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1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln (89 O 57/21), verkündet am 15.12.2023, wird als unzulässig verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO).
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 592.819,17 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der Kläger, ehemaliger Handelsvertreter der Beklagten, hat erstinstanzlich im Wege der Stufenklage zunächst Erteilung eines Buchauszuges, erforderlichenfalls die Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides Statt, ergänzende Abrechnung von Provisionen nach Erteilung des Buchauszugs, Zahlung restlicher Provision und eines Handelsvertreterausgleichs begehrt, wobei im Laufe des Verfahrens der ursprüngliche Antrag zu 1) übereinstimmend für erledigt erklärt und der Antrag zu 2) zurückgenommen wurde.
4Wegen des erstinstanzlichen Sachvortrages, des Hergangs des erstinstanzlichen Verfahrens und wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
5Die 9. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln hat die Klage auf die mündliche Verhandlung vom 29.09.2023 durch Urteil, verkündet am 15.12.2023, abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (S. 9 ff. des Urteils, Bl. 1930 ff. d. LG-Akte) verwiesen.
6Ausweislich des Empfangsbekenntnisses vom 18.12.2023 wurden von Herrn Rechtsanwalt V. als zur Entgegennahme legitimierte Person das Urteil, der Verkündungsvermerk und das Verkündungsprotokoll am selben Tag entgegengenommen (Bl. 1943 d. LG-Akte).
7Unter dem 18.12.2023, bei Gericht am 19.12.2023 eingegangen, wurde gegen dieses Urteil von Klägerseite Berufung eingelegt. Das Schreiben ist durch Herrn Rechtsanwalt V. einfach signiert. Ausweislich des Prüfungsvermerks (Bl. 1 d. A.) wurde der Schriftsatz durch das besondere Anwaltspostfach von Herrn Rechtsanwalt W. übersandt.
8Am 20.12.2023 wurde der Kanzlei E. P. Rechtsanwälte und Steuerberater PartG mbB von der Justizbeschäftigten Q. mitgeteilt, dass die Berufung vom 18.12.2023 gegen die Entscheidung vom 15.12.2023 (89 O 57/21-Landgericht Köln) am 19.12.2023 eingegangen sei und unter dem Aktenzeichen 19 U 143/23 bearbeitet werde (Vfg. v. 20.12.2023, Bl. 21 f. d. A.). Das Schreiben wurde an Herrn Rechtsanwalt V. übersandt.
9Mit Schreiben vom 13.02.2024 (Bl. 186 d. A.) bat Herr Rechtsanwalt W. um Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist. Das Schreiben wurde von seinem Postfach an das Oberlandesgericht Köln übersandt (vgl. Prüfvermerk vom 14.02.2024, Bl. 185 d. A.).
10Die Frist wurde antragsgemäß bis zum 15.03.2024 durch den stellvertretenden Vorsitzenden verlängert (Vfg. v. 15.03.2024, Bl. 189 f. d. A.). Die Berufungsbegründung (Bl. 356-379 d. A.), einfach signiert von Herrn Rechtsanwalt V., wurde sodann unter dem 15.03.2024 aus dessen Anwaltspostfach übersandt (vgl. Prüfvermerk vom 15.03.2024, Bl. 355 d. A.).
11Mit Schriftsatz vom 19.04.2024 (Bl. 419-426 d. A.) wurde von den Beklagtenvertretern der Einwand erhoben, dass die Berufung innerhalb der Monatsfrist nicht ordnungsgemäß eingelegt worden sei.
12Nach weiterer Gelegenheit zur Stellungnahme wies der Senat den Kläger mit Hinweisbeschluss vom 14.05.2024 (Bl. 495-503 d. A.) darauf hin, dass die Berufung innerhalb der Frist des § 517 ZPO nicht formgerecht eingelegt worden sei.
13Hiergegen wendet sich der Kläger, der die Auffassung vertritt, dass die Berufung form- und fristgemäß eingelegt worden sei, jedenfalls aber die 5-Monatsfrist zur Einlegung der Berufung laufe, mithin mittlerweile die Berufung ordnungsgemäß eingelegt wurde; hilfsweise sei ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (Schriftsatz vom 10.06.2024, Bl. 533-562 d. A.).
14In der Sache begehrt der Kläger nur noch eine Ausgleichszahlung in Höhe von 592.819,17 €.
15Der Kläger beantragt,
16das Urteil des Landgerichts Köln, Az. 89 O 57/21, wird aufgehoben und wie folgt abgeändert:
17Die Beklagte wird verurteilt, an ihn einen Ausgleichsanspruch in Höhe von 592.819,17 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
18Hilfsweise,
19die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
20Die Beklagte beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, § 313 Abs. 2 S. 2 ZPO.
23II.
24Die Berufung ist gem. § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen, da sie nicht in der gesetzlichen Frist des § 517 ZPO formgerecht eingelegt worden ist. An dieser, bereits mit Hinweisbeschluss vom 14.05.2024 (Bl. 495-503 d. A.) erläuterten Bewertung hält der Senat auch unter Würdigung der demgegenüber vom Kläger mit Schriftsatz vom 10.06.2024 (Bl. 533-562 d. A.) vorgebrachten Einwendungen nach nochmaliger Beratung fest.
251.
26Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung, § 517 ZPO.
27Das angefochtene Urteil des Landgerichts Köln, das Verkündungsprotokoll sowie der Verkündungsvermerk, sämtliche vom 15.12.2023, wurden dem Prozessbevollmächtigten des Klägers ausweislich des Empfangsbekenntnisses (Bl. 1943 der LG-Akte) am 18.12.2023 ordnungsgemäß zugestellt, so dass die Frist zur Berufungseinlegung gem. §§ 517, 222 ZPO, 188 BGB bis zum 18.01.2024 lief.
28Entgegen der Ansicht des Klägers ist das Urteil ordnungsgemäß zugestellt worden (§ 317 ZPO), so dass die Frist nicht nach § 517 HS. 2 ZPO bis zum 15.05.2024 lieft.
29a)
30Soweit der Kläger darauf verweist, dass ihm keine Ausfertigung des Urteils zugestellt worden sei und bereits aus diesem Grund die fünf Monatsfrist des § 517 ZPO laufe, gilt folgendes:
31Zutreffend ist, dass dem Klägervertreter keine Ausfertigung des Urteils zugestellt wurde. Entgegen der mitgeteilten Rechtsauffassung im Hinweisbeschluss vom 14.05.2024 war dies jedoch auch nicht erforderlich.
32Seit dem Inkrafttreten der Neufassung des § 317 Abs. 1 S. 1 ZPO durch das Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786) am 01.07.2014 werden Urteile den Parteien von Amts wegen grundsätzlich in Abschrift zugestellt. Die Zustellung einer Ausfertigung des Urteils nach § 317 Abs. 2 S. 1 ZPO ist keine Voraussetzung (mehr) für den Beginn der Frist (BGH, Urteil vom 11.02.2022, V ZR 15/21, juris Rn. 18). Dabei ist es so, dass eine beglaubigte Abschrift zu übersenden ist. Auch nach dem Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes am 01.07.2002 geht der Gesetzgeber weiterhin davon aus, dass Schriftstücke entweder in Urschrift, Ausfertigung oder beglaubigter Abschrift zuzustellen sind. Entsprechend dem Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes ist die Beglaubigung einer zuzustellenden Abschrift stets dann ausreichend, aber auch erforderlich, wenn das Gesetz keine andere Regelung enthält (BGH, a.a.O., Rn. 19).
33Soll die Zustellung -wie hier- als elektronische Abschrift nach § 169 Abs. 4 S. 1 ZPO bewirkt werden, erfolgt die Beglaubigung gemäß § 169 Abs. 4 S. 2 ZPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle. Ausnahmen hiervon regelt § 169 Abs. 5 ZPO. Vorliegend ist ausweislich der Akte weder eine beglaubigte Abschrift an den Klägervertreter zugestellt worden, noch lagen die Voraussetzungen von § 169 Abs. 5 ZPO, insbesondere dessen Nr. 1, vor. Dies deshalb, weil das angefochtene Urteil nicht von den verantwortenden Personen qualifiziert elektronisch signiert wurde, sondern handschriftlich unterschrieben und sodann in die eAkte eingepflegt wurde.
34Allerdings ist dieser Zustellungsmangel im vorliegenden Fall gemäß § 189 ZPO geheilt. Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, so gilt es gemäß § 189 ZPO in dem Zeitpunkt als zugegangen, in dem das Dokument der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist.
35Vorliegend sind das Urteil, der Verkündungsvermerk und das Verkündungsprotokoll an Herrn Rechtsanwalt V. übersandt worden. Dieser war gemäß § 172 Abs. 1 S. 1 ZPO der richtige Zustellungsadressat.
36Es mangelt auch nicht an dem bei der Zustellung nach § 174 ZPO erforderlichen Willen, das angebotene Schriftstück als zugestellt entgegenzunehmen. Die Feststellung dieses Willens ist notwendig, weil der Mangel des Eingangswillens bei einer Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nicht durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs geheilt werden kann. Der Empfangswille des Prozessbevollmächtigten des Klägers steht aufgrund der Übersendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses an das Gericht am 18.12.2023 (Bl. 1943 d. LG-Akte) außer Frage. In dem Empfangsbekenntnis wird noch einmal versichert, dass man zur Entgegennahme legitimiert sei und dass der Empfänger die aufgelisteten Dokumente erhalten habe. Die Heilung nach § 189 ZPO greift im Falle des vorliegenden Zustellungsmangels ein, weil keine Zweifel an der Authentizität und Amtlichkeit der Abschrift bestehen. Dies ist jedenfalls bei einer Übermittlung der Urteilsabschrift an das besondere elektronische Anwaltspostfach des Rechtsanwaltes der Partei anzunehmen; denn dies ist als sicherer Übermittlungsweg ausgestaltet, § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO (BGH, Urteil vom 11.02.2022, V ZR 15/21, juris Rn. 22, 23, 26).
37b)
38Soweit der Kläger moniert, dass keine untrennbare Verbindung zwischen dem Urteil und dem Verkündungsvermerk bestünde, ist dieser Einwand unzutreffend. Ausweislich der Gerichtsakte liegt zwischen dem Urteil, dem Verkündungsprotokoll und dem Verkündungsvermerk eine untrennbare Verbindung vor. Dies wird durch das links unten befindliche Symbol von zwei Kreisen einerseits bildlich nachgewiesen (Bl. 1922 d. LG-Akte). Andererseits wird durch einen Klick auf dieses Symbol mit der linken Maustaste auch aufgelistet, welche Dokumente untrennbar miteinander verbunden sind. Zusätzlich wird hier durch das Symbol der grünen Nadel, welches eine qualifizierte Signatur bedeutet, nachgewiesen, dass es sich bei dem in der Akte befindlichen Urteil um den Scan des Originalurteils handelt.
39"Bilddarstellung wurde entfernt"
40"Bilddarstellung wurde entfernt"
41"Bilddarstellung wurde entfernt"
42Soweit darauf abgestellt wird, dass sich das landgerichtliche Urteil zweimal in der Akte befinde, befindet sich auch in dem verakteten Urteil, welches nicht die Originalunterschriften enthält, der eben angeführte Verbindungsnachweis (vgl. Bl. 1900 d. LG-Akte).
43Letztlich sind auch das Verkündungsprotokoll und der Verkündungsvermerk jeweils qualifiziert elektronisch signiert (Bl. 1899, 1915, 1937 d. LG-Akte).
44c)
45Der Ordnungsgemäßheit der Zustellung steht auch nicht entgegen, dass es in dem Anschreiben an den Prozessbevollmächtigt lediglich heißt, dass Anlagen zur Kenntnis gebracht werden. Insoweit folgt aus dem Empfangsbekenntnis, dass dem Klägervertreter das Urteil, das Verkündungsprotokoll und der Verkündungsvermerk übersandt worden sind. Die nochmalige Bezeichnung der zu übersendenden Dokumente im Begleitschreiben ist für die ordnungsgemäße Zustellung nicht erforderlich.
46d)
47Soweit eingewandt wird, dass der Handelsrichter A., der in der mündlichen Verhandlung vom 03.03.2023 mitgesessen hat, nicht aus dem Urteil hervorgeht, wird verkannt, dass das Urteil in der Besetzung der letzten mündlichen Verhandlung zu ergehen hat, was vorliegend geschehen ist.
48e)
49Ein Verstoß gegen § 315 Abs. 3 ZPO liegt nicht vor. Dass das Urteil, welches dem Klägervertreter übersandt wurde, nicht die handschriftlichen Unterschriften enthält, liegt in der Natur der Sache, da es sich lediglich um eine Abschrift des Originals handelt.
50Auch kann der Hinweis auf § 547 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht nachvollzogen werden. Einen absoluten Revisionsgrund stellt es nach dieser Vorschrift dar, wenn die Entscheidung entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes nicht mit Gründen versehen ist. Das Urteil enthält in den Entscheidungsgründen eine ausführliche Begründung.
51f)
52Das Datum der Verkündung (15.12.2023) folgt aus dem Verkündungsprotokoll (Bl. 1899 d. LG-Akte), welches von dem zuständigen Richter sowie der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle qualifiziert elektronisch signiert wurde (vgl. Signaturniveau Bl. 1899 d. LG-Akte, links unten).
53Soweit der Kläger mit Schreiben vom 25.04.2024 (S. 14-18, Bl. 447- 451 d. A.) einen Verstoß gegen § 315 Abs. 3 ZPO moniert, greifen seine Einwände schon deshalb nicht durch, weil § 315 Abs. 3 ZPO lediglich eine Ordnungsvorschrift darstellt. Selbst das Fehlen eines Verkündungs- oder Zustellungsvermerks auf dem Urteil berührt weder die Wirksamkeit der Entscheidung noch die ihrer Zustellung. Denn dass das Urteil verkündet worden ist, kann dem Protokoll entnommen werden (§ 160 Abs. 3 Nr. 7; Musielak/Voit/Musielak/Wolff, 21. Aufl. 2024, ZPO § 315 Rn. 13; BGH, Beschluss vom 17.12.1986, VIII ZB 47/86, juris Rn. 3).
54Entgegenstehendes lässt sich auch nicht den vom Kläger in Bezug genommen Ausführungen von Musielak/Wolff in: Musielak/Voit, ZPO, 21. Aufl., § 315 ZPO Rn. 10, 11 (vgl. S. 18 des Schriftsatzes vom 25.04.2024, Bl. 451 d. A.) entnehmen, da sich die zitierten Ausführungen allein auf die erforderliche Unterschrift des Richters/der Richter, der/die das Urteil erlassen hat/haben, beziehen.
55g)
56Die Berichtigung des erstinstanzlichen Urteils gem. § 319 ZPO durch Beschluss vom 26.02.2024 (Bl. 1978 f. der LG-Akte) hat im konkreten Fall auf die Frist des § 517 ZPO keinen Einfluss (Heßler in: Zöller, ZPO, 35. Auflage, § 517 ZPO, Rn. 6).
57Mithin verbleibt es im vorliegenden Fall bei dem Grundsatz, dass die Berufung innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen war, § 517 ZPO; hier also bis zum 18.01.2024.
582.
59Die Berufung wurde innerhalb der Frist des § 517 ZPO nicht ordnungsgemäß eingereicht.
60a)
61Gem. § 519 Abs. 4 ZPO sind die allgemeinen Vorschriften für die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Berufungsschrift anzuwenden. Die Berufungsschrift muss als bestimmender Schriftsatz grundsätzlich von einem Rechtsanwalt eigenhändig unterschrieben sein (vgl. §§ 130 Nr. 6, 519 Abs. 4 ZPO). Damit soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglicht und dessen unbedingter Wille zum Ausdruck gebracht werden, den Schriftsatz zu verantworten und bei Gericht einzureichen (vgl. BGH, Beschluss vom 14.03.2017, XI ZB 16/16, juris Rn. 6). Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsschrift von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (OLG Braunschweig, Beschluss vom 08.04.2019, 11 U 146/18, juris Rn. 32 mit Verweis auf BGH, Beschluss vom 14.03.2017, XI ZB 16/16, juris Rn. 6).
62Bei elektronischer Einreichung nach § 130a ZPO muss das elektronische Dokument gem. § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (im Folgenden: qeS) der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Gem. § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO stellt der Übermittlungsweg zwischen den besonderen elektronischen Anwaltspostfächern (im Folgenden: beA) nach den §§ 31a und 31b der Bundesrechtsanwaltsordnung oder einem entsprechenden, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfach und der elektronischen Poststelle des Gerichts einen sicheren Übermittlungsweg dar.
63Der Schriftsatz vom 18.12.2023 (Bl. 2 ff. d. A.), mit dem die Berufung eingelegt werden sollte, wurde nicht qualifiziert signiert. Entgegen der Ansicht des Klägers war es nicht ausreichend, dass die Berufungsschrift durch Herrn Rechtsanwalt V. einfach signiert und ausweislich des Prüfvermerks vom 19.12.2023 (Bl. 1 d. A.) durch Herrn Rechtsanwalt W. per beA an das Gericht übermittelt wurde.
64b)
65Der Schriftsatz vom 18.12.2023 wurde einfach signiert. Für die einfache Signatur eines Schriftsatzes gem. § 130a Abs. 3 S. 1 Alt. 2 ZPO genügt es, wenn am Ende des Schriftsatzes der Name des Verfassers maschinenschriftlich wiedergegeben ist (BGH, Beschluss vom 30.11.2023, III ZB 4/23, juris Rn. 10). Diesen Anforderungen wird das Schreiben vom 18.12.2023 gerecht (vgl. S. 2 des Schriftsatzes vom 18.12.2023, Bl. 3 d. A.).
66Entscheidend ist jedoch, dass der Schriftsatz nicht von Herrn Rechtsanwalt V. an das Gericht übermittelt wurde.
67c)
68Zwischenzeitlich ist es gesicherte Rechtsprechung und allgemeine Meinung, dass ein elektronisches Dokument, das aus einem beA versandt wird und nicht mit einer qeS versehen ist, nur dann die Formvoraussetzungen wahrt, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt (H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 130a ZPO (Stand: 30.04.2024), Rn. 218). Denn aus der Systematik sowie dem Sinn und Zweck der Norm ergibt sich, dass § 130a Abs. 3 Satz 1 Alt. 2, Abs. 4 Nr. 2 ZPO einschränkend auszulegen ist. Ein elektronisches Dokument, das aus einem beA versandt wird und nicht mit einer qeS versehen ist, ist nur dann auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht, wenn die das Dokument signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt (BGH, Beschluss vom 30.03.2022, XII ZB 311/21, juris Rn. 10; BAG, Beschluss vom 05.06.2020, 10 AZN 53/20, juris Rn. 14; BSG, Beschluss vom 18.11.2020, B 1 KR 1/20 B, juris Rn. 10; BVerwG, Beschluss vom 12.10.2021, 8 C 4/21, juris Rn. 4; OLG Oldenburg, Beschluss vom 09.12.2020, 6 W 68/20, juris Rn. 12).
69Dieser Auffassung ist auch der erkennende Senat.
70Zwar bleibt der Versand eines elektronischen Dokuments in Vertretungssituationen immer noch möglich. Dies setzt aber voraus, dass der vertretene Rechtsanwalt hierzu sicherstellt, dass sich auf dem Schriftsatz auch die einfache Signatur des sendenden Kollegen befindet (Müller, a.a.O., Rn. 219).
71Diesen Anforderungen genügt der Schriftsatz vom 18.12.2023 nicht. Insoweit ist es auch nicht ausreichend, dass Herr Rechtsanwalt W. im Briefkopf auftaucht oder aber erstinstanzlich Termine wahrgenommen hat. Denn durch die Übersendung eines nicht signierenden Rechtsanwalts kann das Gericht nicht zweifelsfrei feststellen, dass der Schriftsatz mit der vollen Verantwortung des signierenden Rechtsanwalts an das Gericht übermittelt wurde. Um dies zu gewährleisten wäre es unproblematisch möglich gewesen das Dokument durch den Unterzeichner qualifiziert zu signieren.
72d)
73Der Senat sieht sich hinsichtlich vorstehend erläuterter Wertungen im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung. So hat der Bundesgerichtshof in einem gleichgelagerten Fall mit Beschluss vom 07.05.2024 (VI ZB 22/23, juris) ausgeführt, dass gem. § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO zwei Wege zur rechtswirksamen Übermittlung von elektronischen Dokumenten zur Verfügung stehen. Zum einen die qualifizierte elektronische Signatur durch einen Rechtsanwalt. Zum anderen die einfache Signatur des Rechtsanwaltes unter eigener Übermittlung auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 130a Abs. 4 ZPO, etwa über ein beA nach den §§ 31a und 31b BRAO. Die einfache Signatur hat in dem zuletzt genannten Fall die Funktion zu dokumentieren, dass die durch den sicheren Übermittlungsweg als Absender ausgewiesene Person mit der die Verantwortung für das elektronische Dokument übernehmenden Person identisch ist; ist diese Identität nicht feststellbar, ist das Dokument nicht wirksam eingereicht (BGH, Beschluss vom 07.05.2024, VI ZB 22/23, juris Rn. 5).
74Vorliegend kann weder sicher festgestellt werden, dass die Übersendung dem unbedingten Willen des Herrn Rechtsanwalt V. entsprach noch, dass Herr Rechtsanwalt W. nicht nur als Übersender fungieren wollte, sondern auch die inhaltliche Gewähr für den Schriftsatz übernehmen wollte. Hierüber hilft auch die beA-Nachricht nicht weg. Auch wenn Herr Rechtsanwalt W. erstinstanzlich neben Herrn V. an einem Termin teilgenommen hat, wurden sämtliche erstinstanzlichen Schriftsätze immer von Herrn Rechtsanwalt V. unterzeichnet. Mithin sprach auch dies nicht dafür, dass Herr Rechtsanwalt W. die volle Verantwortung für den Inhalt des von ihm übersandten Dokuments übernehmen wollte.
75Die eidesstattliche Versicherung des Herrn Rechtsanwalt V. vom 25.04.2024 (Anl. 4, Bl. 489 d.A.) ist vor dem Hintergrund, dass sie nach Ablauf der Frist zur Berufungseinlegung abgegeben wurde, unbeachtlich (BGH, Beschluss vom 07.05.2024, VI ZB 22/23, juris Rn. 8).
76e)
77Soweit der Kläger auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vom 23.05.2024, Fall Nr. 37943/17, 54009/18 und 20655/19 (EGMR Urteil vom 23.5.2024, BeckRS 2024, 10873, beck-online; deutsche Übersetzung Anlage 1 zum Schriftsatz des Klägers vom 10.06.2024, Bl. 563-605 d. A.) verweist (S. 12 f. des Schriftsatzes vom 10.06.2024, Bl. 544 f. d. A.), lässt sich hieraus keine abweichende Bewertung herleiten. In allen drei Fällen ging es darum, dass die Beschwerdeführer den Anforderungen des Art. 369 Code of Civil Procedure nicht gerecht wurden, wonach mit der Beschwerde eine beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils oder der angefochtenen Entscheidung und -im Falle einer Zustellung- des Zustellungsnachweises eingereicht werden müssen. Für die Frage, ob der Übersender die volle Gewähr für den Inhalt des übersandten Dokuments übernehmen wollte, lässt sich hieraus nichts ableiten. Es ging jeweils um das Fehlen von Anlagen bzw. der nicht ausreichenden Beglaubigung der Anlagen. Weiterhin wird in der angeführten Entscheidung die Übergangsphase von „papiergeführten“ zu „elektronisch geführten“ Verfahrenshandlungen hervorgehoben. Im Bereich der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen war die Übergangsphase zur elektronisch geführten Akte zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung (Dezember 2023) dagegen längst abgeschlossen.
78f)
79Der Kläger kann sich auch nicht auf einen durch das Gericht geschaffenen Vertrauenstatbestand berufen. Das gerichtliche Schreiben vom 20.12.2023 teilte lediglich mit, dass die Berufung eingegangen ist und welches Aktenzeichen vergeben wurde. Die Vergabe eines Aktenzeichens erfolgt in jedem Fall, in dem ein Begehren an das Gericht gesandt wird, unabhängig davon, ob es zulässig oder unzulässig ist. Dass mit dem gerichtlichen Schreiben vom 20.12.2023 eine inhaltliche Prüfung bezüglich der Frage, ob die Berufung form- und fristgemäß eingelegt wurde, erfolgt ist, lässt sich dem Schreiben nicht entnehmen. Dass dem nicht so ist, ergibt sich aber auch schon offensichtlich daraus, dass das Schreiben nicht von einem Richter/einer Richtern unterzeichnet wurde, sondern einer Justizbeschäftigten, die eine solche Prüfung nicht vorzunehmen hat. Mithin kann auch aus dem Umstand, dass die Eingangsbestätigung von der Justizbeschäftigten an den Unterzeichner der Berufung Herrn Rechtsanwalt V. und nicht den Übersender der Berufung Herrn Rechtsanwalt W. gesendet wurde, nichts zu Gunsten des Klägers abgeleitet werden.
80g)
81Eine Hinweispflichtverletzung von Seiten des Senats ist nicht zu erkennen.
82aa)
83Aus dem „allgemeinen Prozessgrundrecht“ auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgt die Verpflichtung des Richters zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten prozessualen Situation. Es ist ihm hiernach untersagt, aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die betroffenen Prozessparteien abzuleiten (BverfG, Nichtannahmebeschluss vom 14.11.2018, 1 BvR 433/16 , juris Rn. 11; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 17.01.2006, 1 BvR 2558/05, juris Rn. 8). Der Anspruch auf ein faires Verfahren kann eine gerichtliche Hinweispflicht auslösen, wenn ein Rechtsmittel nicht in der vorgesehenen Form übermittelt worden ist. Unterbleibt ein gebotener Hinweis, ist der Partei Wiedereinsetzung zu bewilligen, wenn er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen können und müssen, dass es der Partei noch möglich gewesen wäre, die Frist zu wahren.
84Kann der Hinweis im Rahmen des ordnungsgemäßen Geschäftsgangs nicht mehr so rechtzeitig erteilt werden, dass die Frist durch die erneute Übermittlung des fristgebundenen Schriftsatzes noch gewahrt werden kann, oder geht trotz rechtzeitig erteilten Hinweises der formwahrende Schriftsatz erst nach Fristablauf ein, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand allein aus diesem Grund dagegen aus. Aus der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht der staatlichen Gerichte und dem Anspruch auf ein faires Verfahren folgt keine generelle Verpflichtung der Gerichte dazu, die Formalien eines als elektronisches Dokument eingereichten Schriftsatzes sofort zu prüfen, um erforderlichenfalls sofort durch entsprechende Hinweise auf die Behebung formeller Mängel hinzuwirken (BGH, Beschluss vom 21.03.2017, X ZB 7/15 , juris Rn. 13). Dies nähme den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten ihre eigene Verantwortung dafür, die Formalien einzuhalten. Eine solche Pflicht überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens (BVerfG, Nichtabhilfebeschluss vom 17.01.2006, 1 BvR 2558/05, juris Rn. 10; BAG, Beschluss vom 05.06.2020, 10 AZN 53/20, juris Rn. 39; BGH, Beschluss vom 18.10.2017, LwZB 1/17, juris Rn. 11).
85Die Abgrenzung dessen, was im Rahmen einer fairen Verfahrensgestaltung an richterlicher Fürsorge aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten ist, kann sich nicht nur am Interesse der Rechtsuchenden an einer möglichst weitgehenden Verfahrenserleichterung orientieren, sondern hat auch zu berücksichtigen, dass die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden muss (vgl. BAG, Beschluss vom 05.06.2020, 10 AZN 53/20, juris Rn. 39; BGH, Beschluss vom 20.04.201, VII ZB 78/09, juris Rn. 12). Hiervon ausgehend gebietet es die aus dem verfassungsrechtlichen Gebot eines fairen Verfahrens folgende gerichtliche Fürsorgepflicht lediglich, eine Prozesspartei auf einen leicht erkennbaren Formmangel - wie die fehlende Unterschrift in einem bestimmenden Schriftsatz - hinzuweisen und ihr Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben (dazu BGH, Beschluss vom 14.10.2008, VI ZB 37/08, juris Rn. 10).
86bb)
87Eine Pflicht des Gerichts zeitnah nach Eingang des Dokuments die einfache Signatur mit dem Prüfvermerk abzugleichen, besteht nicht. Dadurch, dass das Schriftstück neben dem vollen Namenszug des Herrn Rechtsanwalt V. auch noch dessen eingescannte handschriftliche Unterschrift enthielt bestand hierfür zunächst auch kein Anlass. Vielmehr bestand der plausible Anschein einer ordnungsgemäßen Berufungseinlegung. Würde man von den Gerichten verlangen, in jedem Einzelfall den Prüfvermerk mit der einfachen Signatur abzugleichen, würde dies den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten ihre eigene Verantwortung dafür nehmen, die Formalien einzuhalten. Eine solche Pflicht überspannte die Anforderungen an die Grundsätze des fairen Verfahrens (BverfG, Nichtabhilfebeschluss vom 17.01.2006, 1 BvR 2558/05, juris Rn. 10; BAG, Beschluss vom 05.06.2020, 10 AZN 53/20, juris Rn. 39; BGH, Beschluss vom 18.10.2017, LwZB 1/17, juris Rn. 11). Ein offensichtlicher Formfehler, der hätte auffallen und zu einem Hinweis hätte veranlassen müssen, lag nicht vor. Es ist auch nicht zu beanstanden, wenn der Richter die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtmittels nicht zeitnah nach dessen Eingang, sondern erst bei der Bearbeitung des Falls und gegebenenfalls nach Ablauf der Frist überprüft (BGH, Beschluss vom 11.01.2022, VIII ZB 37/21, juris Rn. 14 m.w.N.).
88Es wird klargestellt, dass im Zuge der richterlichen Bearbeitung das Auseinanderfallen von einfacher Signatur und Person des Übermittlers erst anlässlich der Überprüfung des Vortrages in der Berufungserwiderung vom 19.04.2024 (Bl. 419 ff. d. A.) aufgefallen ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Frist des § 517 ZPO bereits verstrichen, so dass auch vor diesem Hintergrund keine Hinweispflichtverletzung gegeben ist.
893.
90Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 233 ff. ZPO liegen nicht vor.
91War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, § 233 S. 1 ZPO.
92Die Fristversäumung war vorliegend jedoch nicht unverschuldet i.S.v. § 233 ZPO, weil der Kläger sich den Rechtsirrtum seines Verfahrensbevollmächtigten gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
93Nach gefestigter Rechtsprechung muss der Verfahrensbevollmächtigte eines Beteiligten alles ihm Zumutbare tun und veranlassen, damit die Frist zur Einlegung oder Begründung eines Rechtsmittels gewahrt wird (BGH, Beschluss vom 21.08.2019, XII ZB 93/19, juris Rn. 5 m.w.N.). In seiner eigenen Verantwortung liegt es, das Dokument gemäß den gesetzlichen Anforderungen entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen oder die Einreichung auf einem sicheren Übermittlungsweg persönlich vorzunehmen, damit die Echtheit und die Integrität des Dokuments wie bei einer persönlichen Unterschrift gewährleistet sind.
94Der Rechtsirrtum eines Rechtsanwalts über die gesetzlichen Erfordernisse ist regelmäßig nicht unverschuldet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt die Gesetze kennen, die in einer Anwaltspraxis gewöhnlich zur Anwendung kommen. Eine irrige Auslegung des Verfahrensrechts kann als Entschuldigungsgrund nur dann in Betracht kommen, wenn der Verfahrensbevollmächtigte die volle, von einem Rechtsanwalt zu fordernde Sorgfalt aufgewendet hat, um zu einer richtigen Rechtsauffassung zu gelangen. Hierbei ist ein strenger Maßstab anzulegen, denn der Betroffene, der dem Anwalt die Verfahrensführung überträgt, darf darauf vertrauen, dass er dieser als Fachmann gewachsen ist. Wenn die Rechtslage zweifelhaft ist, muss der bevollmächtigte Anwalt den sicheren Weg wählen. Von einem Rechtsanwalt ist zu verlangen, dass er sich anhand einschlägiger Fachliteratur über den aktuellen Stand der Rechtsprechung informiert. Dazu besteht umso mehr Veranlassung, wenn es sich um eine geänderte Gesetzeslage handelt, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit verlangt. Ein Rechtsirrtum ist nur dann ausnahmsweise als entschuldigt anzusehen, wenn er auch unter Anwendung der erforderlichen Sorgfaltsanforderungen nicht vermeidbar war (BGH, Beschluss vom 15.05.2019, XII ZB 573/18, juris, Rn. 25 m.w.N.).
95Der vorliegende Irrtum war nicht unvermeidbar in diesem Sinne. Im Übrigen hat die Bundesrechtsanwaltskammer bereits im Jahr 2017 in einem Newsletter zum besonderen elektronischen Anwaltspostfach (Ausgabe 48/2017 v. 30.11.2017) den Hinweis erteilt:
96„Der Versand muss von der verantwortenden Person, also vom Anwalt als Inhaber des beA, selbst vorgenommen werden – ansonsten muss das elektronische Dokument qualifiziert elektronisch signiert werden.“
97Hierüber konnte sich der Bevollmächtigte des Klägers nicht ohne Verletzung seiner anwaltlichen Sorgfaltspflichten hinwegsetzen, zumal schon § 23 Abs. 3 S. 5 RAVPV es ausschließt, das Recht der Versendung nicht-qualifiziert elektronisch signierter Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg auf andere Personen zu übertragen (BGH, Beschluss vom 30.03.2022, XII ZB 311/21, juris Rn. 14-17).
98III.
99Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 GKG, 3 ZPO.