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Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Aachen vom 14.12.2021 - 228 F 134/21 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.013,53 € festgesetzt(titulierte Rückstände bis März 2021 = 764,00 €, laufend April 2021-März 2022 = 1.249,53 €).
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller geht aus übergegangenem Recht gegen den Antragsgegner vor, der Vater des am 00.00.0000 geborenen Kindes P. F. ist; für dieses Kind erbringt der Antragsteller seit dem 01.05.2020 Leistungen. Der Antragsgegner ist zudem Vater der am 00.00.0000 geborenen Zwillinge K. und B. F..
4Zum 18.06.2020 erkrankte der Antragsgegner und bezog Krankengeld in Höhe von kalendertäglichen 30,11 €; vom 26.07.2021 bis zum 31.10.2021 war er neuerlich krankgeschrieben, sein – auf den 31.10.2021 – befristetes Arbeitsverhältnis wurde nicht verlängert.
5Der Antragsteller hat die Zahlung laufenden Mindestunterhalts ab Juni 2021 und von Rückständen in Höhe von 1.104,00 € für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis 30.05.2021 beantragt; hierbei ist er insbesondere davon ausgegangen, dass während der Zeit des Krankengeldbezuges nur der Selbstbehalt eines Nicht-Erwerbstätigen anzusetzen sei. Der Antragsgegner ist dem entgegen getreten und hat Leistungsunfähigkeit eingewandt. Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes, insbesondere auch zur Unterhaltsberechnung im Einzelnen, wird auf die Darstellung in der angefochtenen Entscheidung verwiesen (Bl. 110a - 114 d.A.).
6Mit Beschluss vom 14.12.2021 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Aachen unter Abweisung der weitergehenden Anträge den Antragsgegner verpflichtet, für den Zeitraum vom 01.05.2020 bis zum 31.07.2021 einen Unterhaltsrückstand von 1.099,53 € und ab Dezember 2021 laufenden Unterhalt in Höhe von 80% des Mindestunterhalts für das Kind P. F. zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein kurzfristiger Bezug von Krankengeld von wenigen Monaten führe noch nicht zur Anwendung des Nicht-Erwerbstätigenselbstbehaltes. Ein längerer Bezug aber rechtfertige den Ansatz des Erwerbstätigenselbstbehaltes nicht mehr. Für die jeweils ersten drei Monate des Krankengeldbezugs sei daher der Selbstbehalt eines Erwerbstätigen anzusetzen, danach nur der des Nichterwerbstätigen. Hiervon ausgehend sei für die Zeiträume Juli-September 2020 sowie Mai und Juli bis November 2021 bereits kein Unterhalt geschuldet. Im Übrigen aber und laufend – da, nach einer Karenzzeit von einem Monat, dem Antragsgegner ein Verdienst ab Dezember 2021 in Höhe seines vorigen Einkommens fiktiv zuzurechnen sei – sei Unterhalt geschuldet. Wegen des weiteren Inhalts der angefochtenen Entscheidung, insbesondere der weiteren Unterhaltsberechnung der Höhe nach im Einzelnen, wird auf Bl. 110a - 114 d.A. Bezug genommen.
7Hiergegen richtet sich die form- und fristgerechte Beschwerde des Antragsgegners, mit welcher dieser sein Ziel der Antragsabweisung weiter verfolgt und zu deren Begründung er seine Rechtsansicht wiederholt und vertieft, während des Krankengeldbezuges sei durchweg der Erwerbstätigenselbstbehalt anzusetzen. Für laufenden Unterhalt sei er, so behauptet er, wegen Arbeitslosigkeit nicht leistungsfähig.
8Die Antragsgegner beantragt sinngemäß,
9den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Aachen vom 14.12.2021 - 228 F 134/21 – aufzuheben und die Anträge des Antragstellers zurückzuweisen.
10Der Antragsteller beantragt,
11die Beschwerde zurückzuzuweisen.
12Er verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens.
13Wegen aller weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
14II.
15Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners hat in der Sache keinen Erfolg. Die Gründe hierfür ergeben sich im Einzelnen aus dem Beschluss des Senats vom 13.04.2022 (Bl. 153 ff. d.A.), die der Senat auch in der derzeitigen Besetzung teilt und in welchem der Senat ausgeführt hatte wie folgt:
16„Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Unterhaltsberechnung des Amtsgerichts enthält weder hinsichtlich der Rückstände (unten 1) noch hinsichtlich der Prognose laufenden Unterhalts (unten 2) Rechtsfehler zu seinen Lasten. Im Einzelnen:
171. Soweit der Antragsgegner die Unterhaltsberechnung des Amtsgerichts für den Zeitraum Mai 2020 bis Oktober 2021 mit dem Argument angreift, es sei während des Bezugs von Krankengeldleistungen (Juli 2020 – Mai 2021; erneut August 2021-Oktober 2021) durchweg der Selbstbehalt eines erwerbstätigen Unterhaltsschuldners (=1.160,00 € anstatt 960,00 €) in Ansatz zu bringen, betrifft dies lediglich den Zeitraum von Oktober 2020 bis Mai 2021, für welchen das Amtsgericht nur einen Selbstbehalt i.H.v. 960,00 € von den – unstreitigen – Krankengeld- (903,30 €) und Unfallrentenleistungen (256,90 €) abgezogen und solcherart ein zur Verfügung stehendes Einkommen von 200,20 € ermittelt hat. Diese Unterhaltsberechnung für diesen Zeitraum begegnet aber keinen Bedenken. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 19.11.2008 – XII ZR 129/06, FamRZ 2009, 307 (309); ebenso Erman-Hammermann, § 1603, Rn. 135) ist beim Bezug von Krankengeld nicht der Selbstbehalt eines Erwerbstätigen anzusetzen. Der BGH (a.a.O.) hat hierzu ausgeführt:
18‚Zutreffend ist das Berufungsgericht zwar davon ausgegangen, dass dem Beklagten während des Bezugs von Krankengeld lediglich der Selbstbehalt eines Nichterwerbstätigen zu verbleiben hat. Wie der Erwerbstätigenbonus im Rahmen der Bedarfsbemessung schafft der erhöhte Selbstbehalt des Erwerbstätigen im Rahmen der Leistungsfähigkeit einen Anreiz, seine Erwerbstätigkeit nicht aufzugeben. Ist der Unterhaltspflichtige allerdings nicht erwerbstätig, entfällt diese Rechtfertigung. Das gilt auch, wenn der Unterhaltspflichtige - wie hier - auf längere Zeit aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist, weil er Krankengeld bezieht. Dass das Krankengeld nach § 48 Abs. 1 SGB V wegen derselben Krankheit nur zeitlich beschränkt und nach § 50 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ohnehin nur bis zu einer krankheitsbedingten Verrentung gezahlt wird, steht dem ebenso wenig entgegen wie der Umstand, dass sich die Höhe des Krankengeldes gemäß § 47 Abs. 1 SGB V an dem früher erzielten Einkommen orientiert und es damit Lohnersatzfunktion bekommt.‘.
19Diesen Ausführungen schließt sich der Senat an, der lediglich ergänzend darauf verweist, dass mit Blick auf den Umstand, dass der Antragsgegner verheiratet ist, im Rahmen der Bemessung des Selbstbehaltes die von ihm getragenen Wohnkosten (nach eigenen Angaben ohnehin nur 300,00 €) nur anteilig zu berücksichtigen wären (vgl. BGH, Beschl. v. 28.10.2020 – XII ZB 512/19, FamZR 2021, 181); der Selbstbehalt beinhaltet aber einen Wohnkostenanteil von 430,00 € (Ziff. 21.2 der Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Köln), so dass auch ein Erwerbstätigenselbstbehalt noch um diesen Betrag zu bereinigen (1.160,00 € ./. 130,00 € = 1.030,00 €) und um 10% aufgrund der Synergieeffekte der Ehe zu kürzen wäre (=927,00 €). Selbst bei Ansatz des Erwerbstätigenselbstbehaltes bliebe der Antragsgegner daher aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles in dem vom Amtsgericht angenommenen Umfang leistungsfähig.
202. Neuerlich keinen Bedenken begegnet auch die Festlegung fiktiver Einkünfte in Höhe von 1.509,75 €, wobei das Amtsgericht sogar – offenbar versehentlich – einen geringeren Betrag angesetzt hat, als möglich gewesen wäre; die bis Mai 2020 erzielten Einkünfte betrugen im Mittel nämlich sogar 1.597,75 € (Bl. 58-60, 62 d.A.).
21Der Antragsgegner ist seinem minderjährigen Kind, für welches der Antragsteller Ansprüche verfolgt, gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert unterhaltsverpflichtet, muss also in jeder ihm möglichen und zumutbaren Art und Weise zu dessen (Mindest-) Unterhalt beitragen. Nach ständiger Rechtsprechung ist dabei für seine Leistungsfähigkeit nicht allein auf die tatsächlichen, sondern vielmehr auch auf erzielbare Einkünfte abzustellen, soweit seine Erwerbsbemühungen nicht ausreichend sind und für ihn eine hinreichend reale Beschäftigungsmöglichkeit besteht (vgl. zuletzt BGH, Beschl. v. 22.01.2014 - XII ZB 185/12, FamRZ 2014, 637). Insoweit besteht auch eine Verpflichtung, (selbst neben einer Vollzeittätigkeit) Nebentätigkeiten aufzunehmen (OLG Köln, Beschl. v. 12.06.2007 - 25 WF 144/07, ZFE 2008, 195). Wird - wie vorliegend - der Mindestunterhalt geltend gemacht, hat zudem der Verpflichtete eine behauptete Leistungsunfähigkeit darzutun und nachzuweisen (BVerfG, Beschl. v. 14.11.1984 - 1 BvR 14/82, BVerfGE 68, 256 (270); BGH, Urt. v. 06.02.2002 - XII ZR 20/00, FamRZ 2002, 536 (538); BVerfG, Beschl. v. 05.03.2003 - 1 BvR 752/02, FamRZ 2003, 661 unter Verweis auf BGH, Urt. v. 22.10.1997 - XII ZR 278/95, FamRZ 1998, 357).
22Die Zurechnung fiktiver Einkünfte setzt hierbei neben den nicht ausreichenden Erwerbsbemühungen eine reale Beschäftigungschance des Unterhaltspflichtigen voraus (vgl. BGH, Beschl. v. 24.09.2014 - XII ZB 111/13, FamRZ 2014, 1992 (1994); BGH, Beschl. v. 22.01.2014 - XII ZB 185/12, FamRZ 2014, 637 (638)). Maßgebend hierfür ist, inwieweit nach den persönlichen Umständen eine solche möglich und zumutbar wäre (BVerfG, Beschl. v. 05.03.2003 - 1 BvR 752/02, FamRZ 2003, 661; OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.02.2014 - 9 UF 106/13, NZFam 2014, 568). Dass das Amtsgericht sich hierbei an den Einkünften ausgerichtet hat, die der Antragsgegner zuvor erzielt hatte, begegnet keinen Bedenken (vgl. BGH, Urt. v. 31.05.2000 – XII ZR 119/98, FamRZ 2000, 1358); gleiches gilt, soweit es davon ausgeht, dass der Antragsgegner bei gehörigem Bemühen ein vergleichbares Einkommen erzielen könne. Denn die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen wird nicht nur durch die tatsächlich vorhandenen, sondern auch durch solche Mittel bestimmt, die er bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit, unter Umständen auch im Wege eines Orts- oder Berufswechsels erreichen könnte (BGH, a.a.O; vgl. bereits oben). Dazu gehört nicht nur die Stellensuche über das Arbeitsamt, sondern auch, daß er sich aus eigenem Antrieb laufend um Arbeit bemüht. Notfalls muss er auch andere Tätigkeiten bis hin zu Aushilfs- und Gelegenheitsarbeiten (z.B. im Nebenverdienst) übernehmen. Um seiner Darlegungs- und Beweislast für hinreichende Bemühungen zu genügen, muss der Unterhaltspflichtige auch in nachprüfbarer Weise vortragen, welche Schritte er im einzelnen unternommen hat, um eine Arbeitsstelle zu finden (BGH, Urt. v. 31.05.2000 – XII ZR 119/98, FamRZ 2000, 1358), ohne dass dies bislang auch nur ansatzweise ausreichend geschehen wäre.“.
23Soweit der Antragsgegner hierzu mit Schriftsatz vom 30.05.2022 (Bl. 175 d.A.) Stellung genommen und nunmehr erstmalig noch behauptet hat, er sei „seit längerer Zeit psychisch angeschlagen“, und Bewerbungsgespräche scheiterten schon daran, dass er „seine Depression nicht verbergen“ könne, bleibt dies vorliegend ohne Relevanz.
24Ungeachtet bereits dessen, dass der Antragsgegner selbst auch noch im Rahmen der Beschwerdebegründung (nur) ausgeführt hat, er verdiene sich „bei einem Lieferservice“ etwas dazu und sei „auf der Suche nach einer Festanstellung, derzeit (seien) seine Bemühungen aber noch nicht erfolgreich“ (Vortrag aus Februar 2022, Bl. 134 d.A.), ehe er nun (Mai) eine „seit längerer Zeit“ bestehende psychische Erkrankung als Grund für die behauptete Leistungsfähigkeit anführt, wäre eine solche nicht ausreichend dargetan.
25Es fehlt an Vortrag zu Art und Ausmaß der behaupteten erkrankungsbedingten Einschränkungen; hierfür müsste eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung der vor der Erkrankung ausgeübten Berufstätigkeit gegeben werden, die die im Rahmen dieser Tätigkeit anfallenden Leistungen ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden lässt. Des weiteren wäre näher vorzutragen, hinsichtlich welcher einzelner Leistungen eine Ausübung krankheitsbedingt nicht mehr möglich ist. Schließlich müsste der Antragsgegner Art und Umfang der gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Leiden konkret dartun und auch die Auswirkungen auf den konkreten Arbeitsalltag i.o.S. darlegen und unter Beweis stellen (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.2001 – XII ZR 135/99, FamRZ 2001, 1291 (1292); Urt. v. 25.10.2006 – XII ZR 190/03, FamRZ 2007, 200; BGH, Urt. v. 10.07.2013 – XII ZB 297/12, FamRZ 2013, 1558), ohne dass dies vorliegend geschehen wäre.
26Die Kostenentscheidung folgt aus § 243 FamFG, § 97 Abs. 1 ZPO analog, die Wertfestsetzung aus § 51 FamGKG.