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Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 09.02.2023, Az. 22 O 279/22, wird zurückgewiesen.
Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten der Berufung.
Oberlandesgericht Köln
2IM NAMEN DES VOLKES
3Urteil
4In dem Rechtsstreit
5hat der 18. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln
6auf die mündliche Verhandlung vom 22.05.2023
7durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Q., die Richterin am
8Amtsgericht M. und den Richter am Oberlandesgericht H.
9für Recht erkannt:
10Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 09.02.2023, Az. 22 O 279/22, wird zurückgewiesen.
11Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten der Berufung.
12Gründe
13Von einer Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.
14Die Berufung der Verfügungsbeklagten ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht einen Verfügungsanspruch der Verfügungsklägerin und einen Verfügungsgrund angenommen.
151. Der geltend gemachte Verfügungsanspruch steht der Verfügungsklägerin zu, denn das ihr gegenüber von der Verfügungsbeklagten geltend gemachte nachvertragliche Wettbewerbsverbot ist gemäß § 138 BGB unwirksam.
16a) Bei dem hier anzunehmenden Verfügungsanspruch handelt es sich zwar streng genommen weder um einen Gestattungsanspruch, wie dies im erstinstanzlichen Antrag der Verfügungsklägerin anklingt, noch um einen Duldungsanspruch entsprechend der Tenorierung des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung. Denn wenn das vertraglich vereinbarte Wettbewerbsverbot entsprechend der Auffassung der Klägerin tatsächlich unwirksam wäre, dann benötigte die Klägerin für die beabsichtigte Aufnahme einer neuen Tätigkeit als Geschäftsführerin bei der X. weder einer Gestattung dieser Tätigkeit durch die Verfügungsbeklagte noch eine Duldung der Aufnahme der Tätigkeit; wenn das Wettbewerbsverbot hingegen wirksam wäre, hätte sie von vornherein keinen Anspruch auf eine Gestattung oder Duldung einer hiervon erfassten Tätigkeit. In der Sache begehrt die Verfügungsklägerin vielmehr letztlich eine einstweilige Feststellung, dass das vertraglich vereinbarte – von ihr für unwirksam erachtete – nachvertragliche Wettbewerbsverbot der beabsichtigten Aufnahme einer Tätigkeit als Geschäftsführerin bei der X. nicht entgegenstehe, um dadurch – jedenfalls bis zu einer abschließenden Klärung der Wirksamkeit des Wettbewerbsverbots in einem Hauptsacheverfahren – insbesondere für sich das Risiko auszuschließen, bei vorheriger Aufnahme dieser Tätigkeit einem Unterlassungsanspruch und dem im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsverbot vereinbarten Vertragsstrafenanspruch der Verfügungsbeklagten ausgesetzt zu sein.
17Auch wenn die Zulässigkeit feststellender einstweiliger Verfügungen in Rechtsprechung und Literatur nicht unumstritten ist (vgl. im Einzelnen MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, § 938 Rn. 44; Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Auflage 2021, § 935 Rn. 46), wird eine einstweilige Feststellung jedoch u.a. dann für zulässig erachtet, wenn im Verhältnis zum Antragsgegner nichts zu vollstrecken ist, das festzustellende Rechtsverhältnis aber Folgewirkungen für Drittrechtsverhältnisse entfaltet (MüKoZPO/Drescher, a.a.O., § 938 Rn. 44 a.E.) oder wenn es schlechthin unzumutbar ist, den Verfügungsgläubiger auf das zu spät kommende Hauptsacheverfahren zu verweisen (Kindl/Meller-Hannich, a.a.O., § 935 Rn. 46 a.E.). Dies ist hier der Fall.
18Zum Einen ist die Wirksamkeit des neuen Anstellungsvertrags der Verfügungsklägerin ausdrücklich daran geknüpft, dass die Verfügungsklägerin nicht wegen eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots an der Ausübung der Tätigkeit gehindert ist bzw. – wie hier – einem entsprechenden Unterlassungsbegehren ausgesetzt ist. Dass die Verfügungsklägerin insofern mit der X. Anstellungsverträge abgeschlossen hat, von denen sowohl der ursprüngliche Anstellungsvertrag zum 01.04.2023 als auch der im Laufe des Verfahrens wegen zeitlicher Überholung abgeschlossene Anstellungsvertrag zum 01.05.2023 eine solche Klausel enthalten, steht fest, nachdem dies für den ursprünglichen Anstellungsvertrag erstinstanzlich ohnehin bereits nicht bestritten war und das erstmalige Bestreiten mit Nichtwissen im Berufungsverfahren verspätet und ohne die erforderliche Darlegung von Zulassungsgründen, §§ 531 Abs. 2, 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO erfolgte, und dies nach Einsichtnahme in den aktuellen Anstellungsvertrag im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Verfügungsbeklagten auch nicht mehr in Abrede gestellt wurde.
19Zum Anderen ist es der Verfügungsklägerin zur Gewährleistung ihres grundgesetzlich geschützten Rechts, ihren Beruf auszuüben, hier auch nicht zuzumuten, unter Inkaufnahme des Verlusts der Möglichkeit, die ihr konkret eröffnete neue Tätigkeit anzutreten, zunächst ein Hauptsacheverfahren über die Frage der Wirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots anzustrengen (tendenziell anders – mit Blick auf den Verfügungsgrund – aber wohl MüKoZPO/Drescher, a.a.O., § 935 Rn. 67) und sich für die Dauer eines solchen Hauptsacheverfahrens – schlimmstenfalls bis zum Ende der Geltungsdauer des Wettbewerbsverbots – an ein Wettbewerbsverbot zu halten, das sich dann am Ende des Hauptsacheverfahrens ggf. als unwirksam herausstellt.
20Der von der Verfügungsklägerin begehrten einstweiligen Regelung steht hier auch nicht die dogmatische Erwägung entgegen, dass wegen des beschränkten Streitgegenstandes des Verfügungsverfahrens eigentlich erst in der Hauptsache rechtskräftige Feststellungen über das streitige Rechtsverhältnis selbst getroffen werden können und eine feststellende Verfügung dem Gläubiger keine Rechtssicherheit verschaffen könne (vgl. hierzu Kindl/Meller-Hannich, a.a.O., § 935 Rn. 46). Denn unabhängig von der Frage, ob nicht wenigstens in den o.g. Fällen einer feststellenden Verfügung die Wirkung zukommen müsste, dass sie jedenfalls während des Zeitraums ihrer Geltungsdauer die Rechtsbeziehung der Parteien verbindlich regelt (vgl. hierzu Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 5. Auflage 2020, Teil 12: Die einstweilige Verfügung in Bausachen, Rn. 123-125), erhält die Verfügungsklägerin durch eine ihr günstige Entscheidung des Senats hier wenigstens faktisch den Ausschluss des Risikos, bei Aufnahme einer von dem Wettbewerbsverbot erfassten Tätigkeit einem Vertragsstrafenanspruch der Verfügungsbeklagten ausgesetzt zu sein. Denn wenn die Verfügungsklägerin mit ausdrücklicher gerichtlicher Gestattung ihre neue Tätigkeit aufnimmt, wird es bei einer nachträglichen Inanspruchnahme auf die Vertragsstrafe jedenfalls an dem für eine Verwirkung der Vertragsstrafe erforderlichen Verschulden fehlen.
21An der hiernach jedenfalls für den vorliegenden Fall als zulässig zu erachtenden einstweiligen Feststellung, dass der von der Verfügungsklägerin beabsichtigten Aufnahme einer Tätigkeit als Geschäftsführerin bei der X. das im Anstellungsvertrag zwischen den Parteien geregelte nachvertragliche Wettbewerbsverbot nicht entgegensteht, hat die Verfügungsklägerin auch das erforderlich Interesse, nachdem die Verfügungsbeklagte ihr gegenüber die
22Einhaltung des Wettbewerbsverbots verlangt (vgl. OLG München, Beschluss vom 2. August 2018 – 7 U 2107/18 –, Rn. 4).
23b) Mit dem Landgericht ist auch davon auszugehen, dass das Wettbewerbsverbot gemäß § 138 BGB i.V.m. Art. 2, 12 GG unwirksam ist.
24aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unterliegen die von einer GmbH mit ihren Geschäftsführern vereinbarten Wettbewerbsklauseln i. S. des § 74 Abs. 1 HGB nicht den für Handlungsgehilfen geltenden Beschränkungen der §§ 74ff. HGB, weil der Geschäftsführer nicht Handlungsgehilfe, sondern Organmitglied ist (BGH, Urteil vom 26.03.1984 - II ZR 229/83, NJW 1984, 2366; vgl. auch BGH, Hinweisbeschluss vom 07.07.2008 - II ZR 81/07, NZG 2008, 753). Stattdessen werden die Grenzen derartiger Wettbewerbsklauseln aus § 138 BGB i.V.m. Art. 2 und 12 GG und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ermittelt. Insofern stellt der Bundesgerichtshof an die Zulässigkeit von Vereinbarungen, die den Geschäftsführer einer GmbH für die Zeit nach Beendigung des Anstellungsverhältnisses in seiner gewerblichen Betätigung beschränken, strenge Anforderungen. Unter Heranziehung der in den §§ 74ff. HGB zum Ausdruck gekommenen Rechtsgrundsätze sind Wettbewerbsverbote nur dann zulässig, wenn sie dem Schutze eines berechtigten Interesses des Gesellschaftsunternehmens dienen und nach Ort, Zeit und Gegenstand die Berufsausübung und wirtschaftliche Betätigung des Geschäftsführers nicht unbillig erschweren (BGH, Urteil vom 26.03.1984 - II ZR 229/83, NJW 1984, 2366), wobei der insofern vorzunehmende Interessenausgleich eine umfassende Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles erfordert, insbesondere auch die Berücksichtigung des Zwecks, der mit der Vereinbarung des Wettbewerbsverbots verfolgt wird (BGH, Urteil vom 19.11.1973 – II ZR 52/72, BeckRS 2013, 15359). Ihre Rechtfertigung findet die wettbewerbsbeschränkende Abrede allein in dem anerkennenswerten Bestreben des von ihr begünstigten Teils, sich davor zu schützen, dass der andere Teil die Erfolge seiner Arbeit illoyal verwertet oder sich in sonstiger Weise zu seinen Lasten die Freiheit der Berufsausübung missbräuchlich zunutze macht; soweit dieses Interesse nicht betroffen ist, beschränken derartige Abreden die Freiheit der Berufsausübung unangemessen und sind sittenwidrig (BGH, Urteil vom 14.07.1997 - II ZR 238/96, NJW 1997, 3089). Insbesondere darf ein solches Wettbewerbsverbot rechtlich nicht dazu eingesetzt werden, den ehemaligen Geschäftsführer als potenziellen Wettbewerber auszuschalten (vgl. BGH, Urteil vom 08.05.2000 - II ZR 308/98, NJW 2000, 2584).
25(1) In Anwendung dieser Grundsätze geht das Landgericht zunächst im Einklang mit obergerichtlichen Entscheidungen zu vergleichbaren Klauseln davon aus, dass das unternehmensbezogene Wettbewerbsverbot nach Ziffer 9.1. (b) – wonach es der Verfügungsklägerin untersagt ist, als Mitglied der Geschäftsführung oder als Angestellter oder Berater oder Vertreter oder auf sonstige Weise für ein Unternehmen oder eine Person direkt oder indirekt tätig sein, die eine Konkurrenztätigkeit ausführt – unwirksam ist, da es jedwede Tätigkeit für ein Konkurrenzunternehmen untersagt und damit gegenständlich zu weit geht (vgl. hierzu OLG München, Beschluss vom 2. August 2018 – 7 U 2107/18 –, Rn. 9; OLG Hamm Urt. v. 14.7.2014 – 8 U 131/12, BeckRS 2016, 13633; OLG Hamm Urt. v. 8.8.2016 – 8 U 23/16, BeckRS 2016, 20914 Rn. 23; OLG Hamm NJW-RR 1993, 1314; OLG Düsseldorf NJW-RR 1994, 35; OLG Brandenburg, Urt. v. 15.12.2020 – 6 U 172/18, BeckRS 2020, 40116 Rn. 52). Insofern verbietet die Klausel nämlich eine Tätigkeit der Verfügungsklägerin selbst dann, wenn sie dort bspw. in einem Bereich tätig wäre, in dem das Konkurrenzunternehmen gar nicht konkurriert, was jedoch selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Verfügungsklägerin ihr Wissen aus ihrer 25jährigen Tätigkeit als Gründerin und Geschäftsführerin der Verfügungsbeklagten mitnimmt, nicht mehr zu rechtfertigen ist.
26Insofern kommt es nicht entscheidend darauf an, ob Ziffer 9.1. (b) tatsächlich so weitgehend zu verstehen ist, dass hiermit tatsächlich auch solche Tätigkeiten gemeint waren, die – wie bspw. als Hausmeisterin – offenkundig in keinerlei Bezug zur Tätigkeit der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten stehen. Denn auch wenn der Umfang des Wettbewerbsverbots zunächst einmal nach den allgemeinen
27Grundsätzen der Vertragsauslegung zu ermitteln ist (vgl.MüKoGmbHG/Jaeger/Steinbrück, 4. Aufl. 2023, § 35 Rn. 389 Fn. 885), ist die Klausel – deren Formulierung unstreitig von der Verfügungsbeklagten stammt – derart weit formuliert, dass eine Tätigkeit für ein konkurrierendes Unternehmen umfassend ausgeschlossen werden sollte und damit jedenfalls auch – unzulässigerweise – eine Vielzahl von ernsthaft in Betracht zu ziehenden Tätigkeitsbereichen in einem solchen Unternehmen, die keinen Bezug zu der vorangegangenen Tätigkeit der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten aufweisen, ausgeschlossen werden.
28(2) Soweit die Verfügungsbeklagte beanstandet, dass das Landgericht sich nicht mit dem tätigkeitsbezogenen Wettbewerbsverbot in Ziffer 9.1. (a) – welches der Verfügungsklägerin die direkte oder indirekte Ausübung von Geschäftsaktivitäten untersagt, die mit den Geschäftstätigkeiten der Gesellschaft im Tätigkeits-Gebiet am Kündigungstag konkurrieren – befasst habe, vermag dies ihrer Berufung im Ergebnis ebenfalls nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn unabhängig von der Frage, ob diese Klausel überhaupt die von der Verfügungsklägerin beabsichtigte unselbständige Tätigkeit erfasst, wird auch ein derart weit gefasstes tätigkeitsbezogenes Wettbewerbsverbot, das seinem Gegenstand nach auf eine vollständige Ausschaltung als Wettbewerber abzielt, in der Rechtsprechung als unzulässig angesehen (vgl. BGH NJW 1984, 2366; OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. März 2000 – 17 U 133/99 –, Rn. 15). Insofern wendet die Verfügungsklägerin insbesondere zu Recht ein, dass ihr dadurch, dass die Klausel auf sämtliche Geschäftstätigkeiten der Verfügungsbeklagten abstellt, auch solche Tätigkeiten verboten werden, die keinen Bezug zu ihrer eigenen Tätigkeit bei der Verfügungsbeklagten haben.
29(3) Da das streitgegenständliche Wettbewerbsverbot hiernach sowohl in seiner tätigkeitsbezogenen als auch in der unternehmensbezogenen Ausformung gegenständlich derart weit gefasst ist, dass es nur dazu dient, die Verfügungsklägerin als ehemalige Geschäftsführerin vollständig als potenziellen Wettbewerber auszuschalten und es aus diesem Grund bereits sittenwidrig und damit nichtig ist, kommt es nicht darauf an, ob dem Verstoß – wie das Landgericht ausführt und die Verfügungsbeklagte beanstandet – wegen der vereinbarten Vertragsstrafe noch ein besonderes Gewicht zukommt. Es kann auch dahinstehen, ob entgegen der Auffassung des Landgerichts die Vereinbarung einer Karenzentschädigung bei der im Rahmen des § 138 BGB erforderlichen umfassenden Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles bei der Bewertung einer unbilligen Erschwerung des Fortkommens grundsätzlich berücksichtigungsfähig wäre (ablehnend OLG München, Beschluss vom 2.8.2018 – 7 U 2107/18, Rn. 8; OLG Hamm Urt. v. 14.7.2014 – 8 U 131/12, BeckRS 2016, 13633). Denn die hier vereinbarte Karenzentschädigung in Höhe von 75% der zuletzt erhaltenen Vergütung ist jedenfalls nicht hinreichend, um das weit über die Tätigkeit der Verfügungsklägerin bei der Verfügungsbeklagten hinausgehende Wettbewerbsverbot zu kompensieren.
30bb) Zu Recht ist geltungserhaltende |
das Landgericht Reduktion des |
auch davon ausgegangen, Wettbewerbsverbots dahin, |
dass dass |
Verfügungsklägerin |
jedenfalls die Tätigkeit als Geschäftsführerin |
bei |
eine der einem Konkurrenzunternehmen untersagt ist, ausscheidet.
32(1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt eine geltungserhaltende Reduktion (letztlich im Sinne einer Teilnichtigkeit nach § 139 BGB) allenfalls in quantitativer Hinsicht in Betracht, bspw. durch Zurückführung einer zeitlich unbegrenzten Wettbewerbsbeschränkung auf das noch zu billigende Maß (ähnlich ggf. bei einer räumlichen Überschreitung). Eine geltungserhaltende Reduktion findet ihre Grenze aber dort, wo es nicht mehr lediglich darum geht, eine bloß quantitativ zu weitgehende, im Übrigen aber von dem anzuerkennenden Willen der Parteien getragene Regelung auf das zulässige Maß zurückzuführen, sondern wo das Wettbewerbsverbot dem Gegenstand nach das zulässige Maß überschreitet. Bei einer nicht bloß aus der quantitativen Überschreitung der zulässigen Grenzen hergeleiteten Sittenwidrigkeit müsste das Gericht nämlich auf den übrigen Inhalt des sittenwidrigen Geschäfts rechtsgestaltend einwirken, um den Einklang mit der Rechtsordnung herzustellen. Das überschreitet nicht nur den den Gerichten eingeräumten Gestaltungsspielraum, weil – wie die gerichtliche Praxis zeigt – die unterschiedlichsten Regelungen denkbar sind, um z.B. einen sachgerechten, die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen berücksichtigenden Interessenausgleich herbeizuführen. Es widerspricht auch dem mit § 138 BGB verfolgten Zweck, den Betroffenen das Risiko zuzuweisen, dass eine zwischen ihnen getroffene Vereinbarung sittenwidrig und nichtig ist (BGH, Urteil vom 14.07.1997 - II ZR 238/96, NJW 1997, 3089; OLG München NZA-RR 2019, 82 Rn. 14). Denn könnte derjenige, der seinen Vertragspartner in sittenwidriger Weise übervorteilt, damit rechnen, schlimmstenfalls durch gerichtliche Festsetzung das zu bekommen, was gerade noch vertretbar und damit sittengemäß ist, verlöre das sittenwidrige Rechtsgeschäft für ihn das Risiko, mit dem es durch die vom Gesetz angedrohte Nichtigkeitsfolge behaftet sein soll (vgl. BGH, Urteil vom 28.04.1986 - II ZR 254/85, NJW 1986, 2944).
33Soweit die Verfügungsbeklagte diese tradierten Grundsätze aus der zivilgerichtlichen Rechtsprechung unter Bezugnahme auf die hiergegen in der Literatur erhobenen Bedenken – insbesondere weil es sich als eine Besserstellung von Organen auswirke, wenn bei diesen die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion eines gegenständlich zu weit gefassten Wettbewerbsverbots ausgeschlossen werde, die gemäß § 74a Abs. 1 HGB im Verhältnis zu Arbeitnehmern aber gesetzlich vorgesehen und von den Arbeitsgerichten auch so praktiziert werde – sieht der Senat keinen Anlass, im vorliegenden Verfahren von der tradierten zivilgerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen. Bereits das Landgericht hat sich umfassend argumentativ mit dieser Problematik auseinandergesetzt (vgl. S. 11f. des angefochtenen Urteils), worauf Bezug genommen wird.
34(2) In gleicher Weise scheidet – wie das Landgericht ebenfalls bereits ausführlich dargelegt hat – eine Reduktion mittels der vereinbarten salvatorischen Klausel aus (vgl. v. Westphalen/Thüsing, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Werkstand: 48. EL März 2022, Geschäftsführerverträge Rn. 223) sowie auch eine Reduktion infolge des vertraglich u.a. in Bezug genommenen § 74a Abs. 1 HGB.
35Im Hinblick auf die vertragliche Bezugnahme auf § 74a Abs. 1 HGB ist bereits zweifelhaft, ob diese Vorschrift überhaupt umfassend für das unter Ziffer 9 des Anstellungsvertrags geregelte Wettbewerbsverbot einbezogen werden sollte. Denn die entsprechende Bezugnahme erfolgt lediglich in Ziffer 9.3, wo aber allein die Karenzentschädigung geregelt ist. Demgemäß wurden an dieser Stelle erkennbar nur diejenigen Vorschriften des HGB einbezogen, die sich in irgendeiner Weise auf eine Karenzentschädigung beziehen. Insoweit spricht daher bei systematischer Betrachtung viel dafür, dass auch die Einbeziehung des § 74a HGB allenfalls insofern erfolgen sollte, als es dort (in Abs. 1 Satz 2) um die Karenzentschädigung geht.
36Selbst wenn aber die Einbeziehung des § 74a HGB auch mit dem Ziele der Ermöglichung einer umfassenden Anwendung der dort in Abs. 1 Satz 1 geregelten geltungserhaltenden Reduktion erfolgt sein sollte, würde dies der Verfügungsbeklagten nicht zum Vorteil gereichen. Denn die vertragliche Bezugnahme auf § 74a Abs. 1 Satz 1 HGB wäre insofern nichts anderes als eine – aus den v.g. Gründen wirkungslose – salvatorische Klausel (vgl. v. Westphalen/Thüsing, a.a.O. Rn. 223). Denn so oder so wird hierdurch in unzulässiger Weise das Risiko der Sittenwidrigkeit einseitig zulasten des Vertragspartners verschoben (vgl. v. Westphalen/Thüsing, a.a.O. Rn. 223).
37Soweit die Verfügungsbeklagte Bezug nimmt auf eine Entscheidung eines anderen Senats des Oberlandesgerichts Köln, der demgegenüber in der Tat bei einem gegenständlich zu weit gefassten Wettbewerbsverbot die Möglichkeit einer geltungserhaltenden Reduktion durch eine salvatorische Klausel angenommen hat (OLG Köln, Urteil vom 5. Oktober 2000 – 12 U 62/00 –, juris), handelt es sich um eine vereinzelt gebliebene Entscheidung (vgl. v. Westphalen/Thüsing, a.a.O. Rn. 223 Fn. 1033 a.E.), die – was aber auch das Landgericht bereits ausgeführt hat – auch in der Literatur nicht auf Zustimmung gestoßen ist (vgl. Gitter, NZG 2001, 168f.) und der auch der Senat vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 138 BGB nicht beizutreten vermag. Dieser würde nämlich – was letztlich auch die v.g. Entscheidung sieht – ausgehöhlt, wenn das Risiko des Vertragspartners, der den anderen in sittenwidriger Weise übervorteilt, sich nur auf eine Anpassung beschränkt und nicht mehr die Nichtigkeit des Geschäftes zur Folge haben würde.
38c) Ob das nachvertragliche Wettbewerbsverbot darüber hinaus auch eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt, die dann daneben gemäß § 307 BGB unwirksam wäre, kann hiernach dahinstehen.
392. Ein Verfügungsgrund liegt vor, insbesondere ist es aus den oben unter 1. a) dargelegten Gründen gemäß § 940 ZPO i.V.m. § 935 ZPO zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig, einstweilen festzustellen, dass das unwirksame Wettbewerbsverbot der Aufnahme einer Tätigkeit der Verfügungsklägerin als Geschäftsführerin bei der X. nicht entgegensteht.
40Die Dringlichkeit ist hier auch nicht durch Selbstwiderlegung seitens der Verfügungsklägerin entfallen. Nach ihrer Abberufung am 11.08.2022 durfte die Verfügungsklägerin zunächst berechtigterweise die Erwartung hegen, dass die Verfügungsbeklagte auf das vereinbarte nachvertragliche Wettbewerbsverbot verzichten würde, nachdem ihr der Gesellschafterbeschluss mit einem entsprechenden Inhalt mitgeteilt worden war. Auch in der Folgezeit bestand zunächst kein Anlass, hieran zu zweifeln. Insbesondere der E-Mailverkehr in den sich anschließenden und letztlich fruchtlos verlaufenden Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag befasst sich allein damit, dass die Verfügungsbeklagte auf das vertragliche Wettbewerbsverbot während der laufenden Freistellung Wert legte, bezog sich aber nicht auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot, auf welches vielmehr nach einem von der Verfügungsbeklagten selbst gefertigten Entwurf einer Aufhebungsvereinbarung zum 28.02.2023 verzichtet werden sollte (vgl. Anlagen AS3/AG6/AG7). Vor diesem Hintergrund erscheint es auch unschädlich, dass die Verfügungsklägerin selbst Verhandlungen über die Aufhebung des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots erst wieder aufgegriffen hat, als sich die Möglichkeit einer Anstellung bei der X. auftat.
41Erstmals Ende September 2022 / Anfang Oktober 2022 wurde im Zusammenhang mit einer E-Mail des Geschäftsführers der Alleingesellschafterin (vgl. Anlage AS5) erkennbar, dass dem Antritt einer neuen Tätigkeit bei der X. aufgrund des von der Verfügungsklägerin am 05.10.2022 unterzeichneten Vertrags eine Berufung der Verfügungsbeklagten auf das nachvertragliche Wettbewerbsverbot entgegenstehen könnte. Auch zu jenem Zeitpunkt bestand jedoch, wie das Landgericht zu Recht feststellt, noch kein unmittelbarer Handlungsbedarf, nachdem der Vertreter der Alleingesellschafterin in einem Gespräch vom 06.10.2022 erklärt hatte, das Wettbewerbsverbot „bei Wohlverhalten“ aufzuheben. Eine relevante Abweichung zur diesbezüglichen eidesstattlichen Versicherung der Verfügungsbeklagten (Anlage AS2), wonach der Vertreter der Alleingesellschafterin ihr zu dem ihm bekannten Angebot der X. in Aussicht gestellt habe, ihr nicht durch ein Festhalten an dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot im Wege stehen zu wollen, wenn er den Eindruck gewänne, dass sie nicht (mehr) beabsichtigte, der Verfügungsbeklagten und ihrer Geschäftsführerin zu schaden, vermag der Senat entgegen der Bewertung der Verfügungsbeklagten nicht zu erkennen; im Gegenteil entspricht dies letztlich auch bereits dem Inhalt der E-Mail des Vertreters der Alleingesellschafterin vom 26.09.2022 (Anlage AS5), dass Gespräche über die Aufhebung des Wettbewerbsverbots u.a. dann aufgenommen werden könnten, wenn alle Beteiligten ein konstruktives Verhalten pflegen. Bei dieser Ausgangslage durfte die Verfügungsklägerin Anfang Oktober 2022 noch davon ausgehen, dass vor Beginn der neuen Tätigkeit bei der X. eine einvernehmliche Aufhebung des Wettbewerbsverbots ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe erreichbar war.
42Dies änderte sich erst durch die Nachrichten des Vertreters der Alleingesellschafterin vom 22.11. und 28.11.22 (Anlagen AS8/AS10, u.a.: „derzeit würden wir das Wettbewerbsverbot definitiv nicht aufheben“). Ausgehend hiervon erfolgte die Antragstellung am 13.12.2022 jedoch in dem gebotenen zeitlichen Rahmen.
433. Der begehrten Regelung steht auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Eine solche ist in Ausnahmefällen (dann aber möglichst befristet) unter Abwägung zwischen den Belangen des Gläubigers und des Schuldners und Berücksichtigung der Dringlichkeit für den Gläubiger, der auf Seiten der Beteiligten zu erwartenden irreversiblen Schäden und der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zulässig (vgl. Kindl/Meller-Hannich, a.a.O., § 935 ZPO Rn. 36). Angesichts der auf Grundlage der tradierten zivilgerichtliche Rechtsprechung auch im Hauptsacheverfahren zu erwartenden Feststellung der Unwirksamkeit des Wettbewerbsverbots, dem ohnehin bestehenden Schutz der Geheimnisse der Verfügungsbeklagten über § 85 GmbHG und der obigen Ausführungen zur Dringlichkeit und dem für die Verfügungsklägerin zu erwartenden Nachteil, die Möglichkeit einer Tätigkeit für die X. wegen der Berufung der Verfügungsbeklagten auf das unwirksame Wettbewerbsverbot zu verlieren (Art. 2, 12 GG), ist daher jedenfalls für den Zeitraum bis zur Erlangung einer rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung hier eine vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache als zulässig anzusehen, selbst wenn dies im Ergebnis einen etwaigen Vertragsstrafenanspruch der Verfügungsbeklagten jedenfalls faktisch ausschließt und bis zum Endzeitpunkt des Wettbewerbsverbots eine abschließende Entscheidung in der Hauptsache nicht zu erwarten ist. Dies erscheint auch deshalb gerechtfertigt, weil es in ähnlicher Weise auch im spiegelbildlichen Falle – wenn nämlich die Verfügungsbeklagte gestützt auf die Behauptung eines wirksamen nachvertraglichen Wettbewerbsverbots im einstweiligen Verfügungsverfahren einen Anspruch auf Unterlassung von Wettbewerb gegen die Verfügungsklägerin durchsetzen wolle – zu einer zeitweisen Vorwegnahme der Hauptsache zulasten der hiesigen Verfügungsklägerin käme (vgl. Fischer, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 7, 6. Auflage 2020, § 19 Einstweiliges Verfügungsverfahren Rn. 77).
444. Auch wenn die Verfügungsklägerin aus den bereits dargelegten Gründen in der Sache letztlich eine Feststellung begehrt, sieht der Senat in Anwendung des nach § 938 Abs. 1 ZPO gegebenen Ermessens keinen Anlass, den auf vorläufige Duldung eines Tätigwerdens der Verfügungsklägerin als Geschäftsführerin bei der Firma X. gerichteten Urteilsausspruch des Landgerichts anzupassen, da hierdurch in sachgerechter Weise zum Ausdruck kommt, dass die Verfügungsbeklagte es wegen der hier angenommenen Unwirksamkeit des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots einstweilen hinzunehmen hat, dass die Verfügungsklägerin die von ihr beabsichtigte Tätigkeit aufnimmt.
455. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Eines Ausspruchs zur Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, da ein Rechtsmittel gemäß § 542 Abs. 2 ZPO nicht gegeben ist und das Urteil daher mit Verkündung rechtskräftig und damit endgültig vollstreckbar ist (MüKoZPO/Götz, 6. Aufl. 2020, § 713 Rn. 2).
46Streitwert des Berufungsverfahrens: 300.000 €