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Auch der mit Genehmigung des Gerichts gewählte Verteidiger im Sinne von § 138 Abs. 2 StPO muss die Revision als elektronisches Dokument einreichen.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aachen vom 29. Juni 2022 wird als unzulässig verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e :
2I.
3Das Amtsgericht Düren hat gegen den Angeklagten mit Strafbefehl vom 24. Februar 2021 wegen „Beförderungserschleichung“ in drei Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15,- € verhängt.
4Auf den Einspruch des Angeklagten hat das Amtsgericht Düren Hauptverhandlungstermin auf den 5. Juli 2021 bestimmt, auf dessen Antrag den anwesenden Herrn E. als Wahlverteidiger gemäß § 138 Abs. 2 StPO zugelassen und den Angeklagten wegen Erschleichens von Leistungen in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,- € verurteilt.
5Mit Urteil vom 29. Juni 2022 hat das Landgericht Aachen die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass diesem Ratenzahlung gewährt wird.
6Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete und ihm und seinem Verteidiger am 11. August 2022 zugestellte Urteil hat der Angeklagte mit Faxschreiben seines Verteidigers vom 29. Juni 2022, bei Gericht eingegangen am selben Tag, Revision eingelegt. Diese hat er mit Faxschreiben seines Verteidigers vom 29. August 2022 mit der Verletzung formellen und materiellen Recht begründet.
7Die Generalstaatsanwaltschaft hat dem Senat das Verfahren am 8. Dezember 2022 mit dem Antrag vorgelegt, die Revision des Angeklagten als unzulässig zu verwerfen, da diese nicht gemäß § 32d S. 2 StPO als elektronisches Dokument übermittelt worden sei.
8Dem Verteidiger ist der vorstehende Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zur Kenntnisnahme mit dem Hinweis übersandt worden, dass der Senat nicht vor dem 6. Januar 2023 entscheiden wird.
9Der Angeklagte hat mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. Dezember 2022 Stellung genommen und vorgetragen, dass es sich bei seinem gemäß § 138 Abs. 2 StPO zugelassenen Wahlverteidiger nicht um einen Rechtsanwalt, sondern um einen „Bürger“ handele, für den - wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 32d StPO ergebe - die Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr nicht verpflichtend sei. Darüber hinaus sei dem Verteidiger die Übermittlung eines elektronischen Dokuments in der von der StPO vorgesehenen Form dauerhaft nicht möglich.
10II.
11Die Revision ist unzulässig, da sie nicht formgerecht im Sinne von § 32d S. 2, § 341 Abs. 1 StPO eingelegt worden ist.
121. Nach § 341 Abs. 1 StPO muss die Revision bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, binnen einer Woche nach Verkündung des Urteils zu Protokoll der Geschäftsstelle oder schriftlich eingelegt werden. Verteidiger und Rechtsanwälte müssen die Begründung gemäß dem seit dem 1. Januar 2022 geltenden, durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5. Juli 2017 (BGBl. I S. 2208, 2210) eingeführten § 32d S. 2 StPO als elektronisches Dokument übermitteln. Nach dem Gesetzeswortlaut, dem Zusammenhang und insbesondere der Gesetzesbegründung handelt es sich hierbei um eine Wirksamkeitsvoraussetzung der Prozesshandlung; ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung (vgl. BT-Drucks. 18/9416 S. 51; vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. Juli 2022 - 4 StR 68/22 -, juris; OLG Oldenburg, Beschluss vom 25. Februar 2022 - 1 Ss 28/22 -, juris; Graf in Karlsruher Kommentar, StPO, 9. Aufl., § 32d Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl., § 32d Rn. 2).
13Den demgemäß zu beachtenden Anforderungen genügt die allein durch Telefax am 29. Juni 2022 eingelegte Revision nicht. Ein Ausnahmefall nach § 32d S. 3 und 4 StPO liegt nicht vor.
142. Der im Schriftsatz des Verteidigers vom 21. Dezember 2022 vertretenen Ansicht, die besondere Formvorschrift des § 32d S. 2 StPO gelte zwar für die Anwaltschaft, nicht jedoch für einen gemäß § 138 Abs. 2 StPO als Verteidiger zugelassenen „Bürger“, vermag sich der Senat nicht anzuschließen.
15a) Der eindeutige Wortlaut von § 32d StPO sieht die in S. 2 normierter Verpflichtung gerade nicht nur für Rechtsanwälte, sondern für „Verteidiger und Rechtsanwälte“ vor (vgl. auch BT-Drucks. 18/9416 S. 51: „§ 32 StPO-E beschränkt die Nutzungspflicht von vornherein auf Verteidiger und Rechtsanwälte“). Der Angeklagte hat vorliegend zu Beginn der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Düren am 5. Juli 2021 seinen Verteidiger gewählt und dieser hat die Wahl angenommen. Mit der Genehmigung durch das Amtsgericht Düren durch Beschluss vom selben Tag ist das Verteidigungsverhältnis wirksam entstanden (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 138 Rn. 10), unabhängig davon, ob der Wahlverteidiger entgeltlich oder unentgeltlich für den Angeklagten tätig geworden ist (vgl. Meyer-Goßner-Schmitt, a.a.O., Vor § 137 Rn. 4). Dies steht auch im Einklang mit § 297 StPO, der vorsieht, dass nicht nur ein Rechtsanwalt, sondern auch ein nach § 138 Abs. 2 StPO zugelassener Verteidiger wirksam ein Rechtsmittel einlegen kann, wohingegen der Anwendungsbereich von § 297 StPO für Prozessbevollmächtigte, die nicht Verteidiger sind, gerade nicht eröffnet ist (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 297 Rn. 1).
16b) Raum für eine teleologische Reduktion von § 32d S. 1 StPO dahin, Verteidiger, die nicht Rechtsanwälte sind, vom Anwendungsbereich der Norm auszunehmen, besteht nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Personenkreis von der Norm nicht erfasst werden sollte. In der Gesetzesbegründung wird deutlich gemacht, dass dieses besondere Formerfordernis nicht für Beschuldigte, nicht vertretene Nebenkläger und sonstige Verfahrensbeteiligte gelten soll (vgl. BT-Drucks. 18/9416, S. 51). Ausgenommen werden sollte also vor allem der „einfache“ Bürger in seinem Kontakt mit der Strafjustiz, dessen Zugang nicht erschwert werden sollte (vgl. auch BT-Drucks. 18/9416, S. 2 f.). Daraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die am Verfahren beteiligten Beistände von Beschuldigten vollständig erfasst werden sollten. Dafür spricht schließlich auch der Sinn und Zweck der Norm, denn eine elektronische Aktenführung kann nur dann die damit verbundenen Vorteile voll umfänglich entfalten, wenn möglichst alle Prozessbeteiligten ihre Beiträge systemgerecht einreichen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 22.06.2022 - 3 Ws (B) 123/22 - 122 Ss 58/22 -, juris; Graf in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 32d Rn. 1). Folglich sollte der davon ausgenommene Personenkreis möglichst klein bleiben (vgl. KG Berlin, a.a.O.).
17c) Darüber hinaus ist es dem Verteidiger des Angeklagten entgegen seinem Vortrag auch möglich, ein elektronisches Dokument in der von der StPO vorgesehenen Form zu übermitteln.
18Gemäß § 32a Abs. 4 S. 1 Nr. 4 StPO besteht für jedermann die Möglichkeit der sicheren Übermittlung per Postfach- und Versanddienst eines De-Mail-Kontos, wenn der Absender bei Versand der Nachricht sicher im Sinne des § 4 Abs. 1 S. 2 des De-Mail-Gesetzes angemeldet ist und er sich die sichere Anmeldung gemäß § 5 Abs. 5 des De-Mail-Gesetzes bestätigen lässt. Dass dem Verteidiger des Angeklagten diese Möglichkeit grundsätzlich auch bekannt ist, ergibt sich daraus, dass er das Schreiben vom 12. August 2022 per De-Mail - wenn auch ohne Absenderbestätigung - versandt hat (vgl. Bl. 296 ff. d. A.). Darüber hinaus besteht weiterhin die Möglichkeit, die Revision zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen.
193. Für eine Wiedereinsetzung ist kein Raum.
20Weder ist ein Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Revisionseinlegung gestellt noch die Revisionseinlegung nachgeholt worden (§ 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2. StPO), obwohl dem Verteidiger durch Verfügung des Vorsitzenden des Senats vom 20. Dezember 2022 der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 8. Dezember 2022 zur Kenntnisnahme mit dem Hinweis übersandt worden ist, dass der Senat nicht vor dem 6. Januar 2023 entscheiden wird.
21III.
22Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.
23Die gegen diese Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen: Beschl. v. 10.05.2023 – 2 BvR 369/23