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Zur Zulässigkeit der Entscheidung im Beschlusswege, wenn das Tatgericht eine Geldbuße von 1.500,-- € und ein einmonatiges Fahrverbot verhängt, nachdem die Verteidigung ihr Einverständnis unter der Bedingung erklärt hatte, dass „lediglich ein einmonatiges Fahrverbot gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (nach vorheriger Verständigung mit der Verteidigung) verhängt“ werde
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Siegburg vom 6. Oktober 2022 wird als unbegründet verworfen
Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
2I.
3Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Siegburg gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf eine Geldbuße von 1.500 € erkannt und ihm für die Dauer von einem Monat verboten, Kraftfahrzeuge aller Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen.
4Mit der hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene, das Beschlussverfahren sei gesperrt gewesen.
5Die Generalstaatsanwaltschaft hat Urteilsaufhebung beantragt.
6II.
7Das Zulässigkeitsbedenken nicht unterliegende Rechtsmittel bleibt in der Sache selbst ohne Erfolg.
81.
9Die gemäß § 79 Abs. 1 Ziff. 5 OWiG eröffnete Verfahrensrüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG ist unbegründet.
10a)
11Ihr liegt das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde:
12Mit Bußgeldbescheid des Rhein-Sieg-Kreises vom 21. April 2022 wurde gegen den Betroffenen wegen einer am 18. Februar 2022 außerorts begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld von 700,-- € verhängt und zugleich ein zweimonatiges Fahrverbot unter Zubilligung einer Abgabefrist von vier Monaten angeordnet. Hiergegen legte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16. Mai 2022 Einspruch ein; im Einspruchsschriftsatz ist ausgeführt: „Einer eventuellen Entscheidung des Gerichts im Beschlussverfahren nach § 72 OWiG wird schon jetzt ausdrücklich widersprochen“.
13Nach Zustellung der Terminsladung am 13. August 2022 erklärte der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 17. August 2022 sein Einverständnis mit einer Entscheidung im Beschlussverfahren, „wenn lediglich ein 1monatiges Fahrverbot gegen angemessene Erhöhung der Geldbuße (nach vorheriger Verständigung mit der Verteidigung) verhängt“ werde.
14Das Amtsgericht Siegburg hat dem Betroffenen mit Schreiben vom 31. August 2022 mitgeteilt, es sei beabsichtigt, die Geldbuße auf 1.500,-- € zu erhöhen und das Fahrverbot auf einen Monat zu reduzieren. Weiter heißt es in dem Schreiben: „Gegen die beabsichtigte Verfahrensweise können sie gemäß § 72 OWiG Widerspruch erheben. Dieser muss innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Schreibens bei Gericht eingegangen sein. Im Falle des Widerspruchs wird Termin zur Hauptverhandlung bestimmt werden“. Eine Reaktion des Betroffenen auf dieses Schreiben ist nicht mehr erfolgt.
15b)
16Angesichts dieser - mit der Rechtsbeschwerde zutreffend vorgetragenen (zur Vortragslast vgl. OLG Schleswig, B. v. 26.05.2004 – 1 Ss OWi 79/04 (70/04) - Juris) – prozessualen Sachlage ist die Rüge der Verletzung des § 72 Abs. 1 OWiG unbegründet. Das Beschlussverfahren war nicht gesperrt.
17aa)
18Nach der genannten Vorschrift kann das Gericht durch Beschluss entscheiden, wenn es eine Hauptverhandlung nicht für erforderlich hält und Betroffener und Staatsanwaltschaft diesem Verfahren nicht widersprechen.
19bb)
20Anerkannt ist, dass der das Beschlussverfahren sperrende Widerspruch – wie hier - bereits im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde erklärt werden kann; Wirksamkeit entfaltet er mit Eingang bei Gericht (Göhler-Seitz/Bauer, OWiG, 198. Auflage 2021, § 72 Rz. 29).
21Es bestehen weiter keine Bedenken dagegen, den zunächst erklärten unbedingten Widerspruch nachträglich durch das Hinzufügen von Bedingungen zum bedingten Einverständnis zu modifizieren (OLG Hamburg zfs 2019, 49). Dies ist hier als Reaktion auf den Zugang der Terminsladung mit Schriftsatz vom 17. August 2022 geschehen.
22cc)
23(1)
24Dieser Schriftsatz enthält nämlich über bloße Anregungen hinausgehende Bedingungen für die Zulässigkeit der Entscheidung im Beschlusswege. In Fällen der vorliegenden Art ist im Einzelfall zu entscheiden, ob Erklärungen des Betroffenen, die seinem Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren hinzugefügt werden, als wirkliche Bedingungen oder lediglich als Anregungen anzusehen sind (OLG Bamberg DAR 2016, 470; Göhler-Seitz/Bauer, a.a.O. Rz. 22; Gassner/Seith-Krumm, OWiG, 2. Auflage 2020, § 72 Rz. 5). Hier ist schon nach dem Wortlaut der Erklärung (Einverständnis, „wenn …“) von echten Bedingungen auszugehen.
25(2)
26Diese Erklärung war auch zulässig. Es ist – auch in der Rechtsprechung des Senats - anerkannt, dass es zulässig ist, die Einverständniserklärung unter eine einschränkende Bedingung zu stellen, namentlich dann, wenn es – wie hier – ausschließlich in der Hand des Gerichts liegt, der Bedingung zu entsprechen oder nicht; der für Rechtsmittel geltende Grundsatz der Bedingungsfeindlichkeit gilt insoweit nicht, weil es sich bei dem Widerspruch nicht um ein Rechtsmittel, sondern um ein prozessuales Gestaltungsrecht handelt (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1990, 1059 m.w.N.). Können die Bedingungen oder Voraussetzungen nicht eingehalten werden, so liegt kein Einverständnis, sondern ein Widerspruch vor (SenE v. 21.02.2020 – III-1 RBs 60/20; OLG Brandenburg NZV 2019, 538; KG VRS 135, 21; OLG Hamm NStZ-RR 2013, 354; OLG Karlsruhe NZV 2013, 98; OLG Zweibrücken, B. v. 14.01.2008 – 1 Ss 3/08 Juris; OLG Düsseldorf a.a.O.; BeckOK-OWiG-Hettenbach, 36. Edition 01.10.2022, § 72 Rz. 26; Rebmann/Roth/Herrmann, OWiG, § 72 Rz. 10 m. w. N.).
27Dies zugrunde gelegt, ist hier von einer Erfüllung der gestellten Bedingungen auszugehen. Dabei kann für den vorliegenden Fall dahinstehen, ob das Tatgericht nicht bereits durch die Entscheidung selbst den gestellten Bedingungen nachgekommen ist. Dies hat der Senat für eine Sachgestaltung angenommen, in welcher nach Erklärung des (im auch hier in Rede stehenden Sinne) bedingten Einverständnisses ohne weitere Zwischenschritte eine Entscheidung im Beschlussverfahren ergangen war und dazu ausgeführt, die mit dem Begriff der Angemessenheit in das Ermessen gestellte Entscheidung entziehe sich schon per definitionem einer vorherigen Absprache im Sinne einer Verständigung (SenE v. 23.07.2015 – III-1 RBs 236/15; a. A. aber OLG Hamburg zfs 2019, 49; dem zust. Krenberger/Krumm, OWiG, 7. Auflage 2022, § 72 Rz. 24). So liegen die Dinge auch hier: Die Reduzierung des Fahrverbots entsprach vollumfänglich den Vorstellungen des Betroffenen. Auch die im Gegenzug erfolgte Erhöhung der Geldbuße auf etwas mehr als das Doppelte der im Bußgeldbescheid erkannten Summe ist als angemessen zu betrachten, so dass sie sich in gleicher Weise mit der Bedingung des Betroffenen deckte.
28Selbst wenn man dies aber – mit dem OLG Hamburg - anders sehen wollte, hat doch das Tatgericht der Verteidigung gegenüber seine Vorstellung einer „angemessenen“ Erhöhung der Geldbuße nicht nur offen gelegt, sondern durch die – wenngleich ersichtlich einer Formularverfügung zur Einleitung des Beschlussverfahrens entlehnten – Fristsetzung zu erkennen gegeben, dass es vor Fristablauf nicht entscheiden werde. Für den Fall des Widerspruchs hat es angekündigt, Termin zur Hauptverhandlung bestimmen zu wollen. Es hat dann über den Fristablauf hinaus noch etwa zwei Wochen mit der Entscheidung zugewartet und damit dem Betroffenen und dem Verteidiger alle Gelegenheit gegeben, abweichende Vorstellungen zu äußern. Da dies nicht geschehen ist, durfte das Tatgericht ohne weiteres im Sinne einer erfolgten Verständigung davon ausgehen, dass auch die Verteidigung die vorgesehene Erhöhung des Bußgelds – die sich ja auch in einem durchaus ganz üblichen Rahmen hielt – für angemessen erachtete. Keinesfalls war das Tatgericht bei dieser Sachlage gehalten, etwa (Termin zur Hauptverhandlung zu bestimmen,) nochmals nachzufragen oder gar den (fernmündlichen) Kontakt mit der Verteidigung zu suchen.
292.
30Eine Rüge der Verletzung materiellen Rechts (Sachrüge) ist nicht erhoben.
31III.
32Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO.