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1. Eine Beweisvereitelung liegt vor, wenn eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet bzw. vorenthält oder deren Benutzung erschwert oder verhindert.
2. Die Nichtwahrnehmung eines zum Erlass einer Geheimhaltungsverpflichtung sowie zur Übergabe geheimhaltungspflichtiger Unterlagen bestimmten Termins zur mündlichen Verhandlung durch den Hauptbevollmächtigten des Versicherungsnehmers stellt eine Beweisvereitelung seitens des Versicherungsnehmers dar (ausführlich Senatsurteil vom 01.09.2023 - 20 U 50/23, juris-Rz. 48 ff.).
3. Eine Beweisvereitelung kommt dagegen grundsätzlich nicht in Betracht, wenn bei einer Mehrfachvertretung des klagenden Versicherungsnehmers neben der Partei selbst mindestens ein Hauptbevollmächtigter bereit ist, sich zu der notwendigen Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG verpflichten zu lassen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 28. Juni 2023– 41 O 134/22 – aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsverfahrens – an das Landgericht Bonn zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
2I.
3Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache vorläufigen Erfolg.
6Die von dem Landgericht gegebene Begründung trägt die Abweisung der Klage gestützt auf den Vorwurf der Beweisvereitelung und eine sich daraus ergebende Beweislastumkehr zum Nachteil des Klägers nicht. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache auf den entsprechenden Hilfsantrag des Klägers nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurückzuverweisen.
71.
8Zu Recht ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast für die von dem Kläger bestrittene materielle Rechtmäßigkeit der streitgegenständlichen Beitragsanpassungen trifft (vgl. nur BGH, Urteil vom 9. Dezember 2015 – IV ZR 272/15, juris Rn. 21) und auf Grundlage des Parteivorbringens ein Sachverständigengutachten über die versicherungsmathematische Richtigkeit der den Prämienanpassungen für die Jahre 2020 bis 2022 zugrundeliegenden Kalkulationen einzuholen wäre.
9a)
10Die Beklagte hat ihrer Darlegungslast, anders als der Kläger meint, genügt. Ihrem Vortrag nebst den überreichten Anlagen lässt sich hinreichend entnehmen, wegen schwellenwertüberschreitender Veränderungen bei welcher Rechnungsgrundlage die Überprüfung und Anpassung der Beiträge jeweils erfolgt sein soll. Die Beklagte hat bereits in der Klageerwiderung (Bl. 78, Bl. 80 f. LGA) unter Bezugnahme auf die Anlage BLD 1 (Bl. 108 LGA) vorgetragen, dass Auslöser der Beitragsanpassungen jeweils geänderte Leistungsausgaben waren, und die auslösenden Faktoren für die streitgegenständlichen Anpassungen zudem konkret beziffert. Als Anlage BLD 2 (Bl.109-117 LGA) hat sie zudem Tabellen vorgelegt, in denen sie die Berechnung der Beitragserhöhungen im Einzelnen aufschlüsselt. Schließlich hat sie eine tabellarische Übersicht (Bl. 453 – 460 LGA) der auf dem zunächst nur für das Gericht zur Verfügung gestellten USB-Stick enthaltenen, dem Treuhänder vorgelegten Unterlagen mit weiteren Erläuterungen u.a. zum Grund des geltend gemachten Geheimhaltungsbedürfnisses zur Akte gereicht. Diese beziehen sich u.a. auch auf ein Limitierungskonzept.
11b)
12Nicht durchgreifend ist auch der entgegengesetzte Einwand der Beklagten, der Kläger habe die materielle Unwirksamkeit erstinstanzlich nur beschränkt auf die Vollständigkeit der dem Treuhänder vorgelegten Limitierungsunterlagen bestritten. Auf die entsprechende Nachfrage des Landgerichts (vgl. Bl. 416 LGA) hat der Kläger mit Schriftsatz vom 13. April 2023 (vgl. Bl. 423 LGA) klargestellt bzw. korrigiert, dass er die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen bestreiten wolle.
132.
14In berufungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht außerdem die grundsätzliche Notwendigkeit eines Geheimhaltungsbeschlusses nach § 174 Abs. 3 GVG bejaht, weil die Beklagte an den Unterlagen, die sie dem Treuhänder nach ihrem Vorbringen zur Überprüfung der Kalkulation der jeweiligen Prämienanpassungen nach § 203 Abs. 2 VVG zur Verfügung gestellt hat und die zum Gegenstand der sachverständigen Begutachtung zu machen wären, ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse geltend macht.
15Der Kläger stellt ein berechtigtes Geheimhaltungsbedürfnis der Beklagten in Abrede, ohne sich jedoch mit deren Vorbringen und insbesondere deren Angaben in der Übersicht zu den auf dem USB-Stick befindlichen Unterlagen auseinanderzusetzen. Die Darlegung oder Feststellung einer besonderen Bedeutung der einzelnen konkret betroffenen Informationen für die wirtschaftliche Entwicklung des Versicherungsunternehmens ist entgegen der Auffassung des Klägers zur Bejahung eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses nicht notwendig. Dafür findet sich insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Stütze. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 9. Dezember 2015 (IV ZR 272/15, juris Rn. 9 f.) vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den technischen Berechnungsgrundlagen, die der Krankenversicherer dem unabhängigen Treuhänder zur Prüfung einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG vorzulegen hat, um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse im Sinne von § 172 Nr. 2 GVG handelt, die überdies schon dann im Sinne der Vorschrift zur Sprache kommen, wenn die Unterlagen nach Darlegung des Versicherers zu deren Inhalt an die Gegenseite übergeben werden. Es versteht sich des Weiteren von selbst, dass die Beklagte vor dem Erlass eines Geheimhaltungsbeschlusses nicht gehalten sein konnte, zu dem konkreten Inhalt der geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen noch näher vorzutragen. Auch insoweit ist die Würdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden.
163.
17Im weiteren Ausgangspunkt hat das Landgericht zudem zutreffend und in Einklang mit der Rechtsprechung des Senats angenommen, dass in der Nichtwahrnehmung des zum Erlass der vor der Einholung des Sachverständigengutachtens notwendigen Geheimhaltungsverpflichtung nach § 174 Abs. 3 GVG sowie zur Übergabe der geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen bestimmten Termins durch die Klagepartei und einen mit vollumfänglicher Prozessvollmacht ausgestatteten Rechtsanwalt eine Beweisvereitelung zu sehen sein kann.
18Eine Beweisvereitelung liegt vor, wenn eine Partei dem beweisbelasteten Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich macht oder erschwert, indem sie vorhandene Beweismittel vernichtet bzw. vorenthält oder deren Benutzung erschwert oder verhindert (vgl. etwa BGH, Urteil vom 11. Juni 2015 – I ZR 226/13, juris Rn. 44; Urteil vom 25. Juni 1997 – VIII ZR 300/96, juris Rn. 18). Eine Verhinderung der Beweisführung in diesem Sinne kann dadurch eintreten, dass die beweiserheblichen Unterlagen, an denen der Versicherer berechtigterweise ein Geheimhaltungsinteresse geltend gemacht hat, weder zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung noch zu einer anschließenden Begutachtung gemacht werden können, weil die Klägerseite sich schuldhaft nicht der notwendigen Geheimhaltungsverpflichtung unterwirft. Der Senat verweist wegen der grundsätzlichen Anforderungen an die Annahme der Beweisvereitelung in solchen Fallkonstellationen vollumfänglich auf sein Urteil vom 1. September 2023 zum Aktenzeichen 20 U 50/23 (abzurufen über juris, dort Rn. 48 ff.).
19Entgegen der Ansicht des Landgerichts genügt es allerdings auch bei einer Mehrfachvertretung des klagenden Versicherungsnehmers, wenn sich neben der Partei selbst mindestens ein Hauptbevollmächtigter zu der notwendigen Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG verpflichten lässt.
20a)
21Der Kläger war in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 7. Juni 2023 persönlich anwesend und zudem durch einen im Sinne der §§ 81, 83 ZPO umfassend bevollmächtigten Rechtsanwalt vertreten. Rechtsanwalt M. ist ausweislich des Protokolls (vgl. Bl. 515 LGA) ausdrücklich „als weiterer Prozessbevollmächtigter“ unter Bezugnahme auf die zuvor zur Akte gereichte, der B. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH erteilte Prozessvollmacht vom 10. März 2023 (vgl. Bl. 511 LGA) aufgetreten. Zwischenzeitlich ist ferner unter Vorlage eines Arbeitsvertrags vom 28. April 2022 (vgl. Bl. 307 ff. GA) klargestellt worden, dass Rechtsanwalt M. Angestellter der B. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ist. Mangels gegenteiliger Feststellungen hat der Senat überdies zu unterstellen, dass sowohl der Kläger als auch Rechtsanwalt M. bereit waren, sich zur Geheimhaltung durch einen Beschluss nach § 174 Abs. 3 GVG verpflichten zu lassen.
22b)
23Der Umstand, dass kein Vertreter der K. I. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH als der weiteren Hauptbevollmächtigten des Klägers zum Termin erschienen ist, auf den der Geheimhaltungsbeschluss hätte erstreckt werden können, stand weder der regelkonformen Durchführung der anstehenden Beweisaufnahme noch einer prozessual ordnungsgemäßen Fortsetzung des Verfahrens im Übrigen entgegen.
24aa)
25Vorab ist klarstellend in den Blick zu nehmen, dass sich die Frage, ob es genügen kann, einen einzelnen Rechtsanwalt zur Geheimhaltung zu verpflichten, nicht nur bei der Bevollmächtigung von zwei Kanzleien, sondern in allen Fällen stellt, in denen nicht ausschließlich ein Einzelanwalt bevollmächtigt ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 174 Abs. 3 Satz 1 GVG können zur Geheimhaltung durch einen Beschluss nach dieser Vorschrift ausschließlich in der mündlichen Verhandlung persönlich anwesende Personen verpflichtet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2021 – IV ZB 23/20 Rn. 25; Beschluss vom 10. November 2021 – IV ZB 27/20, juris Rn. 24). Eine Weitergabe geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen an gleichfalls vertretungsberechtigte, aber nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Kollegen – auch aus derselben Rechtsanwaltsgesellschaft – verbietet sich daher (vgl. OLG Oldenburg, Beschluss vom 15. Februar 2022 – 1 W 5/23, BeckRS 2023, 9988 Rn. 3 f.).
26bb)
27Richtig ist, dass infolge eines nur auf Rechtsanwalt M. erstreckten Geheimhaltungsbeschlusses das Fortbestehen der Vollmacht der K. I. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH ebenso wie aber auch der übrigen Vertreter der B. Rechtsanwaltsgesellschaft mbH für das weitere Verfahren weitgehend ins Leere laufen würde. Vorbehaltlich einer späteren Geheimhaltungsverpflichtung dürften insbesondere Schriftsätze, Gutachten und Entscheidungen, die sich auf die geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen beziehen, keinem anderen Bevollmächtigten als Rechtsanwalt M. persönlich übermittelt werden; Akteneinsicht dürfte den übrigen Vertretern nicht unbeschränkt gewährt werden (vgl. dazu noch unter (4)).
28Dies ist allerdings unschädlich. Es genügt, wenn zumindest ein einzelner uneingeschränkt vertretungsberechtigter Rechtsanwalt weiterhin in der Lage ist, sämtliche Zustellungen entgegenzunehmen, (Prozess-)Erklärungen für die Partei abzugeben und zu empfangen sowie an Verhandlungs- und Beweisaufnahmeterminen teilzunehmen, deren Inhalt der Geheimhaltung unterliegt. Dies wäre bei einer Verpflichtung des erschienenen Rechtsanwalts M. der Fall gewesen.
29(1)
30Im Zivilprozess kann sich die Partei – anders als im Strafverfahren (vgl. § 137 Abs. 1 StPO) – von beliebig vielen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen (MüKoZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 84 Rn. 2). Nach § 84 Satz 1 ZPO sind mehrere Prozessbevollmächtigte berechtigt, sowohl gemeinschaftlich als auch einzeln die Partei zu vertreten. Ist eine rechtsfähige Berufsausübungsgesellschaft (§ 59b BRAO) bevollmächtigt worden, gilt § 84 ZPO entsprechend für die für die bevollmächtigte Gesellschaft nach § 79 Abs. 2 Satz 3 ZPO und § 59l Abs. 2 BRAO handelnden einzelnen Rechtsanwälte (vgl. MüKoZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 84 Rn. 2; BeckOK ZPO/Piekenbrock, [1.12.2023], § 84 Rn. 5). Jeder Rechtsanwalt, auf den sich die erteilte Vollmacht erstreckt, ist daher nach § 84 ZPO zwingend (auch) einzelvertretungsbefugt. Innerhalb des Geltungsbereichs des Anwaltszwangs kann diese Einzelvertretungsmacht im Außenverhältnis gegenüber Gericht und Gegner nicht beschränkt werden (vgl. §§ 83 f. ZPO sowie BGH, Urteil vom 12. März 2019 – VI ZR 277/18, juris Rn. 13, 19 f.; Urteil vom 14. Januar 2019 – AnwZ (Brfg) 25/18, juris Rn. 15, auch zu evtl. Ausnahmen aufgrund materiell-rechtlicher Gemeinschaftsermächtigung).
31(2)
32Infolge der Einzelvertretungsbefugnis reicht es bei mehreren Bevollmächtigten aus, gerichtliche Handlungen nur gegenüber einem von ihnen vorzunehmen und Zustellungen nur an einen von ihnen zu bewirken (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Januar 2021 – XII ZB 386/20, juris Rn. 9; Urteil vom 8. März 2004 – II ZB 21/03, juris Rn. 6; Urteil vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312, zitiert nach juris Rn. 34; Beschluss vom 21. Mai 1980 – IVb ZB 567/80, juris Rn. 6; Beschluss vom 15. Februar 1978 – IV ZB 42/77, juris Rn. 6; Smid/Hartmann in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 84 Rn. 3; Althammer in: Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 84 Rn. 3; MüKoZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 84 Rn. 6). Das Gericht darf sich außerdem darauf beschränken, nur einen von mehreren Prozessbevollmächtigen zum Termin zu laden (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 1967 – VIII ZR 15/65, juris Rn. 6; Urteil vom 4. Juni 1992 - IX ZR 149/91, BGHZ 118, 312, zitiert nach juris Rn. 33 f.). Des Weiteren kann jeder einzelne Prozessbevollmächtigte mit Wirkung für und gegen die Partei Prozesshandlungen allein vornehmen, beispielsweise ein Rechtsmittel zurücknehmen, auch wenn ein anderer Prozessbevollmächtigter dieses eingelegt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2007 – XII ZB 82/06, juris Rn. 24). Die Partei muss sich sowohl die Kenntnis als auch das Verschulden jedes einzelnen ihrer Bevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. § 85 Abs. 2 ZPO; BGH, Beschluss vom 14. November 1990 – XII ZB 35/90, juris Rn. 7; Beschluss vom 10. April 2003 – VII ZR 383/02, juris Rn. 6 ff.; MüKoZPO/Toussaint, 6. Aufl., § 84 Rn. 6; Althammer in Zöller: ZPO, 35. Aufl., § 85 Rn. 21).
33(3)
34Diejenigen Prozessbevollmächtigten, die sich der durch das Gericht für notwendig erklärten Geheimhaltungsverpflichtung nicht unterwerfen, begeben sich damit weitgehend der Möglichkeit, an dem Verfahren künftig noch mitzuwirken. Das Gericht hat grundsätzlich die Wahl, an wen es zustellt(vgl. BGH, Beschluss vom 15. Februar 1978 – IV ZB 42/77, juris Rn. 6). Nach dem Erlass eines Geheimhaltungsbeschlusses nach § 174 Abs. 3 GVG muss das Auswahlermessen zumindest in Bezug auf geheimhaltungsbedürftige Verfahrensgegenstände konsequenterweise auf diejenigen Bevollmächtigten beschränkt sein, die zur Geheimhaltung verpflichtet worden sind. Das Gericht ist zudem nicht gehindert, zur Vereinfachung der Abläufe und zur Vermeidung eines unangemessenen Mehraufwands, der mit einer Differenzierung verbunden wäre, auch alle übrigen Zustellungen und Zuschriften nur noch an den zur Geheimhaltung verpflichteten Rechtsanwalt vorzunehmen.
35Dies ändert aber nichts daran, dass der Kläger seine prozessualen Rechte weiterhin in angemessener Weise wahrnehmen kann, indem er durch einen seiner Prozessbevollmächtigten zu allen Gegenständen des Verfahrens sowie zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung nehmen oder beispielsweise ergänzende Fragen an den Sachverständigen richten kann.
36Es ist die freie Entscheidung des Klägers, mehrere Rechtsanwälte bzw. Kanzleien nebeneinander mit seiner Prozessvertretung zu beauftragen und die hierfür auf Grundlage des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes anfallenden Mehrkosten (vgl. § 6 RVG) ggf. selbst zu tragen. Auch das zumindest theoretisch bestehende Risiko einer widersprüchlichen Vertretung darf der Kläger nach eigenem Ermessen eingehen. Ob und unter welchen Voraussetzungen für einen an der Vertretung weitgehend gehinderten Anwalt Veranlassung bestünde, sein Mandat niederzulegen, weil er – was auch haftungsrechtlich von Relevanz sein kann – dieses nicht mehr interessensgerecht wahrnehmen kann, ist für die hier maßgebliche Frage der wirksamen Vertretung der Partei durch einen anderen Prozessbevollmächtigten nicht ausschlaggebend.
37In der Konsequenz muss dem Kläger bewusst sein, dass er sich nicht später auf eine Verletzung seiner Verfahrens(grund)rechte mit dem Argument wird berufen können, ein Teil seiner Rechtsanwälte sei nicht umfassend über alle Verfahrensinhalte informiert worden. Wenn sich mit der Billigung des Klägers nur einer seiner Bevollmächtigten zur Geheimhaltung verpflichten lässt, muss der Kläger sich an dieser Entscheidung – bis zu einer etwaigen späteren Erstreckung der Geheimhaltungsverpflichtung auf weitere Bevollmächtigte – festhalten lassen.
38Es ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Zustellungen nur an einen einzelnen Prozessbevollmächtigten vorgenommen werden. Äußerungsmöglichkeiten dürfen eingeschränkt werden, wenn dies durch sachliche Gründe hinreichend gerechtfertigt ist. Das Gericht darf nur nicht aus sachfremden Erwägungen eine Form der Anhörung wählen, die für den Betroffenen ein erhöhtes Risiko mit sich bringt, von den mitzuteilenden Umständen keine Kenntnis zu erhalten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 1989 – 1 BvR 1011/88, juris Rn. 20). Für anstehende Folgetermine zur Beweisaufnahme und zur mündlichen Verhandlung, an denen weitere Prozessbevollmächtigte teilnehmen wollten, könnte und müsste ggf. ebenfalls ein weiterer Beschluss nach § 174 Abs. 3 GVG erlassen werden.
39(4)
40Das Gericht wäre auch umgekehrt prozessrechtlich nicht gehindert, die Geheimhaltung gegenüber den (noch) nicht nach § 174 Abs. 3 GVG verpflichteten Prozessbevollmächtigten zu gewährleisten. Entgegen der Auffassung des Landgerichts müsste insbesondere nicht jedem Prozessbevollmächtigen unabhängig von einer Geheimhaltungsverpflichtung nach § 174 Abs. 3 GVG gleichwohl Einsicht in alle Aktenbestandteile nach § 299 Abs. 1 ZPO gewährt werden.
41Der Bundesgerichtshof hat zwar mit Urteil vom 9. Dezember 2015 (IV ZR 272/15, juris Rn. 18) u.a. ausgeführt, dass das Recht der Parteien auf Akteneinsicht die gesamten Akten umfasst und nicht im Hinblick auf zu wahrende Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse verwehrt werden darf. Er hat aber ebenso festgestellt, dass die Regelung des § 174 Abs. 3 GVG selbständig neben dem Recht auf Akteneinsicht steht und die Akteneinsicht deshalb mit sich aus dieser Vorschrift zulässigerweise ergebenen Beschränkungen, nämlich der Verpflichtung zur Geheimhaltung, gewährt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 9. Dezember 2015 – IV ZR 272/15, juris Rn. 18). Auf dieser Grundlage verbietet sich die Annahme, dass das Gericht zwar die Aufnahme geheimhaltungsbedürftiger Unterlagen in die Akte und deren Verwertung als Prozessstoff von der Verpflichtung der Geheimhaltung nach § 174 Abs. 3 GVG abhängig machen dürfte, dann aber ohne Rücksicht auf das Bestehen einer Geheimhaltungsverpflichtung jedem Prozessbevollmächtigten (vollständige) Akteneinsicht nach § 299 Abs. 1 ZPO zu gewähren hätte. Andernfalls ließe sich der Schutz des durch den Bundesgerichtshof anerkannten Geheimhaltungsinteresses des Versicherers ohne Weiteres durch die Bestellung einer größeren Kanzlei oder zusätzlicher Rechtsanwälte umgehen. Die Erstreckung einer Geheimhaltungsverpflichtung auf alle Angehörigen einer großen Kanzlei ließe sich praktisch zudem kaum bewerkstelligen und dürfte – abgesehen von bloßen prozesstaktischen Überlegungen – weder den Interessen der Kläger- noch der Beklagtenseite in der Sache gerecht werden.
42Ob auch der Abschluss einer außergerichtlichen strafbewehrten Geheimhaltungsvereinbarung (vgl. dazu OLG München, Beschluss vom 17. Mai 2023 – 38 W 533/23 e, juris Rn. 15) oder die einseitige Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung in Betracht kommen, bedarf vorliegend keiner Entscheidung.
43(5)
44Das berechtigte Geheimhaltungsinteresse der Beklagten wird schließlich durch die Verpflichtung nur eines Bevollmächtigten ohnehin nicht beeinträchtigt. Für den Versicherer stellt es sich vielmehr als Vorteil dar, wenn nur ein einzelner gegnerischer Rechtsanwalt Einblick in die geheimhaltungsbedürftigen Unterlagen erhält und der Kreis der eingeweihten Personen dementsprechend begrenzt(er) bleibt. Das Risiko, dass der zur Geheimhaltung verpflichtete Rechtsanwalt sein Mandat später niederlegt oder beispielsweise krankheitsbedingt nicht ausüben kann und ein neuer bzw. weiterer Prozessbevollmächtigter zur Geheimhaltung verpflichtet werden muss, besteht in jedem Prozess unabhängig davon, wie viele Bevollmächtigte die Klägerseite hat.
45Der in der Berufungserwiderung geäußerten Sorge der Beklagten, dass geheimhaltungsbedürftige Unterlagen „durch die Hintertür“ an nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Bevollmächtigte weitergegeben werden könnten, kann nur – und muss zugleich – dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht sich (mindestens) mit Blick auf die geheimhaltungsbedürften Inhalte auf die Kommunikation mit dem oder den entsprechend verpflichteten Hauptbevollmächtigten beschränkt. Es hat dafür Sorge zu tragen, dass sämtliche – seien es formlose oder förmliche – Zuschriften und Zustellungen, die geheimhaltungsbedürftige Daten betreffen, im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs ausschließlich an das persönliche besondere elektronische Anwaltspostfach des zur Geheimhaltung verpflichteten Rechtsanwalts gesendet werden. Wie bereits ausgeführt, bestehen keine Bedenken, dass das Gericht sich hierzu vollständig auf die Kommunikation mit dem zur Geheimhaltung verpflichteten Rechtsanwalt beschränkt. Eine weitergehende faktische Sicherstellung der Geheimhaltung ist auch ansonsten durch einen Beschluss nach § 174 Abs. 3 GVG nicht zu gewährleisten. Selbstverständlich ist sowohl von der Partei selbst als auch von ihrem Rechtsanwalt zu erwarten, dass sie sich an die ihnen auferlegte und überdies strafbewehrte Geheimhaltungsverpflichtung halten und die ihnen anvertrauten Informationen tatsächlich nicht an Dritte weitergeben. Dass dies auch jegliche Weitergabe der betroffenen Informationen an nicht persönlich zur Geheimhaltung verpflichtete Kollegen – gleich ob aus derselben oder einer anderen Kanzlei – des zur Geheimhaltung verpflichteten Rechtsanwalts ausschließt, haben die klägerischen Prozessbevollmächtigten ausdrücklich anerkannt (vgl. Bl. 509 LGA).
464.
47Das angefochtene Urteil ist demnach aufzuheben. Der Senat verweist die Sache auf den Hilfsantrag des Klägers hin zur weiteren Verhandlung nach § 538 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht zurück. Auf Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstands wird eine aufwändige Beweisaufnahme durchzuführen sein. Aus den vorstehend dargestellten Gründen tragen zudem die verfahrensrechtlichen Erwägungen des Landgerichts bezogen auf die Reichweite der jeweiligen Vertretungsmacht mehrerer Prozessbevollmächtigter i.S.v. § 84 ZPO und das (Spannungs-)Verhältnis zwischen § 174 Abs. 3 GVG und § 299 ZPO das Absehen von dem an sich gebotenen Ausschluss der Öffentlichkeit sowie dem Erlass eines Geheimhaltungsbeschlusses nicht.
485.
49Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt mit Blick auf §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
506.
51Gründe, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), sind nicht gegeben.
52Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 7.000 €