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1. Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 24.01.2024 verkündete Urteil des Landgerichts Köln (20 O 103/23) gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 16.000,- € festgesetzt.
3. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe:
2I.
3Der Senat ist einstimmig der Ansicht, dass die zulässige Berufung der Beklagten in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO). Da die zugrundeliegende Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 3 und 4 ZPO), soll über das Rechtsmittel durch Beschluss entschieden werden.
4Die Beklagte wendet sich mit der Berufung vergeblich gegen das Urteil des Landgerichts Köln. Das angefochtene Urteil hält der berufungsgerichtlichen Überprüfung stand. Das Landgericht hat zu Recht die Klage auf Gewährung von Deckungsschutz für das erstinstanzliche Verfahren zugesprochen und festgestellt, dass die Beklagte den Kläger von den Kosten des Stichentscheids freizustellen hat, sowie die Beklagte teilweise zur Freistellung von den Kosten der außergerichtlichen anwaltlichen Tätigkeit verurteilt. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere rechtliche Beurteilung; das Rechtsmittel der Beklagten ist unbegründet.
51.
6a) Die Erhebung der Feststellungsklage auf Gewährung von Deckungsschutz ist gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässig (vgl. zu dieser Fallkonstellation etwa BGH, Urt. v. 20.10.1982 – IVa ZR 48/81 –, zit. nach juris Rn. 11; Harbauer/Schneider, Rechtsschutzversicherung, 9. Aufl., 2018, § 20 ARB 2010 Rn. 11). Der Klageantrag ist insbesondere hinreichend bestimmt. Inhalt und Reichweite des Klagebegehrens werden nicht allein durch den Wortlaut des Antrags bestimmt, sondern dieser ist unter Berücksichtigung der Klagebegründung auszulegen. Denn der prozessuale Anspruch im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wird durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet, festgelegt. Dabei ist im Zweifel wegen des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz und rechtliches Gehör das als gewollt anzusehen, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der erklärenden Partei entspricht (vgl. BGH, Urt. v. 21.06.2016 – II ZR 305/14 –, zit. nach juris Rn. 12; Urt. v. 26.04.2017 – IV ZR 126/16 -, zit. nach juris Rn. 15; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.09.2017 – 4 U 87/17 -, zit. nach juris Rn. 20). Der Kläger macht ausweislich des Klageantrags Manipulationen der Abgassteuerung durch die E. AG an seinem Fahrzeug geltend. In der Klageschrift wird näher ausgeführt, um welche Abgasmanipulationen es sich handeln soll, und zwar zum einen um ein Thermofenster, zum anderen um prüfstandsbezogene Abschalteinrichtungen, vor allem um eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung. Diese Darlegungen reichen aus.
7Damit korrespondieren auch die Ausführungen im landgerichtlichen Urteil. Auch dort gilt, dass zur Feststellung der Reichweite eines Tenors die Entscheidungsgründe mit zu berücksichtigen sind. Der Inhalt eines Urteils und damit der Umfang der Rechtskraft sind nämlich der Entscheidung im Ganzen zu entnehmen. Soweit der Tenor allein nicht ausreicht, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu erfassen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen (vgl. BGH, Urt. v. 09.06.2022 – III ZR 24/21 – juris Rn. 22; Zöller/Vollkommer, ZPO, 35. Aufl., 2024, Vor § 322 Rn. 31 jew. m.w.N.). In den Entscheidungsgründen hat das Landgericht im Einzelnen ausgeführt, dass dem Kläger umfassender Deckungsschutz für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die E. AG aus Anlass des konkret bezeichneten Fahrzeugkaufs zu gewähren ist.
8b) Der Feststellungsanspruch ist auch begründet. Der Anspruch des Klägers auf Gewährung von Deckungsschutz folgt bereits daraus, dass die Beklagte die Deckungsablehnung nicht unverzüglich gemäß § 18 Abs. 1 der zwischen den Parteien unstreitig geltenden ARB 94 erklärt hat, mit der Folge, dass die Beklagte ihr Ablehnungsrecht verloren hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.03.2003 – IV ZR 139/01 –, r+s 2003, 363, 364).
9Nach § 18 Abs. 1 ARB 94 hat der Versicherer, wenn er den Rechtsschutz ablehnt, dies dem Versicherungsnehmer unverzüglich unter Angabe der Gründe schriftlich mitzuteilen. Unverzüglich bedeutet, dass die Ablehnung innerhalb des Zeitraums erfolgen muss und auch nur erfolgen kann, den der Versicherer bei sachgerechter, nicht schuldhaft verzögerter Prüfung für seine Entschließung benötigt (BGH, Urt. v. 20.07.2016 - IV ZR 245/15 -, juris Rn. 38; BGH, a.a.O., r+s 2003, 363, 364). Die Pflicht des Versicherers zur unverzüglichen Prüfung der Erfolgsaussichten und der Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung dient der zügigen Klärung der Ansprüche des Versicherungsnehmers aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag und spiegelt die demselben Zweck dienende Obliegenheit des Versicherungsnehmers wider, den Versicherer nach Eintritt des Versicherungsfalls umfassend und wahrheitsgemäß zu unterrichten (hier: § 17 Abs. 5 ARB 94), bei deren Verletzung der Versicherer nach § 17 Abs. 6 ARB 94 von der Verpflichtung zur Leistung frei werden kann (vgl. auch BGH, a.a.O., r+s 2003, 363, 364 f.) Dieser Prüfungszeitraum ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung in der Regel mit zwei bis drei Wochen zu bemessen (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 09.07.1997 – 7 U 210/96 –, NJW-RR 1997, 1386, 1387; OLG Köln, Urt. v. 07.11.1991 – 5 U 50/91 –, r+s 1991, 419, 420).
10Vorliegend hat die Beklagte auf das erneute Aufforderungsschreiben der Klägerseite vom 02.11.2021 (Anlage K4, Bl. 67 ff. eA LG) erst mit Schreiben vom 30.06.2022 (Anlage K5, Bl. 76 ff. eA LG) – also über ein halbes Jahr später – mit einer Deckungsablehnung wegen fehlender Erfolgsaussichten reagiert. Dies war deutlich zu spät. Wie das Landgericht zutreffend ausführt, kann die Deckungsablehnung auch nicht deshalb als rechtzeitig angesehen werden, weil die Beklagte in ihrem Schreiben vom 06.09.2019 mitgeteilt hatte, „weitere Informationen“ zu benötigen. Vielmehr lagen der Beklagten bereits mit der ersten Deckungsanfrage des Klägers alle wesentlichen Informationen zur Beurteilung der Erfolgsaussichten vor. Darauf hat der Kläger in seiner Anfrage vom 02.11.2021 auch hingewiesen. Die Anfrage der Beklagten bezog sich im Übrigen ersichtlich nicht darauf, weitere Unterlagen zu erhalten, sondern auf weitere Rechtsaufführungen zu den Erfolgsaussichten einer Klage. Dementsprechend hat die Beklagte mit Schreiben vom 30.06.2022 die Deckungsablehnung nicht wegen fehlender Informationen, sondern aus rechtlichen Erwägungen erklärt.
11c) Soweit die Beklagte mit der Berufung einwendet, die Klägerseite habe von ihrem ursprünglichen Anspruchsbegehren mit der Replik vom 28.07.2023 (Bl. 300 ff. eA LG) Abstand genommen und ihr Deckungsbegehren auf die Geltendmachung des sog. Differenzschadens beschränkt, trifft dies nicht zu. Der Kläger hat in der Replik lediglich angekündigt, dass er im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung des BGH sein Klagebegehren im Hauptsacheprozess dahingehend konkretisieren wird, dass er lediglich den Differenzschaden geltend macht (Bl. 311 eA LG). Er hat indes weiter erklärt, dass in dieser „Konkretisierung“ keine Änderung des Streitgegenstands, insbesondere keine Klagerücknahme zu sehen ist (vgl. Bl. 313 eA LG). Sodann hat er nochmals verdeutlicht, er gebe zwar zu erkennen, dass er in dem Hauptsacheprozess nicht mehr als 15% des Bruttokaufpreises (ggf. abzgl. Nutzungsersatz) verlangen werde, dies aber für den vorliegenden Rechtsstreit prozessual unerheblich bleibe (Bl. 321 eA LG). Auch wenn der Kläger insoweit fehl geht, als es sich bei der Geltendmachung des Differenzschadens nicht lediglich um eine „Konkretisierung“ des Klagebegehrens, sondern grundsätzlich um eine nach § 264 Nr. 2 ZPO zu behandelnde Klagebeschränkung handelt, kommt es darauf vorliegend nicht an. Denn der Kläger hat deutlich gemacht, von seinem ursprünglichen Klagebegehren für diesen Rechtsstreit auf Gewährung von Deckungsschutz nicht Abstand nehmen, sondern daran festhalten zu wollen. Das Landgericht ist daher zu recht auf die Fragestellung, ob dem Kläger ein Differenzschaden zusteht, nicht eingegangen.
122. Das Landgericht hat weiterhin zu Recht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden zu ersetzen, die daraus resultieren, dass die Beklagte die begehrte Deckungszusage nicht erteilt hat.
13a) Dem Feststellungsantrag mangelt es nicht am erforderlichen Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO. Dem Kläger ist momentan eine Bezifferung seines Schadens und damit eine Leistungsklage noch nicht möglich. Entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung ist die Feststellungsklage auch nicht deshalb unzulässig, weil sie auf die Erstattung künftiger Schäden gerichtet ist. Eine Feststellungsinteresse ist schon dann anzunehmen, wenn die Möglichkeit eines Schadenseintritts besteht. Es ist nur dann zu verneinen, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Würdigung kein Grund gegeben ist, mit dem Eintritt eines Schadens wenigstens zu rechnen (vgl. BGH Urt. v. 20.03.2001 – VI ZR 325/99 –, NJW 2001, 3414; Beschl. v. 09.01.2007 – VI ZR 133/06 –, NJW-RR 2007, 601; Foerste in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl. 2024, § 256 Rn. 10, 29). Hier hat der Kläger mit der Spreefels GmbH am 28.02.2023 einen Prozesskostenfinanzierungsvertrag abgeschlossen, mit dem er dieser eine Erlösbeteiligung zugesagt hat, so dass der Schadenseintritt vorherzusehen ist. Der Klageantrag ist durch die Bezugnahme auf den Klageantrag zu 1 auch hinreichend bestimmt.
14b) Dem Kläger steht der begehrte Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten in Bezug auf alle Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagte die mit dem Klageantrag zu 1) begehrte Deckungszusage nicht erteilt hat, gemäß §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2, 249 BGB, §§ 1, 125 VVG i.V.m. dem Rechtsschutzversicherungsvertrag zu. Denn nach der auch vom Landgericht zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 15.03.2006 (IV ZR 4/05) haftet der Rechtsschutzversicherer, der pflichtwidrig eine Deckungszusage verweigert, für den daraus resultierenden Schaden nicht nur bis zur Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung, d.h. bis zur Höhe der geschuldeten Prozesskostenerstattung, sondern auch für den darüber hinausgehenden Schaden, den der Versicherungsnehmer erleidet, wenn er mangels Deckungszusage einen beabsichtigten Rechtsstreit nicht führen kann. Die aus der Pflichtverletzung resultierende Ersatzpflicht des Rechtsschutzversicherers erstreckt sich auch auf den Schaden, den der Versicherungsnehmer erfährt, weil er mangels Deckungszusage einen Prozesskostenfinanzierungsvertrag abgeschlossen hat, aufgrund dessen er finanzielle Verpflichtungen gegenüber dem Prozessfinanzierer für den Fall des Obsiegens eingegangen ist.
15Maßgeblich für die Beurteilung, ob die Beklagte dem Kläger vertrags- und pflichtwidrig Deckungsschutz versagt hat, ist die Korrespondenz vor Abschluss des Prozessfinanzierungsvertrags am 28.02.2023, also insbesondere die erneute Deckungsanfrage vom 02.11.2021 und die Ablehnung vom 30.06.2022. Auf das weitere Schreiben der Beklagten vom 07.03.2023 kommt es insoweit nicht mehr an. Wie zuvor ausgeführt, hätte die Beklagte die Gewährung von Deckungsschutz nicht mehr unter Berufung auf die mangelnden Erfolgsaussichten versagen dürfen, nachdem sie dies dem Kläger nicht unverzüglich mitgeteilt hatte. Bereits aus diesem Grund besteht auch eine Verpflichtung zum Schadensersatz der Beklagten gegenüber dem Kläger.
16Die Berufung der Beklagten darauf, der Prozessfinanzierungsvertrag sei wegen Sittenwidrigkeit nichtig, bleibt ohne Erfolg. Der Prozessfinanzierungsvertrag hält den Kläger lediglich an, die ihm aus Vertrag oder § 280 BGB gegen die Beklagte zustehenden Rechte geltend zu machen. Dies ist nicht sittenwidrig. Im Übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen. Auch die Berufung darauf, der Vertragsschluss mit dem Prozessfinanzierer stelle ein eigenverantwortliches Handeln des Klägers dar, verfängt nicht. Der Kläger hätte bei vertragsgemäßer Deckungszusage den Vertrag nicht abgeschlossen.
173. Das Landgericht hat schließlich mit zutreffenden Erwägungen dem Kläger einen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren teilweise zugesprochen. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es sich bei dem vorprozessualen Schreiben um einen „Stichentscheid“ handelte, der nach den einschlägigen ARB 94 nicht vorgesehen war. Die Klägerseite hat bereits in diesem Schreiben vorab mitgeteilt, dass das erstellte „Gutachten“ als außergerichtliches Aufforderungsschreiben zu verstehen sei (vgl. Bl. 88 f. eA LG). Im Zeitpunkt der Erstellung dieses Schreibens befand sich die Beklagte mit ihrer Leistung – wie ausgeführt – in Verzug (vgl. § 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 BGB).
18II.
19Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb der ihr gesetzten Frist. Der Senat weist die Beklagte auf die kostenrechtliche Privilegierung der Berufungsrücknahme hin. Statt 4 fallen nur 2 Gerichtsgebühren an (Nr. 122 KV zu § 3 Abs. 2 GKG).