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Ein auf einer vertretbaren Deutung erhobener Befunde beruhender objektiver Diagnoseirrtum, nicht aber ein hiervon abzugrenzender vorwerfbarer Diagnosefehler, kann anzunehmen sein, wenn von den vier oder fünf Merkmalen eines seltenen Krankheitsbildes nur zwei vorgelegen haben, von denen das eine wegen geringer Ausprägung nicht erkannt werden musste, während sich das andere durch mehrere häufigere Differentialdiagnose erklären ließ.
Die Berufung des Klägers gegen das am 08.02.2023 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – Az. 3 O 18/21 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.
Dieses sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
2I.
3Die am 00.00.1990 geborene Mutter des Klägers ließ am 04.10.2016 in der 14+2 SSW im Hause der Beklagten eine detaillierte Ersttrimesteruntersuchung durchführen. Bei dieser Untersuchung stellten sich mit Ausnahme eines hyperreflektorischen Papillarmuskels im linken Ventrikel und einer kleinen unilateralen Auflockerung im rechten Plexus choroideus keine Auffälligkeiten in der fetalen Entwicklung dar. Eine weitere Kontrollultraschalluntersuchung am 03.11.2016 in der 20+0 SSW ergab weiterhin unauffällige Befunde hinsichtlich der Nieren und der Harnblase. In der Zeit vom 15.11.2016 bis zum 18.11.2016 wurde die Mutter des Klägers wegen eines gastrointestinalen Infekts stationär im Haus der Beklagten behandelt. Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Kontrolldiagnostik zeigte einen lebhaften, eutrophen Fetus, in der Doppleruntersuchung stellten sich sämtliche Gefäße regelrecht dar. Am 21.11.2016 wurde in der 21+1 SSW eine weitere Kontrollultraschalluntersuchung durchgeführt, die keine auffälligen Befunde in Bezug auf Nieren und Harnblase ergab. Am 26.11.2016 wurde die Mutter des Klägers aufgrund einer pseudomembranösen Colitis erneut stationär im Haus der Beklagten aufgenommen und behandelt. Am selben Tag wurde eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt. Diese wurde am 27.11.2016 in der 22+0 SSW wiederholt. Als Befund der Sonografie am 27.11.2016 wurde in den Behandlungsunterlagen dokumentiert:
4„In der heutigen Untersuchung eutropher Fet mit unauffälligen Dopplern. Bekannter White Spot im LV, minimale TI bei unauffälliger kardialer Anatomie, milde Pyelektasie bds. bei leicht dilatierter Blase, unauffälligem Genital und normaler FW -menge. Nieren bds. unauffällig, Cx 40 mm, kein Trichter, keine freie Flüssigkeit im Abdomen, Ovarien bds. nicht einsehbar.“
5In der erneuten Ultraschalluntersuchung am 29.11.2016 wurde laut Behandlungsdokumentation ein unveränderter, identischer Befund erhoben. Es wurde eine sonografische Kontrolle in der pränataldiagnostischen Abteilung in der 25+2 SSW für den 20.12.2016 vereinbart. Im Rahmen dieser Ultraschalluntersuchung zeigten sich ein Oligohydramnion sowie das Vollbild einer fortgeschrittenen Verengung der unteren ableitenden Harnwege (engl. Lower Urinary Tract Obstruction, im Folgenden: LUTO) bei posterioren Urethralklappen mit beidseitigen Hydronephrosen Grad 3, bereits echogenem Nierenparenchym und stark reduzierter kortikomedullärer Differenzierung als Hinweis auf eine renale Dysplasie bei nur mäßig dilatierter dickwandiger Harnblase. Es wurde Fetalblut entnommen und kariotypisiert. Seitens der Behandler im Haus der Beklagten wurde mit den Eltern des Klägers ein Gespräch über die LUTO-Erkrankung des Klägers und die Möglichkeit eines legalen Schwangerschaftsabbruches geführt. Die Eltern des Klägers entschieden sich gegen einen Abbruch. Am 28.12.2016 lag das zytogenetische Gutachten zur Kariotypisierung vor. Unter dem 03.01.2017 zeigten sich im Rahmen einer erneuten Ultraschalluntersuchung in der 27+2 SSW eine hochgradige fetale Niereninsuffizienz und ein linksseitiges Urinom sowie eine schwere Oligohydramnie/Anhydramnie bei unauffälliger Lungenentwicklung. Am 10.01.2017 stellten sich die Eltern des Klägers in der Kindernephrologie im Haus der Beklagten vor. Am 02.02.2017 und am 02.03.2017 erfolgten weitere Ultraschallkontrollen in der 31+4 SSW bzw. in der 35+4 SSW, die keine weiteren Auffälligkeiten zur Darstellung brachten. Im März 2017 wurde der Kläger in der 36+4 SSW mit einem Gewicht von 2.970 g und einer Größe von 50,5 cm im Haus der Beklagten spontan aus Schädellage geboren. Seine APGAR-Werte betrugen 5/8/9. Der Kläger wurde auf der Neugeborenenintensivstation aufgenommen. Postnatal bestätigten sich das linksseitige Urinom, die Megaureteren sowie eine irreversible Nierenschädigung. Es wurde eine beidseitige Hydronephrose diagnostiziert. Zusätzlich zeigten sich in beiden Nieren kleine Zysten. Am zweiten Lebenstag des Klägers musste mit einer CVVH-Dialyse begonnen werden, die für insgesamt fünf Tage fortgeführt wurde. Um eine adäquate Miktion über die Harnleiterklappe sicherzustellen, erfolgte direkt postnatal die Anlage eines Urin-Dauerkatheters. Eine zystoskopische Operation mit Schlitzung der Klappe wurde für den 26.04.2017 geplant. Aufgrund zunehmender respiratorischer Insuffizienz mit ausgeprägtem pulmonalen Hypertonus bei Lungenhypoplasie musste der Kläger am ersten Lebenstag intubiert und beatmet werden. Er wurde 6 Tage lang mit der ECMO behandelt. Zwei Pleuraergüsse jeweils rechts wurden per Pleuradrainage entlastet. Am 01.04.2017 konnte die Atemunterstützung beendet werden. Am 13.04.2017 wurde der Kläger in stabilem Allgemeinzustand vorübergehend aus der stationären Behandlung entlassen, musste jedoch in der Zeit vom 25.04.2017 bis zum 28.04.2017 erneut stationär aufgenommen werden zum Zwecke der Durchführung der geplanten Urethralklappenschlitzung mittels Zystoskopie.
6Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.03.2020 forderte der Kläger die Beklagte auf, die Haftung dem Grunde nach anzuerkennen und ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,00 EUR zu zahlen. Dies wurde seitens des Haftpflichtversicherers der Beklagten unter dem 14.01.2021 abgelehnt.
7Der Kläger hat Klage erhoben mit dem Behandlungsfehlervorwurf. Er hat behauptet, am 27.11.2016/29.11.2016 habe angesichts der auf den Ultraschallaufnahmen zu erkennenden Befunde die LUTO-Erkrankung bereits diagnostiziert werden können und müssen. Jedenfalls hätten sich im Rahmen der beiden Untersuchungen Hinweise auf eine solche Erkrankung ergeben, denen weiter hätte nachgegangen werden müssen. Die gebotene weitergehende Abklärung hätte zu einer entsprechend frühzeitigeren Diagnose der LUTO-Erkrankung geführt. Das stattdessen seitens der Behandler im Haus der Beklagten gewählte Kontrollintervall bis zum 20.12.2016 sei deutlich zu lang gewesen. Ein früherer Kontrolltermin habe vereinbart werden müssen. Auch nach der verspäteten Diagnosestellung sei die Vorgehensweise im Haus der Beklagten zu bemängeln. Noch am 20.12.2016 hätten fetalchirurgische Interventionen zur Behandlung der LUTO-Erkrankung von den Behandlern erwogen und indiziert werden müssen, insbesondere die Anlage eines Shunts und eine fetoskopische Zystoskopie mit Laserablation der PUV. Der Kläger hat behauptet, durch eine fetalchirurgische Intervention wären seine Nierenprobleme vollständig verhindert oder sein Outcome zumindest deutlich verbessert worden. Die Behandler hätten mit seinen Eltern über die bestehenden fetalchirurgischen Interventionsoptionen sprechen und über sie aufklären müssen. Wäre dies ordnungsgemäß erfolgt, hätten seine Eltern vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden und sich ggf. für ein therapeutisches Eingreifen entschieden. Am 03.01.2017 habe das Anhydramnion diagnostiziert und die Möglichkeit einer seriellen Fruchtwasserauffüllung in Betracht gezogen und mit den Eltern besprochen werden müssen. Der Kläger hat behauptet, als Folge der Behandlungsfehler sei bei ihm eine Niereninsuffizienz eingetreten, die so schwerwiegend sei, dass sie zukünftig eine Nierentransplantation erforderlich machen werde. Darüber hinaus sei sein Herz inoperabel geschädigt worden. Die Infektgefahr für ihn sei so hoch, dass er keinen Kindergarten besuchen könne, täglich Medikamente einnehmen und eine strenge Diät einhalten müsse.
8Der Kläger hat beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2020 zu zahlen; 2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.849,73 EUR außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen; 3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den infolge der fehlerhaften ärztlichen Behandlung seiner Mutter K. B. während der Schwangerschaft von November 2016 bis März 2017 in der Vergangenheit entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie zukünftigen – zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht vorhersehbaren – immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
9Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat behauptet, die in ihrem Haus durchgeführte Diagnostik und Behandlung sei vollumfänglich fachgerecht gewesen. Bei dem Kläger habe sich ein sehr ungewöhnlicher und untypischer Verlauf gezeigt, der behandlerseits nicht habe vorhergesehen werden können. Im Rahmen der Ultraschalluntersuchungen am 27.11.2016/ 29.11.2016 habe sich eine LUTO-Erkrankung nicht dargestellt. Diese sei erstmals am 20.12.2016 erkennbar und diagnostizierbar gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sei eine fetalchirurgische Intervention aber bereits mangels Aussicht auf Erfolg nicht mehr indiziert gewesen, weil die Nierenschädigung bereits eingetreten gewesen sei. Eine entsprechende Aufklärung der Eltern des Klägers über fetalchirurgische Interventionsoptionen sei daher medizinisch bereits nicht veranlasst gewesen. Vorsorglich hat die Beklagte den Einwand der hypothetischen Einwilligung erhoben. Sie hat kausale Schadensfolgen des streitgegenständlichen Behandlungsgeschehens bestritten und darauf verwiesen, die von dem Kläger behaupteten gesundheitlichen Folgen seien allenfalls seiner Grunderkrankung geschuldet. Sie haben das geforderte Schmerzensgeld für übersetzt gehalten.
10Das Landgericht hat die Klage mit am 08.02.2023 verkündeten und dem Kläger am 09.02.2023 zugestellten Urteil nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens und mündlicher Gutachtenerläuterung durch den gerichtlichen Sachverständigen abgewiesen. Die Klageabweisung hat es damit begründet, Behandlungs- und/oder Befunderhebungsfehler seien nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme ebenso wenig bewiesen wie kausale Schadensfolgen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Hiergegen richtet sich die am 07.03.2023 bei Gericht eingegangene und nach Fristverlängerung bis zum 08.05.2023 unter dem 05.05.2023 begründete Berufung des Klägers.
11Mit seiner Berufung rügt der Kläger Fehler der landgerichtlichen Tatsachenfeststellung. Er hält an seiner Behauptung fest, die LUTO-Erkrankung sei bereits im Rahmen der Ultraschalluntersuchungen am 27.11.2016/29.11.2016 erkennbar gewesen und habe von den Behandlern diagnostiziert werden müssen. Er behauptet, die Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen seien nicht tragfähig, weil sie auf unvollständiger Tatsachengrundlage erfolgt seien. Dem gerichtlichen Sachverständigen hätten die maßgeblichen Ultraschallbilder vom 27.11.2016/29.11.2016 nicht zur eigenen Sichtung und Begutachtung vorgelegen. Er habe sich allein auf die schriftlichen Befundungen der Beklagten gestützt und diese seiner Bewertung zugrunde gelegt, obwohl es die schriftlichen Befundungen gerade zu überprüfen gegolten habe. Darüber hinaus habe der gerichtliche Sachverständige seinen Feststellungen eine falsche Definition der LUTO-Erkrankung zugrunde gelegt.
12Der Kläger beantragt,
13das angefochtene Urteil abzuändern und
141. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.05.2020 zu zahlen;
152. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.849,73 € außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
163. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger den infolge der fehlerhaften Behandlung seiner Mutter K. B. während der Schwangerschaft von November 2016 bis März 2017 in der Vergangenheit entstandenen und künftig noch entstehenden materiellen Schaden sowie zukünftigen – zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht vorhersehbaren – immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
17hilfsweise,
18das am 08.02.2023 verkündete Urteil des LG Bonn, Az. 3 O 18/21, aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht Bonn (andere Abteilung) zurückzuverweisen.
19Die Beklagte beantragt,
20die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
21Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil nach Maßgabe der Berufungserwiderung unter Bezugnahme auf ihren erstinstanzlichen Sachvortrag. Sie ist der Auffassung, der Kläger sei mit seinen Einwendungen gegen das Gutachten präkludiert, weil diese bereits in erster Instanz hätten erhoben werden können. Zudem seien die Befunde der Ultraschallaufnahmen Teil des unstreitigen Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung, an die der Senat als Berufungsgericht gebunden sei.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Berufungsrechtszug zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen.
23Der Senat hat ergänzend Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 09.01.2024 durch Einholung einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Q. nach ergänzender Beiziehung der Ultraschallaufnahmen und mündliche Gutachtenerläuterung. Wegen des Ergebnisses der ergänzenden Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die ergänzende Stellungnahme des gerichtlichen Sachverständigen vom 21.03.2024 und das Protokoll der Sitzung vom 30.10.2024.
24II.
25Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht die Klage als unbegründet abgewiesen. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte nicht zu. Im Einzelnen:
261.
27Es kann nicht festgestellt werden, dass die Behandler im Haus der Beklagten die Ultraschallaufnahmen aus November 2016 fehlerhaft befundet haben.
28(a)
29Im Rahmen seiner mündlichen Gutachtenerläuterung vor dem Senat am 30.10.2024 hat der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. Q. bestätigt, dass bis zum 21.11.2016 entsprechend den privatgutachterlichen Ausführungen von Prof. Dr. I. vom 28.08.2024 (Bl. 467 ff. BA) keine Auffälligkeiten der Blase und der Nieren des Klägers auf den im Haus der Beklagten gefertigten Ultraschallaufnahmen zu erkennen gewesen seien. Solche habe er bei der ergänzend durchgeführten eigenen Sichtung und Auswertung der betreffenden Ultraschallaufnahmen nicht gesehen. Auch auf den Aufnahmen der Ultraschalluntersuchung am 26.11.2016 stelle sich ihm eine normal große kindliche Blase dar. Bis zu diesem Tag sei der Kläger ausgehend von den Ultraschallaufnahmen daher gesund gewesen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 500 BA).
30(b)
31In Bezug auf die im Mittelpunkt des Rechtsstreits stehenden Aufnahmen der Ultraschalluntersuchung am 27.11.2016 hat der gerichtliche Sachverständige auch in Ansehung der privatgutachterlichen Feststellungen von Prof. Dr. I. in der mündlichen Gutachtenerläuterung an seinen in der ergänzenden Stellungnahme vom 21.03.2024 getätigten Feststellungen festgehalten. Er hat diese indes nicht so verstanden wissen wollen, dass die von ihm auf den Ultraschallaufnahmen vom 27.11.2016 erkannten Auffälligkeiten (vgl. hierzu Seite 8 der ergänzenden Stellungnahme Prof. Dr. Q. vom 21.03.2024, Bl. 368 BA) bereits an diesem Tag die Diagnose einer LUTO-Erkrankung des Klägers zugelassen hätten. Auf konkretes Befragen hat er vielmehr nachvollziehbar zu Protokoll gegeben, das Krankheitsbild einer LUTO entstehe nicht über Nacht. Bis zu ihrer Entstehung dauere es vielmehr Tage bis Wochen. Üblicherweise trete diese kindliche Erkrankung in der Frühschwangerschaft, d.h. nach acht bis zehn Schwangerschaftswochen, auf. Erfahrungsgemäß reagierten Harnblase und Nieren in einer längeren Phase ab der Entstehung der LUTO auf die aufgetretene Stenose der Harnröhre. Es zeigten sich dann im weiteren Verlauf typischerweise eine riesige Harnblase und aufgeweitete Nieren, außerdem verdicke sich die Wand der Harnblase mit der Zeit und es komme im späteren Verlauf der Erkrankung zu einer deutlichen Reduktion der Fruchtwassermenge (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 500 BA). All dies sei bei dem Kläger nicht der Fall gewesen. Bei ihm sei abweichend von dem vorbezeichneten Verlauf in der kurzen Zeit seit der letzten Ultraschallaufnahme am Vortag eine riesige Harnblase entstanden. Auf den Aufnahmen der Ultraschalluntersuchung vom 27.11.2016 könne man darüber hinaus bei intensiver Betrachtung auch eine beginnende Dilatation der Harnröhre erkennen. Weitere klassische Symptome einer LUTO seien hingegen nicht zu erkennen, insbesondere fehle es an der typischen Erweiterung der Nieren, der Verdickung der Harnblase und der Reduzierung der Fruchtwassermenge. Auch das sogenannte Keyholderphänomen, wie es bei der nächsten Ultraschalluntersuchung am 20.12.2016 zu erkennen sei, habe am 27.11.2016 noch nicht vorgelegen. In Bezug auf die Größe der Harnblase am 27.11.2016 sei zutreffend, dass sich diese – wie von dem Privatgutachter Professor Dr. I. herausgestellt – im Verlaufe der Ultraschalluntersuchung nicht unverändert dargestellt habe, sondern Schwankungen unterlegen gewesen sei. Dies hat Prof. Dr. Q. dem Umstand zugeschrieben, das am 27.11.2016 wohl noch kein kompletter Verschluss der Harnröhre vorgelegen habe und der Kläger noch habe urinieren können (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 501 BA). Allerdings hat sich nach seinen Feststellungen zu keinem Zeitpunkt der Ultraschalluntersuchung am 27.11.2016 eine normal große, d.h. eine leere Harnblase, dargestellt (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 501 BA). Aus den vorstehenden Feststellungen ergibt sich für den Senat, dass das komplette Bild einer LUTO-Erkrankung am 27.11.2016 noch nicht vorlag und diese Diagnose daher von den Behandlern im Haus der Beklagten nicht gestellt werden konnte. Zu erkennen waren nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen lediglich erste Anzeichen für den Beginn einer solchen Erkrankung (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 500 f. BA). Insoweit hat Prof. Dr. Q. in der mündlichen Gutachtenerläuterung dem Senat sehr anschaulich anhand von Einzelaufnahmen aus dem Ultraschallvideo deutlich gemacht, worin er diese ersten Anzeichen gesehen hat. Dass die auch von den Behandlern im Haus der Beklagten durchaus erkannte Vergrößerung der Harnblase nicht im Lichte einer beginnenden LUTO-Erkrankung des Klägers gewertet wurde, sondern nur im Sinne einer vorübergehenden Dilatation, war – wie sich zweifelsfrei aus dem weiteren Verlauf ergibt – retrospektiv ebenso objektiv unrichtig wie das Übersehen der beginnenden Dilatation der Harnröhre. Nicht jede objektive Fehlinterpretation eines ordnungsgemäß erhobenen medizinischen Befundes begründet indes in rechtlicher Hinsicht einen Behandlungsfehler. Zwar handelt es sich bei der Diagnosestellung um eine aus dem Behandlungsvertrag geschuldete ärztliche Leistung. Sie bildet zugleich den Ausgangspunkt für die sich anschließende Behandlung des Patienten (vgl. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht 8. Auflage, B Rn. 55). Bei der Auswertung von Befunden ist der Behandler gehalten, alle Auffälligkeiten zu berücksichtigen, die sich ihm aus berufsfachlicher Sicht seines Fachbereichs unter Berücksichtigung der in diesem Fachbereich vorausgesetzten Kenntnisse und Fähigkeiten sowie der gegebenen Behandlungssituation darbieten. Dies gilt selbst dann, wenn sie mit dem Grund der Veranlassung der konkreten Befunderhebung nicht in einem Zusammenhang stehen und sich als Zufallsbefunde darstellen (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O., B Rn. 55 m.w.N.; BGHZ 188, 29). Interpretiert der Behandler die von ihm erhobenen Befunde – wie im vorliegenden Fall – fehl, vermag allein die objektive Fehlerhaftigkeit der Diagnose für sich genommen seine Haftung nicht zu begründen. Stellt sich die gestellte Diagnose in der gegebenen Situation unter Anlegung des Facharztstandards als vertretbare Deutung dar, liegt kein Diagnosefehler, sondern ein bloßer Diagnoseirrtum vor, aus dem trotz objektiver Unrichtigkeit der Diagnose keine Haftung des Behandlers hergeleitet werden kann (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O., B Rn. 55 m.w.N.; BGH VersR 2003, 1256; Senat, Urteil vom 13. Juni 2018, Az. 5 U 58/17, zitiert nach juris). Erst dann, wenn sich die gestellte Diagnose (etwa in der Zusammenschau mit weiteren Befunden) für einen gewissenhaften Behandler als nicht mehr vertretbar darstellt, liegt ein haftungsrechtlich vorwerfbares Fehlverhalten im Sinne eines echten Diagnosefehlers vor (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O., B Rn. 55 m.w.N.; Senat, Urteil vom 13.06.2018, Az. 5 U 58/17, zitiert nach juris). Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung auch des erkennenden Senates die Fehlbewertung ordnungsgemäß erhobener Befunde nur mit Zurückhaltung als Fehler zu werten. Grund dafür ist, dass die Symptome einer Erkrankung nicht immer eindeutig sind, sondern in der Situation ex ante auf verschiedene Ursachen hinweisen können, und jeder Patient aufgrund der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Symptome ein und derselben Krankheit in unterschiedlicher Ausprägung aufweisen kann (vgl. BGH VersR 2003, 1256 m.w.N.; Senat, Urteil vom 13.06.2018, Az. 5 U 58/17, zitiert nach juris).
32Nach Maßgabe diese Grundsätze sind die objektiv unrichtige Bewertung des Befundes der Ultraschalluntersuchung vom 27.11.2016 und die Verkennung der beginnenden LUTO-Erkrankung unter Zugrundelegung der medizinischen Ausführungen von Prof. Dr. Q. in der mündlichen Gutachtenerläuterung vor dem Senat in rechtlicher Hinsicht lediglich als Diagnoseirrtum zu werten und nicht als Diagnosefehler. Hierzu unter Vorhalt der rechtlichen Abgrenzungskriterien befragt, hat Prof. Dr. Q. zu Protokoll gegeben, ein Fehler liege aus seiner Sicht nicht vor. Die fehlerhafte Deutung der Befunde stelle sich medizinisch nicht als unvertretbar dar. Die beginnende Erweiterung der Harnröhre habe er selbst zwar retrospektiv bei dem von ihm vorgenommenen intensiven und gezielten Studium der Ultraschallaufnahmen erkennen können, beim Schallen selbst sei dies für den Behandler ex ante aber sehr schwer zu sehen gewesen. Insoweit habe er bei der nachträglichen Sichtung des Ultraschallfilms bessere Erkenntnismöglichkeiten gehabt. Bei der eigentlichen Ultraschalluntersuchung sei es so, dass der Behandler auch bei üblicher fachgerechter Durchführung nur etwa 2 bis 4 Sekunden über die entsprechende Stelle herübergehe (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 503, 508 BA). Diese Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen lassen aus Sicht des Senates im Hinblick auf die Verkennung der beginnenden Dilatation der Harnröhre die Feststellung einer unvertretbaren Deutung der Ultraschallaufnahme nicht zu. Im Hinblick auf die von den Behandlern erkannte Dilatation der Harnblase gilt nichts anderes. Die Harnblase des Klägers stellte sich nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen am 27.11.2016 zwar als groß bis sehr groß dar, jedoch bestanden – zudem bei Verkennung der beginnenden Dilatation der Harnröhre – abseits dieses Befundes aus Sicht der Behandler keine weiteren Symptome, die an diesem Tag oder am 29.11.2016 auf eine LUTO-Erkrankung hingedeutet hätten (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 502 BA). Aus der maßgeblichen ex ante Sicht war daher gänzlich unklar, ob sich eine LUTO-Erkrankung entwickeln würde oder nicht. Die im Haus der Beklagten vorgenommene Deutung der vergrößerten Harnblase im Sinne einer bloß vorübergehend stärker gefüllten, sich demnächst wieder entleerenden Blase, einer leichten Obstruktion der Urethra in Form einer nur partiellen LUTO oder einer neurogenen Blasenentleerungsstörung hat Prof. Dr. Q. in dieser Situation als vertretbar angesehen. Er hat diese Deutungen explizit als Differenzialdiagnosen zu einer beginnenden LUTO-Erkrankung bezeichnet, die seitens der Behandler vertretbar in Betracht zu ziehen gewesen seien (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 502 BA). Er hat ferner darauf hingewiesen, dass eine sich während der Schwangerschaft bildgebend darstellende große Blase des Fötus durchaus häufiger auftrete und keineswegs auf ein schwerwiegendes Krankheitsgeschehen hindeuten müsse. Es gebe durchaus Situationen, in denen ein solcher Befund sich von ganz alleine wieder normalisiere (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 502 BA). Die vorliegend stattgehabte Entstehung einer LUTO-Erkrankung in der 22. Schwangerschaftswoche hat er demgegenüber als extrem seltenes und sehr ungewöhnliches Ereignis bezeichnet, mit dem grundsätzlich nicht zu rechnen sei. Er selbst habe dies in seinem gesamten Berufsleben nur weniger als fünf Mal gesehen, obwohl er bereits seit dem Jahr 1989 sehr intensiv Ultraschalluntersuchungen durchführe. Überaus selten sei ebenfalls, dass sich das Krankheitsbild einer LUTO wie im Falle des Klägers von einem Tag auf den anderen entwickle oder anbahne (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 501 f., 506, 508 BA). Dass der gerichtliche Sachverständige vor diesem Hintergrund von einer vertretbaren Deutung des Befundes im Sinne anderer – wahrscheinlicherer – Ursachen für die dilatierte Harnblase und damit von einem bloßen Diagnoseirrtum ausgegangen ist, erscheint dem Senat im Lichte der vorstehenden Erwägungen unmittelbar einleuchtend und nachvollziehbar. Die objektive Unrichtigkeit dieser Deutung vermag daher eine Haftung der Beklagten nicht zu begründen.
33(c)
34Auch eine fehlerhafte Befundung der weiteren Ultraschalluntersuchung am 29.11.2016 durch die Behandler im Haus der Beklagten kann nicht festgestellt werden. Bei dieser zeigte sich ausweislich des in der Behandlungsdokumentation enthaltenen schriftlichen Befundes ein identischer Befund wie am 27.11.2016. Erneut wurde eine dilatierte Harnblase beschrieben. Ultraschallaufnahmen von diesem Tag lagen dem gerichtlichen Sachverständigen nicht vor, so dass über die Dokumentation hinausgehende Aussagen seinerseits nicht getroffen werden konnten (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 507 BA). Prof. Dr. Q. hat aus medizinischer Sicht auch keinen Anlass gesehen, daran zu zweifeln, dass sich der Befund am 29.11.2016 gegenüber dem Vorbefund als identisch dargestellt haben könnte. Aus dem Umstand der fehlenden Beschreibung einer reduzierten Fruchtwassermenge bei der Ultraschalluntersuchung am 29.11.2016 hat er vielmehr den Rückschluss gezogen, dass jedenfalls eine vollständige Obstruktion seit dem 27.11.2016 nicht vorgelegen haben könne. Da das Kind trinke, hätte sich eine vollständige Obstruktion bis zum 29.11.2016 aus sachverständiger Sicht bereits in einer Reduzierung der Fruchtwassermenge bemerkbar machen müssen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 507 BA).
352.
36Die von den Behandlern im Haus der Beklagten am 29.11.2016 gegenüber der Mutter des Klägers ausgesprochene Empfehlung einer Wiedervorstellung in 3 Wochen war ebenfalls nicht fehlerhaft.
37(a)
38Ausgehend von der im Haus der Beklagten vorgenommenen Deutung der Ultraschallaufnahmen im Sinne möglicher anderer Differenzialdiagnosen war das von den Behandlern im Haus der Beklagten gewählte Vorgehen nach den erstinstanzlichen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden und waren im Nachgang zu den Ultraschalluntersuchungen am 27.11.2016 und am 29.11.2016 wegen der nur gering ausgeprägten Befundlage weder fetalchirurgische noch weitergehende diagnostische Maßnahmen indiziert (vgl. Seite 23 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. Q. vom 07.07.2022, Bl. 251 d.A.). Die vorgefundene Pyelektasie hat Prof. Dr. Q. zwar als nicht normal, aber auch nicht als Seltenheit gesehen. Ihr hätten aus der Sicht ex ante Dutzende verschiedene Ursachen zugrunde liegen können. Der Befund vom 29.11.2016 habe auch keine Dynamik erkennen lassen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16.01.2023, Bl. 428 d.A.). Veranlassung für weitergehende Maßnahmen als die Vereinbarung einer Verlaufskontrolle in 3 Wochen hat er daher zur Wahrung des Facharztstandards nicht für erforderlich gehalten und ergänzend zu Protokoll gegeben, das gewählte Kontrollintervall habe sich in dem gängigen Zeitrahmen von 2 bis 4 Wochen bewegt (vgl. Sitzungsprotokoll vom 16.01.2023, Bl. 426 f. d.A.). Demgegenüber hat er in seiner im Berufungsrechtszug erstellten ergänzenden Stellungnahme vom 21.03.2024 (vgl. Seite 20 der ergänzenden Stellungnahme vom 21.03.2024, Bl. 380 BA) sowie in der zweitinstanzlichen mündlichen Gutachtenerläuterung einschränkend ausgeführt, bei der nach eigener Sichtung der Ultraschallaufnahmen vom 27.11.2016 zu erkennenden Größe der Harnblase handele es sich um eine klare Abweichung von der Norm. Ohne das Vorliegen von Besonderheiten sei die Blase des Fetus nie so voll, wie sie sich auf diesen Ultraschallaufnahmen dargestellt habe. Aus diesem Grund hat er persönlich eine engmaschigere Kontrolle der Mutter des Kindes für vorzugswürdig und geboten erachtet (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 502, 508 BA) und ein Kontrollintervall von 1 bis 2 Wochen in den Raum gestellt (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 502 f., 508 BA). Dies hat er auf konkretes Befragen im weiteren Verlauf der mündlichen Gutachtenerläuterung jedoch relativiert und auf die dezidierte Frage des Senates, ob es lediglich sinnvoll und gut gewesen wäre, die Kindesmutter nach spätestens zwei Wochen zu einer Kontrolluntersuchung wiedereinzubestellen oder ob das tatsächlich gewählte Kontrollintervall von drei Wochen einen Verstoß gegen den fachmedizinischen Standard darstelle und diesen unterschreite, gezögert und erklärt, sich mit der Beantwortung dieser Frage sehr schwer zu tun (vgl. Sitzungsprotokoll vom 31.10.2014, Bl. 503 BA). Nach Überlegen hat er schließlich zu Protokoll gegeben, unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich den Behandlern im Rahmen der Ultraschalluntersuchung nicht durchgängig eine stark vergrößerte Harnblase dargestellt habe, sondern teils eine fast normal große Harnblase, und die beginnende Erweiterung der Harnröhre entschuldbar nicht erkannt worden sei, erscheine die stattgehabte Festlegung eines Kontrolltermins nach drei Wochen aus medizinischer Sicht durchaus noch vertretbar, dies zumal vor dem Hintergrund, dass am Vortag noch ein völlig normaler Blasenbefund vorgelegen habe (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 503 BA). Dies erscheint dem Senat unmittelbar einleuchtend und überzeugend. Denn zwar ist eine Vergrößerung der Harnblase bei dem Fötus im Rahmen der Schwangerschaft nach dem Gesamtzusammenhang der sachverständigen Feststellungen von Prof. Dr. Q. in beiden Instanzen nicht normal, aber auch keine Seltenheit. Dieser Befund kann viele verschiedene Ursachen haben und muss keineswegs auf ein Krankheitsgeschehen, schon gar nicht auf ein schwerwiegendes hindeuten, sondern kann auch völlig harmlos sein und sich von ganz alleine wieder normalisieren, zumal eine Dynamik, insbesondere eine Progression, nicht erkennbar war (vgl. Sitzungsprotokolle vom 16.01.2023 und vom 30.10.2024, Bl. 428 d.A., 502 BA). Bei der vorliegend eingetretenen Entwicklung einer LUTO-Erkrankung in diesem Stadium der Schwangerschaft, noch dazu mit dieser Geschwindigkeit handelte es sich demgegenüber um ein so seltenes und ungewöhnliches Ereignis, dass mit ihm behandlerseits nicht ernsthaft gerechnet werden musste. Vor diesem Hintergrund sieht sich der Senat außerstande, mit dem für eine gerichtliche Überzeugungsbildung erforderlichen Grad an Gewissheit festzustellen, dass das gewählte Kontrollintervall gemessen an dem fachärztlichen Standard aus der maßgeblichen ex ante Sicht der Behandler fehlerhaft zu lang war. War die Länge des Kontrollintervalls aber insgesamt medizinisch vertretbar und nicht zu beanstanden, kann auch kein Fehler darin gesehen werden, dass von der alternativ zu einer eigenen Kontrolle bestehenden Möglichkeit der Empfehlung einer Zwischenkontrolle beim niedergelassenen Gynäkologen behandlerseits kein Gebrauch gemacht wurde. Auch insoweit kann unter Zugrundelegung der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständige ein Fehler nicht festgestellt werden, mag sich die Länge des Kontrollintervalls auch im Grenzbereich zwischen der Annahme eines einfachen Fehlers und einem nicht fehlerhaften ärztlichen Handeln, welches lediglich besser und optimaler hätte erfolgen können, bewegt haben (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 503 f. BA). Aus der weiteren Ultraschalluntersuchung am 29.11.2016 mit dem in ihr erhobenen identischen Befund waren nach den Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen seitens der Behandler keine weitergehenden Konsequenzen für die Wahl des Kontrollintervalls zu ziehen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 507 f. BA). Die vorstehenden Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen stehen der Feststellung eines Behandlungsfehlers mit dem Beweismaß des § 286 ZPO entgegen und lassen diese nicht zu. Die verbleibenden Zweifel gehen zu Lasten des beweisbelasteten Klägers.
39(b)
40Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass bei einer zutreffenden Deutung der Ultraschallbefunde im Sinne einer beginnenden LUTO-Erkrankung anders vorzugehen gewesen wäre. Dies vermag der Berufung des Klägers nicht zum Erfolg zu verhelfen und eine Haftung der Beklagten nicht zu begründen. Ist eine objektiv fehlerhafte Diagnose gemessen an den vorstehenden Maßstäben nicht vorwerfbar, wird sie auch nicht deshalb zu einem Befunderhebungsfehler, weil bei zutreffender Diagnosestellung eine weitere oder eine zeitnähere Befunderhebung zu veranlassen oder die Empfehlung zu einer solchen auszusprechen gewesen wären (vgl. BGHZ 188, 29 m.w.N.; Geiß/Greiner, a.a.O., B Rn. 64).
41(c)
42Selbst wenn man dies anders sehen und zugunsten des Klägers unterstellen wollte, dass das gewählte Kontrollintervall fehlerhaft zu lang war und eine engmaschigere Kontrolle nach maximal 2 Wochen hätte empfohlen werden müssen, könnte dies der Berufung des Klägers nicht zum Erfolg verhelfen. Denn Prof. Dr. Q. hat nicht sicher festzustellen vermocht, dass eine hypothetische frühere Wiedervorstellung der Mutter des Klägers im Haus der Beklagten um den 11.12.2016 herum ein besseres Outcome für den Kläger nach sich gezogen hätte. Er hat diesbezüglich ausgeführt, zu diesem Zeitpunkt sei eine fetalchirurgische Intervention in Form einer Shuntanlage zwar noch mit Aussicht auf Erfolg in Betracht gekommen. Zugleich hat er jedoch auf die hohe Komplikationsrate dieses Eingriffs verwiesen sowie darauf, dass selbst im Falle einer erfolgreichen, komplikationslosen Shuntanlage keineswegs sicher anzunehmen sei, dass sich die Nierenfunktion des Klägers im Ergebnis besser dargestellt hätte. Es sei bekannt, dass sich trotz erfolgreicher Shuntanlage gleichwohl eine unzureichende Nierenfunktion entwickeln könne, was auf andere Krankheitsursachen als eine LUTO zurückzuführen sei und genetische Gründe haben könne (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 509 f. BA). Solche seien ungeachtet der erfolgten Kariotypisierung im Falle des Klägers nicht ausgeschlossen, weil die Kariotypisierung nur auf den Ausschluss einzelner genetischer Erkrankungsbilder gerichtet sei. Auch die stattgehabte Bildung eines Urinoms wäre durch eine Shuntanlage nicht sicher vermieden worden, vielmehr sei die Entstehung von Urinomen in der Literatur durchaus auch nach erfolgter Shuntanlage beschrieben. Konkret zu der Wahrscheinlichkeit eines besseren Outcomes, namentlich einer verbesserten Nierenfunktion und einer Vermeidung des Urinoms befragt, hat Prof. Dr. Q. diese für eine fetalchirurgische Intervention um den 11.12.2016 herum bei aller prognostischer Unsicherheit auf der Grundlage der bekannten – allerdings den üblichen Fall der Entstehung einer LUTO in der Frühschwangerschaft betreffenden – Datenlage lediglich mit etwa 40 % bis 50 % beziffert (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 505 ff. BA). Dieser Prozentsatz bezieht sich nicht nur auf die Fälle einer vollständigen Vermeidung eines Nierenschadens, sondern umfasst zugleich auch alle Fälle einer nur teilweisen Wiederherstellung der Nierenfunktion mit einer graduell besseren Funktion (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 506 BA). Ob der konkrete Verlauf bei dem Kläger im Falle einer Shuntanlage um den 11.12.2016 herum tatsächlich ein anderer gewesen wäre und wie genau sich seine Nierenfunktion dann dargestellt hätte, hat Prof. Dr. Q. nicht sagen können und als unklar bezeichnet. Der Verlauf hätte genauso gut derselbe sein können wie vorliegend stattgehabt (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 509 f. BA). Mit diesen sachverständigen Feststellungen kann auch unter Zugrundelegung eines fehlerhaften Vorgehens der Beweis kausaler Schadensfolgen nicht geführt werden.
43Insoweit kommen dem Kläger unter Zugrundelegung der Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen auch keine Beweiserleichterungen zugute, dies weder nach den Grundsätzen eines groben Behandlungsfehlers noch nach den Grundsätzen eines Befunderhebungsfehlers mit reaktionspflichtigem Befund. Ein grober Fehler liegt nach den eindeutigen Feststellungen von Prof. Dr. Q. nicht vor. Einen solchen hat er explizit verneint. Selbst wenn man die Wahl eines zu langen Kontrollintervalls in rechtlicher Hinsicht als (einfachen) Befunderhebungsfehler qualifizieren wollte, fehlte es an dem für eine Beweislastumkehr erforderlichen reaktionspflichtigen Ergebnis der unterlassenen Befunderhebung um den 11.12.2016 herum. Ein einfacher Befunderhebungsfehler führt zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich der Schadenskausalität, wenn sich bei der gebotenen Abklärung der Symptome mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft darstellte (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 07. Juni 2011, Az. VI ZR 87/10, Rn. 7; BGH, Urteil vom 17. November 2015, Az. VI ZR 476/14, Rn. 17; BGH, Urteil vom 26. Mai 2020, Az. VI ZR 213/19, Rn. 28, alle zitiert nach juris). Letzteres kann nach dem Ergebnis der im Berufungsrechtszug ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme gerade nicht festgestellt werden. Zwar hätte sich nach den Feststellungen von Prof. Dr. Q. den Behandlern bei einer um den 11.12.2016 herum durchgeführten hypothetischen Ultraschalluntersuchung mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits eine ähnliche Symptomatik dargestellt wie am 20.12.2016, wenngleich ggf. in geringerer Ausprägung (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 504 BA). Dann hätte die Diagnose einer LUTO-Erkrankung bereits an diesem Tag gestellt und eine genetische Schnelltestung veranlasst werden müssen mit dem gleichen Ergebnis wie die unter dem 20.12.2016 veranlasste Kariotypisierung. Allerdings hätte sich nach den übereinstimmenden Feststellungen von Prof. Dr. Q. und Prof. Dr. I. die Anlage eines Shunts zu diesem Zeitpunkt in gleicher Weise wie am 20.12.2016 als nicht ungefährlicher Eingriff mit einer hohen Komplikationsrate von bis zu 40 % dargestellt, der schwerwiegende Risiken für den Kläger barg, wie etwa die Verletzung der amnialen Membran, die Dislokation des Stents, ein Blasensprung, eine Frühgeburt, eine Verletzung bis hin zum Tod, etwa im Falle einer Verletzung der Umbilikalarterie (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 509 BA). Auf der anderen Seite wäre es selbst im Falle einer erfolgreichen und komplikationsfreien Shuntanlage keineswegs sicher zu einer auch nur graduellen Verbesserung der Nierenfunktion des Klägers gekommen, sondern allenfalls mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 % bis 50 %. Zugleich wäre unklar und nicht vorhersehbar gewesen, ob der Verlauf überhaupt ein anderer gewesen wäre und wie genau sich die Nierenfunktion des Klägers bei Anlage eines Shunts dargestellt hätte. Auf diese Ungewissheit und die begrenzten Erfolgsaussichten hätten die Behandler die Eltern im Rahmen der Aufklärung über die Möglichkeit einer Shuntanlage hinweisen und zugleich über die erheblichen Risiken einer solchen aufklären müssen. Dass sich bei der dann anzustellenden Nutzen-Risiko-Abwägung ein Absehen von einer Shuntanlage weder als grob fehlerhaft noch überhaupt als fehlerhaft dargestellt hätte, liegt auf der Hand und bedarf aus Sicht des Senates keiner weitergehenden Erläuterung. Auch Prof. Dr. Q. hat lediglich festgestellt, eine fetalchirurgische Intervention hätte bei der LUTO-Diagnose um den 11.12.2016 herum diskutiert werden, jedoch nicht notwendig erfolgen müssen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 505 BA). Die Möglichkeit einer seriellen Fruchtwasserauffüllung hätte demgegenüber nach sachverständiger Einschätzung wegen der fehlenden Aussicht auf eine relevante Verbesserung der Situation des Klägers bereits nicht aufgeklärt werden müssen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 507 BA). Insoweit hat Prof. Dr. Q. für den 11.12.2016 keine andere Situation gesehen wie für den 20.12.2016.
443.
45Fehler der Behandler im Haus der Beklagten im weiteren Verlauf der Schwangerschaftsbetreuung sind ebenfalls nicht festzustellen. Bei der Kontrolluntersuchung am 20.12.2016 zeigte sich ihnen nach den bereits in erster Instanz getroffenen Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen das Vollbild einer LUTO-Erkrankung mit einer vergrößerten Harnblase des Fötus, einer Hydronephrose und einer reduzierten Fruchtwassermenge (vgl. Seite 14 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. Q. vom 07.07.2022, Bl. 242 d.A.). Dies führte korrekterweise zur richtigen Diagnosestellung an diesem Tag und stellte die Behandler vor die Entscheidung zwischen einem konservativen und einem therapeutischen fetalchirurgischen Vorgehen. In Bezug auf letzteres hat Prof. Dr. Q. ausgeführt, am 20.12.2016 sei eine Intervention, etwa in Form einer intravesikalen suprapubischen Stent-Anlage, einer fetoskopischen Laser-Ablation der Urethralklappe, einer Fruchtwasserinfusion u.ä. zwar möglicherweise noch in Betracht gekommen, um das neonatale Outcome zumindest leicht zu verbessern. Jedoch habe eine intrauterine Intervention nicht lege artis indiziert werden können ohne die Vorbefunde einer humangenetischen Untersuchung (vgl. Seiten 16, 21, 23 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. Q. vom 07.07.2022 und Sitzungsprotokoll vom 16.01.2023, Bl. 244, 251, 253, 426 d.A.). Es sei daher von den Behandlern an diesem Tag zunächst richtigerweise eine Karyotypisierung des Fetalblutes indiziert und in die Wege geleitet worden. Nach Vorlage des zytogenetischen Gutachtens am 28.12.2016 und unter Berücksichtigung der für ein mögliches fetalchirurgisches Vorgehen erforderlichen Zeitspanne für die Befundbesprechung mit den Eltern und ihrer Aufklärung über ein eventuelles fetalchirurgisches Vorgehen sei es dann aber letztlich zu spät und die Schwangerschaft zu weit fortgeschritten gewesen, um noch mit Aussicht auf Erfolg intervenieren zu können (vgl. Seite 23 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. Q. vom 07.07.2022, Bl. 251 d.A.). Zu diesem Zeitpunkt hätte die Fetalchirurgie keine signifikanten Vorteile mehr für den Kläger gebracht. Die möglichen Nachteile der Fetalchirurgie in diesem Stadium der Schwangerschaft (u.a. Blasensprung, Frühgeburt, Infektion, Verletzungen) seien aus Behandlersicht ex ante als höher einzuschätzen gewesen als die möglichen Vorteile für den ungeborenen Kläger (vgl. Seiten 21, 23 des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. Q. vom 07.07.2022 und Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 249 d.A., 509 BA). Hochwahrscheinlich habe aus sachverständiger Sicht bereits am 20.12.2016 ein fetales Nierenversagen vorgelegen, so dass die Nierenfunktion des Klägers durch intrauterine Eingriffe wie eine VAS oder eine fetale Zystoskopie kaum mehr hätte verbessert werden können. Dies hat Prof. Dr. Q. überzeugend damit begründet, das Nierenparenchym sei bereits am 20.12.2016 echogen – „weiß“ (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 504 BA) – gewesen. Eine erhöhte Echogenität sei ein Zeichen für eine Niereninsuffizienz. Der mutmaßliche Zeitpunkt der Entstehung der ausgeprägten LUTO-Symptomatik habe daher mutmaßlich bereits Tage oder sogar Wochen vor der 26. SSW gelegen. Selbst eine technisch erfolgreiche intrauterine Chirurgie in der 26. SSW hätte die Nierenfunktion des Klägers mit Wahrscheinlichkeit nicht signifikant verbessert. Auch eine Verbesserung der Lungenfunktion und die Vermeidung einer Entstehung einer Lungenhypoplasie seien nach Abschluss der kanalikulären Phase der Lungenentwicklung durch die intrauterine Fetalchirurgie nicht mehr zu erwarten gewesen (vgl. Seiten 20 f. des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. Q. vom 07.07.2022, Bl. 248 f. d.A.). Die kanalikuläre Phase der Lungenentwicklung finde üblicherweise im Zeitraum zwischen der 16. SSW und der 24+0 SSW, maximal der 26+0 SSW statt. In dieser Phase spiele das Fruchtwasser eine wichtige Rolle. Nach dem erfolgreichen Abschluss der kanalikulären Phase der Lungenentwicklung erwarte man ärztlicherseits normalerweise keine Entstehung einer Lungenhypoplasie mehr und sei die Indikation für eine serielle Fruchtwasserauffüllung nicht mehr gegeben. Die Mutter des Klägers sei bei der Diagnose des Anhydramnions am 03.01.2017 aber bereits in der 27+2 SSW gewesen. Zu diesem Zeitpunkt sollte die kanalikuläre Phase der Lungenentwicklung beim Fötus bereits abgeschlossen sein, so dass – auch mit Blick auf die Risiken dieser Behandlung für Mutter und Kind – definitiv keine Indikation zu einer seriellen Fruchtwasserauffüllung bestanden habe (vgl. Seiten 18 f. des schriftlichen Gutachtens Prof. Dr. Q. vom 07.07.2022, Bl. 246 f. d.A.). Bestand aber keine medizinische Indikation für eine fetalchirurgische Intervention, war eine solche auch nicht mit den Eltern des Klägers zu besprechen.
46An diesen in Bezug auf den 20.12.2016 und den 03.01.2017 in erster Instanz getroffenen Feststellungen hat Prof. Dr. Q. im Berufungsrechtszug in vollem Umfang festgehalten und auf konkretes Befragen durch den Senat in der mündlichen Gutachtenerläuterung mitgeteilt, die ergänzende Sichtung und Auswertung der Ultraschallaufnahmen habe in Bezug auf die vorstehenden Vorstellungen der Mutter des Klägers im Haus der Beklagten zu keiner Veränderung seiner sachverständigen Beurteilung geführt. Für beide Behandlungszeitpunkte sei nicht von einem fehlerhaften Vorgehen der Beklagten auszugehen (vgl. Sitzungsprotokoll vom 30.10.2024, Bl. 507 BA).
474.
48Die schriftlichen wie mündlichen gutachterlichen Stellungnahmen des gerichtlichen Sachverständigen in beiden Instanzen sind insgesamt plausibel und nachvollziehbar, dabei eingehend und fundiert. Sie zeugen nachdrücklich von der Fachkunde des gerichtlichen Sachverständigen, der ein ausgewiesener Experte auf dem Fachgebiet der Pränatalmedizin ist, und bilden aus Sicht des Senates eine tragfähige Grundlage für die Entscheidung des Rechtsstreits. Entgegen der Auffassung der Beklagten weisen sie keine Widersprüche in der medizinischen Bewertung auf. Die von den Feststellungen in erster Instanz abweichenden Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen im Berufungsrechtszug sind ersichtlich dem Umstand geschuldet, dass Prof. Dr. Q. im Berufungsrechtszug mit den ihm vom Senat ergänzend zugeleiteten Ultraschallaufnahmen eine breitere Erkenntnisgrundlage zur Verfügung stand, die von ihm pflichtgemäß ausgeschöpft worden ist. Im ersten Rechtszug war er darauf beschränkt, die eigenen schriftlichen Befundungen aus dem Haus der Beklagten seiner gutachterlichen Bewertung zugrunde zu legen, während er im Berufungsrechtszug die Aufnahmen selbst sichten und befunden und die Befundung der Beklagten einer eigenen Überprüfung unterziehen konnte. Dass sich daraus inhaltliche Änderungen in der Bewertung des Behandlungsgeschehens ergeben können, ist unmittelbar einsichtig und erschließt sich von selbst. Die vollumfängliche Überprüfung des Behandlungsgeschehens anhand sämtlicher zur Verfügung stehender Erkenntnisquellen ist die originäre Aufgabe des gerichtlichen Sachverständigen im Arzthaftungsprozess. Die im Berufungsrechtszug vorgenommenen Modifikationen sind aus Sicht des Senates ein Beleg für die die überaus sorgfältige und differenzierte Vorgehensweise des gerichtlichen Sachverständigen. Die von ihm offenbarten Unsicherheiten an einigen Stellen seiner mündlichen Gutachtenerläuterung zeugen davon, dass sich die Behandler mit ihren – retrospektiv unrichtigen – Einschätzungen in einem medizinischen Grenzbereich bewegten, der eine eindeutige gutachterliche Beurteilung und eine klare Festlegung aus medizinischer Sicht nicht erlaubt. Darauf hat auch Prof. Dr. Q. in der mündlichen Gutachtenerläuterung vor dem Senat wiederholt hingewiesen.
495.
50Die Nebenforderungen teilen das rechtliche Schicksal der Hauptforderung. Mangels Haftung der Beklagten kann weder die begehrte Feststellung ihrer Einstandspflicht getroffen noch ein Anspruch des Klägers auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Anwaltskosten erkannt werden.
51III.
52Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
53Die Revision wird nicht zugelassen, weil die dafür erforderlichen Voraussetzungen nach § 543 II 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die vorliegende Entscheidung erschöpft sich in der tatrichterlichen Würdigung des konkreten Falles.
54Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 250.000 € (Antrag zu 1): 200.000 €; Antrag zu 2): -, § 4 ZPO; Antrag zu 3): 50.000 €, § 3 ZPO).