die zwischenzeitlich von der Verfügungsklägerin veröffentlichten höheren Zustimmungswerte für die AfD und niedrigeren Werte für die SPD möglicherweise auf einem Fehler beruhten, den die Verfügungsklägerin sodann korrigiert hat. Der Leser wird erkennen, dass der Autor die im Dezember veröffentlichten Werte, die den Werten nach der Anpassung entsprechen, für verlässlicher hält als die in der Zwischenzeit veröffentlichten Werte.
10Soweit die Verfügungsklägerin in diesem Zusammenhang auf das in diesem Zusammenhang eingeblendete Zitat von C. J. verwiesen hat („Unverantwortlich ist, wenn sich Medien zu Helfershelfern der AfD machen …“), bezieht sich die zitierte Aussage auf nicht näher bezeichnete Medien, darunter möglicherweise auch solche, die Umfrageergebnisse der Verfügungsklägerin veröffentlicht haben. Dass sich die Verfügungsklägerin zum Helfershelfer der AfD gemacht hat, hat Herr J. hingegen nicht geäußert.
11d) Ausgehend von den vorstehenden Ausführungen kann schließlich auch der Überschrift „Meinungsumfrage: Manipulation von Wirklichkeit“ nicht der Verdacht einer bewussten Manipulation von Umfrageergebnissen entnommen werden. Die Überschrift darf nicht isoliert von dem dazugehörigen Zeitungsbericht betrachtet werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95, AfP 2000, 563, 566). In dem Bericht erfährt der Leser, was der Autor im vorliegenden Zusammenhang unter einer Manipulation versteht. Eine eigenständige Sachaussage enthält die Überschrift nicht. Soweit die Verfügungsklägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung erstmals behauptet hat, ein Teil des angegriffenen Artikels habe sich hinter einer Bezahlschranke befunden, hat sie dies nicht substanziiert und erst recht nicht belegt. Die derzeit im Internet abrufbare Fassung des nach Erlass der einstweiligen Verfügung geänderten Artikels ist, soweit der Senat dies erkennen kann, nicht mit einer Bezahlschranke versehen; das Lesen des vollständigen Artikels wird lediglich vom Abschluss eines kostenlosen Abonnements abhängig gemacht. Für die Beurteilung des vorliegenden Falles kommt es aber auch nicht auf die derzeitige Gestaltung der Internetseite an, sondern auf die Gestaltung zu dem Zeitpunkt, als der Artikel noch in seiner ursprünglichen Fassung abrufbar war.
122. Lässt sich den angegriffenen Äußerungen mithin nicht der Verdacht einer bewussten Manipulation von Umfrageergebnissen entnehmen, so erweisen sich die angegriffenen Äußerungen als rechtmäßig. Denn zwar greifen die Äußerungen in den Schutzbereich des Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) der Verfügungsklägerin ein, weil die Äußerungen geeignet sind, ihr unternehmerisches Ansehen in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen. Im Rahmen der gebotenen Abwägung des Persönlichkeitsrechts mit dem Recht der Verfügungsbeklagten auf Meinungs- und Medienfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK) überwiegen die Schutzinteressen der Verfügungsklägerin die schutzwürdigen Belange der anderen Seite aber nicht.
13Die angegriffenen Äußerungen enthalten zwar eine scharfe, reißerische und zugespitzte Kritik an den Leistungen der Verfügungsklägerin. Eine solche Kritik muss die Verfügungsklägerin sich aber gefallen lassen. Dabei ist zu Gunsten der Verfügungsbeklagten zu berücksichtigen, dass sie mit ihrem Artikel ein Informationsanliegen im Zusammenhang mit einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage verfolgt. Die Verfügungsklägerin steht als großes Meinungsforschungsinstitut im Blickpunkt der Öffentlichkeit und wirkt mit der Veröffentlichung ihrer Umfragen auf den öffentlichen politischen Diskurs ein, was in dem angegriffenen Artikel auch eingehend thematisiert wird. Eine kritische Auseinandersetzung mit ihrer Methodik und den von ihr veröffentlichten Zahlen muss die Verfügungsklägerin deshalb in weitem Umfang hinnehmen.
14Unwahre Bestandteile enthalten die angegriffenen Äußerungen, wie sich aus den Ausführungen unter Ziffer 1 ergibt, nicht. Die Äußerungen haben ferner eine hinreichende Tatsachengrundlage, die - wie ebenfalls ausgeführt - in dem Artikel offengelegt wird. Die den angegriffenen Wertungen zugrundeliegenden, im Artikel offengelegten Tatsachen entsprechen auch der Wahrheit. Dabei kommt es auf die Behauptung der Verfügungsbeklagten, die von der Verfügungsklägerin erhobenen Umfragedaten würden auch händisch nachbearbeitet, nicht an. Denn eine händische Nachbearbeitung wird in dem angegriffenen Artikel nicht behauptet. Soweit sich aus ihm ergibt, dass die Verfügungsklägerin die von ihr erhobenen Rohdaten nachbearbeitet, indem sie Unzulänglichkeiten in den Stichproben durch Algorithmen korrigiert, entspricht dies unstreitig der Wahrheit. Aus dem folgenden Satz „Nach Abschluss der automatisierten Ergebnisberechnung nehme das ‚Research- und Beratungs-Team‘ von G. ‚Plausibilitätskontrollen‘ vor.“, folgt nicht, dass unplausibel erscheinende Ergebnisse manuell verändert werden; anders als im vorhergehenden Satz ist nur die Rede von Kontrollen, nicht von Korrekturen. Auf die von der Geschäftsführerin der Verfügungsklägerin in der mündlichen Verhandlung abgegebene eidesstattliche Versicherung kommt es deshalb nicht an. Unerheblich ist ferner, dass die Verfügungsklägerin die im Bericht enthaltene Aussage, sie habe vor Gericht zugegeben, dass die Umfrageergebnisse nachbearbeitet würden, erstmals im Termin vor dem Senat bestritten hat und nun geltend macht, sie könne die angeblich von ihr stammende Erklärung keinem konkreten Gerichtsverfahren zuordnen. Die angegriffenen Wertungen und insbesondere die Vorwürfe, zu manipulieren und Fake-News zu verbreiten, beruhen wesentlich auf der unstreitig von der Verfügungsklägerin im System vorgesehenen automatisierten Nachbearbeitung der Rohdaten durch „Algorithmen“ als solcher und nicht auf dem Umstand, dass die Verfügungsklägerin in einem gerichtlichen Verfahren entsprechende Angaben gemacht hat.
153. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1ZPO.
164. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Parteien vom 18. und 19. Februar 2025 haben vorgelegen. Die darin enthaltenen Ausführungen sind aus den oben genannten Gründen unerheblich. Die Verfügungsklägerin geht selbst zutreffend davon aus, dass sich die Annahme einer manuellen Nachbearbeitung von Umfrageergebnissen aus dem angegriffenen Bericht nicht ergibt.
17Streitwert des Berufungsverfahrens: 10.000 €