Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
I. Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen vom 20. Oktober 2023 gewährt.
II. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
III. Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückverwiesen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Generalstaatsanwaltschaft hat den Verfahrensgang in ihrer Vorlageverfügung vom 28. Mai 2024 wie folgt zusammengefasst:
4„Die Bürgermeisterin der Stadt V. hat gegen den Betroffenen durch Bußgeldbescheid vom 00.06.2023 wegen verbotswidrigem Parken auf dem Gehweg gemäß §§ 12 Abs. 4, 49 StVO, § 24 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 5 StVG, 52a BKat eine Geldbuße von 55 € verhängt (Bl. 17 f. d. A.).
5Gegen diesen Bußgeldbescheid hat der Betroffene mit E-Mail vom 00.06.2023 Einspruch eingelegt (Bl. 21 d. A.).
6Mit Schreiben vom 00.10.2023, elektronisch eingegangen beim Amtsgericht Geilenkirchen am 00.10.2023 (Bl. 69 d. A.), hat der Betroffene unter anderem beantragt, den Termin zur Hauptverhandlung am 00.10.2023 [Anm. d. Sen.: richtig: 00.10.2023] aufzuheben und hilfsweise ihn gemäß § 73 Abs. 2 StPO vom persönlichen Erscheinen zu entbinden. Zur Begründung hat er ausgeführt, er beabsichtige „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht, sich in der Hauptverhandlung in tatsächlicher Hinsicht einzulassen. Seine Anwesenheit sei auch zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich (Bl. 70 ff. d. A.).
7Am 00.10.2023 hat die Geschäftsstellenverwalterin der Abteilungsgeschäftsstelle Amtsgerichtes Geilenkirchen vermerkt, der Betroffene habe angerufen und sich zum Eingang seines Schreibens und zum Fortbestehen des Hauptverhandlungstermins erkundigt. Dem Betroffenen sei mitgeteilt worden, das Schreiben sei eingegangen und der Termin bislang nicht aufgehoben. Er solle vom Bestehenbleiben des Termins ausgehen (Bl. 89 d. A.).
8Mit Beschluss vom 00.10.2023 hat das Amtsgericht Geilenkirchen den Antrag des Betroffenen auf Verlegung des Hauptverhandlungstermins mit der Begründung zurückgewiesen, es seien keine hinreichenden Verlegungsgründe glaubhaft gemacht (Bl. 93 d. A.). Mit weiterem Beschluss vom selben Tag hat es den Antrag des Betroffenen, vom persönlichen Erscheinen entbunden zu werden, mit der Begründung zurückgewiesen, die Erklärung des Betroffenen aus seinem Schreiben vom 00.10.2023, sich derzeit nicht äußern zu wollen, sei nicht ausreichend (Bl. 94, 97 f. d. A.). Letzterer Beschluss wurde dem Betroffenen mit Schreiben vom 00.10.2023 bekanntgegeben (Bl. 98 d. A.).
9Mit Urteil vom 20.10.2023 hat das Amtsgericht Geilenkirchen den Einspruch des Betroffenen vom 18.06.2023 gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, da der Betroffene zum Hauptverhandlungstermin trotz ordnungsgemäßer Ladung (Bl. 26, 51 R d. A.) unentschuldigt nicht erschienen war (Bl. 95, 99 f. d. A.).
10Gegen das dem Betroffenen am 27.10.2023 zugestellte (Bl. 100, 152 R d. A.) Urteil hat dieser mit Schreiben vom 00.10.2023, elektronisch eingegangen beim Amtsgericht Geilenkirchen am selben Tag (Bl. 137 d. A.), Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt (Bl. 136 d. A.)
11Am 00.11.2023 hat der Betroffene den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle begründet und beantragt, die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen vom 20.10.2023 (17 OWi 152/23) zuzulassen (Bl. 172 ff. d. A.). Zur Begründung hat er ausgeführt, das Urteil verletze ihn in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. So sei sein Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen rechtsfehlerhaft abgelehnt worden. Darüber hinaus setzten sich die Urteilgründe nicht mit der Ablehnung des Entbindungsantrags auseinander. Der Beschluss, mit welchem der Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen zurückgewiesen wurde, sei ihm erst am 30.10.2023 zugegangen.
12Mit Beschluss vom 22.02.2024 hat das Oberlandesgericht (III-1 Orbs 38/24) den Betroffenen darauf hingewiesen, dass ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen vom 20.10.2023 gewährt werden kann, wenn er innerhalb einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des Beschlusses beginnt, den Zulassungsantrag (noch einmal) formgerecht begründet. Die Akten hat das Oberlandesgericht zur Entgegennahme einer etwaigen (weiteren) Begründung des Zulassungsantrags an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückgegeben (234R ff. d. A.)
13Der Beschluss ist dem Betroffenen am 24.02.2024 zugestellt worden (Bl. 238, 240 d. A.).
14Am 00.03.2024 (Montag) hat der Betroffene seinen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu Protokoll der Geschäftsstelle bei dem Amtsgericht Geilenkirchen begründet und erklärt, er beantrage Wiedereinsetzung in die Frist zur Begründung des Antrages auf Zulassung der Rechtsbeschwerde und das Verfahren nach § 47 Abs. 2 OWiG einzustellen. Im Folgenden hat der Betroffene in Ergänzung zum Protokoll vom 00.11.2023 zum Verfahrensverlauf vorgetragen und den Inhalt des Entbindungsantrags sowie den gerichtlichen Ablehnungsbeschluss vollständig wiedergegeben (Bl. 264 ff. d. A.).“
15Hierauf wird Bezug genommen.
16Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen, das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückzuverweisen.
17II.
181.
19Der Antrag des Betroffenen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen vom 20. Oktober 2023 hat Erfolg.
20Dem Betroffenen war - auf seinen Antrag vom 25. März 2024 - gemäß §§ 44 StPO, 46 Abs. 1 OWiG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, nachdem er sein Vorbringen vor der Rechtsantragstelle des Amtsgerichts Geilenkirchen ergänzt hat und hinreichend glaubhaft gemacht ist, dass der Zulassungsantrag ursprünglich ohne Verschulden des Betroffenen nicht ausreichend begründet worden war.
212.
22Der nach Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in formeller Hinsicht keinen Zulässigkeitsbedenken mehr unterliegende Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat - ebenfalls - Erfolg.
23Er führt gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 OWiG zur Zulassung der Rechtsbeschwerde.
24Der Betroffene rügt mit Erfolg die Versagung rechtlichen Gehörs.
25Diese führt zur Begründetheit der Rechtsbeschwerde.
26Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Geilenkirchen zurückzuverweisen (§ 79 Abs. 6 OWiG).
27Die Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die in ihrer Vorlageverfügung vom 28. Mai 2024 das Folgende ausgeführt hat:
28„Der in formeller Hinsicht unbedenkliche Zulassungsantrag führt in der Sache mit der nunmehr ordnungsgemäß erhobenen Rüge der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) - vorläufig - zum Erfolg.
291.
30Die Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe den Antrag des Betroffenen, ihn gemäß § 73 Abs. 2 OWiG von der gesetzlichen Pflicht zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, rechtsfehlerhaft abgelehnt sowie verspätet bekannt gegeben und durch die Verwerfung seines Einspruchs gemäß § 74 Abs. 2 OWiG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, ist zulässig erhoben.
31Die Rechtsmittelbegründung trägt nunmehr den Inhalt des Entbindungsantrags sowie des gerichtlichen Ablehnungsbeschlusses ausreichend vollständig vor. Der Betroffene hat insbesondere vorgetragen, dass er zum damaligen Zeitpunkt nicht beabsichtigt habe, sich in der Hauptverhandlung in tatsächlicher Hinsicht einzulassen.
322.
33Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, da das angefochtene Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
34Das Amtsgericht hätte den Betroffenen nicht als säumig im Sinne des § 74 Abs. 2 OWiG behandeln dürfen.
35a)
36Zwar ist Entbindungsantrag an keine Frist gebunden und kann vom Betroffenen noch in der Hauptverhandlung vor Verhandlung zur Sache gestellt werden (OLG Hamm StraFo 2006, 425; OLG Brandenburg ZfS 2004, 235; OLG Naumburg ZfS 2002, 595). Stellt er den Antrag so spät, dass ihn die ablehnende Entscheidung nicht mehr rechtzeitig vor dem Termin erreicht, ist sein Ausbleiben im Termin unentschuldigt. Wird der Antrag so kurz vor der Hauptverhandlung gestellt, dass seine Bescheidung erst in der Hauptverhandlung möglich ist, geht der ausgebliebene Betroffene das Risiko ein, dass sein Einspruch im Falle der Antragsablehnung nach § 74 Abs. 2 ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil verworfen wird (KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, OWiG § 73 Rn. 18).
37b)
38Gemessen hieran, liegt keine verspätete Antragsstellung vor, die zu einem unentschuldigten Ausbleiben des Betroffenen führt. Der mit Schreiben vom 00.10.2023 gestellte Antrag auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen ging am 00.10.2023, eine Woche vor dem zur Hauptverhandlung bestimmten Termin, bei Gericht ein. Die Zurückweisung des Antrags erfolgte mit Beschluss vom 20.10.2023, mithin am Tag des Hauptverhandlungstermins. Einen Tag zuvor hatte der Betroffene sich telefonisch bei der Abteilungsgeschäftsstelle des Amtsgerichts nach dem Eingang seines Schreibens sowie zum Bestehen des Termins erkundigt. Der Antrag des Betroffenen auf Entbindung vom persönlichen Erscheinen war mit Eingang am 00.10.2023 beim Amtsgericht so rechtzeitig gestellt, dass eine Bescheidung vor dem Hauptverhandlungstermin möglich war.
39c)
40Darüber hinaus hat der Tatrichter dem Antrag nach § 73 Abs. 2 OWiG stattzugeben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Entbindung vorliegen, wenn sich also der Betroffene zur Sache geäußert oder erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht äußern und seine Anwesenheit zur Sachverhaltsaufklärung nicht erforderlich ist (vgl. SenE v. 22.05.2003 - Ss 169/03 (Z) - = VRS 105, 207; SenE v. 21.10.2008 - 83 Ss-OWi 97/08 - = BeckRS 2008, 23087 = NZV 2009, 52; SenE v. 02.09.2014 - III-1 RBs 222/14 -). Die Entscheidung steht nicht im Ermessen des Gerichts (vgl. bereits: SenE v. 22.05.2003 - Ss 169/03 (Z) - a.a.O.).
41Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung, der sein Schweigen zum Tatvorwurf angekündigt hat, kann zwar im Einzelfall dennoch unverzichtbar sein, wenn nur dadurch die gebotene Sachaufklärung möglich ist (vgl. SenE v. 21.10.2008 - 83 Ss-OWi 97/08 - 252 Z -, juris; KG Berlin, Beschl. v. 11.12.2017 - 3 Ws (B) 310/17 -, juris; Hettenbach in BeckOK, OWiG, 39. Ed., § 73 Rn. 18; Krenberger/Krumm in Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Auflage, § 73 Rn. 8).
42d)
43Hieran gemessen sind Gründe, die eine Ablehnung des Entbindungsantrags rechtfertigen konnten, vorliegend nicht ersichtlich.
44Die vom Gesetz als eine der Zulässigkeitsvoraussetzungen für das Abwesenheitsverfahren nach § 74 Abs. 1 OWiG geforderte Erklärung des Betroffenen, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern, kann nicht mit der Rechtsfolge der Antragsablehnung mit der nur vagen Hoffnung unterlaufen werden, der zum Schweigen entschlossene Betroffene könne bei Anwesenheit in der Hauptverhandlung (vielleicht) doch anderen Sinnes werden (OLG Naumburg, Beschl. vom 5.5.2014 – 2 Ws 76/14 = BeckRS 2014, 14973; OLG Köln NZV 2013, 50 mwN; KG NStZ 2011, 584; NStZ-RR 2007, 181; OLG Bamberg SVR 2009, 393; OLG Karlsruhe VRS 111, 429; OLG Düsseldorf ZfS 2008, 594; OLG Koblenz NZV 2007, 587; OLG Naumburg StraFo 2007, 207; OLG Zweibrücken DAR 2000, 86; VRS 98, 215; KK-OWiG/Senge, 5. Aufl. 2018, OWiG § 73 Rn. 23). Insofern hat der Betroffene in seinem Entbindungsantrag trotz der Formulierung „zum jetzigen Zeitpunkt“ ausdrücklich erklärt, sich im Hauptverhandlungstermin nicht in tatsächlicher Hinsicht einzulassen. Gründe die seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts erforderlich erscheinen lassen sind nicht ersichtlich.“
45Dem stimmt der Senat zu.
46III.
47Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Wiedereinsetzung beruht auf §§ 473 Abs. 7 StPO, 46 OWiG (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl., § 473 Rdn. 38).