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Die Berufung der Antragsgegner gegen das Urteil der 1. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Köln vom 22.06.2023 – 81 O 33/23 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Antragsgegner zu je 50%.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 140.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die Parteien streiten um die Einordnung des von der Antragsgegnerin zu 1) vertriebenen Produkts „Mikrogur Plus“, das den Wirkstoff Kieselgur enthält, als Biozid und daraus resultierende wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche.
4Die Antragstellerin entwickelt Produkte für die Landwirtschaft, u.a. ein Produkt, das zu 100% den Wirkstoff Siliciumdioxid/Kieselgur (auch als Diatomeenerde bezeichnet) enthält und von der Antragstellerin unter dem Handelsnamen „InsectoSec“ in den Verkehr gebracht wird. Kieselgur ist ein Mineral, das aus mikroskopisch kleinen Schalen abgestorbener Kieselalgen gewonnen wird und überwiegend aus Siliciumdioxid besteht. Die Konsistenz des natürlich gewonnenen Materials kann unterschiedlich sein. Siliciumdioxid/Kieselgur wurde als sog. Altwirkstoff durch die Durchführungsverordnung 2017/794 der Kommission vom 10. Mai 2017 zur Verwendung in Biozidprodukten der in Anhang V der Verordnung (EU) Nr. 582/2012 (Biozidprodukte-VO, im Folgenden: BPR) beschriebenen Produktart 18, d. h. Insektiziden, Akariziden und Produkten gegen andere Arthropoden, genehmigt. In dem Antrag auf Genehmigung des Wirkstoffs reichte die Antragstellerin das Dossier für „InsectoSec“ als das sog. „repräsentative Biozidprodukt“ i.S.d. Art. 6 Abs. 1 lit. b) BPR ein. Die Antragstellerin ist derzeit als einzige Lieferantin des Wirkstoffs Siliciumdioxid/Kieselgur in der Liste gemäß Art. 95 BPR für die Produktgruppe 18 eingetragen. Gemäß Art. 95 Abs. 2 BPR darf ein Biozidprodukt, das aus einem in der Liste geführten Wirkstoff besteht, einen solchen Stoff enthält oder erzeugt, nur dann auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn der Stofflieferant oder der Produktlieferant in der Liste für die Produktart oder die Produktarten, zu denen das Produkt gehört, eingetragen ist.
5Der Antragsgegner zu 2) ist Geschäftsführer der Komplementärin der Antragsgegnerin zu 1). Die Antragsgegnerin zu 1) ist ebenfalls auf dem Schädlingsbekämpfungs-Markt tätig. Zu ihren Produkten gehören u.a. solche zur Milben- und Parasitenbekämpfung wie etwa das Produkt „Mikrogur Plus“, nach eigener Werbeaussage der Antragsgegnerin ein „Kieselgur Spritzmittel gegen Milben und Parasiten im Hühnerstall“. „Mikrogur Plus“ enthält Kieselgur und zusätzlich Seifen aus pflanzlichen Ölen.
6Die Antragsgegnerin zu 1) bezieht weder ihr Produkt noch Kieselgur von der Antragstellerin. Zudem ist die Werbung auch nicht mit dem Hinweis gemäß Art. 72 Abs. 1 BPR „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen“ versehen.
7Die Antragstellerin mahnte mit Schreiben vom 27.02.2023 die Antragsgegner ab und forderte sie erfolglos auf, eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abzugeben.
8Die Antragstellerin erwirkte vor der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 31 O 63/23 – unter dem 10.03.2023 die nachstehende, hinsichtlich des Hauptsachetenors auszugsweise wiedergegebene, einstweilige Verfügung:
9„… Im Wege der einstweiligen Verfügung wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorangegangene mündliche Verhandlung wird angeordnet: I. Den Antragsgegnern wird untersagt, es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, die Ordnungshaft hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 1.) jeweils zu vollstrecken an dem Geschäftsführer, im geschäftlichen Verkehr auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Produkte mit dem Wirkstoff Kieselgur zur Bekämpfung von Schädlingen, wie das unter der Bezeichnung „Mikrogur Plus“ vertriebene Produkt und in Anlage AST 7 wiedergegeben,
101. auf dem Markt bereitzustellen oder bereitstellen zu lassen, wenn der Stofflieferant oder Produktlieferant nicht in der Liste gemäß Artikel 95 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 528/2012 (BPR) für die Produktart 18 aufgeführt ist; und/oder
112. ohne den Hinweis „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen“ zu bewerben und/oder zu bewerben zu lassen.“
12Wegen des näheren Sach- und Streitstandes bis zur Entscheidung in erster Instanz und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen (Bl. 1431 ff. GA).
13Das Landgericht – Kammer für Handelssachen - hat die einstweilige Verfügung auf den Widerspruch der Antragsgegner hin aufrechterhalten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei dem Produkt der Antragsgegner mit dem Namen „Mikrogur Plus“ handele es sich um ein Biozidprodukt, weil die von dem EuGH hierfür aufgestellten drei Voraussetzungen unter Berücksichtigung des Senatsurteils vom 20.05.2022 (6 U 74/19 – HS Microgur II) erfüllt seien, insbesondere die dritte Voraussetzung, nämlich die Wirkung „auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung“. Denn das Produkt der Antragsgegner sei mit dem repräsentativen von der Antragstellerin hergestellten Biozidprodukt identisch, weil es ebenfalls Kieselgur enthalte. Einer Identität des Wirkstoffs stehe nicht entgegen, dass das jeweilige Kieselgur aus unterschiedlichen Quellen stamme, weil Variationen in Konzentration, Quelle oder Darreichungsform (Pulver oder in Wasser gelöst) nicht prägend für die Identität seien, sondern allein der Umstand, dass es sich um natürliche Kieselgur handele. Soweit die Antragsgegner verschiedene andere Parameter anführten, sei dem nicht zu folgen. Die von den Antragsgegnern angeführte Verweisung auf Art. 3 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH) in Art. 3 Abs. 2 lit. a BPR) besage nicht, dass auch die Anforderungen in Anhang VI der REACH-VO bzw. der Leitlinien der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) für die Annahme von Stoffidentität zu erfüllen seien. Das Erfordernis einer technischen Äquivalenz im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. w) BPR sei im Streitfall ebenfalls nicht anzuwenden. Auch sei eine Identität nicht deshalb zu verneinen, weil das Produkt der Antragstellerin zu 100 % aus Kieselgur bestehe und bei demjenigen der Antragsgegner Öle und Seifen enthalten seien. Denn es sei auf die Identität des Wirkstoffs abzustellen, wobei Wirkstoff in beiden Produkten alleine Kieselgur sei. Ungeachtet der Frage, welche Relevanz ein etwaiger Mengenanteil der Öle und Seifen beim Produkt der Antragsgegner habe, hätten diese ihrer sekundären Darlegungslast zur Größe dieses Mengenanteils nicht genügt. Die Haftung des Antragsgegners zu 2) ergebe sich daraus, dass die Art und Weise des Vertriebs eines Produktes, jedenfalls soweit es grundlegende Fragen wie die Einordnung als Biozidprodukt betreffe, typischerweise auf Geschäftsführungsebene getroffen werde.
14Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Antragsgegner, mit der im Wesentlichen geltend gemacht wird: Ein Verstoß gegen Art. 95 Abs. 2 BPR liege nicht vor, wobei das Landgericht zu Unrecht auf Art. 95 Abs. 3 BPR abstelle. Das Landgericht habe seine Entscheidung auf einen unzutreffenden Wortlaut der Vorschrift gestützt, wenn es angenommen habe, dass die danach verbotene Handlung das Inverkehrbringen sei. Tatsächlich sei die Bereitstellung auf dem Markt maßgeblich. Hierfür sei der Vortrag der Antragstellerin bereits nicht ausreichend, weil diese eine Abgabe des beanstandeten Produkts nicht vorgetragen, sondern allein auf die Werbung abgestellt habe. Die Einordnung von „Mikrogur Plus“ als Biozidprodukt sei fehlerhaft. Das Landgericht habe es bereits bei der Prüfung, ob ein Wirkstoff vorliege, zu Unrecht unterlassen, das ungeschriebene Merkmal einer bioziden Wirkung zu prüfen. Die in der Werbung hierzu getroffene Aussage bzw. die Zweckbestimmung sei nicht allein entscheidend, zumal ihr nicht zu entnehmen sei, dass das im Produkt der Antragsgegner enthaltene Kieselgur überhaupt eine Wirkung gegen Schadorganismen entfalte. Allein die Zuschreibung durch die Antragsgegner reiche nicht aus. Vielmehr sei auf die tatsächliche Wirkung abzustellen, wobei entsprechend dem bereits erstinstanzlich gehaltenen Vortrag der Antragsgegner von einer rein physikalischen Wirkung auszugehen sei. Unter Zugrundelegung der Auffassung des Landgerichts sei ein Wirkstoff im Sinne der BPR bereits bei entsprechender subjektiver Zweckbestimmung zu bejahen, worunter indes auch unstreitig rein physikalisch wirkende Geräte (UV-Desinfektionslampen, Wasserkocher) fallen würden, was ersichtlich nicht gewollt sei. Das Produkt der Antragsgegner sei mit dem Referenzprodukt im Wirkstoffgenehmigungsverfahren für den Wirkstoff Siliciumdioxid/Kieselgur weder identisch noch sei es als identisch anzusehen. Identität könne nach allgemeinem Sprachgebrauch nur bei vollständiger Übereinstimmung der Zusammensetzung des angegriffenen Produkts mit der Zusammensetzung des im Antrag auf Genehmigung dieses Wirkstoffs als repräsentativ angegebenen Biozidprodukts angenommen werden. Demgegenüber erweitere das Landgericht den Begriff der Identität auf eine bloße Übereinstimmung eines im angegriffenen Produkt enthaltenen Stoffes mit dem Wirkstoff des repräsentativ angegebenen Biozidprodukts. Hierzu fehle ihm indes die erforderliche Sachkunde, nachdem die Prüfung von Referenzprodukten im Rahmen eines Wirkstoffgenehmigungsverfahrens durch die Europäische Chemikalienagentur ECHA sowie die für Biozidprodukte zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten mit entsprechend fachlich qualifiziertem Personal erfolge. Insofern habe das Landgericht auch die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast verkannt, soweit es von einer sekundären Darlegungslast der Antragsgegner zur Zusammensetzung ihres Produktes ausgegangen sei. Denn genaue Kenntnis von der Zusammensetzung ihres Referenzproduktes habe nur die Antragstellerin. Das Landgericht habe auch die Feststellung der Europäischen Agentur für Lebensmittelsicherheit EFSA, wonach ein ausschließlich Kieselgur beinhaltendes Pflanzenschutzmittel rein physikalisch wirke, unberücksichtigt gelassen. Die Darreichungsform eines Produktes (z.B. fest oder flüssig) sei ebenfalls durchaus entscheidend für die Wirksamkeit eines Produktes, was bereits der Senat in seiner nach Vorlage an den EuGH ergangenen Entscheidung unzutreffend beurteilt habe. Insoweit habe das Landgericht auch seine Hinweispflicht verletzt. Die Reichweite der von den Antragsgegnern angeführten Leitlinie zu der Identifikation von Naturstoffen (sog. UVCB-Stoffe) bewirke, dass die Identität nur unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Parametern festgestellt werden könne, womit sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt habe. Entgegen der Auffassung des Landgerichts sei auch Anhang VI der REACH-VO insoweit einzubeziehen. Hinsichtlich der technischen Äquivalenz versäume es das Landgericht darzulegen, warum die maßgebliche Interessenlage im Streitfall von dem Zulassungsverfahren abweiche. Denn es gehe in beiden Fällen darum sicherzustellen, dass der Stoff im fraglichen Produkt hinreichend ähnlich zum bewerteten Wirkstoff sei, um von einer vergleichbaren Wirkung und Gefährlichkeit ausgehen zu können. Das Landgericht setze sich insoweit auch nicht damit auseinander, dass die Antragstellerin selbst auf ihrer Webseite ausführe, dass die Quelle der Kieselgur maßgeblich für deren Eignung als Biozidprodukt sei.
15Die Antragsgegner beantragen sinngemäß, unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung
16die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 10.03.2023 (31 O 63/23) aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen.
17Die Antragstellerin beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens.
20II.
21Die zulässige Berufung der Antragsgegner hat in der Sache keinen Erfolg. Die einstweilige Verfügung vom 10.03.2023 ist mit Recht erlassen worden und daher vom Landgericht auf den Widerspruch der Antragsgegner zutreffend bestätigt worden. Einwände gegen den Verfügungsgrund, wie sie die Antragsgegner erstinstanzlich mit der Widerspruchsbegründung vorgebracht hatten (dort S. 30 f., Bl. 144 f. GA), werden mit der Berufung nicht mehr geltend gemacht, so dass insoweit auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts (LGU S. 15, Bl. 1445 GA) verwiesen werden kann.
22Der Antragstellerin stehen beide geltend gemachten Unterlassungsansprüche aus §§ 3, 3a, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 a), Art. 95 Abs. 2 BPR) betreffend das Bereitstellen des Produkts „Mikrogur Plus“ auf dem Markt bzw. i.V.m. Art. 72 Abs. 1 BPR betreffend die Bewerbung dieses Produkts ohne den Hinweis „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.“ zu. Mit der Berufung wenden sich die Antragsgegner mit Recht nicht gegen die Annahme des Landgerichts, dass die Antragstellerin aktivlegitimiert ist und die Parteien Mitbewerber sind. Die Passivlegitimation auch des Antragsgegners zu 2), der zwar nicht Geschäftsführer der Antragsgegnerin zu 1), sondern vielmehr von deren Komplementärin ist (§§ 164, 170 HGB, 35 Abs. 1 S. 1 GmbHG), ist im angefochtenen Urteil zutreffend und von der Berufung unangegriffen festgestellt worden.
23Auch stellen sowohl Art. 95 Abs. 2 BPR als auch Art. 72 Abs. 1 BPR Marktverhaltensregelungen im Sinne von § 3a UWG dar, wie der Senat bereits entschieden hat (Urteil vom 20.05.2022, 6 U 74/19 Rn. 44 — HS Microgur II = GRUR 2022, 1078).
24Der Verstoß hiergegen, zu dem nachfolgend auszuführen ist, ist im Streitfall spürbar, wie § 3a UWG weiter voraussetzt. Art. 72 Abs. 1 BPR stellt eine unionsrechtliche Informationspflicht dar. Wird sie missachtet, wird dem Verbraucher eine Information vorenthalten, die der Unionsgesetzgeber als wesentlich erachtet, was eine Spürbarkeit der Beeinträchtigung ohne weiteres nach sich zieht (vgl. OLG Zweibrücken GRUR-RR 2022, 441, 442 Rn. 19 - Onlinewerbung für Biozid-Produkte). Zudem dienen beide verletzten Vorschriften der BPR auch dem Gesundheitsschutz. Bei Vorschriften, die einen solchen Schutzzweck verfolgen, kann die Spürbarkeit von Verstößen nur ganz ausnahmsweise verneint werden (vgl. BGH GRUR 2015, 813, 816 Rn. 25 - Fahrdienst zur Augenklinik). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Ausnahme bestehen nicht.
25Die Berufung wendet sich erfolglos gegen die Annahme, dass das Landgericht seiner Entscheidung insbesondere zur Verletzungshandlung unzutreffende Maßstäbe zugrunde gelegt habe (dazu 1.). Auch in der Sache hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass es sich bei dem angegriffenen Produkt der Antragsgegner um ein Biozidprodukt handelt (dazu 2.).
261. Es verhilft der Berufung nicht zum Erfolg, wenn sie rügt, dass in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils als Verletzungshandlung das „Inverkehrbringen“ anstelle des nach Art. 95 Abs. 2 BPR maßgeblichen „Bereitstellens auf dem Markt“ erörtert wird und offenkundig aufgrund eines Versehens, das auch die Antragsgegner als solches erkennen, Art. 95 Abs. 3 BPR anstatt Abs. 2 dieser Vorschrift zitiert ist. Denn es ist nicht ersichtlich, dass sich diese Umstände entscheidungserheblich ausgewirkt haben. In der vom Landgericht bestätigten einstweiligen Verfügung ist vielmehr mit dem „Bereitstellen auf den Markt“ der zutreffende Terminus in den Verbotstenor zu Ziff. 1 aufgenommen worden.
27a) Die Feststellungen des Landgerichts zu dieser Verletzungshandlung sind, anders als die Antragsgegner meinen (Bl. 121 eA), ausreichend. Unter Bereitstellen auf dem Markt ist nach der Legaldefinition in Art. 3 Abs. 1 lit. i) BPR jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Biozidprodukts oder einer behandelten Ware zum Vertrieb oder zur Verwendung im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit zu verstehen. Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen, dass die Antragsgegner das angegriffene Produkt wie aus Anlage ASt. 7 (Bl. 36 GA) ersichtlich bewerben und auf ihrer Webseite zum direkten Kauf anbieten. Diesem Vortrag der Antragstellerin (S. 5 der Antragsschrift, Bl. 6 GA: „Wie die Antragstellerin kürzlich erfahren musste, vertreibt die Antragsgegnerin zu 1.) weiterhin Produkte mit dem alleinigen Wirkstoff Kieselgur, namentlich das Produkt „Mikrogur Plus“) sind die Antragsgegner in ihrer Widerspruchsbegründung (dort S. 5, Bl. 119 GA) nicht entgegengetreten, sondern haben vielmehr ausgeführt (Schreibweise wie im Original): „Es ist zutreffend, dass die Verfügungsbeklagte zu 1. Das Produkt „Mikrogur Plus“ als Mittel gegen Milben und Parasiten auf ihrer Webseite beworben und dieses Produkt vertrieben hat“.
28b) Soweit die Antragsgegner sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf berufen haben, dass es zu einem tatsächlichen Absatz nicht gekommen sei, weshalb eine Verletzungshandlung – auch vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des Art. 95 Abs. 2 BPR, der allein eine finanzielle Beteiligung des Stoff- bzw. Produktlieferanten sicherstellen solle – ausscheide, kommt es hierauf nicht entscheidend an. Dabei kann zu Gunsten der Antragsgegner trotz ihres hierzu zumindest dem Wortlaut nach in Widerspruch stehenden Vortrags erster Instanz (Bl. 119 GA) unterstellt werden, dass es zu tatsächlichen Verkäufen bis zur Feststellung des in Anlage ASt. 7 dokumentierten Angebots durch die Antragstellerin nicht gekommen ist. Denn der Begriff des „Bereitstellens auf dem Markt“ umfasst jedenfalls die hier in Rede stehende Bewerbung mit dem unmittelbaren Ziel des Absatzes. Dies hat der Bundesgerichtshof für den diese Wendung ebenfalls enthaltenden Art. 17 Abs. 1 BPR ausdrücklich bestätigt (vgl. BGH GRUR 2023, 416, 421 Rn. 54 - Stickstoffgenerator: „rechtsfehlerfrei aufgrund des Internetauftritts der Bekl. […] eine Wiederholungsgefahr für das Anbieten […] angenommen.“; vgl. auch VG Berlin, Beschluss vom 16.07.2015 - VG 4 L 167.15, BeckRS 2015, 48967, wo ebenfalls das Internet-Angebot als ausreichend angesehen wurde).
29c) Europarechtlicher Klärungsbedarf besteht – abgesehen davon, dass eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV im Verfügungsverfahren grundsätzlich bereits nicht in Betracht kommt (vgl. EuGH NJW 1977, 1585) – insoweit nicht. Denn Anhaltspunkte dafür, dass die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Auslegung des „Bereitstellens auf dem Markt“ nicht mit den Vorgaben der BPR übereinstimmen könnte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr hat der Europäische Gerichtshof bereits ausgeführt, dass die Definition des „Bereitstellens auf dem Markt“ in Art. 3 Abs. 1 lit. i) BPR weit gefasst sei und auch die Bewerbung solcher Produkte umfassen könne (EuGH GRUR 2023, 354, 356 Rn. 33 – CHIEF u.a./Ministre de la Transition écologique ua: „Daraus ergibt sich, dass die Verordnungsbestimmungen über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten hinreichend weit gefasst sind, um Geschäftspraktiken im Zusammenhang mit dem Verkauf dieser Erzeugnisse zu erfassen“). Zudem entspricht die vorgenannte Auslegung dem Schutzzweck der BPR, ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zu gewährleisten (Art. 1 Abs. 1 S. 1 und 2 BPR sowie Erwägungsgrund 3). Die BPR beruht insofern auf dem Vorsorgeprinzip (a.a.O.), um sicherzustellen, dass die Herstellung und Bereitstellung auf dem Markt von Wirkstoffen und Biozidprodukten keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch oder Tier und keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dieser Zielsetzung entspricht nur eine Auslegung, die ein Eingreifen bereits vor der tatsächlichen Abgabe ermöglicht (vgl. zur wortgleichen Definition in Art. 2 lit. g) Kosmetik-Verordnung = VO (EG) 1223/2009 etwa Rathke, in: Sosnitza/Meisterernst (vormals Zipfel/Rathke), Lebensmittelrecht, Art. 2 VO 1223/2009 Rn. 101).
30d) Diesen Vorgaben und der vorerwähnten Zielsetzung entspricht es, dass die Europäische Kommission in dem von der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung überreichten Diskussionspapier vom 15.09.2015 („Note for discussion with competent authorities for biocidal products“, Anlage ASt. 17, Anlage I zum Protokoll vom 03.11.2023, Bl. 230 ff. eA) die Auffassung vertreten hat, dass ein „Bereitstellen auf dem Markt“ bereits jedes Angebot auf dem Unionsmarkt beinhalte, das zu einer tatsächlichen Lieferung führen könnte, mithin auch die Aufforderung zum Kauf umfasst (a.a.O, S. 5). Dies ist auch die Auslegung, die die EU-Kommission in ihrem „Leitfaden für die Umsetzung der Produktvorschriften der EU 2022“ („Blue Guide“, ABl. EU C 247 v. 29.06.2022, S. 1 ff.) für zutreffend erachtet hat (vgl. dort S. 19 unter II.2). Dass es sich bei beiden Dokumenten nicht um verbindliche Auslegungshilfen handelt und der „Blue Guide“ jedenfalls das Chemikalienrecht nicht behandelt (a.a.O. Ziff. 1.5, S. 15) ist unschädlich, weil der Senat diese Dokumente nicht als ausschlaggebend, sondern lediglich als zusätzliche Bestätigung für das auf europäischer Ebene bestehende Begriffsverständnis heranzieht.
312. Das angefochtene Urteil hält den Einwänden der Berufung auch insoweit stand, als das Landgericht angenommen hat, dass das Produkt „Mikrogur Plus“ der Antragsgegner ein Biozidprodukt im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a) BPR darstellt und daher sowohl die Anforderungen an den Bezug von der Antragstellerin (Art. 95 Abs. 2 BPR) als auch diejenigen für die Kennzeichnung mit einem Warnhinweis (Art. 72 BPR) von den Antragsgegnern zu erfüllen waren.
32Diese Eigenschaft als Biozidprodukt folgt aus im Wesentlichen gleichen Erwägungen, wie der Senat sie bereits in dem Urteil „HS Microgur II“ (GRUR 2022, 1078) angestellt hat. Hierauf hat sich das Landgericht mit Recht bezogen. Die hiergegen vorgebrachten Einwendungen der Berufung überzeugen nicht.
33Nach der Rechtsprechung des EuGH in dem auf Vorlage des Senats ergangenen Urteil in der Rechtssache C-29/20 ergeben sich aus Art. 3 Abs. 1 lit. a) BPR drei Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, um eine Einordnung als Biozidprodukt zu rechtfertigen: Erstens muss dieses Produkt aus einem oder mehreren „Wirkstoffen“ bestehen, indem es diese entweder enthält oder erzeugt. Zweitens muss das Produkt einem bestimmten Zweck dienen, nämlich demjenigen, Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie zu bekämpfen. Drittens muss das Produkt „auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung“ wirken (EuGH GRUR 2022, 1078, 1080 Rn. 50 – Biofa/Sikma).
34a) Insofern trifft es zwar im Ausgangspunkt zu, wenn die Antragsgegner die Auffassung vertreten, dass bei der Prüfung der Biozid-Eigenschaft bereits auf der 1. Stufe, nämlich der Frage, ob ein Wirkstoff vorliegt, zu prüfen ist, inwieweit diesem Wirkstoff biozide Wirkung zukommt, wie Generalanwalt (GA) Rantos in seinen Schlussanträgen vom 20.05.2021 (GRUR-RS 2021, 11992) zu dem angesprochenen Urteil in der Rs. C-29/20 herausgearbeitet hat. Daraus lässt sich aber im Streitfall nichts für die Antragsgegner Günstiges herleiten. Denn aus dem Zusammenspiel zwischen Genehmigung von bioziden Wirkstoffen und hierauf beruhender Zulassung von Biozidprodukten, wie es sich aus der BPR ergibt, hat der Generalanwalt geschlussfolgert, dass die im Streitfall bestehende Wirkstoffgenehmigung im Ausgangspunkt auch dazu führt, dass die biozide Wirkungsweise von Kieselgur feststeht. Er hat hierzu ausgeführt:
35„Die biozide Wirkungsweise eines solchen Erzeugnisses wird daher auch im Verfahren zur Genehmigung eines Wirkstoffs geprüft. Sollte es an dieser Wirkungsweise fehlen, kann das repräsentative Produkt nicht zur Zulassung gelangen, so dass auch die Genehmigung des Wirkstoffs nicht erteilt werden könnte, da das in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 528/2012 aufgestellte Erfordernis, dass zumindest ein Biozidprodukt, das diesen Wirkstoff enthält, zulassungsfähig sein muss, nicht erfüllt ist.“
36Daher sei bei einem Wirkstoff, der gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a) BPR oder gemäß den in Art. 89 Abs. 1 Unterabs. 3 BPR vorgesehenen Übergangsmaßnahmen durch eine Durchführungsverordnung wie die Durchführungsverordnung 2017/794 (diese betrifft das streitgegenständliche Siliciumdioxid/Kieselgur) genehmigt worden sei, zwangsläufig davon auszugehen, dass er in biozider Wirkungsweise im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a) der Verordnung wirke (vgl. GA Rantos, Schlussanträge vom 20.05.2021, Rs. C-29/20, Rn. 60, 62 = GRUR-RS 2021, 11992). Diese Ausführungen des Generalanwalts hat der EuGH in seiner hierauf ergangenen Entscheidung vom 14.10.2021 ausdrücklich gebilligt (EuGH GRUR 2022, 96, 97 Rn. 30 – Biofa/Sikma).
37b) Soweit der EuGH den Einwand, dass der in dem angegriffenen Produkt enthaltene Wirkstoff ausschließlich dazu diene, diesem Produkt Funktionsfähigkeit durch bloße physikalische oder mechanische Wirkung auf oder gegen Schadorganismen zu verleihen, nur dann für ausgeschlossen erachtet, wenn die Zusammensetzung des angegriffenen Produkts mit der des repräsentativen Biozidprodukts identisch ist (EuGH GRUR 2022, 96, 97 Rn. 36 – Biofa/Sikma), so ist diese Voraussetzung der Identität im Streitfall erfüllt. Die unter Bezugnahme auf diese Voraussetzung erhobenen Einwände der Antragsgegner, wonach die von ihnen verwendete „natürliche Kieselgur“ nicht identisch mit dem im Wirkstoffgenehmigungsverfahren bewerteten bioziden Wirkstoff „Siliziumdioxid/Kieselgur“ sei (S. 24 der Widerspruchsbegründung, Bl. 138 GA sowie S. 11 der Berufungsbegründung, Bl. 124 eA) und dass ihr Produkt unstreitig in seiner Zusammensetzung nicht nur aus 100% Kieselgur, sondern zu einem gewissen Anteil auch aus Seifen aus pflanzlichen Ölen bestehe (vgl. S. 24 der Widerspruchsbegründung, Bl. 138 GA sowie Anlage ASt. 7, Bl. 36 GA), greifen nicht durch.
38Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 20.05.2022 ausgeführt, dass es für die Annahme einer solchen Identität ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass die Wirkstoffe vollständig übereinstimmen (GRUR 2022, 1078, 1081 Rn. 65 – HS Microgur II), wobei klarzustellen ist (wie auch in Rn. 67 dieser Entscheidung ausgeführt ist), dass diese Wirkstoffidentität nicht gleichzusetzen ist mit einer völligen Übereinstimmung in der Zusammensetzung. Dies vorangeschickt ist im Streitfall unter Berücksichtigung des wechselseitigen Vortrags davon auszugehen, dass die von den Antragsgegnern verwendete Kieselgur hinsichtlich des Wirkstoffs identisch mit derjenigen der Antragstellerin ist (dazu aa.). Die unterschiedliche Zusammensetzung steht dem nicht entgegen (dazu bb.).
39aa) So ist es zunächst unbehelflich, wenn die Antragsgegner vortragen, die von ihnen verwendete Kieselgur sei nicht dieselbe Kieselgur, wie sie im Produkt der Antragstellerin enthalten sei. Denn diese vermeintlich bereits auf der Stoffebene (zur Zusammensetzung siehe sogleich unter bb.) bestehende Unterschiedlichkeit leiten die Antragsgegner vorrangig (S. 10 der Widerspruchsbegründung, Bl. 124 GA) aus unterschiedlichen Partikelgrößen der jeweiligen Produkte her. Hieraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Kieselgur der Antragsgegner sich maßgeblich von derjenigen, die die Antragstellerin vertreibt, unterscheidet und deshalb bereits nicht der durch die Durchführungsverordnung begründeten Vermutung unterfällt, weil der Wirkstoff an sich nicht identisch wäre.
40Im Ausgangspunkt ist dabei festzuhalten, dass die Antragsgegner selbst in der Bewerbung ihres Produkts davon ausgehen, dass „Mikrogur Plus“ dieselbe Wirkungsweise aufweist und denselben Wirkstoff einsetzt wie das Referenzprodukt der Antragstellerin und hierauf beruhende Produkte anderer Hersteller. In Anlage ASt. 7 (Bl. 36 GA) heißt es insofern auszugsweise: „Hierbei handelt es sich um ein natürliches Silikatpulver (Kieselgur) mit dem Zusatz von Seifen aus pflanzlichen Ölen. […] Dank der sehr feinen Vermahlung kann Mikrogur Plus, anders als die meisten anderen Kieselgure [Hervorhebung durch den Senat], flüssig im Stall ausgebracht werden. […] Sobald die Vogelmilben mit diesem Wirkstoff in Kontakt kommen, dringen die Silikatpartikel in die Kutikula (äußere Schutzschicht) der Milben ein und sie verlieren ihre Feuchtigkeit - die Milben trocknen aus!“. Dies entspricht exakt der von der Antragstellerin vorgetragenen Wirkungsweise des von ihr vertriebenen Referenzproduktes (vgl. S. 3 der Antragsschrift, Bl. 4 GA: „Durch den Kontakt mit dem Wirkstoff stäuben sich die Schadinsekten und Milben ein und verenden innerhalb kurzer Zeit“). Die Antragsgegner heben in ihrem Webshop (Anlage ASt. 7, Bl. 36 GA) selbst hervor, dass die zugesetzten Seifen (lediglich) dazu dienen, dass die Fließfähigkeit des Produktes erhöht wird und die Verstecke der Milben noch besser erreicht werden, woraus zu folgern ist, dass die Wirkungsweise an sich durch den Seifenzusatz nicht berührt wird, sondern hierdurch allein Vorteile bei der Anwendung herbeigeführt werden sollen. Bestätigung findet dies in dem Umstand, dass die Antragsgegner selbst ihr Produkt ohne Differenzierung mit anderen Kieselgur-Produkten vergleichen. Die übereinstimmende CAS-Nr. stellt insoweit, wie das Landgericht (LGU S. 13, Bl. 1443 GA) zutreffend ausgeführt hat, ein weiteres gewichtiges Indiz für die Wirkstoffidentität dar, das sich zu den vorstehenden Aspekten fügt.
41Soweit die Antragsgegner auf der Produktseite im Internet auch ausführen, dass „Mikrogur Plus“ gleichwohl kein Biozid sei, weil die Zusammensetzung des Produktes „nicht identisch [sei] mit dem 100% Kieselgur, das im Antrag auf Genehmigung des Wirkstoffs als repräsentativ angegebenen Biozidproduktes“ enthalten sei, handelt es sich hierbei erkennbar um die Äußerung einer Rechtsmeinung, wie auch aus dem Verweis auf das vorangegangene Verfahren vor dem EuGH und das von dem Landgericht in jenem Verfahren eingeholte Gutachten hervorgeht. Dies schwächt die zuvor getätigten wirkungsbezogenen Aussagen indes nicht ab.
42(1) Aus dem als Anlage VB4 (Bl. 541 ff. GA) vorgelegten „Assessment Report“ der zuständigen französischen Behörde ergibt sich nicht, dass die von den Antragsgegnern verwendete Kieselgur nicht als Wirkstoff anzusehen wäre. Als einzigen konkreten Anhaltspunkt für eine Abweichung führen die Antragsgegner, wie erwähnt, die Partikelgröße ins Feld, wobei sich diese mit 7 µm in der Bandbreite bewegt, die im „Assessment Report“ genannt ist (S. 6 der Anlage VB4, Bl. 543 GA, 4. Absatz: „most of the particles are in the range 2-19 µm“). Auch im Gutachten des Prof. Dr. Dr. V. vom 17.07.2017, das durch das Landgericht Köln eingeholt worden war (vorgelegt als Anlage VB12, Bl. 449 ff. GA) wird (S. 11 des Gutachtens, Bl. 459 GA) ausgeführt, dass die Partikelgröße „den grundsätzlichen Wirkmechanismus, bis zu einer Partikelgröße die voraussichtlich im oberen Nanometerbereich liegt, nicht wesentlich beeinflusst“. Gleiches gilt für die Auflösung in Wasser gegenüber der Pulverform, in der das Produkt der Antragstellerin angeboten wird (S. 12 des Gutachtens, Bl. 460 GA).
43(2) Die Ausführungen der Antragsgegner dazu, dass das von ihnen eingesetzte Kieselgur – anders als das der Antragstellerin – rein physikalisch wirke (S. 19 ff. der Widerspruchsbegründung, Bl. 133 ff. GA; aufgegriffen in der Berufungsbegründung S. 14, Bl. 127 eA), vermögen ebenfalls nicht zu überzeugen. Letztlich beschreiben die Antragsgegner genau den Prozess, den auch das zugelassene Referenzprodukt in den Schadorganismen auslöst, nämlich die Beschädigung der Cuticula mit der Folge des Austrocknens der Milben (vgl. nur S. 22, dort Rn. 108 der Widerspruchsbegründung, Bl. 136 GA) und versehen diesen mit physikalischen Erklärungen (abrasive Wirkung und Sorption). Im Gutachten des Prof. Dr. Dr. V. vom 17.07.2017 (Anlage VB12, dort S. 14, Bl. 462 GA) werden solche abrasiven Effekte von Kieselgur zwar als nicht gänzlich ausgeschlossen bezeichnet, stellen dem Gutachter zufolge aber gerade nicht den primären Wirkmechanismus dieses Stoffes dar. Die Sorption beschreibt der Gutachter in ihrer Wirkungsweise gleich wie diejenige, die durch das Referenzprodukt der Antragstellerin ausgelöst wird (Wiedergabe der diesbezüglichen Ausführungen im Bewertungsbericht in den Schlussanträgen GA Rantos in der Sache C-29/20 vom 20.05.2021, dort Rn. 61), nämlich dergestalt, dass durch die großen Oberflächen der Kieselgure Lipide aus der Wachsschicht an die Kieselguren adsorbiert werden, so die Schutzschicht des Zielorganismus zerstört wird und es bei ungünstigen Umgebungsbedingungen zu einem Wasserverlust, der final zur Austrocknung und zum Tod führt, kommt (S. 17 der Anlage VB12, Bl. 465 GA). Er bewertet diesen Prozess des Adsorbierens zwar als primär physikalisch (S. 20 f. der Anlage VB12, Bl. 468 f. GA). Diese Einschätzung aus naturwissenschaftlicher Sicht wird indes überlagert durch die Rechtswirkungen der Zulassung des Referenzproduktes bzw. der Genehmigung des Wirkstoffs. Gleiches gilt für die mit der Widerspruchsbegründung vorgelegte Veröffentlichung von Schöller/Reichmuth im Julius Kühn-Archiv 2010, S. 899 ff. (Anlage VB10, Bl. 147 ff. GA), wo ebenfalls die insektizide Wirkung von Kieselgur auf die physikalische Beschädigung der Cuticula der Schadinsekten zurückgeführt wird.
44(3) Die Identität ist nicht anhand der von den Antragsgegnern ins Feld geführten Regelwerke zu bemessen, die hierfür weitergehende Voraussetzungen enthalten, namentlich die in Anhang VI zur VO 1907/2006 (REACH-VO) enthaltenen Kriterien sowie die hierzu ergangene Handreichung der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), wie sie mit Anlage VB14 (Bl. 1268 ff. GA) vorgelegt worden ist. Die Antragsgegner übersehen hierbei, dass das von dem Europäischen Gerichtshof und von GA Rantos für maßgeblich erachtete Kriterium der Identität nicht im vorgenannten chemikalienrechtlichen Zusammenhang, sondern allein deshalb verwendet wurde, um Fälle auszuscheiden, in denen die Konzentration des genehmigten Wirkstoffs so gering ist, dass eine Wirkung wie in dem zugelassenen Produkt nicht eintreten kann bzw. in denen durch Hinzumischung eines anderen Wirkstoffes die Wirkungsweise so verändert wird, dass der Wirkmechanismus des genehmigten Wirkstoffes in den Hintergrund tritt. Dies hat GA Rantos ausdrücklich ausgeführt (Rn. 68 der Schlussanträge vom 20.05.2021, GRUR-RS 2021, 11992) und liegt erkennbar auch dem Urteil des EuGH zugrunde. Denn darin ist ausgeführt, dass die zwingende Annahme der Eigenschaft als Biozidprodukt bei identischer Zusammensetzung u.a. auf der Erwägung beruht, dass die BPR ein hohes Schutzniveau für die Gesundheit von Mensch und Tier und für die Umwelt zum Ziel hat und dieses Ziel bereits durch das bloße Vorhandensein eines Wirkstoffs als solchem in einem Produkt gefährdet werden kann (EuGH GRUR 2022, 96, 98 Rn. 35 – Biofa/Sikma unter Hinweis auf die Urteile vom 01.03.2012, Rs. C-420/10 – Söll/Tetra sowie vom 19.12.2019, Rs. C-592/18 – Darie).
45Demnach haben sowohl EuGH als auch GA ersichtlich das Ziel vor Augen, die durch die BPR vorgesehenen Schutzmechanismen, wie die in Art. 95 Abs. 2 BPR geregelte Bezugspflicht und den Warnhinweis nach Art. 72 BPR, jedenfalls dann zur Anwendung zu bringen, wenn der der BPR unterfallende Wirkstoff in dem fraglichen Produkt enthalten ist und auch die gleiche Wirkung herbeiführt bzw. auf die gleiche Weise wirken soll wie das zugelassene Referenzprodukt. Genau diese Konstellation liegt, wie oben unter (1) und (2) bereits ausgeführt, dem Streitfall zugrunde. Deshalb kann auch nicht auf die in Art. 3 Abs. 1 lit. w) BPR angeführte technische Äquivalenz abgestellt werden, für die Art. 54 BPR ein bestimmtes Verfahren vorsieht.
46(4) Schließlich können die Antragsgegner auch nichts daraus herleiten, dass es in Genehmigungs- bzw. Zulassungsunterlagen zu dem von der Antragstellerin vertriebenen Produkt „SilicoSec“, das ausweislich der Bewerbung und der entsprechenden Registrierungsunterlagen ebenfalls aus Kieselgur besteht (Anlage VB8, Bl. 839 GA, Anlage VB9, Bl. 840 ff. GA), heißt, dass „aufgrund der physikalischen Wirkung […] eine verringerte Empfindlichkeit oder praktische Resistenz nicht beobachtet“ worden sei (S. 99 der Anlage VB9, Bl. 938 GA, Übersetzung S. 19 der Widerspruchsbegründung, Bl. 133 GA). Denn diese Ausführungen beziehen sich zum einen auf die Gefahr der Entstehung von Resistenzen durch den Einsatz von Kieselgur und stehen zum anderen im Kontext eines anderen Regelungsbereichs, nämlich des Pflanzenschutzmittelrechts, dem das Produkt „SilicoSec“ unterfällt; auf die zutreffenden Ausführungen der Antragstellerin (S. 13 des Schriftsatzes vom 22.05.2023, Bl. 1189 GA) kann Bezug genommen werden.
47bb) Ist nach dem Vorgesagten davon auszugehen, dass der von den Antragsgegnern eingesetzte Wirkstoff als solcher identisch ist mit demjenigen, der im von der Antragstellerin durchgeführten Wirkstoffgenehmigungsverfahrens bewertet wurde, verhilft es der Berufung auch nicht zum Erfolg, dass die Antragsgegner unter Berufung auf eine unterschiedliche Zusammensetzung ihres Produktes meinen, dass eine Identität zu verneinen sei. Eine völlige Übereinstimmung in der Zusammensetzung besteht im Streitfall zwar unstreitig nicht, weil das Produkt der Antragsgegner weitere Zusatzstoffe enthält und nicht wie dasjenige der Antragstellerin zu 100% aus Kieselgur besteht. Dies erweist sich jedoch als unschädlich. Bereits in seiner Entscheidung vom 20.05.2022 hat der Senat ausgeführt, dass die Nutzung von unterschiedlichen Hilfsstoffen in kleinsten Mengen (hier 2 %), die unstreitig keinen Einfluss auf die Wirkungen des Produkts entfalten, nicht dazu führt, dass eine erneute Prüfungskompetenz im Hinblick auf die bereits im Genehmigungsverfahren geprüften Fragen begründet wird (Senat GRUR 2022, 1078, 1081 Rn. 68 – HS Microgur II).
48An dieser Wertung ist auch unter Berücksichtigung der Einwände der Antragsgegner festzuhalten. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nunmehr einen Anteil von 5% an Seifen aus pflanzlichen Ölen in dem angegriffenen Produkt behauptet haben. Diese Zusammensetzung kann vielmehr zu Gunsten der Antragsgegner unterstellt werden, ohne dass die Richtigkeit der landgerichtlichen Entscheidung, in der zutreffend auf die nach dem bis dahin bestehenden Sach- und Streitstand nicht erfüllte sekundäre Darlegungslast der Antragsgegner abgestellt worden ist, hierdurch durchgreifend in Frage gestellt wird. Denn wie bereits ausgeführt macht sich das Produkt der Antragsgegner dieselbe Wirkungsweise zunutze, die dem genehmigten Wirkstoff Kieselgur zu eigen ist und werden nach eigener Aussage der Antragsgegner, wie sie in Anlage ASt. 7 festgehalten ist, die zugesetzten Stoffe in Gestalt von Seifen lediglich verwendet, damit der Wirkstoff besser an schwer zugängliche Stellen gelangen kann. Der Wirkstoff selbst und dessen intendierte Wirkung sind indes identisch. Insofern handelt es sich (entgegen S. 7 f. des Schriftsatzes der Antragsgegner vom 25.05.2023, Bl. 1256 f. GA) auch nicht um einen unzulässigen Zirkelschluss.
49Nichts anderes ergibt sich aus der von den Antragsgegnern zitierten Entscheidung des Landgerichts Dortmund (PharmR 2021, 313). Darin wird zwar die Beweislast für das Vorliegen eines Wirkstoffs zutreffend grundsätzlich dem Anspruchsteller und das Vorliegen der Ausnahme dem Anspruchsgegner auferlegt (a.a.O., 316). Im Streitfall liegt der Sachverhalt indes anders, weil in dem vom Landgericht Dortmund entschiedenen Fall gerade die Höhe der Wirkstoffkonzentration über oder unter der Wirkungsgrenze streitig war, während im Streitfall aus den dargestellten Gründen davon auszugehen ist, dass der Wirkstoff Kieselgur auch im Produkt der Antragsgegner die maßgebliche Wirkung entfaltet, so wie es auch in der Bewerbung (Anlage ASt. 7, Bl. 36 GA) dargestellt wird. Für eine solche Fallgestaltung hat GA Rantos (Rn. 78 der Schlussanträge vom 20.05.2021) ausgeführt: „Die Wirkung eines Biozidprodukts beruht nämlich grundsätzlich auf der Wirkung des darin enthaltenen Wirkstoffs und nicht auf den anderen in diesem Erzeugnis vorhandenen Stoffen, bei denen eine zweitrangige Bedeutung unterstellt wird (beispielsweise zur Form, Zusammensetzung oder Vermarktung beizutragen oder sogar die Wirkung dieses Wirkstoffs zu verstärken). Daher ist im Allgemeinen davon auszugehen, dass das fragliche Erzeugnis auch ein „Biozidprodukt“ ist, es sei denn, es steht fest, dass das betreffende Erzeugnis keinen bioziden Zweck verfolgt und dass der in diesem Erzeugnis enthaltene Wirkstoff aus chemischen Gründen seine biozide Wirkungsweise nicht entfaltet, so dass das Vorhandensein dieses Wirkstoffs aus anderen Gründen gerechtfertigt ist, die nicht mit der bioziden Wirkungsweise oder dem bioziden Zweck zusammenhängen. Daraus folgt, dass die Verwendung eines Wirkstoffs eine widerlegliche Vermutung begründet, dass das Produkt, das diesen Stoff enthält, tatsächlich ein Biozidprodukt ist, vor allem, wenn dieser Wirkstoff auf der Grundlage der Verordnung Nr. 528/2012 bewertet und genehmigt wurde.“
50Diese Ausführungen des GA stehen im Einklang mit dem von der BPR verfolgten Konzept eines hohen Gesundheits- und Umweltschutzniveaus und den entsprechenden Ausführungen des EuGH in der Entscheidung „Biofa/Sikma“, wie bereits oben näher erläutert worden ist. Aus ihnen folgt, dass eine Wirkstoffidentität jedenfalls dann nicht mit einer unterschiedlichen Zusammensetzung des angegriffenen Produkts gegenüber dem Referenzprodukt verneint werden kann, wenn die Änderungen in der Zusammensetzung – wie im Streitfall – schon nach der eigenen Einschätzung der Antragsgegner keine Abschwächung oder anderweitige Wirkung gegenüber dem Referenzprodukt entfalten.
51Soweit die Antragsgegner im Vorgehen des Landgerichts eine Hinweispflichtverletzung erblicken (S. 22 der Berufungsbegründung, Rn. 120, Bl. 135 eA) stellt dies keinen schlüssigen Vortrag zu einem Verfahrensfehler dar. Denn die Antragsgegner geben nicht an, was sie auf einen entsprechenden Hinweis des Landgerichts hin vorgetragen hätten. Der bloße Antritt weiteren Beweises ist im Verfügungsverfahren zur Glaubhaftmachung ohnehin nicht geeignet; die nicht näher bezeichneten „entsprechenden“ Gutachten sind nicht beigebracht.
52c) Die weiteren Voraussetzungen des Art. 3 Abs. lit a) BPR zum Vorliegen eines Biozidprodukts sind ebenfalls gegeben, wobei sich die Erfüllung der dritten Voraussetzung („auf andere Art als durch bloße physikalische oder mechanische Einwirkung“) bereits aus der Identität des verwendeten Wirkstoffs in Verbindung mit der Bindungswirkung der Genehmigung für den Wirkstoff Kieselgur ergibt. Auch dient das Produkt der Antragsgegner dem vorausgesetzten Zweck, Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, ihre Wirkung zu verhindern oder sie zu bekämpfen.
53Im angefochtenen Urteil ist insofern zutreffend ausgeführt, dass sich diese Zwecksetzung bereits aus der eigenen Bewerbung des Produkts (Anlage ASt. 7, Bl. 36 GA) ergibt, wo der Einsatz von „Mikrogur Plus“ zur Milbenbekämpfung in Hühnerställen durch Austrocknung der Milben empfohlen wird.
54Soweit die Antragsgegner hiergegen einwenden (S. 13 der Berufungsbegründung, Rn. 65, Bl. 126 eA), dass es nicht auf die subjektive Zwecksetzung ankommen könne, weil ansonsten auch unstreitig rein physikalisch wirkende Vorrichtungen wie UV-Desinfektionslampen als Biozid anzusehen wären, überzeugt dies schon deshalb nicht, weil das Merkmal der Zwecksetzung nur kumulativ mit den weiteren Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 lit. a) BPR zur Einstufung eines Produkts als Biozidprodukt führt und mithin insbesondere das Vorhandensein eines Wirkstoffs gegeben sein muss. Im Übrigen müssen sich die Antragsgegner an der von ihnen selbst beworbenen Zwecksetzung festhalten lassen. Vor diesem Hintergrund ist es unbeachtlich, weil mindestens widersprüchlich und ins Blaue hinein, wenn die Antragsgegner (S. 12, Rn. 58 der Berufungsbegründung, Bl. 125 eA) vortragen, dass ihrer Werbeaussage nicht zu entnehmen sei, dass die von ihr eingesetzte Kieselgur „überhaupt eine Wirkung gegen Schadorganismen, wie Milben und Parasiten im Hühnerstall entfaltet“. Denn dann würde sich die Frage stellen, wieso die Antragsgegner einem Produkt, das außer Kieselgur lediglich Seifen enthält, in der Werbung dieselben bzw. sogar verbesserte Eigenschaften wie anderen Kieselgur enthaltenden Produkten beimessen. Im Streitfall kann angesichts dessen offenbleiben, ob allein auf die subjektive Zweckbestimmung seitens des Herstellers oder auf die objektiv erkennbare Zweckbestimmung abzustellen ist (vgl. zum subjektiven Ansatz OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 31.08.2020, 6 W 85/20, GRUR-RS 2020, 23023 Rn. 10 – Essigspray I; nachgehend auf die objektiv erkennbare Zweckbestimmung abstellend dann OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 09.09.2021, 6 U 61/21, GRUR-RR 2022, 245, 246 Rn. 14 – Essigspray II). Denn beide Ansätze führen zum gleichen Ergebnis, nämlich der Annahme eines Biozids, weil auch objektiv davon auszugehen ist, dass Kieselgur der maßgebliche Wirkstoff im Produkt der Antragsgegner ist. Auf die obigen Ausführungen kann verwiesen werden.
55III.
56Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Dieses Urteil ist gemäß § 542 Abs. 2 ZPO mit seiner Verkündung rechtskräftig. Der Senat setzt den Streitwert angesichts der Bedeutung der Sache für die Antragstellerin in gleicher Höhe wie das Landgericht fest. Die niedrigere Festsetzung auf 20.000,00 €, die mit der Berufungsbegründung begehrt wird (Bl. 115 eA), wird nicht begründet und entspricht ersichtlich nicht dem Unterlassungsinteresse der Antragstellerin.