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Auf die Berufung des Klägers wird das am 02.11.2023 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 1 O 186/21 - teilweise abgeändert und klarstellend insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
1. 7.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.10.2020 zu zahlen;
2. weitere 397,80 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 337,76 € seit dem 17.06.2021 und aus 60,04 € seit dem 10.02.2024 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, den Kläger von Verbindlichkeiten in Höhe von 60,00 € gegenüber der Chirurgischen Gemeinschaftspraxis Dr. med. Q. B. & Dr. med. Q. L., X.-straße 00, 00000 V. und in Höhe von 20,74 € gegenüber der R.-I. GmbH, Z.-straße 0, 00000 V., sowie von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 729,23 € gegenüber den Rechtsanwälten J. und J., C.-straße 00, 00000 E., freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus einem Werkvertrag über die Errichtung einer Terrassenüberdachung.
4Von der Darstellung des Tatbestands wird im Übrigen gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1, 543 Abs. 1, 544 Abs. 2 ZPO abgesehen.
5II.
6Die zulässige Berufung ist in der Sache ganz überwiegend begründet, im Übrigen unbegründet.
7Dem Kläger steht gemäß §§ 280 Abs. 1, 633, 634 BGB ein Anspruch gegen die Beklagte auf Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 7.500,- € sowie auf weiteren materiellen Schadensersatz in Höhe von 397,80 € zu.
81.
9Soweit der Kläger mit der Berufung über den erstinstanzlich – als Freistellungsanspruch – zugesprochenen Betrag von 80,74 € für Attestkosten hinaus Zahlung eines Betrags von 397,80 € als Verdienstausfallschaden begehrt, liegt darin zunächst eine Antragsänderung.
10Denn in erster Instanz hatte der Kläger – offenbar aufgrund eines Berechnungsfehlers – insgesamt nur 418,50 € (und nicht 478,54 €) als Summe seiner materiellen Schadenspositionen geltend gemacht.
11Diese – letztlich nur in der Beseitigung des erstinstanzlich unentdeckt gebliebenen Berechnungsfehlers liegende – Antragsänderung ist ohne weiteres zulässig, § 264 Nr. 2 ZPO. Die Vorschrift des § 533 ZPO findet in diesem Fall keine Anwendung (vgl. BGH, NZI 2023, 259, 262).
122.
13Das Landgericht ist, von der Berufung des Klägers naturgemäß nicht angegriffen, zu der Feststellung gelangt, dass der – unstreitig – von der durch die Beklagtenseite installierten Glasplatte gelöste und in die Regenrinne seiner Terrassenüberdachung hineinragende Splitter auf eine Stoßbelastung der Stirnseite der Terrassenüberdachung beziehungsweise der Kante auf der Stirnseite zurückzuführen ist, welche bei der Herstellung, dem Transport oder dem Handling der Glasscheibe beim Einbau in die Terrassenüberdachung entstanden ist (S. 6 LGU). Ferner hat das Landgericht festgestellt, dass der Kläger infolgedessen bei der Regenrinnenreinigung eine Sehnendurchtrennung an der linken Hand erlitten hat, sich einer Operation unterziehen musste, die eine mehrtägige stationäre Behandlung nach sich zog, und dass sich eine mehrmonatige ambulante Behandlung anschloss. Die Griffkraft der linken Hand ist dauerhaft gemindert und das Bewegungsausmaß des linken Daumens dauerhaft eingeschränkt (S. 7 f. LGU).
143.
15Der Senat teilt die Ansicht der Berufung, dass auf dieser nicht angegriffenen und auch nicht zweifelhaften tatsächlichen Grundlage das zugesprochene Schmerzensgeld von 3.300,- € zu gering bemessen ist.
16Der plastisch-chirurgische Sachverständige PD Dr. S., Chefarzt einer Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie sowie Handchirurgie, hat durch eigene Untersuchung festgestellt, dass das Bewegungsausmaß des linken Daumens endständig eingeschränkt, jedoch in allen Freiheitsgraden im Grund- und Sattelgelenk möglich ist. Eine Überstreckung im Interphalangeal-Gelenk (IP-Gelenk) ist im Vergleich zu rechts nicht möglich; die Beugung im IP-Gelenk erscheint nicht koordiniert. Die Grobe Kraft erweist sich beim Händedruck klinisch auf der linken Seite abgeschwächt im Vergleich zur rechten Seite. Der Kraft-Pinch (Damar Pinch Gauge) zwischen Daumen (D1) und Zeigefinger (D2) der rechten Hand konnte mit 22 kPa gemessen werden, wohingegen sich links ein reduzierter Kraft-Pinch von 14 kPa zeigte (Bl. 397 LGA). Er ist zu der sachverständigen Beurteilung gelangt, dass dieser niedrigere Wert im vorliegenden Fall ein traumaassoziiertes, reduziertes Kraftmaß der linken Hand im Vergleich zur rechten Hand darstellt und die Verletzungsresiduen als Dauerschaden zu werten sind (Bl. 400 LGA).
17Bei der auf dieser tatsächlichen Grundlage durch den Senat nicht etwa lediglich auf Ermessensfehler des Landgerichts nachzuprüfenden, sondern nach eigenem Ermessen vorzunehmenden Bemessung des Schmerzensgeldes gemäß § 253 Abs. 2 BGB sind sämtliche Umstände des Falls unter Berücksichtigung der in der Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgeldbeträge abzuwiegen, um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen herzustellen. Die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes ist aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadenfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadenbildes zu bemessen, wobei die mit der Verletzung verbundene Lebensbeeinträchtigung im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen stets an der Spitze steht. Denn Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden bilden das ausschlaggebende Moment für den angerichteten immateriellen Schaden (BGH (GrS), NJW 1955, 1675 ff.; BGH, NJW 2004, 1243).
18Angesichts insbesondere der dauerhaften Verletzungsfolgen sowie der alltäglichen Betroffenheit erachtet der Senat ein Schmerzensgeld von insgesamt 7.500,00 € als angemessen. Soweit einerseits in der Rechtsprechung etwa für einen Sehnenabriss am Ringfinger mit dauerhafter Bewegungseinschränkung lediglich 2.000,- € (Jaeger/Luckey, Handbuch Schmerzensgeld, 12. Aufl. 2024, E 766), bei einer Fraktur des kleinen Fingers mit Sehnenruptur und unvollständigem Faustschluss als Dauerschaden ebenfalls nur 3.000,- € (a.a.O., E 769) und ein Betrag von 4.000,- € unter Berücksichtigung eines erheblichen Mitverschuldens bei einer erheblichen Funktionsbeeinträchtigung des linken Daumens zugesprochen wurden (Hacks/Wellner/Häcker/Klein, Schmerzensgeldbeträge 2024, 42. Aufl. 2024, Nr. 893), handelt es sich nicht um vergleichbare Fälle und die Dauerfolgen finden bei den vorgenannten Beträgen aus Sicht des Senats zudem nicht genügend Berücksichtigung. Denn zentrale Bedeutung kommt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes der erlittenen Lebensbeeinträchtigung und damit etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (vgl. BGH, NJW 2022, 1953, 1954). Jedenfalls bei dem hier zur Beurteilung stehenden Schaden am Daumen ist ferner zu berücksichtigen, dass dem – wenn auch linken (der Kläger ist Rechtshänder) – Daumen eine weit höhere Bedeutung als dem Ringfinger oder kleinen Finger zukommt. Der Daumen ist – wie allgemein bekannt ist – der stärkste der fünf Finger einer menschlichen Hand und nimmt unter den Fingern aufgrund seiner Oppositionsstellung und anderen Bewegungsmöglichkeiten eine Sonderstellung ein. Auch wenn hier eine vollständige Funktionsunfähigkeit nicht im Raum steht, ist diese hohe Bedeutung für die Feinmotorik doch schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen. Andererseits ist auch der durch das OLG München entschiedene Fall eines durch Sehnenabriss unnatürlich gekrümmten linken Daumens mit einer dauerhaften und deutlichen Funktionseinschränkung der linken Hand, der einen Schmerzensgeldbetrag von 14.000,- € rechtfertigte (Endurteil v. 07.10.2020, Az. 10 U 1813/20, BeckRS 2020, 26945), deutlich schwerer und nicht mit der Situation des Klägers vergleichbar. Gleichwohl ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass der als Klimatechniker handwerklich tätige, gerade einmal 48jährige Kläger auch in seiner Berufsausübung nachvollziehbar und noch über einen langen Zeitraum eingeschränkt ist, so dass diese Lebensbeeinträchtigung gerade für ihn besonders schwer wiegt. Nach alledem stellt die mit der Berufung begehrte Summe von insgesamt 7.500,00 € einen insgesamt angemessenen und auch ausreichenden Ausgleich dar.
194.
20Der Senat schätzt den Verdienstausfallschaden des Klägers auf den geltend gemachten Betrag von 397,80 €.
21Der Kläger war infolge der erlittenen Verletzung unstreitig vom 01.10.2019 bis zum 17.12.2019 arbeitsunfähig erkrankt (S. 3 LGU). Dass ihm im Anschluss an die sechswöchige Lohnfortzahlung gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EntgFG im Zeitraum vom 12.11.2019 bis zum 17.12.2019 Krankengeld in Höhe von 3.040,20 € gewährt wurde, ist ferner belegt (Bl. 80 LGA). Dass dieses Krankengeld geringer ausfiel als sein Arbeitslohn, entspricht der Gesetzeslage: Nach § 47 Abs. 1 S. 1 u. 2 SGB V beträgt das Krankengeld 70 % des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts und darf 90 % des Nettoarbeitsentgelts nicht übersteigen. Schon danach ist von einem Verdienstausfallschaden jedenfalls in der geltend gemachten Größenordnung auszugehen.
22Ein Zeuge steht dem Kläger für den Nachweis der exakten Schadenshöhe zwar nicht mehr zur Verfügung (Bl. 541 LGA). Soweit das Landgericht den Anspruch verneint hat, ohne sein Schätzungsermessen erkennbar auszuüben, kann der Schaden auf der Grundlage des klägerischen Vortrags aber durch den Senat geschätzt werden (§ 287 Abs. 1 ZPO). Nach der Vorlage von Gehaltsnachweisen (Bl. 463 ff. LGA) wollte das Landgericht diesen Vortrag zunächst auch als unstreitig behandeln (Bl. 496 LGA). Die Beklagte hat in der Folge zwar bestritten, dass die Vorlage weniger Gehaltsnachweise ein nachhaltiges Einkommen in der behaupteten Größenordnung belege (Bl. 505 u. 510 LGA), hat die Nachweise für sich genommen aber nicht in Frage gestellt. Wenngleich die Übersichtlichkeit der Gehaltsnachweise zu bemängeln ist, weisen sie die Entgeltgruppe E02 mit einem Gesamtmonatsentgelt von 3.046,42 € – und damit in der von der Klägerseite behaupteten Größenordnung – aus (Bl. 464, 466, 470 u. 474 LGA) und beziehen sich auch auf die in Rede stehenden Monate November und Dezember 2019. Insgesamt reicht dies als Schätzungsgrundlage – zumal in Anbetracht der geringen in Rede stehenden Schadenshöhe – aus.
235.
24Zinsen auf den Verdienstausfallschaden kann der Kläger indessen zunächst lediglich ab dem Tag nach Rechtshängigkeitseintritt in erster Instanz – 16.06.2021 (Bl. 36 LGA) – verlangen, weil es insoweit an den Verzugsvoraussetzungen fehlt; insofern bleibt die Berufung ohne Erfolg. Das außergerichtliche Aufforderungsschreiben der Klägerseite mit Fristsetzung bis zum 27.10.2020 (s. Bl. 28 f. LGA) beinhaltete diese Position nicht. Ferner ist der Teilbetrag von 60,04 €, der erst mit der Berufung rechtshängig geworden ist (s.o.), lediglich ab dem 10.02.2024 (Bl. 186 OLGA) zu verzinsen.
256.
26Die Höhe der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers beläuft sich auf der Grundlage der geltend gemachten und berechtigten Forderung bis 8.000,00 € nach dem RVG in der bis 2020 geltenden Fassung auf 729,23 €. Da die außergerichtliche Vertretung noch im Jahr 2020 stattfand, ist sie entgegen der insoweit unbegründeten Berufung entsprechend der landgerichtlichen Beurteilung nach dem RVG a.F. abzurechnen.
277.
28Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 2 Nr. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
29Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht: Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Zulassung der Revision.
30Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.597,80 €