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Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 16.249,13 € festgesetzt.
Gründe
2I.
3Wegen des erstinstanzlichen Sachvortrags, des Hergangs des erstinstanzlichen Verfahrens und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
4Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 16.249,13 € nebst Rechtshängigkeitszinsen verurteilt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich ein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten auf Zahlung von 16.249,13 € aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ergebe. Denn die zwischen den Parteien geschlossenen Spielverträge seien wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 gemäß § 134 BGB nichtig. Der Rückzahlungsanspruch des Klägers sei auch nicht nach den Vorschriften der §§ 817 S. 2, 762 Abs. 1 S. 2, 242 BGB ausgeschlossen. Dem Anspruch des Klägers stehe auch nicht die von der Beklagten erhobene Einrede der Verjährung entgegen, da eine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers im Jahre 2018 nicht habe festgestellt werden können. Der Kläger habe ausgeführt, dass er Anfang des Jahres 2022 Kenntnis von der Illegalität des Online-Glückspiels erlangt habe, nachdem er auf einen Artikel gestoßen sei, der die Illegalität des Online-Glücksspiels thematisierte, woraufhin er seine jetzigen Prozessbevollmächtigten im Internet recherchiert habe, die ihm die Rechtslage erläutert hätten. Dem sei die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten.
5Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der diese ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie Folgendes aus:
6Zu Unrecht sei das Landgericht von der Nichtigkeit der Spielverträge wegen Verstoßes gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ausgegangen.
7Bezüglich der Casinospiele sei zwar die Vorschrift des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 anzuwenden. Eine Nichtigkeit nach § 134 BGB sei dennoch zu verneinen. Maßgebend sei insoweit, dass lediglich ein einseitiger Verstoß des Glückspieleanbieters gegen § 4 GlüStV 2012 vorliege und diese Vorschrift nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.09.2022 (XI ZR 515/21) keinen Schutz des Spielers bezwecke. Das Verlustrisiko sei dem Spiel nämlich immanent und wirksamere Maßnahmen gegen unerlaubtes Glücksspiel seien mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts zu erzielen. Überdies stehe der Spieler bei der Annahme der Nichtigkeit des Spielvertrags schlechter da, da so vertragliche (Schadensersatz-)Ansprüche entfielen. Schließlich sei das ehemalige Totalverbot auch vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtslage zu beleuchten.
8Ein etwaiger Anspruch sei überdies nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen, da der Kläger sich der Rechtslage leichtfertig verschlossen habe.
9Weil der Kläger zum Zwecke der Gewinnerzielung regelmäßig Einzahlungen auf sein Spielerkonto geleistet habe, er nun jedoch entstandene Verluste zurückfordere, obwohl umgekehrt bisherige Gewinne und Auszahlungen nie von dem Kläger an die Beklagte herausgegeben werden sollten, müsse das Verhalten des Klägers zudem als widersprüchlich und treuwidrig im Sinne von § 242 BGB gewertet werden.
10Schließlich bestünden auch keine Ansprüche des Klägers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 bzw. § 284 StGB. Denn bei § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 und § 284 StGB handele es sich nicht um Schutzgesetze. Im Übrigen sei dem Kläger kein Schaden entstanden, da er die Einsätze freiwillig getätigt habe und das Verlustrisiko dem Glücksspiel immanent sei. Jedenfalls treffe den Kläger ein Mitverschulden im Sinne von § 254 BGB.
11Ansprüche seien zudem jedenfalls teilweise verjährt. Entscheidend für den Beginn der Verjährungsfrist sei die Kenntnis der Tatsachen, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergebe. Der Kläger habe insoweit den deutlich sichtbaren Hinweis auf die S. Lizenz der Beklagten nicht übersehen können.
12Bezüglich der Sportwetten stehe der Nichtigkeitsfolge bereits entgegen, dass insoweit kein uneingeschränktes Internetverbot bestanden habe. Es habe auch kein unerlaubtes Glücksspiel vorgelegen. Die Genehmigung eines anderen Mitgliedsstaats der Europäischen Union sei ausreichend. Zudem sei von einer aktiven behördlichen Duldung des Sportwettenangebots der Beklagten auszugehen, was einer Erlaubnis gleichstehe. Die Beklagte verweist insoweit u.a. auf ihre Teilnahme am Konzessionsverfahren, auf den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29.05.2017 (8 B 2744/16) und auf das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23.01.2017 (4 A 3244/06) sowie auf die Ordnungsverfügung der Bezirksregierung Düsseldorf vom 17.09.2019 (Anlage BK15 = Bl. 325 f. d.A.).
13Schließlich sei die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache C-440/23 geboten. Insoweit nimmt die Beklagte insbesondere Bezug auf die Aussetzungsentscheidung des Bundesgerichts vom 10.01.2024 (I ZR 53/23).
14Die Beklagte beantragt,
151. unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 8. August 2023, Az. 30 O 164/22, die Klage abzuweisen;
162. hilfsweise die Revision zuzulassen;
173. das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 148 ZPO auszusetzen
18a) bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der anhängigen Rechtssache C-440/23 sowie ergänzend
19b) bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dem anhängigen Verfahren Az. I ZR 90/23.
20Der Kläger beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Er verteidigt das angegriffene Urteil und wiederholt und vertieft hierzu seinen erstinstanzlichen Vortrag.
23II.
24Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
25Denn das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von 16.249,13 € nebst Rechtshängigkeitszinsen verurteilt.
26A)
27Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die internationale Zuständigkeit gegeben. Diese folgt aus Art. 18 Abs. 1 EuGVVO, da es sich bei dem Kläger um einen Verbraucher im Sinne von Art. 17 Abs. 1 EuGVVO handelt.
281.
29Als Verbraucher ist (in autonomer Auslegung) jede natürliche Person anzusehen, die Verträge zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs schließt, sofern diese nicht ihrer gegenwärtigen oder zukünftigen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können; Verbraucher ist daher auch die Person, die einen Vertrag über die Teilnahme am Online-Poker-Spiel mit dem Ziel abschließt, daraus erhebliche Gewinne zu erwirtschaften (vgl. Gottwald in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., Art. 17 Brüssel Ia-VO Rn. 2). Für die Teilnahme an sonstigen Online-Glücksspielen gilt nichts anderes.
30Eine unternehmerische oder gewerbliche Tätigkeit des Klägers ist weder vorgetragen noch aus den Umständen erkennbar.
312.
32Auch richtet die Beklagte ihre Tätigkeit im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. c) EuGVVO auf Deutschland aus. So sind ihre Glücksspielangebote gerade auch in deutscher Sprache verfügbar; wird den Verbrauchern auf der Website die Verwendung einer anderen Sprache als derjenigen ermöglicht, die in dem Mitgliedstaat des Gewerbetreibenden üblicherweise verwendet wird, so kann dies einen Anhaltspunkt bilden, der die Annahme erlaubt, dass die Tätigkeit des Gewerbetreibenden auf andere Mitgliedstaaten ausgerichtet ist (vgl. EuGH, Urteil v. 07.12.2010, C-585/08 und C-144/09, zitiert nach juris Rn. 84). Vorliegend kommt durch das Angebot in deutscher Sprache gerade auch die Absicht der Beklagten zum Ausdruck, um deutsche Kunden zu werben.
333.
34Von der Regelung gemäß Art. 17, 18 EuGVVO erfasst sind auch Bereicherungsansprüche als Folge der Rückabwicklung des Vertrages (vgl. Gottwald, a.a.O., Rn. 5).
354.
36In der Rechtsfolge kann der Kläger als Verbraucher nach Art. 18 Abs. 1 EuGVVO den Gerichtsstand an seinem Wohnsitz wählen, der neben der internationalen zugleich auch die örtliche Zuständigkeit umfasst (vgl. Gottwald in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., Art. 18 Brüssel Ia-VO Rn. 4).
37B)
38Dem Kläger steht gegen die Beklagte gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ein Anspruch auf Zahlung von 16.249,13 € zu.
391.
40Die Anwendung deutschen Rechts folgt aus Art. 6 Abs. 1 lit b) Rom-I-VO. Hiernach unterliegt ein Verbrauchervertrag dem Recht des Staates, in dem der Verbraucher seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern der Unternehmer seine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit auf diesen Staat ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Die Voraussetzungen liegen bei Spielerklagen gegen ausländische Online-Glücksspielanbieter – entsprechend den vorstehenden Ausführungen zu Art. 18 Abs. 1 EuGVVO – vor.
412.
42Der Kläger kann Rückzahlung seiner Spieleinsätze gemäß §§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB verlangen, da die zwischen den Parteien geschlossenen Spielverträge gemäß § 134 BGB von Anfang an nichtig waren.
43a)
44Die Beklagte hat die Wetteinsätze des Klägers durch dessen Leistungen erhalten und dadurch einen Vermögensvorteil erlangt.
45b)
46Die zwischen den Parteien zustande gekommenen Verträge sind gemäß § 134 BGB nichtig, da sie gegen § 4 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 GlüStV 2012 verstießen.
47i.
48Dies gilt zunächst für die Verträge über Online-Casinospiele.
49(1)
50Nach § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 war das Veranstalten von Glücksspielen im Internet verboten.
51Die Vorschrift des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 war im fraglichen Zeitraum wirksam und auch materiell mit dem Unionsrecht vereinbar.
52Aus dem Verbot des Veranstaltens von Glücksspielen im Internet gemäß § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 ergab sich insbesondere keine inkohärente Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Art. 56 AEUV (vgl. hierzu ausführlich: BGH, Urteil v. 28.09.2011, I ZR 92/09, zitiert nach juris Rn. 33 ff. zur gleichlautenden Norm des § 4 Abs. 4 GlüStV 2008; BGH, Urteil v. 22.07.2021, I ZR 194/20, zitiert nach juris Rn. 45; BVerwG, Urteil v. 26.10.2017, 8 C 18/16, zitiert nach juris Rn. 38 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss v. 08.04.2022, 23 U 55/21, zitiert nach juris Rn. 48; OLG Köln, Urteile v. 10.05.2019, 6 U 196/18, zitiert nach juris Rn. 70, 82 und v. 31.10.2022, 19 U 51/22, zitiert nach juris Rn. 53; OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.04.2023, 14 U 256/21, zitiert nach juris Rn. 60-71; OLG Dresden, Urteil v. 31.05.2023, 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231, Rn. 30 ff.). Die Regelung erwies sich auch nicht als Unverhältnismäßig (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 36).
53Dass der von § 4 Abs. 4 GlüStV 2012 bewirkte Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV gerechtfertigt ist, wird nicht dadurch infrage gestellt, dass das Verbot im Glücksspielstaatsvertrag 2021 zu Gunsten eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalt entfallen ist. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten ergibt sich aus der Öffnung des Onlinemarkts für Glücksspiele mit dem Glücksspielstaatsvertrag 2021 nicht, dass sich die besondere Gefährlichkeit des Online-Glücksspiels nicht bewahrheitet hätte. Die Neuregelung stellt sich vielmehr als eine Reaktion auf eine nach Inkrafttreten des GlüStV 2012 zu verzeichnende Entwicklung dar, dass das Verbot von Online-Glücksspielen den (insbesondere vom Ausland aus operierenden) Schwarzmarkt nicht eindämmen konnte, sondern dieser sogar angewachsen ist mit der Folge, dass die weiterhin geltenden Ziele des § 1 S. 1 GlüStV 2012 nicht effektiv verwirklicht werden konnten; darauf, dass das Internetverbot zur Erreichung dieser Ziele von vornherein ungeeignet war, kann hieraus nicht geschlossen werden (vgl. hierzu ausführlich OLG Brandenburg, Urteil v. 16.10.2023, 2 U 36/22, zitiert nach juris Rn. 45 ff.).
54(2)
55Daneben liegen auch Verstöße gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 vor.
56Nach dieser Vorschrift durften öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden und das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) war verboten.
57Auch eine Unionsrechts- oder Verfassungswidrigkeit dieser Normen ist nicht anzunehmen.
58Mangels Erlaubnis war das Angebot des Online-Glücksspiels formell rechtswidrig.
59Die Beklagte hatte in dem hier maßgebenden Zeitraum unstreitig keine Erlaubnis der zuständigen nationalen Behörde und sie ermöglichte es dem Kläger dennoch, von Deutschland aus im mit der Klage geltend gemachten Umfang im Internet Glücksspiele zu tätigen.
60Die in S. erteilte Lizenz machte eine von der zuständigen nationalen Behörde erteilte Lizenz nicht entbehrlich. Eine Pflicht zur Anerkennung der S. Lizenz bestand nicht (vgl. EuGH, Urteil v. 08.09.2010, C-316/07, zitiert nach juris Rn. 112).
61ii.
62Das Veranstalten von Sportwetten im Internet durch die Beklagte stellt jedenfalls einen Verstoß gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 dar.
63Wie bereits ausgeführt, durften nach § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden und das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) war verboten.
64Diese Vorschrift galt für öffentliche Glücksspiele aller Art und beinhaltete danach eine Grundregelung, die auch für Online-Sportwetten galt.
65Mangels Erlaubnis war auch das Angebot der Online-Sportwetten formell rechtswidrig.
66(1)
67Die Beklagte hatte unstreitig keine Erlaubnis der zuständigen nationalen Behörde und sie ermöglichte es dem Kläger dennoch, von Deutschland aus im mit der Klage geltend gemachten Umfang im Internet Glücksspiele in Form von Sportwetten zu tätigen.
68(2)
69Es kann – entgegen der Ansicht der Beklagten – auch nicht von einem Erlaubnisäquivalent etwa in Form einer aktiven Duldung ausgegangen werden.
70Soweit die Bezirksregierung Düsseldorf eine gegen die Beklagte gerichtete Unterlassungsverfügung vom 17.9.2019 (Anlage BK 15 = Bl. 325 f. d.A.) ausdrücklich auf Online-Casino Angebote beschränkt hat, ist hiermit nicht ohne Weiteres die Erklärung verbunden, dass die Veranstaltung von Sportwetten im Internet akzeptiert werde. Denn es handelt sich nicht um eine Erlaubnis- sondern um eine Ordnungsverfügung, deren Reichweite durch die Erklärung zum Sportwettenangebot festgelegt werden sollte.
71Soweit die Beklagte sich schließlich auf den veröffentlichten Entwurf des 2. Glücksspieländerungsstaatsvertrags bezieht, ist dieser nie in Kraft getreten.
72(3)
73Das Rechtswidrigkeitsverdikt wird durch eine etwaige passive oder aktive Duldung des Internet-Sportwettenangebots der Beklagten durch die für eine etwaige Ahndung zuständigen Behörden ohnehin ebenso wenig in Frage gestellt wie durch verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, kraft derer eine Einschätzung der Beklagten, es sei mit behördlichen Maßnahmen gegen ihr Internet-Sportwettenangebot nicht zu rechnen, gerechtfertigt gewesen sein mag.
74Die Frage der Duldung durch Verwaltungsbehörden kann deshalb dahinstehen, weil der durch zivilrechtliche Anspruchsgrundlagen gewährte Schutz privater (natürlicher oder juristischer) Personen einerseits und die Frage der verwaltungsbehördlichen Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verhaltenspflichten andererseits grundsätzlich unabhängig voneinander zu beantworten sind. Der Bestand und die Durchsetzbarkeit eines zivilrechtlichen Anspruchs (hier aus § 812 Abs. 1 BGB) hängt nicht davon ab, ob mit einer Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Verhaltenspflichten seitens der zuständigen Behörden zu rechnen ist, weshalb eine Berufung darauf, die zuständige Verwaltungsbehörde sei gegen einen Gesetzesverstoß nicht vorgegangen, zivilrechtlich nicht verfängt und insbesondere der Anwendung von § 134 BGB nicht entgegensteht (vgl. BGH, Urteil v. 22.07.2021, I ZR 194/20, zitiert nach juris Rn. 53; KG, Urteil v. 06.10.2020, 5 U 72/19, zitiert nach juris Rn. 53; OLG Frankfurt, Beschluss v. 08.04.2022, 23 U 55/21, zitiert nach juris Rn. 49; OLG Dresden, Urteil v. 27.10.2022, 10 U 736/22, zitiert nach juris Rn. 48 ff.). Selbst wenn in Zusammenhang mit einer Duldung öffentlich-rechtliche Sanktionen nicht hätten erfolgen können oder/und die materiellen Voraussetzungen einer Erlaubniserteilung vorlagen oder/und ein Anspruch auf Erteilung einer Konzession bestanden hätte, so führte dies demgemäß nicht dazu, dass ohne tatsächliche Konzessionserteilung oder in der Zeit vor Erteilung in dem allein zivilrechtlich zu bewertenden Verhältnis zum spielenden Verbraucher zu dessen Nachteil der Schutz des GlüStV 2012 entfiele und aus dem verbotenen Angebot eines Online-Glücksspiels bereits ein erlaubtes Online-Glücksspiel würde (vgl. LG Köln, Urteil v. 30.03.2023, 36 O 290/20, zitiert nach juris Rn. 46).
75Abweichendes lässt sich auch nicht aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung herleiten, da dieser einer unterschiedlichen Erfassung eines Lebenssachverhaltes im öffentlich-rechtlichen Regelungskontext gegenüber der Behandlung in Zusammenhang mit der Frage des Eingreifens einer zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage nicht entgegensteht. Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips verpflichtet die rechtsetzenden Organe des Bundes und der Länder, die Inhalte von Rechtssätzen so aufeinander abzustimmen, dass den Normadressaten keine gegenläufigen Regelungen erreichen (vgl. BVerfG, Urteil v. 07.05.1998, 2 BvR 1991/95, zitiert nach juris Rn. 58; vgl. hierzu auch Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, 3. Aufl., § 100 Rn. 85 ff.). Dieser Grundsatz ist jedoch nicht verletzt, wenn der Normgeber mit abweichenden Regelungen der Eigenart der verschiedenen Regelungsbereiche Rechnung trägt, was insbesondere unterschiedliche Wertungen im Zivilrecht gegenüber dem öffentlichen Recht rechtfertigen kann (vgl. BVerfG, Beschluss v. 15.07.1969, 1 BvR 457/66, zitiert nach juris Rn. 21 zu unterschiedlichen Wertungen im Steuer- und Handelsrecht).
76Mit diesem Gehalt ist der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung von der fachgerichtlichen Rechtsprechung aufgegriffen worden (vgl. nur BVerwG, Urteil v. 22.12.1999, 11 C 9/99, zitiert nach juris Rn. 20 ff.; BSG, Urteil v. 24.10.2019, B 9 SB 1/18 R, zitiert nach juris Rn. 27). Im zivilrechtlichen Kontext ist er insbesondere dafür herangezogen worden, um im Rahmen einer systematischen Auslegung zur Bestimmung des objektiven Willens des Gesetzgebers auf Normen anderer Gesetze zurückzugreifen (vgl. hierzu BGH, Beschluss v. 12.06.2006, II ZB 21/05, zitiert nach juris Rn. 10; Urteil v. 06.12.2017, XII ZR 95/16, zitiert nach juris Rn. 22, Urteil v. 13.10.2021, VIII ZR 91/20, zitiert nach juris Rn. 73), wobei abweichende Wertungen im öffentlichen Recht gegenüber dem Zivilrecht insbesondere mit den Aspekten der schon im Grundsatz nach Sachbereichen differenzierten Rechtsordnung sowie der unterschiedlichen Zielsetzungen in den jeweiligen Regelungszusammenhängen als gerechtfertigt bewertet worden sind (vgl. BGH, Urteil v. 13.10.2021, VIII ZR 91/20, zitiert nach juris Rn. 73 zu unterschiedlichen Wertungen im Sozialrecht und Mietrecht).
77Vorliegend stellte sich demgegenüber kein Auslegungsproblem. Das Rechtswidrigkeitsverdikt des § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 ist eindeutig und wird auch von den verwaltungsbehördlichen und -gerichtlichen Wertungen, auf welche sich die Beklagte beruft, nicht in Frage gestellt. Ferner ergibt sich auch kein Wertungswiderspruch, da sich nicht nur die Wirkung der Duldung, sondern auch der Aussagegehalt der sie tragenden Erwägungen auf den öffentlich-rechtlichen Bereich und die Frage des Drohens einer öffentlich-rechtlichen Sanktionierung beschränkt.
78Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Beklagten zitierten Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (Beschluss v. 29.05.2017, 8 B 2744/16, zitiert nach juris) und des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Urteil v. 23.01.2017, 4 A 3244/06, zitiert nach juris). Hierin wird zwar ausgeführt, dass das Fehlen einer Erlaubnis nicht daran hindere, Sportwetten zu veranstalten bzw. zu vermitteln, da ein unionsrechtskonformes Erlaubnisverfahren nicht zur Verfügung stehe. Die Entscheidungen betreffen indes allein das Verhältnis zwischen den beteiligten Unternehmen und den zuständigen Behörden. In dem Verfahren, das der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs zugrunde lag, ging es um die Frage, ob das Land Hessen berechtigt war, von einem Sportwettenveranstalter mit Sitz in S. die Teilnahme an einem Duldungsverfahren zu verlangen, um einer Untersagungsverfügung oder einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zu entgehen. Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen hat festgestellt, dass das Fehlen einer Erlaubnis die dortige Klägerin nicht daran hindere, Sportwetten zu vermitteln, wobei es zur Begründung eines berechtigten Feststellungsinteresses insbesondere ausgeführt hat, dass die Klärung die Rechtsposition der Klägerin mittelbar auch gegenüber der Ordnungsbehörde verbessern könne (a.a.O., Rn. 31). Dass ein Verbraucher sich gegenüber einem Sportwettenveranstalter, der ohne Erlaubnis öffentliches Glücksspiel anbietet, nicht auf den förmlichen Verstoß gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 berufen kann, lässt sich den vorgenannten Entscheidungen demgegenüber nicht entnehmen.
79(4)
80Für die Frage, ob die Beklagte mit ihrem Sportwettenangebot gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 1 GlüStV verstoßen hat, ist es ohne Relevanz, ob die Vorschriften des GlüStV 2012 zur Erlangung einer Konzession für Sportwetten gegen Unionsrecht verstießen. Eine etwaige Unionsrechtswidrigkeit führt nämlich nicht dazu, dass der Betreiber von Glücksspiel einen Anspruch auf eine Erlaubnis hätte, weil sein Angebot dann ohne weiteres als materiell rechtmäßig einzuordnen wäre. Denn eine Unionsrechtswidrigkeit führt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union allein dazu, dass die unionsrechtswidrige Vorschrift unionsrechtskonform auszugestalten wäre, nicht aber dazu, dass die Veranstaltung und Vermittlung der betroffenen Glücksspiele voraussetzungslos genehmigt werden müsste (vgl. zu Online-Zweitlotterien: BGH, Beschluss v. 08.11.2023, I ZR 148/22, zitiert nach juris Rn. 15 ff. m.w.N.).
81(5)
82Ein abweichendes Ergebnis folgt auch nicht aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache „Ince“ (Urteil v. 04.02.2016, C-336/14). Aus dieser Entscheidung ergibt sich nur, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat, nicht aber, dass er bei einer derartigen Verletzung des Unionsrechts verpflichtet wäre, die fragliche Tätigkeit zu dulden oder zu genehmigen. Er ist lediglich gehalten, über Anträge auf Erlaubnis der fraglichen Tätigkeit auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien zu entscheiden. Einen bestimmten Inhalt dieser Entscheidungen gibt ihm das Unionsrecht dagegen nicht vor (vgl. BGH, Beschluss v. 26.01.2023, I ZR 79/22, zitiert nach juris Rn. 29; BGH, Beschluss v. 26.01.2023, I ZR 148/22, zitiert nach juris Rn. 16). Dementsprechend kann der Entscheidung auch nicht entnommen werden, dass die zivilrechtlichen Schuldverhältnisse zwischen Online-Sportwettenanbieter und Spieler als wirksam anzusehen sein sollen.
83iii.
84Die Vorschrift des § 4 Abs. 1 und Abs. 4 GlüStV 2012 stellt ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB dar (vgl. BGH, Beschluss v. 22.03.2024, I ZR 88/23, zitiert nach juris Rn. 19 ff.)
85(1)
86Der Nichtigkeit gemäß § 134 BGB steht nicht entgegen, dass sich die Verbotsnormen des § 4 GlüStV 2012 nur an die Beklagte, nicht jedoch an den Kläger richten. Betrifft das gesetzliche Verbot nur einen Vertragspartner, so hat dies zwar im Regelfall nicht die Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts zur Folge; anderes gilt aber, wenn es mit dem Sinn und Zweck des Verbotsgesetzes nicht vereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen, und hieraus die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts gefolgert werden muss (vgl. BGH, Urteile v. 22.05.1978, III ZR 153/76, zitiert nach juris Rn. 17 und v. 12.05.2011, III ZR 107/10, zitiert nach juris Rn. 12 m.w.N.). Sinn und Zweck der Verbote des GlüStV 2012 war insbesondere auch die Verhinderung der Entstehung von Spielsucht sowie der Jugend- und Spielerschutz (vgl. BGH, Beschluss v. 22.3.2024, I ZR 88/23, zitiert nach juris Rn. 28-31; OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.04.2023, 14 U 256/21, zitiert nach juris Rn. 59). Diesen Zielen liefe es zuwider, geschlossene Verträge über Online-Glücksspiele trotz des Verbots als wirksam anzusehen (BGH, a.a.O.; vgl. auch Vossler in: BeckOGK, BGB, Stand: 01.03.2024, § 134 Rn. 221).
87(2)
88Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB ausnahmsweise nicht erforderlich ist.
89(a)
90Derartiges ergibt sich entgegen der Auffassung der Beklagten insbesondere nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13.09.2022 (XI ZR 515/21, zitiert nach juris). Hiernach ist aufgrund des Zusammenhangs mit der Norm des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 GlüStV 2012 der gesetzgeberische Wille anzunehmen, dass durch § 4 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GlüStV 2012 nicht in das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen Zahlungsdienstleister und Zahlungsdienstnutzer eingegriffen werden sollte (BGH, a.a.O., Rn. 16). Diese Überlegung lässt sich indes nicht auf das Verhältnis zwischen Glücksspielanbieter und Spieler übertragen (BGH, Beschluss v. 22.3.2024, I ZR 88/23, zitiert nach juris Rn. 39); denn das an den Zahlungsdienstleister gerichtete Verbot und die damit zusammenhängende Befugnis der Glücksspielaufsicht dienen dazu, über den Zahlungsdienstleister mittelbar auf die Glücksspielanbieter einzuwirken, insbesondere auch auf die Anbieter, die ihren Sitz im Ausland haben und für deutsche Behörden daher kaum erreichbar sind; demgegenüber ist kein Wille der Landesgesetzgeber erkennbar, das Vorgehen gegen Glücksspielanbieter, die gegen das im Glücksspielstaatsvertrag geregelte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verstoßen, zu begrenzen und insbesondere nicht in das zivilrechtliche Schuldverhältnis zwischen Glücksspielanbieter und Spieler einzugreifen (vgl. BGH, Beschluss v. 22.03.2024, I ZR 88/23, zitiert nach juris Rn. 39).
91(b)
92Dass gegen die Beklagte in Bezug auf ihr Online-Sportwettenangebot behördliche Maßnahmen möglicherweise ausgeschlossen waren, veranlasst keine Einschränkung der Nichtigkeitsfolge.
93Dies folgt bereits aus der Wertung des § 284 StGB, der verwaltungsakzessorisch ausgestaltet ist, so dass grundsätzlich bereits das Fehlen einer behördlichen Erlaubnis den Tatbestand ungeachtet einer möglichen materiell-rechtlichen Genehmigungsfähigkeit erfüllt. Im Übrigen wird auf die vorstehenden Ausführungen (Ziffer B) 2. b) ii. (3)) Bezug genommen.
94(c)
95Es kann auch dahinstehen, ob die mit den Spielverträgen getroffene Regelung trotz Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 ausnahmsweise hingenommen werden kann, wenn der Sportwettenanbieter im maßgeblichen Zeitraum bereits eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten beantragt hat, das für diesen Antrag geltende Konzessionserteilungsverfahren aber unionsrechtswidrig war, und das Sportwettenangebot dieses Anbieters daher weder verwaltungsrechtlich untersagt noch strafrechtlich sanktioniert werden konnte. Denn auch in einer solchen Konstellation hat es bei der Nichtigkeitsfolge nach § 134 BGB zu bleiben, wenn das in Frage stehende Sportwettenangebot auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen wäre (vgl. BGH, Beschluss v. 22.03.2024, I ZR 88/23, zitiert nach juris Rn. 45 ff.).
96Vorliegend wäre das Sportwettenangebot der Beklagten auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht erlaubnisfähig gewesen. Denn die Beklagte hat den Höchsteinsatz je Spieler unter Missachtung der Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 2 GlüStV 2012 nicht auf einen Betrag von 1.000,00 € pro Monat begrenzt. So folgt aus den von dem Kläger vorgelegten Übersichten (Anlagenkonvolut K14 = Bl. 881 ff. der LG-Akte), dass der Kläger im Monat Oktober 2020 auf Sportwetten Einsätze in Höhe von 1.604,14 € tätigte (siehe insbes. Bl. 1371, 1403 f. u. 1406 f. der LG-Akte).
97c)
98Die Rückforderung ist vorliegend nicht gemäß § 762 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen, da die Regelung nur dann anzuwenden ist, wenn der Spiel- oder Wettvertrag wirksam ist (vgl. Haertlein in: BeckOGK, BGB, Stand: 01.01.2024, § 762 BGB Rn. 116). Verstößt der Spiel- oder Wettvertrag dagegen – wie vorliegend – gegen ein gesetzliches Verbot, ist der Rückforderungsausschluss nach § 762 Abs. 1 S. 2 BGB nicht anwendbar (vgl. BGH, Urteil v. 12.07.1962, VII ZR 28/61, zitiert nach juris Rn. 15; Laukemann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK, BGB, 10. Aufl., Stand: 14.07.2023, § 762 Rn. 42).
99d)
100Der Rückforderung steht auch nicht die Vorschrift des § 817 S. 2 BGB entgegen. Der Ausschluss der Rückforderung nach dieser Vorschrift greift nur ein, wenn der Leistende vorsätzlich verbots- oder sittenwidrig gehandelt oder sich der Einsicht in das Verbots- oder Sittenwidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen hat (vgl. BGH, Urteile v. 26.01.2006, IX ZR 225/04, zitiert nach juris Rn. 28; v. 14.12.2016, IV ZR 7/15, zitiert nach juris Rn. 43 und v. 01.10.2020, IX ZR 247/19, zitiert nach juris Rn. 33).
101Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.
102Wendet der Bereicherungsschuldner ein, dass dem Leistenden ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten zur Last fällt, so trägt er hierfür die Darlegungs- und Beweislast, da es sich bei § 817 S. 2 BGB um eine rechtshindernde Einwendung handelt (vgl. Schwab in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 817 Rn. 91). Ihrer Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf einen Gesetzesverstoß des Klägers ist die Beklagte indes nicht nachgekommen. Insbesondere kann von einem Verstoß des Klägers gegen § 285 StGB nicht ausgegangen werden. Dieser erforderte zumindest bedingten Vorsatz (vgl. Heine/Hecker in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl., § 285 Rn. 4). Einen solchen hat die Beklagte indes nicht hinreichend dargetan.
103Der Kläger ist insoweit auch seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem er mit Schriftsatz vom 13.12.2022 (dort S. 25 f. = Bl. 660 f. der LG-Akte) vorgetragen hat, während des streitgegenständlichen Zeitraums nichts von der Illegalität von Online-Glückspielen gewusst zu haben und erst Anfang des Jahres 2022 zufällig auf einen Artikel gestoßen zu sein, in dem diese Fragestellung thematisiert wurde, woraufhin er im Internet recherchiert und die Rechtslage mit seinem Prozessbevollmächtigten erörtert habe.
104Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger sich der Erkenntnis der Unerlaubtheit des Glücksspielangebotes der Beklagten leichtfertig verschlossen hätte. Insbesondere kann der Inhalt von § 4 Abs. 4 GlüStV 2012, zumal bei einem juristischen Laien, nicht ohne weiteres als bekannt vorausgesetzt werden. Eine allgemeine Bekanntheit lässt sich auch nicht aus Beiträgen in der Presseberichterstattung ableiten. Diese haben auch bei Zugrundelegung des Beklagtenvorbringens jedenfalls kein solches Ausmaß erreicht, dass eine allgemeine Kenntnis bei Spielern mit durchschnittlichem Medienkonsum nach der Lebenserfahrung zu erwarten wäre. Auch wenn die Werbung für Online-Glücksspiele in dem in Rede stehenden Zeitraum einen Hinweis darauf zu enthalten pflegte, dass sich das Angebot nur an Spieler in Schleswig-Holstein richte, lässt sich daraus keine allgemeine Bekanntheit des generellen Verbots von Online-Glücksspielen außerhalb dieses Bundeslandes in Deutschland herleiten (vgl. hierzu OLG Frankfurt a. M., Hinweisbeschluss v. 08.04.2022, 23 U 55/21, zitiert nach juris Rn. 54).
105e)
106Jedenfalls aber wäre – wollte man Vorsatz oder ein leichtfertiges Sich-Verschließen auf Seiten des Klägers annehmen – eine teleologische Reduktion von § 817 S. 2 BGB vorzunehmen. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des in Rede stehenden Verbotsgesetzes kann eine einschränkende Auslegung der Vorschrift geboten sein (vgl. BGH, Urteile v. 31.05.1990, VII ZR 336/89, zitiert nach juris Rn. 14 f. und v. 10.11.2005, III ZR 72/05, zitiert nach juris Rn. 11 ff.), da der Schutzzweck der jeweiligen nichtigkeitsbegründenden Norm innerhalb der Leistungskondiktion nicht dadurch konterkariert werden darf, dass der durch sie zu verhindernde sittenwidrige Zustand über § 817 S. 2 BGB perpetuiert wird, wodurch überdies womöglich weiterem sitten- oder verbotswidrigen Handeln Vorschub geleistet würde (vgl. BGH, Urteile v. 13.03.2008, III ZR 282/07, zitiert nach juris Rn. 10 und v. 18.12.2008, III ZR 132/08, zitiert nach juris Rn. 14). Die Regelungen des GlüStV 2012 waren – wie ausgeführt – u. a. dazu bestimmt, dem Schutz der Spielteilnehmer vor suchtfördernden, ruinösen und/oder betrügerischen Erscheinungsformen des Glücksspiels zu schützen. Auch die konkret einschlägigen Verbotsnormen gemäß § 4 Abs. 1, Abs. 4 GlüStV 2012 verfolgten jedenfalls unter anderem den Zweck des Spielerschutzes. Diese Intention der Verbotsgesetze würde jedoch unterlaufen, wenn die Spieleinsätze kondiktionsfest wären, also dem Anbieter des verbotenen Glücksspiels dauerhaft verblieben (so auch Senatsurteile v. 31.10.2022, 19 U 51/22, zitiert nach juris Rn. 67 und v. 17.11.2023, 19 U 123/22, zitiert nach juris Rn. 43; OLG Dresden, Urteile v. 27.10.2022, 10 U 736/22, zitiert nach juris Rn. 56 ff. und v. 31.05.2023, 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231, Rn. 51; OLG München, Beschluss v. 20.09.2022, 18 U 538/22, zitiert nach juris Rn. 24).
107f)
108Da eine positive Kenntnis des Klägers von einem Nichtbestehen seiner Leistungspflicht – wie ausgeführt – nicht angenommen werden kann, steht der Rückforderung auch nicht § 814 BGB entgegen.
109g)
110Der Rückzahlungsanspruch ist vorliegend auch nicht wegen Rechtsmissbräuchlichkeit gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.
111Ein Vertrauenstatbestand zugunsten der Beklagten kann schon aufgrund ihres eigenen gesetzeswidrigen Handelns nicht angenommen werden. Vor diesem Hintergrund erscheinen ihre Interessen auch nicht als vorrangig schutzwürdig im Sinne von § 242 BGB. Hinzu kommt, dass die Beklagte es unterließ, einen ihr ohne weiteres möglichen deutlichen Hinweis dahin zu erteilen, dass ihr Online-Glücksspielangebot in Nordrhein-Westfalen wegen Fehlens einer Lizenz unzulässig war oder sein könnte. Dass das Behalten von Geldern, die die Beklagte durch die rechtswidrige Veranstaltung von Online-Glücksspielen eingenommen hat, besonders schutzwürdig wäre, ist nicht ersichtlich. Im Ergebnis ist die Zurückforderung der Spieleinsätze nicht treuwidrig (so auch: Senatsurteil v. 31.10.2022, 19 U 51/22, zitiert nach juris Rn. 72; OLG Braunschweig, Beschluss v. 03.12.2021, 8 W 20/21, BeckRS 2021, 55956, Rn. 17; OLG Hamm Beschluss v. 12.11.2021, 12 W 13/21, BeckRS 2021, 37639, Rn. 23; OLG Karlsruhe, Urteil v. 06.04.2023, 14 U 256/21, zitiert nach juris Rn. 107 ff.; OLG Dresden, Urteil v. 31.05.2023, 13 U 1753/22, BeckRS 2023, 12231, Rn. 52).
112k)
113Der Zinsanspruch beruht auf §§ 291, 288 BGB.
1143.
115Die Verjährungseinrede der Beklagten greift nicht durch.
116Denn die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hat erst im Jahre 2022 zu laufen begonnen.
117Die Beklagte macht zwar zutreffend geltend, dass es für den Beginn der Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht auf die Erlangung der Kenntnis von der zutreffenden rechtlichen Würdigung ankommt, sondern auf die Kenntnis des maßgeblichen Lebenssachverhaltes (vgl. BGH, Urteil v. 18.12.2008, III ZR 132/08, zitiert nach juris Rn. 13).
118Es kann indes nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger bereits vor dem Jahre 2022 Kenntnis des maßgeblichen Lebenssachverhalts hatte, was zu Lasten der Beklagten geht, da darlegungs- und beweisbelastet für den Zeitpunkt der Kenntniserlangung der die Verjährungseinrede erhebende Schuldner ist (vgl. Grothe in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 199 BGB Rn. 46).
119Wie bereits ausgeführt, hat der Kläger unter Wahrung seiner sekundären Darlegungslast vorgetragen, erst Anfang 2022 durch eine Internetrecherche und die Beratung seines Prozessbevollmächtigten von der Illegalität des Onlineglückspiels der Beklagten erfahren zu haben, worunter auch der Aspekt des Fehlens einer Erlaubnis für Nordrhein-Westfalen bzw. Bayern fällt.
120Demgegenüber hat die Beklagte keine konkreten Tatsachen vorgetragen, aus denen auf einen früheren Zeitpunkt der Kenntniserlangung geschlossen werden könnte. Insbesondere reicht der Verweis darauf, sie habe auf ihrer Website bereits 2018 auf das Vorhandensein einer S. Lizenz hingewiesen, nicht aus, um bereits für 2018 eine Erlangung der Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen anzunehmen. Dies wäre nur dann zutreffend, wenn aus dem Vorhandensein einer S. Lizenz auf das Fehlen einer Lizenz für Nordrhein-Westfalen und ggf. Bayern hätte geschlossen werden müssen. Hierbei würde es sich indes um eine rechtliche Wertung handeln, bzw. um eine Schlussfolgerung, die nur vor dem Hintergrund einer rechtlichen Bewertung der Fragen der Reichweite einer S. Lizenz und der Erforderlichkeit einer für den Wohnort des Klägers gültigen deutschen Lizenz getroffen werden kann. Auf derartige rechtliche Bewertungen kommt es aber gerade nicht an.
121C)
122Eine Aussetzung des Verfahrens erachtet der Senat nicht für angezeigt oder geboten.
1231.
124Das von der Beklagten angeführte Vorlageverfahren bei dem Europäischen Gerichtshof (C-440/23) gibt keinen Anlass, das Verfahren nach § 148 ZPO (analog) auszusetzen (ebenso: OLG Koblenz, Beschluss v. 30.1.2024, 1 U 1049/23; OLG Nürnberg, Beschluss v. 7.2.2024, 6 U 1264/23; OLG München, Beschluss v. 6.3.2024, 37 U 2242/23 (jeweils unveröffentlicht)).
125Denn die angebrachten Vorlagefragen zur deutschen Glücksspielregulierung werfen keine entscheidungserheblichen Fragen zur Auslegung des Unionsrechts auf, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten sind, da der Europäische Gerichtshof bereits mehrfach entschieden hat, dass die unionsrechtliche Kohärenzprüfung beschränkender Maßnahmen im Glücksspielsektor im Einzelfall Sache der nationalen Gerichte ist und der Europäische Gerichtshof die für diese Prüfung maßgeblichen Grundsätze des Unionsrechts bereits geklärt hat (vgl. BGH, Beschluss v. 22.07.2021, I ZR 199/20, zitiert nach juris, unter Bezugnahme auf EuGH, Urteile vom 15.09.2011, C-347/09 und vom 08.09.2010, C-46/08).
126Dass der Bundesgerichtshof in dem Verfahren I ZR 53/23 das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 10.01.2024 in entsprechender Anwendung des § 148 Abs. 1 ZPO bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in dem anhängigen Verfahren C-440/23 ausgesetzt hat (vgl. Anlage A2 = Bl. 944 f. d.A.) steht dem nicht entgegen, zumal der Beschluss eine Begründung nicht enthält und die Aussetzung möglicherweise mit der Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV zusammenhängt, die den Senat nicht trifft. Im Übrigen besteht der Rückzahlungsanspruch des Klägers unabhängig von der Anwendung des § 4 Abs. 4 GlüStV 2012, da die Spielverträge auch gegen die Vorschrift des § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 verstoßen. Auf die Norm des § 4 Abs. 1 GlüStV 2012 bezieht sich das vorgenannte Verfahren bei dem Gerichtshof der Europäischen Union indes nicht. Zwar wird die Norm in Vorlagefrage 2 erwähnt. Gefragt wird in Vorlagefrage 2 aber nach der Zulässigkeit eines generellen Verbotes von Online-Casino-Glücksspiel, welches in § 4 Abs. 4 GlüStV geregelt ist, wogegen § 4 Abs. 1 GlüStV einen Erlaubnisvorbehalt regelt, der in der Vorlagefrage 2 nicht erwähnt wird.
127Im Übrigen macht der Senat von dem ihm nach § 148 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessen Gebrauch, das Verfahren nicht auszusetzen. Bei der Ermessensausübung sind die Erfolgsaussichten des anderen Verfahrens und die mit der Aussetzung eintretende Verfahrensverzögerung gegeneinander abzuwägen (vgl. Wendtland in: BeckOK, ZPO, 52. Edition, Stand: 01.03.2024, § 148 Rn. 13 m.w.N.). Nach den vorstehenden Ausführungen erscheint dem Senat ein Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens im Sinne der Rechtsauffassung der Beklagten nicht in einem Maße als wahrscheinlich, welches es rechtfertigen könnte, dem Interesse des Klägers an der Vermeidung einer Verfahrensverzögerung einen geringeren Stellenwert beizumessen.
1282.
129Auch das von der Beklagten angeführte Verfahren bei dem Bundesgerichtshof (I ZR 90/23) gibt keinen Anlass, das Verfahren nach § 148 ZPO auszusetzen. Die Aussetzung wäre insoweit vielmehr unzulässig, da die in dem anderen Prozess zu treffende Entscheidung auf das vorliegende Verfahren lediglich Einfluss ausüben kann (vgl. BGH, Beschluss v. 24.07.2023, VIa ZB 10/21, zitiert nach juris Rn. 11 m.w.N.). Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren über eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, von deren Beantwortung (auch) die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ganz oder teilweise abhängt, rechtfertigt keine Aussetzung (vgl. BGH, Beschluss v. 08.08.2023, VIa ZB 11/21, zitiert nach juris Rn. 11 m.w.N.). Eine Aussetzung allein aus Zweckmäßigkeitsgründen sieht das Gesetz nicht vor (vgl. BGH, Beschluss v. 27.06.2019, IX ZB 5/19, zitiert nach juris Rn. 11).
130D)
131Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 07.12.2023 (I ZR 53/23), mit dem die Revision in einem Online-Casinospiele betreffenden und insoweit gleichgelagerten Verfahren zugelassen wurde, gibt aber Anlass, die Revision zuzulassen.
132E)
133Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.