Seite drucken Entscheidung als PDF runterladen
• Die versehentliche Zustellung einer als Entwurf zu wertenden Vorversion des Beschlusses, in der im Tenor entgegen der rechtsverbindlich elektronisch signierten Fassung die Zulassung der Rechtsbeschwerde versagt wurde, ist jedenfalls dann unschädlich, wenn es sich um einen Fehler handelt, der – wäre er bei der Entscheidungsabfassung unterlaufen – gemäß § 42 FamFG hätte korrigiert werden können.
• Die Einreichung eines irrtümlich als vor Feststellung bezeichneten Jahresabschlusses bei dem Unternehmensregister genügt der Offenlegungspflicht aus §§ 325 f. HGB nicht und stellt auch keinen bußgeldbewährten Verstoß (§ 334 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HGB) gegen die in § 328 Abs. 1a S. 1 HGB geregelten Inhaltsvorgaben der Offenlegung dar.
• Offenzulegen ist gemäß § 325 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB der festgestellte oder gebilligte Jahresabschluss. Dabei handelt es sich um eine erfolgsbezogene Pflicht der Gesellschaft.
• Maßgeblich ist nicht der Zeitpunkt der Feststellung, sondern Anknüpfungspunkt für die Bewertung des Sachverhalts im Lichte des § 325 HGB kann nur der Wortlaut des eingereichten Jahresabschlusses sein, wie er als Grundlage für die Bekanntmachung und damit auch für die Einsicht Dritter dient.
• Nur diese Auslegung gewährt, dass die von § 325 HGB im Einklang mit Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2013/34/EU verfolgten Zwecke der Transparenz und Publizität erfüllt werden können. Anderenfalls würde die Publizitätswirkung des Unternehmensregisters entwertet, da das Register dann den eine Auskunft einholenden Marktteilnehmern gerade nicht eine verlässliche Informationsquelle bereitstellen und ihnen nicht erfüllbare Nachforschungspflichten auferlegen würde.
Auf die Rechtsbeschwerde des Rechtsbeschwerdeführers vom 04.01.2024 wird der Beschluss des Landgerichts Bonn vom 31.10.2023 (11 T 529/22) aufgehoben.
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 16.11.2021 gegen die Ordnungsgeldentscheidung vom 02.11.2021 (EHUG - 00024709/2020 - 01/02) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird abgesehen.
Gründe:
2I.
3Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Festsetzung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 2.500 € wegen Nichteinreichung ihrer Jahresabschlussunterlagen für das Jahr 2018 bei dem Betreiber des elektronischen Bundesanzeigers.
4Mit Verfügung vom 12.02.2020 drohte der Rechtsbeschwerdeführer der Beschwerdeführerin die Verhängung eines Ordnungsgelds in Höhe von 2.500 Euro wegen unterlassener Einreichung der Jahresabschlussunterlagen für das Geschäftsjahr 2018 an.
5Hiergegen legte die Beschwerdeführerin Einspruch ein mit der Begründung, dass die Unterlagen bereits am 16.02.2020 eingereicht worden seien.
6Die am 16.02.2020 bei dem Betreiber des Bundesanzeigers zur Hinterlegung eingereichten Jahresabschlussunterlagen 2018 enthielten im Anhang für das Geschäftsjahr 2018 unter „IV. sonstige Angaben" folgende Angabe: „Der Jahresabschluss ist vor der Veröffentlichung noch nicht festgestellt worden".
7Mit der streitgegenständlichen Verfügung vom 02.11.2021 verwarf der Rechtsbeschwerdeführer den Einspruch und setzte das angedrohte Ordnungsgeld fest. Zur Begründung führte er aus, dass der offengelegte Jahresabschluss festgestellt oder gebilligt sein müsse. Dies sei hier aufgrund der Angabe, dass der Abschluss vor der Veröffentlichung noch nicht festgestellt worden sei, nicht gegeben.
8Am 16.11.2021 legte die Beschwerdeführerin über ihren Steuerberater Beschwerde ein und führte zur Begründung aus, dass es sich bei dem mit Datum vom 16.02.2020 hinterlegten Jahresabschluss um einen von den Gesellschaftern festgestellten Jahresabschluss gehandelt habe. In dem beigefügten Anhang habe es aufgrund eines Büroversehens keinen Hinweis auf die Feststellung des Jahresabschlusses gegeben, stattdessen sei ein fehlerhafter Textbaustein eingefügt worden. Zwischenzeitlich sei der Anhang berichtigt und um die Information zur Feststellung des Jahresabschlusses ergänzt worden.
9Aufgrund einer weiteren Einreichung der Beschwerdeführerin vom 09.11.2021 wurde vom Betreiber des Bundesanzeigers am 11.11.2021 ein berichtigter Anhang für das Geschäftsjahr 2018 nebst Bilanz im Unternehmensregister hinterlegt. Dieser Anhang enthält nunmehr die Angabe: „Der Jahresabschluss ist am 16.02.2020 festgestellt worden".
10Der Rechtsbeschwerdeführer half der Beschwerde nicht ab und legte sie mit Nichtabhilfeentscheidung vom 31.08.2022 dem Landgericht vor.
11Mit Beschluss vom 31.10.2023 hat das Landgericht die Ordnungsgeldentscheidung vom 02.11.2021 einschließlich der Feststellung von Zustellungskosten aufgehoben und die Rechtsbeschwerde zugelassen.
12Zur Begründung seiner Entscheidung stellt das Landgericht darauf ab, dass die Beschwerdeführerin ihre Offenlegungsverpflichtung bereits durch die Einreichung am 16.02.2020 innerhalb der sechswöchigen Nachfrist erfüllt habe, der Jahresabschluss 2018 sei auch tatsächlich am 16.02.2020 bereits festgestellt gewesen. Dass die außerhalb des Jahresabschlusses befindlichen Angaben zur Feststellung: „Der Jahresabschluss wurde vor der Feststellung offengelegt' inhaltlich fehlerhaft seien, da sie nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprächen, führe nicht dazu, dass die Offenlegung unter Verstoß gegen § 325 Abs. 1 HGB erfolgt und mit einem Ordnungsgeld gemäß § 335 HGB zu ahnden sei. Vielmehr sei dies ein Verstoß gegen die in § 328 Abs. 1a Satz 1 HGB geregelten Inhaltsvorgaben der Offenlegung und gemäß § 334 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 HGB bußgeldbewährt.
13Auch in Kenntnis der Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 06.11.2019 - 28 Wx 13/19 und 14.02.2023 - 28 Wx 13/22) hält es das Landgericht für europarechtswidrig, die ordnungsgemäße Feststellung bzw. Billigung des Jahresabschlusses bei der Prüfung der Erfüllung der Offenlegungspflicht der Beschwerdeführerin zu ignorieren. Gemäß Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2013/34/EU sei allein darauf abzustellen, dass der ordnungsgemäß festgestellte bzw. gebilligte Jahresabschluss offengelegt werde, so dass für Ordnungsmaßnahmen, sofern dieser tatsächlich auch offengelegt worden sei, kein Raum sei. Die Richtlinie sehe eine Angabe oder Mitteilung des Billigungs- bzw. Feststellungsdatums nicht vor. Es würde aus Sicht des Landgerichts gegen Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2013/34/EU verstoßen, wenn die Mitteilung von Relevanz wäre, dass es sich um den festgestellten bzw. gebilligten Jahresabschluss handele bzw. nicht handele. Dafür spreche auch § 8b Abs. 2 Nr. 4 HGB in der bis zum 31. Juli 2022 geltenden Fassung, der die Publizität der „Unterlagen der Rechnungslegung nach den §§ 325 und 339 HGB sowie Unterlagen nach § 341w HGB, soweit sie bekannt gemacht wurden", regele.
14Gegen diesen Beschluss des Landgerichts wendet sich der Rechtsbeschwerdeführer mit seiner vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde.
15Zur Begründung führt der Rechtsbeschwerdeführer unter anderem aus, dass die innerhalb der mit Verfügung vom 12.02.2020 gesetzten Sechs-Wochen-Frist eingereichten Unterlagen nicht geeignet gewesen seien, den Anforderungen an die Offenlegungspflicht zu genügen, denn diese erfordere die Offenlegung des festgestellten oder gebilligten Jahresabschlusses. Die am 16.02.2020 bei dem Betreiber des Bundesanzeigers zur Hinterlegung eingereichten Jahresabschlussunterlagen 2018 enthielten zur Feststellung die Angaben: „Der Jahresabschluss wurde vor der Feststellung offengelegt".
16Es sei auf den Wortlaut des eingereichten Jahresabschlusses abzustellen, denn so diene er als Grundlage für die Bekanntmachung und damit auch für die Einsicht Dritter. Dabei sei unerheblich, dass der eingereichte Jahresabschluss – wie von der Beschwerdeführerin mit der späteren Einreichung vom 09.11.2021 angegeben – bereits am 16.02.2020 von den Gesellschaftern festgestellt worden sein soll.
17Die Gesellschaft habe auch dafür Sorge zu tragen, dass die Unterlagen vollständig und unter korrekter Angabe aller erforderlichen Daten bei dem Betreiber des Bundesanzeigers eingereicht würden. Auf eine irrtümliche Falschbezeichnung könne sich das Unternehmen im Beschwerdeverfahren nicht berufen. Andernfalls bestünde keine Möglichkeit mehr, die Erfüllung der im öffentlichen Interesse liegenden Offenlegungspflichten zu erzwingen, und es bliebe bei der Einreichung und Veröffentlichung eines ausdrücklich als nicht festgestellt bezeichneten Jahresabschlusses, obwohl der Gesetzgeber gerade ein besonders effektives Verfahren zur Erzwingung der im öffentlichen Interesse liegenden Offenlegungspflichten – als Kehrseite der besonderen Haftungsprivilegierung der Kapitalgesellschaften – habe einführen wollen.
18Der Rechtsbeschwerdeführer beantragt,
19den Beschluss des Landgerichts Bonn vom 31.10.2023 (31 T 529/22) aufzuheben und die Beschwerde gegen die Ordnungsgeldentscheidung vom 16.11.2021 (EHUG - 00024709/2020 - 01/02) insgesamt zurückzuweisen.
20Mit Beschluss vom 28.02.2024 hat der Senat der Beschwerdeführerin rechtliches Gehör gewährt. Eine Stellungnahme ist nicht erfolgt.
21II.
221. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg und führt zur Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführerin unter Aufhebung des angegriffenen Beschlusses.
23a) Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
24aa) Sie ist aufgrund der Zulassung durch das Landgericht statthaft, § 335a Abs. 3, Satz 1 HGB. Soweit der Senat in seinem Hinweisbeschluss vom 28.02.2024 (Ziff. I., 1.) noch eine förmliche Berichtigung des Tenors des angefochtenen Beschlusses zur Frage der Zulassung der Rechtsbeschwerde in Aussicht gestellt hat, ist dies nicht erforderlich.
25Aus der zwischenzeitlich beigezogenen landgerichtlichen Akte ergibt sich, dass in dem richterlich elektronisch signierten Beschluss vom 31.10.2023 der Tenor lautet: „Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen“. Soweit der Rechtsbeschwerdeführer mit seiner Rechtsbeschwerde den ihm zugestellten Beschluss, der den Tenor enthält „Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen“, vorgelegt hat, ist ihm offensichtlich vom Landgericht versehentlich eine Vorversion, die nicht rechtsverbindlich zur elektronischen Akte gelangt ist, übermittelt worden. Die Zustellung einer als Entwurf zu wertenden Vorversion des Beschlusses an den Rechtsbeschwerdeführer ist vorliegend unschädlich.
26Für die Zustellung als Voraussetzung für den Beginn der Rechtsmittelfrist kommt es entscheidend auf äußere Form und Inhalt der zur Zustellung verwendeten Ausfertigung an; bei Abweichungen ist die Ausfertigung maßgeblich, weil allein sie nach außen in Erscheinung tritt und der beschwerte Verfahrensbeteiligte seine Rechte nur anhand der Ausfertigung wahrnehmen kann und muss (BGH, NJW 2001, 1653 unter 2c). Ist in der Ausfertigung ein Mangel enthalten, kann er sich aber auf die Zustellung der Entscheidung nicht schwerwiegender auswirken, als wenn er bereits in der Urschrift des Beschlusses enthalten gewesen wäre. Die Wirksamkeit der Zustellung wird nicht berührt, wenn es sich um einen Fehler handelt, der – wäre er bei der Entscheidungsabfassung unterlaufen – gemäß § 42 FamFG hätte korrigiert werden können. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, ob die zugestellte Ausfertigung formell und inhaltlich geeignet war, dem Rechtsbeschwerdeführer die Entschließung über die Notwendigkeit der Einlegung eines Rechtsmittels zu ermöglichen, weil sich ein Fehler in der Sphäre des Gerichts nicht als eine Beeinträchtigung oder gar Vereitelung der Rechtsmittelmöglichkeit auswirken darf. Der Zustellungsempfänger muss aus der Ausfertigung wenigstens den Inhalt der Urschrift und vor allem den Umfang seiner Beschwer und die tragenden Entscheidungsgründe erkennen können (BGH, NJW-RR 2006, 1570, beck-online).
27bb) Die Rechtsbeschwerde ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und innerhalb der verlängerten Frist begründet worden (§ 335a Abs. 3 S. 2 HGB i.V.m. § 71 FamFG).
28Zur Frage der Einhaltung der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf Ziffer I.,2. des Hinweisbeschlusses vom 28.02.2024 Bezug genommen.
29Gemäß § 335a Abs. 3 S. 4 HGB steht die Rechtsbeschwerde auch dem Bundesamt für Justiz zu, welches nach § 335a Abs. 3 S. 5 HGB nicht dem Anwaltszwang vor dem Oberlandesgericht unterliegt.
30cc) Die vorliegende Entscheidung über die Rechtsbeschwerde kann der Senat im schriftlichen Verfahren treffen (§ 335a Abs. 3 S. 2 HGB i.V.m. § 74 Abs. 4, § 32 Abs. 1 FamFG). Eine mündliche Verhandlung war weder zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes noch aus sonstigen Gründen, etwa zur Wahrung des Rechts auf rechtliches Gehör, geboten.
31b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
32Die durch das Landgericht erfolgte Aufhebung der Ordnungsgeldentscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts im Sinne des § 335a Abs. 3 Satz 2 HGB i.V.m. § 72 Abs. 1 FamFG.
33Der Senat hält an seiner ständigen Rechtsprechung fest, dass die Einreichung eines irrtümlich als vor Feststellung bezeichneten Jahresabschlusses der Offenlegungspflicht aus §§ 325 f. HGB nicht genügt (zuletzt Senatsbeschluss vom 01.02.2024 – 28 Wx 14/23 mit weiteren Nachweisen). Derartige Fallkonstellationen stellen auch keinen bußgeldbewährten Verstoß (§ 334 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HGB) gegen die in § 328 Abs. 1a S. 1 HGB geregelten Inhaltsvorgaben der Offenlegung dar.
34aa) Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festsetzung des Ordnungsgeldes gegen die Beschwerdeführerin liegen vor.
35Gemäß der Übergangsvorschrift des Art. 88 Abs. 2 EGHG gilt für vor dem 01.01.2022 beginnende Geschäftsjahre, mithin auch das hier streitgegenständliche Geschäftsjahr 2018, § 325 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB in der aufgrund des Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 17.07.2015 eingeführten Fassung.
36Die Beschwerdeführerin hat ihren gesetzlichen Pflichten aus §§ 325 f. HGB a.F. nicht entsprochen, spätestens innerhalb der mit Zugang der Androhungsverfügung vom 17.02.2020 in Lauf gesetzten Sechswochenfrist den Jahresabschluss offenzulegen (§ 335 Abs. 4 S. 1 HS. 1 HGB). Die am 16.02.2020 erfolgte Einreichung des Jahresabschlusses 2018 genügte dieser Pflicht nicht, da der eingereichte Abschluss ausdrücklich als „vor der Feststellung offengelegt“ bezeichnet und auch so veröffentlicht worden ist.
37Offenzulegen ist gemäß § 325 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB a.F. der festgestellte oder gebilligte Jahresabschluss. Dabei handelt es sich um eine erfolgsbezogene Pflicht der Gesellschaft. Diese hat dafür Sorge zu tragen, dass die zu veröffentlichenden Unterlagen spätestens innerhalb der gesetzten Nachfrist vollständig und unter korrekter Angabe aller erforderlichen Daten beim Betreiber des Bundesanzeigers eingereicht werden (vgl. Senatsbeschluss vom 20.09.2017 - 28 Wx 33/16).
38Aus den in der Rechtsbeschwerdebegründung zutreffend ausgeführten Erwägungen gilt dies auch für eine irrtümliche Bezeichnung als vor Feststellung offengelegt eines eigentlich festgestellten Jahresabschlusses. Insoweit hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung fest (vgl. Senatsbeschluss vom 06.11.2019 – 28 Wx 13/19, juris). Dies ist auch vom Wortlaut der Vorschrift des § 325 HGB a.F. gedeckt. Insbesondere ist die Angabe zur Feststellung des Jahresabschlusses auch unter den Begriff der „Unterlage“ zu fassen (Senatsbeschluss vom 14.02.2023 – 28 Wx 13/2).
39Diese Auslegung entspricht zudem dem Sinn und Zweck der Vorschrift, nämlich dem im Allgemeininteresse liegenden effektiven Schutz des Wirtschaftsverkehrs durch Information der Marktteilnehmer und einer Kontrollmöglichkeit der betroffenen Gesellschaften vor dem Hintergrund deren nur beschränkter Haftung (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 01.02.2011 – 2 BvR 1236/10). Die Offenlegungspflicht ist damit neben der obligatorischen Kontrolle der Leitung des Unternehmens durch seine Gesellschafter und Aufsichtsorgane und der Abschlussprüfung die „dritte Säule“ der Kontrollmöglichkeiten bei haftungsbeschränkten Unternehmen (BeckOK HGB/Birkholz/Merk, 40. Ed. 1.7.2023, HGB § 325).
40Dieser Zweck lässt sich effektiv nur mittels eines stark formalisierten Verfahrens zur Durchsetzung der Offenlegungspflicht gewährleisten (vgl. BT-Drucks 17/13617, S. 1; Senatsbeschluss vom 03.11.2015 - 28 Wx 12/15, juris; Zwirner, Vordermeier, BC 2018, 171; Wenzel, BB 2008, 769). Vor diesem Hintergrund ist es geboten, strenge formelle Anforderungen an die Veröffentlichung zu stellen und einerseits dem Rechtsbeschwerdeführer bei der Durchführung des Ordnungsgeldverfahrens keine – praktisch kaum erfüllbaren – Nachforschungspflichten aufzubürden sowie andererseits den Marktteilnehmern eine verbindliche Information bereitzustellen. An Letzterem fehlt es jedoch, wenn ein Jahresabschluss als noch nicht festgestellt bezeichnet wird, denn bis zu seiner Feststellung hat ein solcher Abschluss nur den Charakter eines Entwurfs (MAH GmbHR, § 16 Rechnungslegung der GmbH Rn. 525, beck-online).
41bb) Die Ansicht des Landgerichts, dass in der vorliegenden Fallkonstellation vorrangig ein Bußgeldverfahren gemäß § 334 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 HGB durchzuführen sei, vermag nicht zu überzeugen. Zum einen kann ein derartiger Verstoß – worauf das Landgericht selbst hinweist – nur vorsätzlich begangen werden, wofür hier nichts ersichtlich ist. Zum anderen können Täter in den Fällen des § 334 Abs. 1 HGB nur die dort genannten Personen sein, d.h. die Mitglieder der vertretungsberechtigten Organe und des Aufsichtsrats. Andere Personen (z.B. Buchhalter, Steuerberater, leitende Angestellte) können allenfalls wegen des Einheitstäterbegriffs des OWiG als Beteiligte Täter sein, sofern mindestens ein Tatbeteiligter die Täterqualifikation aufweist (BeckOGK/Waßmer, 01.12.2023, HGB § 334 Rn. 16). Die Einreichung des Jahresabschlusses erfolgte hier durch den von der Beschwerdeführerin beauftragten Steuerberater. Anhaltspunkte für ein kollusives Zusammenwirken sind nicht ersichtlich und werden auch vom Landgericht nicht angenommen.
42Schließlich liegt die Verfolgung der Ordnungswidrigkeiten gemäß § 334 HGB im pflichtgemäßen Ermessen (§ 47 Abs. 1 S. 1 OWiG) der Ordnungsbehörde, hier des Rechtsbeschwerdeführers (BeckOGK/Waßmer, 1.12.2023, HGB § 334 Rn. 177). Dieses hat er hier sachgerecht ausgeübt.
43cc) Der Senat vermag auch nicht der Ansicht des Landgerichts zu folgen, dass es gestützt auf Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2013/34/EU europarechtswidrig sei, die ordnungsgemäße Billigung des Jahresabschlusses bei der Prüfung der Erfüllung der Offenlegungspflicht der Beschwerdeführerin zu ignorieren und erforderlich und hinreichend allein die Offenlegung des tatsächlich ordnungsgemäß festgestellten Jahresabschlusses sei.
44Das Landgericht lässt hier den allein entscheidungserheblichen Umstand außer Acht, dass der ursprünglich offengelegte Abschluss durch das von der Beschwerdeführerin beauftragte Steuerberatungsbüro ausdrücklich als vor Feststellung offengelegter Jahresabschluss gekennzeichnet war. Die – nach Angaben des Steuerberaters bereits am 16.02.2020 erfolgte – Feststellung des Jahresabschlusses wurde hingegen erst mit der weiteren Einreichung vom 09.11.2021 bekannt gemacht.
45Maßgeblich ist allerdings nicht der Zeitpunkt der Feststellung, sondern Anknüpfungspunkt für die Bewertung des Sachverhalts im Lichte des § 325 HGB kann nur der Wortlaut des eingereichten Jahresabschlusses sein, wie er als Grundlage für die Bekanntmachung und damit auch für die Einsicht Dritter dient. Dieser Wortlaut ergibt, dass bis zu der weiteren Einreichung vom 09.11.2021 ausdrücklich nur ein vorläufiger Jahresabschluss und damit ein rechtlich nicht verbindlicher Entwurf offengelegt worden ist.
46Nur diese Auslegung gewährt, dass die von § 325 HGB im Einklang mit Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2013/34/EU verfolgten Zwecke der Transparenz und Publizität erfüllt werden können. Anderenfalls würde die Publizitätswirkung des Unternehmensregisters entwertet, da das Register dann den eine Auskunft einholenden Marktteilnehmern gerade nicht eine verlässliche Informationsquelle bereitstellen und ihnen nicht erfüllbare Nachforschungspflichten auferlegen würde.
47dd) Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass die Versäumung der Offenlegungspflicht auch verschuldet gewesen sein dürfte. Zutreffend führt der Rechtsbeschwerdeführer aus, dass die Gesellschaft nach Erhalt der Androhungsverfügung und Nachfristsetzung erhöhte Sorgfaltspflichten treffen. So hat sie, auch wenn sie die Offenlegung durch fachkundige Dritte durchführen lässt, diese zu überwachen und das Ergebnis der Offenlegung unverzüglich auf seine Richtigkeit hin zu kontrollieren. Dem ist die Beschwerdeführerin nicht hinreichend nachgekommen, da ihr die fehlerhafte Veröffentlichung dann nicht hätte verborgen bleiben können.
48ee) Das gegen die Beschwerdeführerin festgesetzte Ordnungsgeld ist schließlich als Mindestordnungsgeld auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
492. Die von dem Senat getroffene Gesetzesauslegung gebietet keine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV, ob zur Erfüllung der Verpflichtung aus Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2013/34/EU die Offenlegung des tatsächlich ordnungsgemäß festgestellten Jahresabschlusses erforderlich und hinreichend ist.
50Wie der EuGH in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, ist aufgrund einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig und er kann im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens keine Auslegung innerstaatlichen Rechts vornehmen (EuGH, Urteil vom 06.10.2021 – C-561/19 –, Rn. 35, juris, Schwarze/Becker/Hatje/Schoo, EU-Kommentar, AEUV Art. 267 Rn. 15, beck-online).
51Die vom Senat vorgenommene Auslegung betrifft indes allein innerstaatliches Recht, nämlich den Umfang der sich aus § 325 HGB ergebenden Pflichten. Das offenlegungspflichtige Unternehmen ist – wie ausgeführt – verpflichtet, innerhalb der maßgeblichen Fristen den festgestellten oder gebilligten Jahresabschluss zu veröffentlichen. Der nationale Verordnungsgeber hat den Unternehmen allerdings die zusätzliche Möglichkeit eröffnet, – zunächst – auch den noch nicht festgestellten Jahresabschluss zu veröffentlichen, womit indes den Pflichten des § 325 HGB nicht Genüge getan ist. In Anbetracht dieser Möglichkeit ist es im nationalen Veröffentlichungsverfahren stets erforderlich anzugeben, ob es sich um einen festgestellten oder nicht festgestellten Jahresabschluss handelt. Ob diese – unionsrechtlich nicht vorgesehene – Unterscheidung dazu führt, dass die Nichtangabe der erfolgten Feststellung als Verstoß gegen die Pflichten aus § 325 HGB zu erachten ist, ist damit allein eine Frage der Auslegung nationalen Rechts.
523. Die Kostenentscheidung für die Gerichtsgebühren des Rechtsbeschwerdeverfahrens, von deren Erhebung nach Auffassung des Senats abzusehen ist, basiert auf § 335a Abs. 3 S. 2 HGB i.V.m. § 74 Abs. 4, § 81 Abs. 1 S. 2 FamFG. Eine Überbürdung der Kostenlast auf die Beschwerdeführerin erscheint ebenso wenig sachgerecht wie eine Überbürdung der Kosten auf den obsiegenden Rechtsbeschwerdeführer. Das Vorgenannte gilt nicht für das eigentliche Beschwerdeverfahren. Eine Kostenentscheidung zu den außergerichtlichen Kosten der Beteiligten (§ 335a Abs. 3 S. 6, Abs. 2 S. 6 HGB) ist hier aber nicht veranlasst, zumal die Beschwerdeführerin unterlegen ist und bei dem Rechtsbeschwerdeführer keine besonderen Kosten (etwa durch Beauftragung eines Rechtsanwalts) angefallen sind.
53Rechtsbehelfsbelehrung:
54Diese Entscheidung ist unanfechtbar.