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Die Beschwerde wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die den Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat, als unbegründet verworfen.
Gründe:
2I.
3Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlageverfügung vom 09.04.2021 zum Sachverhalt das Folgende ausgeführt:
4„In dem bei dem Landgericht Bonn u. a. gegen den Angeklagten E anhängigen Steuerstrafverfahren 29 KLs 430 Js 564/16-2/19 hat sich mit an die Kammer gerichtetem Schriftsatz vom 21.01.2021 Rechtsanwalt F aus der Kanzlei A B C in G als weiterer Verteidiger für den Angeklagten E bestellt (Bl. 1 SH). Bis Oktober 2020 war Rechtsanwalt F als Staatsanwalt in der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Bonn tätig und hatte als Vertreter des Anklageverfassers während dessen Abwesenheit drei Fristen zur Wiedervorlage in der Verfahrensakte verfügt (vgl. Bl. 40, 41, 42 SH).
5Die Staatsanwaltschaft Bonn hat daraufhin gegenüber der Kammer ein Tätigkeitsverbot gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BRAO geltend gemacht, welches sich auch auf die übrigen drei aus der Kanzlei mandatierten Verteidiger erstrecke (Bl. 3 SH). Die hierzu angehörten Verteidiger haben hiergegen eingewandt, dass Rechtsanwalt F keine sog. sachleitenden Verfügungen getroffen und sich zu keinem Zeitpunkt inhaltlich mit dem Verfahren befasst habe (Bl. 6 ff. SH). Die unter Berücksichtigung des Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit gebotene restriktive Auslegung von § 45 Abs. 1 BRAO verlange zumindest die abstrakte Gefahr einer Interessenkollision, die vorliegend nicht bestehe. Letztlich seien Gerichte und Behörden zur Zurückweisung auch nicht berechtigt (Bl. 10 SH). Die Staatsanwaltschaft hat hierauf unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung entgegnet, dass eine sachleitende Vorbefassung mit der Angelegenheit nicht erforderlich sei und sich zudem der Anklageverfasser seinen Angaben zufolge häufig mit Rechtsanwalt F während dessen Dezernententätigkeit über den Stand des Verfahrens ausgetauscht habe (Bl. 13 ff. SH). Sie hat gegenüber der Kammer beantragt, alle Verteidiger der Kanzlei von der Mitwirkung im Strafverfahren auszuschließen (Bl. 15 SH).
6In der Folge haben sowohl die Kammer als auch Rechtsanwalt F die als Aufsichtsbehörde zuständige Rechtsanwaltskammer Köln mit der Frage der Anwendbarkeit des § 45 BRAO befasst (Bl. 11, 19 f. SH). Die Rechtsanwaltskammer Köln hat § 45 Abs. 1 BRAO nicht als erfüllt angesehen und sich unter Hinweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH Urt. v. 17.09.2020 - III ZR 283/18 -) auf den Standpunkt gestellt, dass die Vorschrift ein persönliches Tätigwerden im Sinne einer inhaltlichen Befassung mit dem Lebenssachverhalt verlange. Eine inhaltliche Prüfung sei jedoch mit den Verfügungen, die Akte dem Kollegen zeitnah nach Rückkehr wieder vorzulegen, nicht verbunden. Rechtsanwalt F habe weder über einen Antrag entschieden noch sei er in der Akte nach außen aufgetreten (Bl. 19 f. SH). Auch der kollegiale Austausch mit dem zuständigen Dezernenten sei kein Tätigwerden im Sinne des § 45 Abs. 1 BRAO (Bl. 24 f. SH).
7Das Landgericht Bonn hat mit Beschluss vom 05.03.2021 (29 KLs 430 Js 564/16-2/19) den Antrag der Staatsanwaltschaft, die Verteidiger der Kanzlei A B C von der Mitwirkung im Strafverfahren auszuschließen, als unbegründet verworfen und zur Begründung angeführt, dass eine Rechtsgrundlage für die Zurückweisung der Verteidigung nicht vorliege (Bl. 32 f. SH).
8Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bonn vom 11.03.2021 (Bl. 34 ff. SH).
9Das Gericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Bl. 43 d. A.) und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.“
10Diese Ausführungen macht sich der Senat zu eigen.
11Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bonn wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung beigetreten. Auch wenn nach herrschender Meinung eine Zurückweisung des Verteidigers wegen eines Interessenwiderstreits entsprechend § 146 StPO nach der Reform der Vorschrift im Jahre 1987 nicht mehr möglich sein solle, wäre es doch prozessunökonomisch, wenn es dem Gericht versagt bliebe, den Verteidiger zurückzuweisen (vgl. hierzu Weyland, BRAO, 10. Aufl. 2020, § 45 BRAO Rn. 42; OLG Hamm NJW-RR 1989, 442), ein Verstoß jedoch in der Revisionsinstanz analog § 146 StPO in Verbindung mit §§ 226, 338 Nr. 5 StPO jedenfalls von der Staatsanwaltschaft gerügt werden könnte. Selbst wenn keine Vorbefassung von Rechtsanwalt F mit dem Verfahren im engeren Sinne anzunehmen wäre, sei eine Interessenkollision mit Blick auf seine aus dem Beamtenverhältnis nachwirkende Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 BeamtStG nicht von der Hand zu weisen.
12Die Verteidiger haben mit Schriftsatz vom 19.04.2021 weiter ausgeführt (Bl. 54 ff. SH). Die Generalstaatsanwaltschaft hatte erneut Gelegenheit zur Stellungnahme.
13II.
14Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bonn gegen den Beschluss der 9. großen Strafkammer des Landgerichts Bonn bleibt in der Sache ohne Erfolg.
15Die Kammer hat es zu Recht und mit zutreffender Begründung abgelehnt, die Verteidiger der Kanzlei A B C in D von der Mitwirkung im vorliegenden Strafverfahren auszuschließen. Wie die Kammer zutreffend ausgeführt hat, liegen die rechtlichen Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Verteidiger durch das Gericht nicht vor. Die Voraussetzungen des § 146 a StPO und des § 156 Abs. 2 BRAO sind nicht erfüllt. Eine analoge Anwendung dieser Vorschriften kommt mangels Regelungslücke nicht in Betracht. Damit hat sich die Kammer in dem angefochtenen Beschluss zu Recht auch nicht mit der weitergehenden Frage befasst, ob die Verteidiger - entgegen der Einschätzung der Rechtsanwaltskammer Köln - einem berufsrechtlichen Tätigkeitsverbot nach § 45 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 BRAO unterliegen.
16Nach § 137 Abs. 1 StPO kann sich ein Beschuldigter in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes eines Verteidigers seiner Wahl bedienen. Die Strafprozessordnung sieht die Zurückweisung eines gewählten Verteidigers in §§ 137 ff. StPO nur in bestimmten gesetzlich geregelten Einzelfällen vor. So ist ein Verteidiger von der Mitwirkung in einem Verfahren nach §§ 138 a, 138 b StPO bei bestimmten Verfehlungen auszuschließen, insbesondere wenn er dringend oder in einem die Eröffnung des Hauptverfahrens rechtfertigenden Grade verdächtig ist, an der Tat, die den Gegenstand der Untersuchung bildet, beteiligt gewesen zu sein. § 146 a Abs. 1 StPO bestimmt überdies, dass ein gewählter Verteidiger durch das Gericht zurückzuweisen ist, wenn die Voraussetzungen des § 137 Abs. 1 S. 2 oder des § 146 StPO vorliegen, wenn also die Zahl der gewählten Verteidiger drei übersteigt (§ 137 Abs. 1 S. 2 StPO) oder gegen das Verbot der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) verstoßen wird. Der Gesetzgeber hat damit in der Strafprozessordnung geregelt, in welchen speziellen Konstellationen ein gewählter Verteidiger durch das Gericht zurückzuweisen ist. Eine Zurückweisung für den Fall, dass der Verteidiger gegen ein berufsrechtliches Tätigkeitsverbot nach § 45 BRAO verstößt, ist insoweit nicht vorgesehen.
17Mangels Regelungslücke kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 146 a StPO nicht in Betracht (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 146 Rdn. 1). Der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Strafverfahrensänderungsgesetzes (StVÄG) 1984 ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Problematik eines Interessenwiderstreits gesehen hat und hier einen Unterschied machen wollte. Verteidige der Verteidiger im Fall eines Interessenwiderstreits trotzdem, unterfalle dies - so die Gesetzesbegründung - nicht dem Regelungsbereich des § 146 StPO. Vielmehr könne sich die Tätigkeit im Einzelfall als Parteiverrat nach § 356 StGB darstellen (BT-Drs. 10/1313, S. 22).
18Auch die Regelungen der Bundesrechtsanwaltsordnung enthalten keine Rechtsgrundlage für eine Zurückweisung der Verteidiger im vorliegenden Strafverfahren. Nach § 156 Abs. 2 BRAO sollen Gerichte und Behörden zwar einen Rechtsanwalt, der entgegen einem Berufs- oder Vertretungsverbot vor ihnen auftritt, zurückweisen. Ein solches Berufs- oder Vertretungsverbot besteht vorliegend aber nicht. Vielmehr steht allein ein berufsrechtliches Tätigkeitsverbot im Raum.
19Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise die Ansicht vertreten, die Regelung sei bei Verstößen gegen berufsrechtliche Tätigkeitsverbote nach § 45 BRAO entsprechend anzuwenden (vgl. OLG Hamm, Urteil v. 17.10.1988, 8 U 58/88, NJW-RR 1989, 442; Reelsen in Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 156 Rdn. 12 mit Verweis auf VG Freiburg v. 10.05.1996, 6 K 520/94; Träger in Weyland, BRAO, 10. Aufl., § 45 Rdn. 42). Der Senat schließt sich jedoch der überwiegenden Ansicht an, dass eine entsprechende Anwendung des § 156 Abs. 2 BRAO mangels Regelungslücke nicht in Betracht kommt und ein Verstoß gegen ein Tätigkeitsverbot nach § 45 BRAO das Gericht nicht zu einer Zurückweisung des Rechtsanwalts berechtigt (BGH Beschluss v. 25.02.1992, NStZ 1992, 292; OLG Düsseldorf, Beschluss v. 07.03.1991, 4 Ws 51/91; KG, Beschluss v. 04.10.1994, 4 Ws 6060/94, NJW-RR 1995, 762; KG Berlin, Beschluss v. 21.05.1999, 13 WF 4024/99, NJW-RR 2000, 799; OLG Koblenz, Beschluss v. 11.01.2002, 2 W 767/01, MDR 2002, 1025; Kleine-Cosack in Kleine-Cosack, BRAO, 8. Aufl., § 45 Rdn. 56; Kilian in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 45 Rdn. 51; Johnigk in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 156 BRAO Rdn. 1; Deckenbrock, AnwBl. 2010, 221 (224)). Den Fällen des Interessenwiderstreits außerhalb des § 146 StPO muss der Verteidiger unter Berücksichtigung des anwaltlichen Standesrechts und des § 356 StGB selbst gerecht werden (BGH, Beschluss v. 25.02.1992, NStZ 1992, 292). Die Überwachung der Einhaltung anwaltlicher Berufsplichten obliegt insoweit ausschließlich der Berufsaufsicht der Rechtsanwaltskammern und der Anwaltsgerichtsbarkeit (OLG Koblenz, Beschluss v. 11.01.2002, 2 W 767/01, MDR 2002, 1025; Kilian in Henssler/Prütting, BRAO, 5. Aufl., § 45 Rdn. 51). Auch prozessökonomische Überlegungen vermögen eine fehlende rechtliche Grundlage nicht zu ersetzen. Soweit die Generalstaatsanwaltschaft zudem darauf verweist, dass sich eine Interessenkollision auch mit Blick auf die aus dem Beamtenverhältnis nachwirkende Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 BeamtStG ergeben könne, ist der Verteidiger gehalten, den an ihn gestellten Anforderungen - auch im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit wegen der Verletzung des Dienstgeheimnisses nach § 353 b StGB - gerecht zu werden. Auch das Ausscheiden aus der Stellung als Amtsträger lässt die Verschwiegenheitspflicht nicht entfallen (Fischer, StGB, 68. Aufl., § 353 b Rdn. 14).
20III.
21Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und 2 StPO.