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1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 04.11.2021, Az. 2 O 74/20, unter gleichzeitiger Zurückweisung der Berufung des Klägers teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte ihrerseits Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages erbringt.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e:
2I.
3Die Parteien streiten um eine Ersatzpflicht der Beklagten für einen Insolvenzvertiefungs- und einen Insolvenzverschleppungsschaden.
4Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der F. GmbH (Schuldnerin). Die Beklagte war als Steuerberaterin mit der Erstellung der Jahresabschlüsse und Steuererklärungen für die Schuldnerin beauftragt. Geschäftsführer der Schuldnerin war Herr T. B.. Dieser war zugleich gemeinsam mit Herrn A. C. Gesellschafter mit einer Beteiligung von jeweils 50 %. Prokurist war Herr X. C..
5Die Geschäftsentwicklung der Schuldnerin stellte sich wie folgt dar:
6Die Schuldnerin erwirtschaftete bis einschließlich September 2012 ein negatives Ergebnis in Höhe von 161.038,77 EUR.
7Für die Geschäftsjahre ab 2012 ergaben sich folgende Daten:
8
Geschäftsjahr |
Ergebnis |
Eigenkapital |
2012 |
- 108.433,76 EUR |
- 73.852,13 EUR |
2013 |
+ 7,64 EUR |
-73.844,49 EUR |
2014 |
- 192.384,04 EUR |
- 266.228,53 EUR |
2015 |
+ 125.605,08 EUR |
-140.623,45 EUR |
2016 (bis Mai) |
- 153.846,27 EUR |
- 294.469,72 EUR |
Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen (Bl. 31 ff. 2012; Bl. 50 2013; Bl. 51 2014; Bl. 52 und 618 ff. 2015; Bl. 53 2016).
10Am 22.01.2013 führten die Parteien ein Beratungsgespräch, an dem auf Seiten der Schuldnerin der Geschäftsführer B. teilnahm und welches die Parteien als „Krisengespräch“ bezeichneten. Am Folgetag, dem 23.01.2013, teilte die für die Beklagte tätige Rechtsanwältin O. dem Geschäftsführer der Schuldnerin u.a. folgendes mit:
11„Bei dieser Gelegenheit noch einmal zu gestern:
12… Das Zahlenbild müssen Sie und Herr E. genau prüfen. Die Lage von F. ist sicher nicht einfach, auch nicht für sie persönlich. Ich hoffe und wünsche Ihnen und Herrn E., dass sie einen Weg finden, die harte Arbeit der letzten Jahre zu retten. Wie gestern besprochen, wird das ohne Zuführung von Geldmitteln leider nicht gehen. …
13Sie als Geschäftsführer müssen aber beachten, dass Sie gesetzlich zur Insolvenzantragstellung verpflichtet sind, wenn die Gesellschaft überschuldet ist (2011 war das nicht so, Zahlen JA 2012 liegen noch nicht vor) oder zahlungsunfähig ist. Die Liquidität der Gesellschaft ist ausweislich dessen, was wir gestern besprochen haben, aktuell nicht ausreichend, Ihre Frau ist eingesprungen, um die Löhne zu sichern. Dies bedeutet, dass Sie in der gegenwärtigen Situation regelmäßig überprüfen müssen, ob sichergestellt ist, dass jeweils die in den nächsten 4 Wochen fälligen Verpflichtungen im Wesentlichen (zu mindestens 90 %) erfüllt werden können. Ist dies nicht der Fall, sind Sie verpflichtet, spätestens innerhalb von drei Wochen Insolvenz anzumelden. …
14Wenn Sie die fehlende Liquidität in der besprochenen Größenordnung einlegen können und auch die kurzfristig erwartete Zahlung der 88.000 EUR kommt, dürfte die Zahlungsunfähigkeit erst einmal abgewendet sein. Wichtig ist jedoch, wie Sie die Zukunftschancen Ihrer Gesellschaft sehen“.
15Nach dem Gespräch stellte der Herr X. C. der Schuldnerin 90.000,00 EUR zur Verfügung.
16Die Beklagte erstellte den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2012 am 12.12.2013. Sie legte diesem Fortführungswerte zugrunde.
17Die Gesellschaft wurde in den folgenden Jahren fortgeführt.
18Die Schuldnerin unterhielt bei der Kreissparkasse ein Kontokorrentkonto. Im Jahre 2016 wurden über dieses Konto bis zum 15.06.2016 Einzahlungen in Höhe von 810.591,00 EUR und Auszahlungen in Höhe von 842.015,59 EUR vorgenommen. Es kam zu Einzahlungen in Höhe von 564.242,92 EUR, als das Konto debitorisch geführt wurde, und zu Auszahlungen in Höhe von 246.348,08 EUR, während es kreditorisch geführt wurde. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K 19, Bl. 158 ff. d.A., verwiesen. Der Geschäftsführer B. hatte sich im Rahmen einer Bürgschaft verpflichtet, einen Saldo aus dem vorgenannten Kontokorrentkonto auszugleichen.
19Aufgrund eines am 16.06.2016 gestellten Antrages der Schuldnerin wurde am 01.09.2016 das Insolvenzverfahren über deren Vermögen eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt.
20Mit Vereinbarung vom 26.09./09.10./30.11.2017 – letztgenanntes Datum betrifft die letzte Unterschrift des Herrn B. - kam es zu einem dreiseitigen Vertrag zwischen dem Geschäftsführer B., der Kreissparkasse und dem Kläger. Hierin verpflichtete sich Herr B., an die Kreissparkasse und den Kläger zum Ausgleich bestehender Verbindlichkeiten einen Betrag in Höhe von 26.999,40 EUR zu zahlen. Dieser Betrag war das Auszahlungsguthaben, welches Herrn B. aus einem Lebensversicherungsvertrag zustand. Wegen der Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichte Vereinbarung verwiesen (Bl. 198 ff. d.A.).
21Mit Unterschriften des Geschäftsführers B. vom 30.11.2017 und des Klägers vom 04.12.2017 wurde zwischen diesen eine weitere, zweiseitige, Vereinbarung getroffen, wegen deren Einzelheiten auf Bl. 203 ff. d.A. verwiesen wird.
22Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei für einen Insolvenzvertiefungsschaden und einen Insolvenzverschleppungsschaden ersatzpflichtig. Den Insolvenzvertiefungsschaden hat er auf 220.625,23 EUR beziffert. Hierbei handelt es sich um die weiteren Verluste, welche die Schuldnerin unstreitig von Anfang Januar 2014 bis zur Insolvenzantragstellung eingefahren hat. Der Insolvenzverschleppungsschaden ergebe sich aus den 810.591,00 EUR, welche von Januar 2016 bis zur Insolvenzantragstellung auf dem bei der Kreissparkasse geführten Kontokorrentkonto verfügt worden seien. Zu dem erstgenannten Schaden hat sich der Kläger ein Mitverschulden des Geschäftsführers B. in Höhe von 25 %, zu dem zweitgenannten Schaden ein solches in Höhe von 50 % anrechnen lassen.
23Der Kläger hat seine Klage auf nach seiner Ansicht mehrfache Pflichtverletzungen der Beklagten gestützt. Im Rahmen des Gesprächs und der anschließenden Mail von 22./23.01.2013 sei die Schuldnerin von der Beklagten fehlerhaft beraten worden. Es habe damals auch ein insolvenzrechtliches Beratungsmandat der Beklagten bestanden. Die Schuldnerin sei aber weder ausreichend auf eine bereits vorliegende Überschuldung noch auf die Notwendigkeit eine Überschuldensprüfung hingewiesen worden. Eine weitere Pflichtverletzung folge aus der fehlerhaften Aufstellung des Jahressabschlusses 2012. Diesen habe die Beklagte in unberechtigter Weise auf der Grundlage einer Fortführung der Gesellschaft aufgestellt. Stattdessen hätten dem Abschluss Liquidationswerte zugrunde gelegt werden müssen. Dies ergebe sich aus der damals vorliegenden bilanziellen Überschuldung. Der Kläger hat hierzu behauptet, zum damaligen Zeitpunkt sei eine positive Fortführungsprognose nicht mehr möglich gewesen. Schließlich habe die Beklagte im Rahmen des insolvenzrechtlichen Mandats im Dezember 2013 aufgrund des dann vorliegenden Jahresabschlusses 2012 erneut ihre Hinweispflicht verletzt.
24Der Kläger hat behauptet, der Geschäftsführer der Schuldnerin hätte bei korrekter Beratung über seine Insolvenzantragspflicht und Vorlage eines korrekt erstellten Jahresabschlusses 2012 spätestens nach dessen Vorlage einen Insolvenzantrag gestellt. Mittel zur Abwendung der Insolvenz hätten zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Verfügung gestanden.
25Mit der Klage hat der Kläger außerdem die Ansicht vertreten, bei den Ein- und Auszahlungen betreffend das bei der Kreissparkasse geführte Kontokorrentkonto habe es sich um verbotene Zahlungen i.S. § 64 GmbHG a.F. gehandelt. Soweit die Beklagte wegen ihrer Pflichtverletzungen auf der Grundlage eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter dem früheren Geschäftsführer schadensersatzpflichtig sei, sei dieser Anspruch infolge der Vereinbarungen mit der Kreissparkasse und dem früheren Geschäftsführer der Schuldnerin nunmehr auf den Kläger übergegangen.
26Der Kläger hat beantragt,
27die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 165.468,23 EUR zzgl. Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.11.2019 sowie einen weiteren Betrag in Höhe von 405.295,5 EUR zzgl. Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
28Die Beklagte hat beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Sie hat die Auffassung vertreten, der Jahresabschluss 2012 sei korrekt erstellt worden. Eine positive Fortführungsprognose sei zum damaligen Zeitpunkt gerechtfertigt gewesen. Hierfür seien genügend positive Anhaltspunkte gegeben gewesen. Die Beklagte hat hierzu auch behauptet, es seien stille Reserven in Form von unfertigen Erzeugnissen und Leistungen vorhanden gewesen.
31Die Beklagte hat auch die Auffassung vertreten, ihrer Beratungspflicht Genüge getan zu haben. Sie sei bereits nicht mit einem insolvenzrechtlichen Mandat betraut gewesen. Ihre Beratung habe den zum damaligen Zeitpunkt in der Rechtsprechung geltenden Anforderungen genügt. Im Gespräch und der Email aus dem Januar 2013 habe die Beklagte ausreichende Hinweise erteilt. Die Beklagte hat behauptet, die Geschäftsführung der Schuldnerin sei zur Stellung eines Insolvenzantrages nicht bereit gewesen.
32Die Beklagte hat zudem die Meinung vertreten, ein möglicher Schadensersatzanspruch des Geschäftsführers gegen sie sei nicht wirksam auf den Kläger übergegangen.
33Es ergebe sich in jedem Falle ein deutlich höheren Mitverschuldensanteil des Geschäftsführers, als vom Kläger zugrunde gelegt. Insoweit könne sogar von einem anspruchsausschließenden Mitverschulden ausgegangen werden. Außerdem sei der Schadensumfang vom Kläger unzutreffend bestimmt worden.
34Das Landgericht hat der Klage teilweise in Höhe von 73.541,74 EUR stattgegeben. Es hat eine Pflichtverletzung darin gesehen, dass die Beklagte die Bilanz 2012 wegen einer damals vorliegenden bilanziellen Überschuldung nicht unter Zugrundelegung von Fortführungswerten hätte erstellen dürfen. Maßgeblich für die Beurteilung sei eine ex ante-Prognose zum damaligen Zeitpunkt. Die spätere Fortführung des Unternehmens spiele hierbei keine Rolle. Hinsichtlich ihrer Verpflichtungen müsse sich die Beklagte an den Anforderungen, welche die aktuelle Rechtsprechung aufstelle, ausrichten. Der Insolvenzverwalter könne auch den Insolvenzvertiefungsschaden geltend machen. Hierbei sei jedoch eine Mitverschuldensquote von 2/3 zu berücksichtigen, welche sich aus dem Verhalten des früheren Geschäftsführers ergebe. Weitere Ansprüche aus abgetretenem Recht des Geschäftsführers stünden dem Kläger nicht zu. Infolge der Vereinbarung mit der Kreissparkasse stünden dem Kläger keine durchsetzbaren Ansprüche gegen den Geschäftsführer B. mehr zu. Da der Kläger auf Ansprüche gegen diesen verzichtet habe, liege bei Herrn B. kein Schaden vor. Folglich habe dieser auch keine Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte auf den Kläger übertragen können.
35Wegen der weiteren Einzelheiten zum erstinstanzlichen Vorbringen der Parteien und zu den Entscheidungsgründen wird auf das landgerichtliche Urteil verwiesen.
36Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge vollständig weiterverfolgen.
37Der Kläger hält die erstinstanzliche Entscheidung für richtig, soweit ihm im Grunde ein Insolvenzvertiefungsschaden zugesprochen worden ist. Allerdings hält er die vom Landgericht angenommene Mitverschuldensquote für zu hoch. Das Landgericht habe nicht das gesamte Ausmaß der Pflichtverletzungen der Beklagten berücksichtigt.
38Das Landgericht habe demgegenüber den Insolvenzverschleppungsschaden zu Unrecht verneint. Das Landgericht habe die beiden Vereinbarungen zwischen dem Kläger, Herrn B. und der Kreissparkasse unzureichend und falsch ausgelegt.
39Der Kläger beantragt,
40die Beklagte unter teilweiser Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 04.11.2021 zu Aktenzeichen 2 O 72/20 dazu zu verurteilen,
41a) einen Betrag in Höhe von 165.468,23 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.11.2019 an den Kläger zu zahlen, sowie darüber hinaus
42b) einen weiteren Betrag in Höhe von 405.295,50 EUR zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 15.01.2021 an den Kläger zu zahlen.
43Die Beklagte beantragt,
44unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 04.11.2021 – 2 O 74/20 – die Klage abzuweisen.
45Sie wehrt sich gegen die Annahme des Landgerichts, zu Unrecht von einer handelsrechtlichen Fortführungsprognose ausgegangen zu sein. Zur Erstellung einer insolvenzrechtlichen Fortführungsprognose sei die Beklagte nicht verpflichtet gewesen. Hierzu wiederholt sie ihren erstinstanzlichen Vortrag. Das Landgericht habe zu Unrecht die weitere Entwicklung des Geschäfts unberücksichtigt gelassen. Das Landgericht habe auch die an die Beklagte zu stellenden Pflichten und den Verschuldensmaßstab falsch beurteilt.
46Im Übrigen verteidigt die Beklagte die landgerichtliche Entscheidung. Das Landgericht sei zutreffend zu dem Ergebnis gekommen, dass infolge der getroffenen Vereinbarungen keine Ersatzansprüche gegen die Beklagte auf den Kläger übergegangen seien.
47Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B. zur Stellung des Insolvenzantrags für die Schuldnerin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 14.12.2022 (Bl. 737 ff. d.A.) Bezug genommen.
48II.
49Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg. Die Berufung der Beklagten ist hingegen erfolgreich und führt zur Klageabweisung insgesamt.
50Der Senat folgt dem Landgericht dahingehend, dass der Beklagten Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Erstellung des Jahresabschlusses 2012 der F. GmbH zur Last fallen. Allerdings konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass sich diese Pflichtverletzungen auf den Zeitpunkt des Insolvenzantrages ausgewirkt haben und von daher für die vom Kläger geltend gemachten Schäden ursächlich waren. Weil es bereits an der Kausalität fehlt, kommt es insbesondere auf die Frage, ob dem Kläger überhaupt auf der Grundlage der Vereinbarungen aus dem Jahr 2017 ein Schadensersatzanspruch zusteht, nicht an.
511.
52Ein Anspruch des Klägers auf Ersatz eines Insolvenzvertiefungsschadens in Höhe von 165.468,23 EUR aus §§ 280 Abs. 1, 634 Nr. 4, 675 Abs. 1 BGB bzw. §§ 280 Abs. 1, 675 BGB besteht nicht.
53a)
54Nach der zutreffenden Auffassung des Landgerichts ist der Beklagten im Zusammenhang mit der Aufstellung des Jahresabschlusses 2012 zu Fortführungswerten allerdings pflichtwidriges Verhalten zur Last zu legen, wobei der Senat die Pflichtwidrigkeit darüber hinaus in einem Ende 2013 unterlassenen erneuten Hinweis auf das mögliche Vorliegen eines Insolvenzgrundes und die Notwendigkeit einer etwaigen Insolvenzantragstellung sieht.
55aa)
56Die Pflicht eines Steuerberaters, welcher u.a. mit der Aufstellung des Jahresabschlusses beauftragt ist, richtet sich in jedem Falle darauf, einen nach Maßgabe des HGB ordnungsgemäßen Jahresabschluss zu erstellen (BGH Urteil vom 26.01.2017, IX ZR 285/14, Rdn. 19, Juris). Nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB ist bei der Erstellung des Abschlusses grundsätzlich von Fortführungswerten auszugehen, es sei denn, dem stehen tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten entgegen. Die Aufstellung nach Fortführungswerten entspricht somit dem Regelfall. Es besteht nämlich eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb fortführt (BGH a.a.O., Rdn. 25). Für die Fortführung des Unternehmens ist auf einen Prognosezeitraum abzustellen, der sich auf das auf den Abschlusszeitpunkt folgende Geschäftsjahr erstreckt. Es ist eine ex ante-Prognose dahingehend aufzustellen, ob die Unternehmenstätigkeit bis zum Ablauf des Prognosezeitraums aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen eingestellt wird (BGH a.a.O., Rdn. 24). Im Rahmen der Prognose spielt es keine Rolle, ob und wie lange das Unternehmen später tatsächlich fortgeführt wurde. Die tatsächliche Vermutung für die Fortführung des Unternehmens entfällt erst, wenn es objektiv fehlerhaft wäre, von einer Aufrechterhaltung der Unternehmenstätigkeit auszugehen (BGH a.a.O., Rdn. 25). Der Steuerberater ist in diesem Rahmen zunächst nur zu einer Beurteilung anhand der ihm vorliegenden Daten verpflichtet. Weitergehende Ermittlungen muss er nicht vornehmen (BGH a.a.O., Rn. 20).
57Die Leistung des Steuerberaters ist dann pflichtwidrig, wenn er Umstände feststellt, die einer Bilanzierung nach Fortführungswerten entgegenstehen können, er es aber unterlässt, mit seinem Mandanten abzuklären, ob gleichwohl noch Fortführungswerte zugrunde gelegt werden können. Sobald entsprechende Umstände vorliegen, ist die Fortführungsfähigkeit zu überprüfen (BGH a.a.O., Rdn. 32 f.). Nach einem entsprechenden Hinweis des Steuerberaters ist die Geschäftsführung des Unternehmens jedoch verpflichtet, eine eigene Einschätzung zur Fortführung abzugeben. Hierzu ist oftmals auch nur die Unternehmensleitung in der Lage, weil sie über Informationen verfügen kann, über die ein Steuerberater, der lediglich mit der Buchführung und der Erstellung des Jahresabschlusses beauftragt ist, nicht notwendig verfügt. Im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Bilanzerstellung nach Fortführungswerten zulässig ist, kommt der bilanziellen Überschuldung der Gesellschaft maßgebliche Indizwirkung zu. Ebenso dazu zählen wiederholte Verluste sowie ein ständiger, nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag (BGH a.a.O., Rn. 34 ff.). Für eine mögliche Insolvenzreife ist es ein wesentlicher Anhaltspunkt, wenn die Jahresabschlüsse in aufeinanderfolgenden Jahren wiederholt nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufweisen. Dies kommt auch in Betracht, wenn offenkundig ist, dass die bilanziell überschuldete Gesellschaft über keine stillen Reserven verfügt (BGH a.a.O., Rdn. 45 f.).
58Der Bundesgerichtshof hat den Pflichtenkreis des Steuerberaters über die vorgenannten Verpflichtungen hinaus ausgeweitet: Auch wenn der erstellte Jahresabschluss mangelfrei ist, können weitergehende Hinweispflichten auf eine mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft bestehen. Eine solche Hinweispflicht kann auch dann bestehen, wenn dem Steuerberater kein Mandat zur Insolvenzberatung erteilt wurde und er nur für die Erstellung des Jahresabschlusses verantwortlich ist. Hinweis- und Warnpflichten bestehen dann, wenn der Steuerberater einen Insolvenzgrund erkennt oder ernsthafte Anhaltspunkte für einen Insolvenzgrund offenkundig sind und er annehmen muss, dass sich seine Mandantin der möglichen Insolvenzreife nicht bewusst ist (BGH a.a.O., Rdn. 43 ff.). Auch hier gilt, dass der Steuerberater mit seinem Hinweis eine eigene Prüfung durch die Mandantin durch seinen Hinweis anstoßen muss. Zu weitergehenden Prüfungen ist er, wenn keine entsprechende Beauftragung vorliegt, nicht verpflichtet, insbesondere ergibt sich keine Pflicht zu einer Überschuldungsprüfung (BGH a.a.O., Rdn. 47).
59bb)
60Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Pflichtverletzung der Beklagten durch Aufstellung des Jahresabschlusses zu Fortführungswerten ohne vorherige Abklärung, ob Fortführungswerte zugrunde gelegt werden konnten, anzunehmen.
61Es ergab sich für die F. GmbH eine bilanzielle Überschuldung. Für das Jahr 2012 wurde ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag von 73.852,13 EUR festgestellt. Bereits im Jahr 2011 hatte die Gesellschaft nach den unbestrittenen klägerischen Angaben einen Jahresfehlbetrag von 184.591,15 EUR bei Eigenkapital von „nur“ 34.581,63 EUR erwirtschaftet. Dies allein waren deutliche Indizien, welche die tatsächliche Vermutung für die Fortführung des Unternehmens infrage stellten. Hinzu kam, dass deutlich vor Aufstellung des Jahresabschlusses 2012, der erst am 12.12.2013 vorlag, bereits im Januar 2013 ein „Krisengespräch“ mit der Geschäftsführung stattgefunden hatte, in dem die schwierige Situation der Gesellschaft besprochen wurde und bereits eine mögliche Insolvenzreife zur Sprache gekommen war. Vor diesem Hintergrund war die Vermutung für die Fortführung des Unternehmens erschüttert. Die Beklagte hätte in dieser Situation bei Aufstellung des Abschlusses ihrer Pflicht zur Nachfrage und Aufklärung nachkommen müssen. Sie hätte die Geschäftsführung der F. GmbH um Prüfung der Fortführungsfähigkeit der Gesellschaft bitten müssen. Der Senat geht im Ergebnis davon aus, dass die Beklagten ihren insoweit bestehenden Verpflichtungen nicht hinreichend Rechnung getragen haben. Der insoweit darlegungsbelastete Kläger hat noch ausreichend ausgeführt, dass Nachfragen in Bezug auf die Fortführung des Unternehmens nicht erfolgt sind. Gewisse Zweifel bestehen zwar aufgrund des zur Akte gereichten Schreibens vom 12.12.2013, mit dem der Jahresabschluss an die Schuldnerin übermittelt wurde. Hierin heißt es: "Insbesondere war es nicht unsere Aufgabe, die Fortbestehensprognose zu beurteilen. Hierzu wurden Auskünfte von der Geschäftsleitung erteilt." (Bl. 33 d.A.). Trotz dieser Ausführungen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der konkret vor Erstellung des Abschlusses gebotene Hinweis bzw. die notwendige Nachfrage erfolgt sind. Die Beklagte hat in der Klageerwiderung in Bezug auf den Inhalt ihres Schreibens ausgeführt, die Insolvenzschuldnerin bzw. deren Geschäftsführung habe fortlaufend Ertragsprognosen und Fortbestehungsprognosen erstellt. Auch unter Berücksichtigung dieser Darlegung verbleibt es dabei, dass jedenfalls das vor Erstellung des Abschlusses von der Beklagten konkret geforderte Verhalten nicht festgestellt werden kann.
62Die Beklagte hat auch keine Umstände vorgetragen, die aus ihrer damaligen Sicht eine Aufstellung der Bilanz nach Fortführungswerten gerechtfertigt hätten. Da nach den genannten Grundsätzen eine ex ante-Prognose zu erstellen war, spielt es hierbei keine Rolle, dass die Gesellschaft in der Folgezeit tatsächlich noch mehrere Jahre fortgeführt wurde. Dieser Bewertung steht auch nicht entgegen, dass der Jahresabschluss 2012 erst am 12.12.2013 vorgelegt wurde, also fast ein Jahr nach dem maßgeblichen und nur kurz vor dem nächsten Abschlusszeitpunkt. Dies macht die Nachfrage nach den Grundlagen der Unternehmensfortführung nicht obsolet. Zwar ist grundsätzlich für die ex ante zu erteilende Fortführungsprognose auf die dem Abschlusszeitpunkt folgenden 12 Monate abzustellen. Dies gilt aber nur bei einer zeitnahen Aufstellung des Abschlusses. Erfolgt eine solche zeitnahe Aufstellung nicht, wird in der Praxis zu Recht für die Prognose auf den tatsächlichen Zeitpunkt der Aufstellung des Abschlusses abgestellt. Mit der Fortführungsprognose soll dann nämlich auch der Zeitraum zwischen dem Abschlussstichtag des Folgeabschlusses und dem (erwarteten) Zeitpunkt der Aufstellung dieses Folgeabschlusses abgedeckt werden (Störk/Büssow, Beck´scher Bilanz-Kommentar, 13. Aufl. 2022, § 252 HGB, Rdn. 16). Die Beklagte hatte demgemäß trotz der verspäteten Erstellung des Abschlusses Anlass, die Fortführungsprognose zu hinterfragen und diese nicht etwa nur auf den Zeitraum von der Vorlage des Abschlusses 2012 am 12.12.2013 bis zum nächsten Abschlusszeitpunkt am 31.12.2013 zu begrenzen.
63cc)
64Eine weitere Pflichtverletzung ist der Beklagten entgegen der Auffassung des Klägers indes nicht zur Last zu legen, soweit es die Beratungsleistung im Januar 2013 anbelangt („Krisengespräch" und anschließende Email der Rechtsanwältin O. vom 23.01.2013).
65Zur Bestimmung des Pflichtenkreises der Beklagten ist zunächst festzustellen, dass dieser kein ausdrücklicher Auftrag erteilt wurde, die Gesellschaft im Hinblick auf das Vorliegen eines Insolvenzantragsgrundes oder einer Insolvenzantragspflicht zu beraten oder entsprechende Überprüfungen vorzunehmen. Eine insolvenzrechtliche Prüfpflicht der Beklagten kommt grundsätzlich nur auf der Grundlage eines eigens erteilten Auftrages in Betracht und ergibt sich nicht schon aus dem allgemeinen steuerrechtlichen Mandat zur Erstellung des Jahresabschlusses (vgl. Gräfe, in: Gräfe/Wollweber/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 7. Auflage 2021, Rn. 808). Eine solche Beauftragung hat der Kläger nicht vorgetragen. Sie folgt entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht im Rückschluss daraus, dass die Beklagte an dem als „Krisengespräch“ bezeichneten Treffen im Januar 2013 teilgenommen und durch die Rechtsanwältin O. im Anschluss daran Hinweise erteilt hat. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass dem Gespräch und der Email ein besonderer Prüfauftrag der F. GmbH zugrunde lag und eine insolvenzrechtliche Prüfung erfolgen sollte, die über dasjenige hinausging, was ohnehin im Zusammenhang mit dem allgemeinen steuerrechtlichen Mandat geschuldet war. Allein der Umstand, dass eine Steuerberaterin oder eine für sie tätige Rechtsanwältin einen Hinweis auf eine mögliche Insolvenzreife gibt, lässt nicht den Rückschluss zu, dass dem auch ein insolvenzrechtlicher Prüfauftrag zugrunde lag.
66Die Hinweispflicht hat nach der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor allem den Sinn, die Geschäftsführung zu sensibilisieren und eine eigene Prüfung anzustoßen. Die Prüfung einer Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit einer Gesellschaft ist nämlich grundsätzlich originäre Aufgabe der Geschäftsführung (vgl. § 43 GmbHG, § 15a InsO). Die Geschäftsführung hat diese Prüfung eigenständig vorzunehmen. Soweit sie dazu nicht in der Lage ist, muss sie externe Hilfe beauftragen (BGH a.a.O., Rn. 47; OLG Koblenz Urteil vom 30.03.2020, 3 U 47/20, Rn. 50, Juris; Gräfe a.a.O., Rn. 807). Die allgemeine Hinweispflicht des Steuerberaters ist dahingehend zu konkretisieren, dass er dem Auftraggeber die Rechtslage im Hinblick auf die Tatbestände der Insolvenzreife und auch bezogen auf Insolvenzantragspflichten verdeutlicht. Er soll eine Prüfung der aktuellen insolvenzrechtlichen Überschuldungstatbestände gemäß § 19 InsO anregen (Gräfe a.a.O., Rn. 810 m.w.N.).
67Nach Maßgabe dieser Grundsätze war der Hinweis der Rechtsanwältin O. in der Email vom 23.01.2013 ausreichend. Die beiden Insolvenzgründe wurden genannt. Ebenso erfolgte ein Hinweis auf die Pflicht des Geschäftsführers zur Insolvenzantragstellung. Aus der Email ergibt sich auch, dass seinerzeit Anhaltspunkte für eine fehlende Liquidität der Gesellschaft bestanden (nur mit finanzieller Hilfe der Ehefrau des Geschäftsführers konnte die Zahlung der Löhne sichergestellt werden; Abwendung der Zahlungsunfähigkeit nur unter der Voraussetzung einer kurzfristig erwarteten Zahlung von 88.000,00 EUR). Der Geschäftsführung wurde auch vor Augen geführt, dass eine Pflicht zur regelmäßigen Prüfung der Erfüllbarkeit der fälligen Verpflichtungen bestand und bei negativem Prüfergebnis eine Insolvenzantragstellung binnen 3 Wochen vorzunehmen war. Der Senat verkennt nicht, dass ein ausdrücklicher Hinweis auf die Notwendigkeit einer Überschuldungsprüfung und eine Fortführungsprognose unter Berücksichtigung der anstehenden Zahlungspflichten und der zu erwartenden Zahlungseingänge nicht erteilt wurde. Gleichwohl reichten die erteilten Hinweise, um der Geschäftsführung deutlich zu machen, dass eine ernste Lage bestand und eine besondere Prüfung nunmehr erforderlich war („Das Zahlenbild müssen Sie und Herr E. genau prüfen“). Es wurde ebenso deutlich, dass eine Insolvenz der Gesellschaft zu besorgen war („… die harte Arbeit der letzten Jahre zu retten. Wie gestern besprochen, wird das ohne Zuführung von Geldmitteln leider nicht gehen.“). Auf diesen Hinweis folgt unmittelbar die – zutreffende – Darstellung der Insolvenzgründe. Zwar wird in den dann folgenden Ausführungen primär auf die Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft abgestellt. Gleichwohl musste der Geschäftsführung klar sein, dass auch eine Überschuldung im Raume stand und diese zu prüfen war („2011 war das nicht so, Zahlen JA 2012 liegen noch nicht vor.“). Dass sich die Geschäftsführung mit einer Fortführungsprognose zu befassen hatte, geht aus dem letzten Satz der Email hervor („Wichtig ist jedoch, wie Sie die Zukunftschancen Ihrer Gesellschaft sehen.“).
68Bei der Beurteilung, ob die von der Beklagten erteilten Hinweise ausreichend waren, ist auch zu berücksichtigen, dass der Email nach dem insoweit unbestrittenen Beklagtenvortrag ein mehrstündiges Gespräch (vgl. Klageerwiderung vom 16.11.2020, Bl. 83 d.A.) am Vortag vorausgegangen war, in dem es nach dem eigenen Vortrag des Klägers auch um die „mögliche Insolvenzreife der Schuldnerin“ ging (vgl. klägerischer Schriftsatz vom 15.12.2020, Bl. 114 d.A.). Zum Inhalt des Gesprächs hat der Kläger indes lediglich vorgetragen, dass auch in diesem Gespräch die Gefahr einer möglichen Überschuldung nicht weiter vertieft worden sei. Der Vortrag des Klägers zum Inhalt dieses Gesprächs ist insgesamt unzureichend geblieben, dies obwohl der Kläger zu den Umständen, aus denen sich eine Pflichtverletzung der Beklagten ergeben soll, darlegungspflichtig ist. Von daher bestehen schon Zweifel, ob der Kläger mit seinem Vortrag, in einem mehrstündigen Gespräch sei die Gefahr der möglichen Überschuldung „nicht weiter vertieft worden“, den an die Darlegung einer Pflichtverletzung zu stellenden Anforderungen überhaupt genügt hat. Dessen ungeachtet liegt in dem Verhalten der Beklagten im Januar 2013 jedoch vor dem Hintergrund des nur allgemeinen steuerberatenden Mandats keine Pflichtverletzung vor. Nach dem mehrstündigen Gespräch und der anschließenden Email musste einer verantwortungsbewusst handelnden Geschäftsführung hinreichend klar sein, dass Prüfungs- und Handlungsbedarf bestand.
69dd)
70Der Senat geht jedoch weiter davon aus, dass die Beklagte die Erstellung des Jahresabschlusses 2012 zum Anlass nehmen musste, nochmals auf die Insolvenzproblematik hinzuweisen. Die aus den bereits dargelegten Gründen notwendige Nachfrage bezüglich der Grundlagen für eine positive Fortführungsprognose und der Hinweis auf eine mögliche Insolvenzreife lagen unter Berücksichtigung der konkreten Umstände dicht beieinander und können von daher nicht abweichend voneinander beurteilt werden. Zwar ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Steuerberaters, seine Mandanten wiederholt zu warnen. Eine – erneute – Hinweispflicht besteht dann nicht, wenn der Steuerberater davon ausgehen kann, dass seinem Mandanten die Umstände, die auf einen Insolvenzgrund hinweisen, bewusst sind, und er in der Lage ist, die tatsächliche oder rechtliche Bedeutung dieser Umstände einzuschätzen (BGH Urteil vom 26.01.2017, IX ZR 285/14, Rdn. 50). Zu Lasten der damaligen Geschäftsführung ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass aufgrund des Anfang 2013 erteilten Hinweises und des am 12.12.2013 vorgelegten Jahresabschlusses grundsätzlich das Bewusstsein für eine wirtschaftliche Schieflage des Unternehmens und eine mögliche Insolvenz vorhanden sein musste. Gleichwohl bestand für die Beklagte Anlass zu einem erneuten Hinweis, weil zum einen die Geschäftszahlen 2012 nunmehr auf dem Tisch lagen und die Frage der Überschuldung in der Email der Rechtsanwältin O. vom 23.01.2013 für das Geschäftsjahr 2012 mangels Vorlage der Zahlen noch offengehalten worden war. Von daher hätte es aus Sicht der Beklagten nahegelegen, an die Hinweise von Beginn des Jahres anzuknüpfen, um diese zu komplettieren. Zudem verhielt es sich so, dass in der Zwischenzeit die Gesellschaft sowohl die Unterstützung durch die Ehefrau des Geschäftsführers als auch die in der Email genannte Zahlung vereinnahmt hatte. Auch von daher hätte Anlass zu einer Nachfrage bestanden, ob durch diese Maßnahmen die kritische Situation bereinigt worden war. Allerdings hätte – neben der notwendigen Nachfrage zur Fortführungsprognose – unter den gegebenen Umständen, insbesondere unter Berücksichtigung der bereits erteilten Hinweise, eine Erinnerung der Geschäftsführung an die Notwendigkeit einer Prüfung von Insolvenzgründen und eine etwaige Insolvenzantragspflicht ausgereicht. Die Beklagte hätte ihren Verpflichtungen damit Genüge getan, weil sie davon ausgehen durfte, dass die Geschäftsleitung im Anschluss eigenverantwortlich tätig wurde.
71b)
72Allerdings kann nicht festgestellt werden, dass die Pflichtverletzungen für den Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung und damit für den geltend gemachten Schaden ursächlich oder mitursächlich waren. Soweit das Landgericht aus der Pflichtverletzung auf die Kausalität geschlossen hat, weil aufgrund der Bilanzierung zu Fortführungswerten und der darin liegenden Vorspiegelung von Umständen für die Geschäftsführung eine weitere Tätigkeit außerhalb des Insolvenzfahrens nahegelegen hätte, kann hiervon unter Berücksichtigung der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme nicht ausgegangen werden. Es lässt sich hinsichtlich der der Beklagten schwerpunktmäßig vorgeworfenen Unterlassungen nicht hinreichend sicher feststellen, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der von der Beklagten geschuldeten Leistungen und Beratungen den Eintritt des geltendgemachten Insolvenzvertiefungsschaden aufgrund zeitnaher Insolvenzantragstellung verhindert hätte. Es lässt sich ebenso nicht nachweisen, dass gerade die Erstellung des Jahresabschlusses zu Fortschreibungswerten für das weitere Verhalten der Geschäftsführung eine Rolle gespielt hat.
73aa)
74Der Insolvenzverwalter muss beweisen, dass aufgrund der Pflichtverletzung des Beraters der gebotene zeitnahe Insolvenzantrag unterlassen wurde (BGH a.a.O., Rdn. 42). Sieht man die Pflichtverletzung in der ohne Weiteres erfolgten Erstellung des Abschlusses nach Fortführungswerten, so ist nachzuweisen, dass die Geschäftsführung bei einer entsprechenden Aufklärung, dass das Vorliegen einer Fortführungsprognose zweifelhaft erscheint, oder bei einer Aufstellung des Abschlusses nach Liquidationswerten zeitnah einen Insolvenzantrag gestellt hätte (OLG Stuttgart Urteil vom 27.10.2020, 12 U 82/20, Rdn. 69, Juris). Dasselbe gilt, wenn die Pflichtverletzung aus einem unterlassenen Hinweis auf Insolvenzgründe und eine etwaige Insolvenzantragspflicht besteht. Auch insoweit muss feststehen, dass die Geschäftsführung bei korrektem Verhalten des Beraters sowohl die Fortführung des Unternehmens verneint, als auch einen zeitnahen Insolvenzantrag gestellt hätte. Dem Kläger kommt hierbei in Anbetracht der Pflichtverletzung keine Beweiserleichterung i.S. eines Anscheinsbeweises zugute. Es gibt keine Verallgemeinerung dahingehend, dass bei Nachfrage des Beraters nach den Grundlagen für die Fortführung des Unternehmens oder bei Erkenntnissen über das Vorliegen eines Insolvenzgrundes auch ein Insolvenzantrag gestellt worden wäre. Dies liegt zum einen daran, dass der Geschäftsleitung unter diesen Umständen Handlungsalternativen zur Verfügung stehen können (Umstrukturierung des Unternehmens, Zuführung von Kapital), und zum anderen daran, dass eine Fortführung des Unternehmens trotz bestehender Bedenken aus persönlicher Verbundenheit oder der Hoffnung, es werde schon gutgehen, erfolgen kann (BGH Urt. vom 06.06.2013, IX ZR 204/12, Rdn. 16; Gräfe, a.a.O., Rdn. 2069).
75Soweit der Kläger behauptet, es sei spätestens Anfang Januar 2014 ein Insolvenzantrag gestellt worden, so muss er dies beweisen. Da die Beklagte den Vortrag bestritten hat, war zur Aufklärung des hypothetischen Verhaltens der Schuldnerin dem Beweisantrag des Klägers durch Vernehmung des früheren Geschäftsführers der Schuldnerin, des Zeugen B., nachzugehen (vgl. BGH Urteil vom 06.06.2013, IX ZR 204/12, Rn. 17). Die Beweisaufnahme hat indes nicht mit der nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO notwendigen sicheren Wahrscheinlichkeit, die Zweifeln Schweigen gebietet, ohne diese vollständig auszuschließen, ergeben, dass sich die Geschäftsführung der Schuldnerin bei einem pflichtgemäßen Verhalten der Beklagten zu einem früheren als dem tatsächlichen Zeitpunkt (16.06.2016) zu einem Insolvenzantrag entschlossen hätte.
76bb)
77Die Angaben des Zeugen B. rechtfertigen nicht den Schluss, dass dieser Anfang 2014 bei zutreffender Beratung eigene Prüfungen veranlasst und einen Insolvenzantrag gestellt hätte. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sprechen eine Reihe von Erkenntnissen im Gegenteil dafür, dass ein beratungsgerechtes Verhalten trotz erteilter Hinweise nicht erfolgt wäre. Die Bekundungen des Zeugen B. lassen den Rückschluss zu, dass ihm grundsätzlich vor Augen stand, was bei einer Insolvenzreife der Gesellschaft zu tun war - so hat er im Jahre 2016 einen Insolvenzantrag gestellt, nachdem ein größerer Auftrag ausgeblieben war -, er allerdings bis zur tatsächlichen Insolvenzantragstellung "einfach weiter gemacht" und die finanzielle Situation der Gesellschaft trotz naheliegender und für ihn greifbarer Zweifel in der Erwartung, es werde auch "weiterhin gutgehen", bewusst nicht ausreichend hinterfragt hat.
78(1)
79Der Zeuge hat allerdings ausgesagt, einen früheren Insolvenzantrag gestellt zu haben, wenn man ihn klarer auf seine Verpflichtungen hingewiesen, wenn man ihm gesagt hätte „du musst jetzt“ und ihm die Konsequenzen aus der unterlassenen Antragstellung vor Augen geführt hätte. Wenn er aufgeklärt worden wäre, so die Aussage, hätte er „wahrscheinlich die Handbremse gezogen“. Der Zeuge hat auch deutlich gemacht, dass ihm diese Umstände aufgrund der Besprechung im Januar 2013 und der Email der Frau O. nicht hinreichend vor Augen gestanden hätten und es aus seiner Sicht damals nur darum gegangen sei, der Gesellschaft kurzfristig Liquidität zuzuführen, was dann auch gelungen sei.
80Über diese Kernaussagen hinaus ist allerdings festzustellen, dass der Zeuge sich an wesentliche Details der damaligen Vorgänge (Inhalt des Gesprächs im Januar 2013, Inhalt der Jahresabschlüsse ab 2012) und an Einzelheiten der Email der Rechtsanwältin O. gar nicht mehr erinnern konnte. Dies ist nach Ablauf von nahezu 10 Jahren zwar einerseits verständlich, relativiert aber die Bekundung insgesamt. Aufgrund der Erinnerungslücken bleibt die scheinbar sichere Aussage des Zeugen über ein Alternativverhalten bei pflichtgemäßem Handeln der Beklagten letztlich substanzlos. So sich der Zeuge an die Vorgänge nicht mehr im Einzelnen erinnern konnte, fällt es schwer, hinreichend sichere Anknüpfungspunkte für ein Alternativverhalten zu finden.
81Nach der Wahrnehmung des Senats war einerseits auffällig, dass sich der Zeuge nur an wenig erinnerte, andererseits aber die klare Einschätzung äußerte, nicht ausreichend hingewiesen worden zu sein und sich im Falle ordnungsgemäßen Verhaltens der Beklagten richtig verhalten zu haben. Dazu passt, dass der Zeuge wiederholt seine eigenen nur eingeschränkten Kenntnisse betont hat. So hat er berichtet, dass ihm seine Verpflichtung zur Prüfung, ob eine Insolvenzantragstellung geboten war, damals nicht vor Augen gestanden hätte. Ebenso hat er ausgesagt, dass ihm der Unterschied zwischen der Erstellung einer Bilanz zu Fortführungswerten und zu Liquidationswerten bis heute nicht klar sei. Der Zeuge hat Wissenslücken eingeräumt sowohl zur Kenntnis der Insolvenzgründe als auch zu seinen Verhaltenspflichten und zur Haftung des Geschäftsführers einer GmbH. Dieses Aussageverhalten zielte ersichtlich darauf, einerseits die eigene Verantwortung für die unterlassene Stellung eines Insolvenzantrages zu relativieren, andererseits die Verantwortung der Beklagten zuzuschreiben. Das Herunterspielen eigener Kenntnisse und Verantwortung sowie die Herausstellung der Notwendigkeit zu einer besonders deutlichen und klaren Beratung durch die Beklagte ist letztlich auch erklärlich vor dem Hintergrund des laufenden Prozesses, der darauf abzielt, die Insolvenzmasse – deutlich – zu vergrößern. Das Aussageverhalten lässt sich somit vor allem durch eine retrospektive Deutung der Dinge erklären, worauf es für die Beurteilung eines hypothetischen Verhaltens in den Jahren 2013 und 2014 indes nicht ankommt.
82Soweit der Zeuge in einer Aussage darauf abgestellt hat, die Beklagte hätte ihn im Sinne eines "Du musst jetzt!" auf die Notwendigkeit einer Insolvenzantragstellung hinweisen müssen, verkennt er zum einen, dass ein solch deutlicher Hinweis nicht geschuldet war, und zum anderen, dass es vorrangig seine eigene Verantwortung war, sich Erkenntnisse über das "Du musst jetzt!" zu verschaffen. Die durch die Aussage dokumentierte unzutreffende Erwartungshaltung des Zeugen weckt Zweifel, ob dieser überhaupt bei den von der Beklagten geschuldeten Hinweisen ausreichend Veranlassung gesehen hätte, selbst tätig zu werden.
83(2)
84Weitere objektivierbare Umstände sprechen dafür, dass sich der Zeuge gerade nicht beratungsgerecht verhalten und einen Insolvenzantrag gestellt hätte:
85- Der Zeuge hat das Geschäftsmodell der Schuldnerin und die Abläufe nachvollziehbar geschildert. Er hat insbesondere dargetan, dass sich bei der Geschäftsabwicklung Phasen ergeben haben, die durch hohe Vorleistungen gekennzeichnet waren, für die zunächst keine Vergütung erfolgte und Zahlungen an die Schuldnerin oft erst nach Abschluss eines Projektes erfolgten. Der Zeuge hat seine Einschätzung zur Einnahme-/Ausgabensituation der Gesellschaft dahingehend zusammengefasst: „Wir haben damals gearbeitet und gesehen, dass es funktioniert“. Nach seinen Angaben hat es manchmal funktioniert, manchmal nicht. Es habe auch schonmal seine Frau einspringen müssen. Hieraus ergibt sich, dass es dem Zeugen B. in Kenntnis der Wellenbewegungen, die das Geschäft mit sich brachte, in erster Linie darauf ankam, dass die laufenden Zahlungen gesichert waren. So lange dies in irgendeiner Weise sichergestellt werden konnte, wurde das Geschäft fortgesetzt. Der Zeuge hat zugleich bekundet, keine eigene Prüfung im Hinblick auf das Vorliegen eines möglichen Insolvenzgrundes vorgenommen zu haben. Er hat dies zwar in erster Linie auf mangelnde eigene Kenntnisse und die fehlenden Hinweise der Beklagte zurückgeführt, aus der gesamten Aussage ergab sich aber demgegenüber, dass das Thema sehenden Auges verdrängt wurde, so lange die Geschäfte irgendwie aufrechterhalten werden konnten. Anlass für eine verantwortungsbewusste und mit offenen Augen handelnde Geschäftsführung, über Insolvenzgründe und einen Insolvenzantrag nachzudenken, bestand allein schon aufgrund des Gesprächs und der Email aus Januar 2013, der anschließenden Notwendigkeit, der Gesellschaft Liquidation zuzuführen, sowie aufgrund des Abschlusses 2012 allemal. Dass daraufhin eine ausreichende Reaktion der Geschäftsführung erfolgte, ist nicht ersichtlich. Der Zeuge hat lediglich bekundet, gemeinsam mit Herrn E. eine Zeitachse erstellt sowie Aufträge und Zahlungen mit Wahrscheinlichkeiten prognostiziert zu haben. Dies erfolgte aber ohnehin und ohne Rücksicht auf eine wirtschaftliche Schieflage der Gesellschaft. Die einzige Maßnahme, die nach dem Krisengespräch Anfang 2013 veranlasst wurde, war die Bereitstellung eines Betrages von 90.000,00 EUR zur Auffüllung des Darlehenskontos des Herrn E.. Der Zeuge hat dazu bekundet, dass dies nach seiner Einschätzung ausreichte, um der Situation Rechnung zu tragen. Dies bestätigt allerdings die kurzfristige Sichtweise des Zeugen, dem es vorrangig darum ging weiterzumachen. Die weitere Entwicklung der Gesellschaft, die sich in einer vorausschauenden Bewertung hätte niederschlagen müssen, wurde ignoriert. Allein aufgrund der Email der Rechtsanwältin O. musste ihm bei hinreichend aufmerksamer Prüfung klar sein, dass Zweifel bestanden, ob diese Zahlung dauerhaft ausreichte. So hatte Frau O. im letzten Absatz der Mail deutlich gemacht, dass durch diese Zahlung die Zahlungsunfähigkeit „erst einmal abgewendet“ sein würde, es jedoch wichtig sei, wie er – Herr B. – die Zukunftschancen der Gesellschaft einschätze. Dass daraufhin weitere Maßnahmen unternommen worden sind, konnte der Aussage nicht entnommen werden. Der Zeuge hat auch seine Einschätzung bekundet, dass man aufgrund der Sprunghaftigkeit des Geschäfts nur schlecht planen konnte. Er hat eine Planung über den Zeitraum von einem Jahr als „Blick in die Glaskugel“ bezeichnet. Auch dies spricht dafür, dass sich der Zeuge auch bei einem anderen Verhalten der Beklagten und Anbringung aller notwendigen Hinweise weiterhin darauf verlassen hätte, dass das Geschäft schon weiterlaufen würde.
86- Hinzu tritt, dass die Geschäftszahlen des Jahres 2013 sich positiver entwickelten. Es ergab sich im Vergleich zu dem deutlich negativen Abschluss 2012 sogar ein leicht positives Ergebnis. Dies spricht dafür, dass Ende 2013, als der Abschluss für das Jahr 2012 vorlag, aus Sicht des Zeugen eine Prognose für eine günstigere Entwicklung der Geschäfte möglich war und gerade kein Anlass für eine Insolvenzantragstellung gesehen wurde. Zwar wurde 2014 wieder ein deutlich negatives Ergebnis erreicht, welches aber 2015 teilweise wieder aufgefangen werden konnte. Diese Geschäftsentwicklung bestätigt zum einen deutlich die vom Zeugen geschilderte sprunghafte Entwicklung. Zum anderen spricht sie dagegen, dass der Zeuge bei realistischerer Einschätzung der Situation einen Insolvenzantrag gestellt hätte, weil es aus seiner Sicht auch in den Folgejahren „noch geklappt“ hatte.
87- Der Insolvenzantrag wurde nach den Bekundungen des Zeugen erst im Jahr 2016 gestellt, nachdem ein spürbarer Einschnitt infolge eines ausbleibenden großen Auftrages erfolgte. Aus der Aussage ergab sich, dass es ein solches Ereignis zuvor nicht gegeben hatte. Zwar war nach den Bekundungen auch zuvor eine Zahlung der Schuldnerin bereits deutlich verzögert erfolgt, aber sie war immerhin noch erfolgt. 2016 verhielt es sich durch den ausbleibenden Auftrag so, dass der Zeuge hinreichend Anlass sah, sowohl einen externen Berater hinzuzuziehen als auch einen Insolvenzantrag zu stellen. Dies zeigt, dass beim Zeugen trotz seiner in der Aussage geschilderten Selbsteinschätzung ein Bewusstsein über eine mögliche Insolvenz und die in dieser Situation erforderlichen Schritte vorhanden war. Die Verhaltensweise des Zeugen unterstützt den Eindruck des Senats, dass er zuvor trotz Kenntnis des Zahlenwerks und der Auftragslage bewusst von Maßnahmen abgesehen und diese erst ergriffen hat, als es nach seiner Einschätzung gar nicht mehr ging. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, dass allein die Aufstellung des Jahresabschlusses nach Liquidationswerten für das Jahr 2012, eine Rückfrage der Beklagten in diesem Zusammenhang oder ein weiterer Hinweis auf die mögliche Insolvenz bereits zum damaligen Zeitpunkt zu einem anderen Handeln der Geschäftsführung geführt hätten. Es spricht vieles dafür, dass eine Nachfrage der Beklagten, auf welcher Grundlage zu Fortschreibungswerten bilanziert werden konnte, bei der Geschäftsführung mit Hinweis auf das sprunghafte Geschäft und die tatsächlich positive Entwicklung in 2013 beantwortet worden wäre. Vor diesem Hintergrund spricht auch zu wenig dafür, dass ein erneuter Hinweis auf die Insolvenzgründe und die Insolvenzantragspflicht für die Geschäftsführung Anlass für eine genauere Nachprüfung gegeben hätte. Der Zeuge hat bekundet, dass man bis 2016 "in einer engen Fahrrinne unterwegs gewesen" sei, es aber "noch geklappt" habe. Der Fortbestand der Gesellschaft und das weitere Wirtschaften standen bis dahin also im Vordergrund. Aus Sicht des Zeugen war dies trotz einer Reihe von Hinweisen auf wirtschaftliche Probleme, die auch dem Zeugen positiv bekannt waren, ausreichend. Aus Sicht des Gerichts drängt sich folglich der Eindruck des "Weiterwirtschaftens, solange es igendwie funktioniert" auf.
88- Ein weiterer Gesichtspunkt spricht gegen die von Klägerseite behauptete Stellung eines Insolvenzantrages bereits Anfang 2014. Der Zeuge B. hat bekundet, dass Herr E. ebenfalls über alle Daten informiert war und auch diesem kein Gedanke an eine Insolvenz gekommen sei. Dies, obwohl der Zeuge schon einmal eine Insolvenz mit einer anderen Firma durchlebt hatte. Hieraus folgt, dass jedenfalls bei Herrn E. Kenntnisse in Bezug auf die Voraussetzungen und Folgen einer Insolvenz vorhanden waren. Gleichwohl wurden für die Schuldnerin seitens der Geschäftsführung keine Maßnahmen ergriffen. Auch dies spricht dafür, dass man sich bewusst über bestehende Bedenken hinweggesetzt bzw. diese ignoriert hat.
89- Soweit der Kläger behauptet, bei einer aus seiner Sicht korrekten Erstellung des Jahresabschlusses unter Berücksichtigung von Liquidationswerten wäre es zu einer früheren Insolvenzantragstellung gekommen, spricht gegen diese Sichtweise, dass die Schuldnerin nach dem Vortrag des Klägers bei korrekter Erstellung des Abschlusses 2012 nach Liquidationswerten eine Überschuldung von 207.920,97 EUR aufgewiesen hätte (Bl. 217 f., 251 d.A.). Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Jahresbilanz 2014 einen Jahresfehlbetrag von 192.384,04 EUR aufwies (Bl. 51 d.A.). Es ist von daher nicht erklärbar, warum die Schuldnerin allein aufgrund des Ausweises eines negativen Ergebnisses von 207.920,97 EUR in 2012 einen zeitnahen Insolvenzantrag gestellt haben will, auf einen vergleichbar ungünstigen Abschluss zwei Jahre später aber in keiner Weise reagiert hat. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass dem Zeugen nach eigenem Bekunden der Unterschied zwischen einem Abschluss nach Fortführungswerten und einem solchen nach Liquidationswerten zu keinem Zeitpunkt vor Augen gestanden hat und ihm nur wichtig war, "was unterm Strich stand". 2014 wurde das, "was unterm Strich stand" nicht zum Anlass für Maßnahmen genommen. Warum dies 2012 auf der Grundlage anderer Zahlen anders hätte laufen sollen, erschließt sich nicht.
90- Schließlich berücksichtigt der Senat im Rahmen der Beweiswürdigung die persönliche Einstellung des Zeugen zu dem Unternehmen sowie seine eingeschränkte Befähigung zur Übernahme der Aufgaben eines Geschäftsführers. Der Zeuge war Geschäftsführer eines Unternehmens, welches er als "seines" ansah und welches in der Vergangenheit teilweise auch positive Zahlen geschrieben und sich maßgeblich vergrößert hatte. Diese Erfahrungen, verbunden mit der Hoffnung, als Geschäftsführer mit dem "eigenen" Unternehmen nicht zu scheitern, erklären das Verhalten, den Geschäftsbetrieb trotz greifbarer Bedenken immer weiter fortzuführen. Auch dies spricht gegen die Annahme, auf die nunmehr geforderten Hinweise der Beklagten seinerzeit auch entsprechend reagiert zu haben. Daneben ist festzustellen, dass der Zeuge in seiner Befragung insgesamt ein schlichtes und deutlich lückenhaftes Verständnis von seinen Aufgaben und gesetzlichen Pflichten als Geschäftsführer offenbarte. Auch wenn die Beklagte dies als langjährige Beraterin erkennen und ihre Hinweispflicht am Kenntnisstand der Mandantin ausrichten musste, war es gleichwohl nicht ihre Aufgabe, eine Geschäftsführung umfassend im Sinne eines "An-die-Hand-Nehmens" zu begleiten und ihr notwendige eigene Entscheidungen abzunehmen. Die Entscheidungen der Geschäftsführung der Schuldnerin zeichneten sich teilweise durch Unkenntnis, Verdrängen latenter Probleme und hohe Defizite aus. Nach Einschätzung des Senats sind die tatsächlichen Abläufe maßgeblich darauf und nicht auf ein Fehlverhalten der Beklagten zurückzuführen.
91c)
92Hiernach kann der vom Kläger geltend gemachte Insolvenzvertiefungsschaden nicht auf die Pflichtverletzung der Beklagten gestützt werden. Es kommt daher nicht mehr auf die Prüfung weiterer Gesichtspunkte an, insbesondere ob der Kläger überhaupt befugt ist, als Insolvenzverwalter diesen Schaden geltend zu machen (bejahend: BGH Urteil vom 26.01.2017, IX ZR 285/14, Rdn. 12 ff., Juris; verneinend: BGH Urteil vom 30.03.1998, II ZR 146/96, Rdn. 8 ff.; s. dazu auch OLG Stuttgart a.a.O., Rdn. 76 ff.; Brügge, VersR 2018, 705 ff.; Meixner DStR 2018, 1025 ff.). Ebenso muss in Ermangelung einer Zurechenbarkeit zwischen Pflichtverletzung der Beklagten und geltend gemachtem Schaden nicht geprüft werden, ob und inwieweit der Schuldnerin ein Mitverschulden hinsichtlich des Insolvenzverschleppungsschadens zufällt.
932.
94Nach dem Gesagten besteht auch kein Ansatz für einen Ersatz des Insolvenzverschleppungsschadens in Höhe von 405.295,50 EUR. Auch insoweit fällt der Beklagten keine schadensursächliche Pflichtverletzung zur Last. Der Senat kann daher offenlassen, ob ein Ersatzanspruch infolge der zwischen den Parteien unter Einschluss der Kreissparkasse getroffenen Vereinbarungen überhaupt noch besteht. Im Anschluss an die obigen Ausführungen zur Kausalität ist ergänzend anzumerken, dass die vom Kläger schwerpunktmäßig auf das Jahr 2013 bezogenen Pflichtverletzungen der Beklagten weit entfernt sind von den im Jahre 2016 getroffenen Vermögensverfügungen. Von daher kann die Ursächlichkeit einer Pflichtverletzung für diese Verfügungen erst recht nicht festgestellt werden. Weitere Pflichtverletzungen der Beklagten aus der Zeit nach 2013, die Grundlage einer Haftung sein könnten, hat der Kläger nicht dargelegt.
953.
96Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
97Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat den Rechtsstreit auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, hier insbesondere der Bewertung des Verhaltens der Geschäftsführung der Schuldnerin nach Durchführung einer Beweisaufnahme entschieden.
98Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren beträgt 570.763,73 EUR, wovon auf die Berufung des Klägers 497.221.99 EUR und auf die Berufung der Beklagten 73.541,74 EUR entfallen.