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1. Eine Verfahrensaussetzung gemäß § 148 Abs. 1 ZPO ist mit dem Wesen des Freigabeantrags insbesondere dann nicht vereinbar, wenn der nachweislich fehlende Mindestanteilsbesitz eine Freigabeentscheidung ohne inhaltliche Prüfung des Sachvortrags der Minderheitsaktionäre rechtfertigt.
2. Das Freigabeverfahren ist auch bei Bestätigungsbeschlüssen im Sinne des § 244 AktG statthaft.
3. Die in § 319 Abs. 6 AktG idF des ARUG v. 30.07.2009 vorgesehene Eingangszuständigkeit des Oberlandesgerichts und die Unanfechtbarkeit der Entscheidung sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
4. Der Gesichtspunkt der Angemessenheit der Höhe der Barabfindung nach § 327b AktG hat bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Freigabeantrags im Sinne von § 327e Abs. 2 i.V.m. § 319 Abs. 6 AktG außer Betracht zu bleiben.
5. Die Ermittlung des durch § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG vorgegebenen Mindestquorums stellt auf den anteiligen Nennbetrag am Grundkapital ab.
6. § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG ist nicht verfassungswidrig.
I. Der Antrag der Antragsgegnerin zu 5), das vorliegende Verfahren auszusetzen, bis über das Freigabeverfahren des Ausgangsbeschlusses beim Landgericht Aachen (Az. 43 O 157/06) gemäß § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 AktG rechtskräftig entschieden worden ist, wird zurückgewiesen.
II. 1. Es wird festgestellt, dass die Erhebung der beim Landgericht Köln unter den Aktenzeichen 82 O 116/20 und 82 O 111/20 anhängigen Klagen der Antragsgegner gegen den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 18. November 2020 über die Bestätigung des von der Hauptversammlung vom 21. August 2006 unter Tagesordnungspunkt 6 beschlossenen Beschlusses zur Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die A GmbH, B, gegen Barabfindung (Übertragungsbeschluss nach §§ 327a ff. AktG, sog. „Squeeze-out") der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister nicht entgegen steht.
2. Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens zu je einem Achtel.
III. Der Streitwert wird auf 50.000 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die vormals als „C Aktiengesellschaft“ firmierende Antragstellerin begehrt im Freigabeverfahren nach § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 AktG die Feststellung, dass die Erhebung von Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen durch die Antragsgegner der Handelsregistereintragung eines Hauptversammlungsbeschlusses, durch den gemäß § 244 Satz 1 AktG ein Beschluss zur Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die Hauptaktionärin bestätigt wurde, nicht entgegen stehen.
4Die nicht börsennotierte Antragstellerin, die im Handelsregister des Amtsgerichts Düren (HRB 2XXX) eingetragen ist, hat ihren Sitz in B. Gemäß § 3 Ziffer 1 ihrer Satzung (Anlage 1 – GA 35 ff.) ist das Grundkapital der Antragstellerin, das 736.260 € beträgt, in 14.400 auf den Inhaber lautende Stückaktien eingeteilt, von denen die Hauptaktionärin – die A GmbH (im Folgenden: Hauptaktionärin) – 14.335 Aktien hält. Die restlichen Aktien verteilen sich auf Minderheitsaktionäre, darunter die Antragsgegner, die weder einzeln noch zusammen mindestens 20 Aktien halten.
5Zwischen der Antragstellerin als beherrschter Gesellschaft und der Hauptaktionärin besteht ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, der am 23. November 2001 in das Handelsregister eingetragen wurde. In diesem Vertrag ist für außenstehende Aktionäre der Antragstellerin eine jährliche Ausgleichszahlung in Höhe von 167,76 € (netto) je Aktie vorgesehen, die in jedem Geschäftsjahr unabhängig vom jeweiligen Jahresergebnis abgerufen werden kann (Garantiedividende).
61. Am 11. August 2006 fand eine ordentliche Hauptversammlung der Antragstellerin statt, in der unter dem Tagesordnungspunkt 6 mit 14.335 Ja-Stimmen gegen 24 Nein-Stimmen folgender Beschluss (im Folgenden: „Übertragungsbeschluss“) gefasst wurde:
7„Die Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der C Aktiengesellschaft werden auf die Hauptaktionärin, die A GmbH in B, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Düren unter HRB 2XXX, übertragen. Die Übertragung erfolgt gegen Gewährung einer Barabfindung durch die A GmbH in Höhe von EUR 3.715,48 je auf den Inhaber lautende Stückaktie der C Aktiengesellschaft.“
8a) Gegen diesen Beschluss haben die Antragsgegner zu 1) bis 5) sowie zu 7) und 8) mit Schriftsatz vom 21. September 2006 bei dem Landgericht Aachen (Az. 43 O 150/06 – Beiakte [= BA]) Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage erhoben mit dem Ziel, den Beschluss für nichtig erklären, hilfsweise die Nichtigkeit bzw. (hilfsweise) die Unwirksamkeit des Beschlusses feststellen zu lassen; außerdem beantragen sie die Feststellung, dass der Beschluss nicht mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen gefasst worden sei. Dies haben sie damit begründet, dass ein wirksamer Beschlussvorschlag des Aufsichtsrats nicht vorgelegen habe, der Beschluss nur mit den Stimmen der Hauptaktionärin trotz deren fehlender Stimmberechtigung gefasst worden sei, es an einer Feststellung und Verkündung des Beschlusses durch den Versammlungsleiter fehle und der Beschluss auf die Vernichtung des den Minderheitsaktionären zustehenden Ausgleichsanspruchs gerichtet sei. Nach Erlass eines Auflagen- und Beweisbeschlusses vom 9. Februar 2007 hat das Landgericht auf übereinstimmenden Antrag der Parteien wegen außergerichtlicher Vergleichsverhandlungen mit Beschluss vom 23. März 2007 das Verfahren zum Ruhen gebracht (126 BA).
9b) Entsprechend verhält es sich für ein durch die Antragstellerin mit Antrag vom 21. November 2006 bei dem Landgericht Aachen (Az. 43 O 157/06 – Beiakte) eingeleitetes Freigabeverfahren nach § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 AktG aF (41 BA). Dort hat die Antragsgegnerin zu 5) des vorliegenden Verfahrens mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20. Februar 2021 die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt.
102. In einer unter dem 18. November 2020 virtuell abgehaltenen ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin wurde unter dem Tagesordnungspunkt 6 mit 14.335 Ja-Stimmen gegen 16 Nein-Stimmen folgender Beschluss (im Folgenden: „Bestätigungsbeschluss“) gefasst (vgl. Anlage 4 – GA 100 ff. [116 f./121/145]):
11„Der zu Punkt 6 der Tagesordnung der ordentlichen Hauptversammlung vom 21. August 2006 von der Hauptversammlung am 21. August 2006 gefasste Beschluss mit folgendem Inhalt: „Die Aktien der übrigen Aktionäre (Minderheitsaktionäre) der C Aktiengesellschaft werden auf die Hauptaktionärin, die A GmbH in B, eingetragen im Handelsregister des Amtsgerichts Düren unter HRB 2XXX, übertragen. Die Übertragung erfolgt gegen Gewährung einer Barabfindung durch die A GmbH in Höhe von EUR 3.715,48 je auf den Inhaber lautende Stückaktie der C Aktiengesellschaft.“ (heute firmierend als E AG) wird gemäß § 244 Satz 1 AktG bestätigt.“
12a) Gegen diesen Beschluss haben sowohl der Antragsgegner zu 1) als auch die übrigen Antragsgegner jeweils mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2020 bei dem Landgericht Köln (Az. 82 O 111/20 bzw. 82 O 116/20 - Beiakten) Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage erhoben. Der Antragsgegner zu 1) verfolgt in dem erstgenannten Verfahren das Ziel, unter anderem den Bestätigungsbeschluss für nichtig erklären, hilfsweise die Nichtigkeit bzw. (äußerst hilfsweise) die Unwirksamkeit des Beschlusses feststellen zu lassen. Die übrigen Antragsgegner begehren die Feststellung der Nichtigkeit des Bestätigungsbeschlusses, hilfsweise, dass der Beschluss für nichtig bzw. (äußerst hilfsweise) für unwirksam erklärt wird.
13Dies wird damit begründet, dass die Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung ohne Teilnahmemöglichkeit der Aktionäre ermessensfehlerhaft sei, nachdem an den vorausgegangenen Hauptversammlungen jeweils eine nur überschaubare Anzahl von Aktionären bzw. Aktionärsvertretern teilgenommen hätten, weshalb bei Einhaltung der Abstands- und Hygienevorschriften die Abhaltung einer Präsenz-Hauptversammlung ohne Weiteres möglich gewesen sei. Im Übrigen sei der Bestätigungsbeschluss auch deshalb anfechtbar, weil die Aktionäre in ihren wesentlichen Aktionärsrechten beschnitten worden seien; diese hätten Fragen nur zu Unterlagen aus den Jahren 2003 bis 2006 stellen können und diese Fragen vorab schriftlich einreichen müssen (vgl. in 82 O 116/20 LG Köln BA 6-8 bzw. in 82 O 111/20 LG Köln BA 37 f.). Des Weiteren vertreten die Antragsgegner die Auffassung, dass der Wirksamkeit des Bestätigungsbeschlusses entgegen stehe, dass die Antragstellerin den im Jahr 2006 beschlossenen Squeeze out über 15 Jahre nicht betrieben habe, obwohl sie zur unverzüglichen Umsetzung der in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse verpflichtet sei und sie die gerichtlichen Verfahren vor dem LG Aachen jederzeit habe aufnehmen können (vgl. in 82 O 116/20 LG Köln BA 14 f. bzw. in 82 O 111/20 LG Köln BA 40 ff.). Auch sehen sie eine Verletzung von Art. 14 GG darin, dass für die im Jahr 2021 zu zahlende Barabfindung auf Jahresabschlüsse aus den Jahren 2003 bis 2005 zurückgegriffen werden solle.
14Der Antragsgegner zu 1) macht in dem von ihm betriebenen Verfahren (82 O 111/20 LG Köln) überdies die Verfassungswidrigkeit und die Unionsrechtswidrigkeit der die Möglichkeit einer virtuellen Hauptversammlung eröffnenden gesetzlichen Regelungen des sogenannten COVID 19-Gesetzes geltend (a.a.O. 10 ff. / 38 f. BA).
15b) Die Antragstellerin, hat mit Schriftsatz vom 2. Februar 2021 das vorliegende Freigabeverfahren zur Durchsetzung des Bestätigungsbeschlusses eingeleitet.
16Sie erachtet ihren Antrag als zulässig. Insbesondere stehe das den Übertragungsbeschluss betreffende Freigabeverfahren der Einleitung des den Bestätigungsbeschluss betreffenden Freigabeverfahrens nicht entgegen. Zum einen habe sich durch den Bestätigungsbeschluss die Sachlage verändert, zum anderen sehe das Gesetz für das Freigabeverfahren keine zeitlichen Beschränkungen vor.
17In der Sache sieht sie die Voraussetzungen des § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG als gegeben, weil keiner der Minderheitsaktionäre das gesetzlich vorgesehene und verfassungsgemäße Bagatellquorum erfülle und demzufolge – was unstreitig ist – den Nachweis nicht geführt habe.
18Die Antragstellerin beantragt,
19gemäß § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 AktG festzustellen, dass die Erhebung der beim Landgericht Köln, 2. Kammer für Handelssachen, zu Aktenzeichen 82 O 116/20 und 82 O 111/20 anhängigen Klagen der Antragsgegner gegen den Beschluss der ordentlichen Hauptversammlung der Antragstellerin vom 18. November 2020 über die Bestätigung des von der Hauptversammlung vom 21. August 2006 unter Tagesordnungspunkt 6 beschlossenen Beschlusses zur Übertragung der Aktien der Minderheitsaktionäre auf die A GmbH, B, gegen Barabfindung (Übertragungsbeschluss nach §§ 327a ff. AktG, sog. „Squeeze-out") der Eintragung des Übertragungsbeschlusses in das Handelsregister nicht entgegen steht.
20Die Antragsgegner beantragen,
21den Antrag zurückzuweisen.
22Sie erachten den Antrag als unzulässig. Vereinzelt wird eingewandt, dass es ein Freigabeverfahren, das isoliert auf einen Bestätigungsbeschluss bezogen sei, nicht geben könne, insbesondere, wenn – wie hier – ein Freigabeverfahren zu dem Ausgangsbeschluss rechtshängig sei. Im Übrigen sind die Antragsgegner der Auffassung, dass die Bestätigung des Übertragungsbeschlusses vom 21. August 2006, auf deren Umsetzung das neue Freigabeverlangen abziele, rechtsmissbräuchlich und verwirkt sei. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das im Jahr 2006 vor dem Landgericht Aachen eingeleitete und im März 2007 zum Ruhen gebrachte Freigabeverfahren noch auf zwei Rechtszüge angelegt gewesen sei und kein Bagatellquorum gekannt habe. Des Weiteren sei weder dargetan noch ersichtlich, warum die Antragstellerin bzw. deren Hauptaktionärin 15 Jahre daran gehindert gewesen sei, einen Bestätigungsbeschluss einzufordern. Ohnedies könne hier von einem Bagatellquorum keine Rede sein, denn § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG sei verfassungswidrig. Im Ergebnis stelle sich das Freigabeverfahren als Versuch der Antragstellerin dar, die Minderheitsaktionäre „über den Tisch zu ziehen“, indem ihnen im Jahr 2021 eine Barabfindung ausgezahlt werden solle, die im Jahr 2006 beschlossen und auf Grundlage der damaligen Verhältnisse ermittelt worden sei.
23Die Antragsgegnerin zu 5), die wegen der dort gerügten Nichtigkeit des Übertragungsbeschlusses das Verfahren 43 O 150/06 LG Aachen als vorgreiflich ansieht und mitgeteilt hat, dass sie das Freigabeverfahren 43 O 157/06 LG Aachen wieder aufgerufen habe, beantragt hilfsweise, gemäß § 148 Abs. 1 ZPO
24das vorliegende Verfahren auszusetzen, bis über das Freigabeverfahren des Ausgangsbeschlusses beim Landgericht Aachen (zum Az. 43 O 157/06) gemäß § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 AktG rechtskräftig entschieden worden ist.
25Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitig nebst Anlagen zu der Verfahrensakte gereichten Schriftsätze und auf den übrigen Inhalt der Verfahrensakte verwiesen.
26II.
271. Der Aussetzungsantrag der Antragsgegnerin zu 5) ist zurückzuweisen, weil er unbegründet ist. Bei Verfahren, deren Art einen Stillstand des Verfahrens verbietet, kommt eine Aussetzung nach § 148 Abs. 1 ZPO nicht in Betracht (vgl. Greger, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl., § 148 Rn. 4), weshalb sich in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes eine Verfahrensaussetzung grundsätzlich verbietet (allgem. Meinung, vgl. nur Fritsche, in: MünchKommZPO, 6. Aufl., § 148 Rn. 2; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 148 Rn. 2; Wendtland, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. März 2021, § 148 Rn. 3). Entsprechend verhält es sich für das Freigabeverfahren, dessen Beschleunigung das erklärte Ziel des Gesetzgebers war (vgl. BT-Drucks. 16/11642 S. 40 f.), was in der Regelung des § 319 Abs. 6 AktG vielfältig zum Ausdruck kommt (Satz 2: Erstreckung der Zustellungsvollmacht des Prozessbevollmächtigten im Klageverfahren auf das Freigabeverfahren, Satz 3 Nr. 2: Wochenfrist für den Nachweis des Quorums, Satz 4: Möglichkeit der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, Satz 5: Entscheidung nach spätestens drei Monaten, Satz 6: Glaubhaftmachung, Satz 9: Unanfechtbarkeit der Entscheidung). Die begehrte Verfahrensaussetzung ist mit dem Wesen des Freigabeantrags insbesondere dann nicht vereinbar, wenn der – wie hier – nachweislich fehlende Mindestanteilsbesitz (vgl. § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG) eine Freigabeentscheidung ohne inhaltliche Prüfung des Sachvortrags der Minderheitsaktionäre rechtfertigt. Auf eine solche liefe indes die begehrte und vorliegend ausdrücklich mit den aus der Sicht der Antragsgegnerin zu 5) gegebenen Erfolgsaussichten des beim Landgericht Aachen (Az. 43 O 150/06) rechtshängigen Beschlussanfechtungsverfahrens begründete Aussetzung nach § 148 Abs. 1 ZPO hinaus, denn sie erhielte der Sache nach auch Kleinstaktionären eine Kassationsbefugnis, die nach dem Willen des Gesetzgebers Aktionären mit einem ökonomisch nachvollziehbaren Investment vorbehalten bleiben soll (vgl. BT-Drucks. 16/11642 S. 41 f., 16/13098 S. 41). Dass § 319 Abs. 6 AktG in der auf das Freigabeverfahren 43 O 157/06 LG Aachen anwendbaren Fassung ein Bagatellquorum noch nicht vorsah, ist unerheblich. Maßgebend ist die auf das vorliegende Freigabeverfahren anwendbare Fassung; das ist gemäß Art. 20 Abs. 4 EGAktG im Fall von Freigabeverfahren, die – wie das vorliegende – Verfahren seit dem 1. September 2009 anhängig gemacht worden sind, § 319 Abs. 6 Satz 3 AktG in der Fassung von Art. 1 Nr. 45 lit b) bb) des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2479).
282. Dem Freigabeantrag der Antragstellerin ist stattzugeben. Denn er ist zulässig (dazu a) und begründet (dazu b).
29a) Der dem vorliegenden Verfahren zugrunde liegende Freigabeantrag ist zulässig.
30aa) Das Freigabeverfahren ist statthaft. Es ist entgegen der von der Antragsgegnerin zu 6) auf Seite 1 des Schriftsatzes vom 11. März 2021 (GA 539) vertretenen Auffassung auch bei Bestätigungsbeschlüssen im Sinne des § 244 AktG eröffnet (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 5. November 2007 – 5 W 22/07 –, ZIP 2008, 138, 139; OLG München, Beschluss vom 14. November 2012 – 7 AktG 2/12 –, WM 2013, 703, 704; Schäfer, in: MünchKommAktG, 5. Aufl., § 244 Rn. 19; Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 244 Rn. 9a, 49b). Daran ändert auch der hier gegebene Umstand, dass Gegenstand der Bestätigung ein Übertragungsbeschluss im Sinne der § 327a ff. AktG ist, nichts, denn das Gesetz sieht eine gegenständliche Einschränkung der Bestätigungsfähigkeit von Beschlüssen nicht vor (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 5. November 2007 – 5 W 22/07 –, a.a.O.; Kocher, NZG 2006, 1, 5; Schäfer, a.a.O. § 244 Rn. 4; Würthwein a.a.O.).
31Soweit die Antragsgegnerin zu 5) geltend macht, in dem vor dem Landgericht Aachen rechtshängigen Verfahren (Az. 43 O 150/06) sei (auch) die Nichtigkeit des Übertragungsbeschlusses bzw. das Fehlen eines solchen geltend gemacht worden, weil die Stimmen der Hauptaktionärin trotz fehlender Stimmberechtigung entgegen § 20 Abs. 7 AktG als Ja-Stimmen gewertet worden seien, und dass nichtige Beschlüsse einer Bestätigung nicht zugänglich seien, vermag sie damit nicht durchzudringen. Dieser Einwand ist für die Zulässigkeit des Freigabeantrags ohne Belang und könnte allenfalls im Rahmen des § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 AktG Bedeutung erlangen. Eine andere Sichtweise liefe dem – vorliegend gegebenen (dazu unten b) – Freigabegrund in § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG zuwider, der zur Folge hat, dass bei der Freigabeentscheidung nur Sachvortrag solcher Aktionäre berücksichtigt werden kann, die den vom Gesetz vorgeschriebenen Nachweis des erforderlichen Mindestquorums geführt haben (vgl. Schäfer, in: MünchKommAktG, 5. Aufl., § 246a Rn. 24).
32Ohnedies ist höchstrichterlich geklärt, dass ein Hauptversammlungsbeschluss, der unter Verstoß gegen § 20 Abs. 7 AktG unter Mitwirkung eines nicht stimmberechtigten Aktionärs gefasst wurde, nicht nichtig, sondern lediglich anfechtbar ist (vgl. BGH, Urteil vom 24. April 2006 – II ZR 30/05 –, BGHZ 167, 204 Rn. 25 f. m.w.N.). Darauf geht auch der Antragsgegner zu 1) in seinem Schriftsatz vom 21. April 2021 nicht näher ein, in dem er anmerkt, dass im Verfahren 43 O 150/06 auch ein Antrag gestellt sei, mit dem die Feststellung begehrt werde, dass der Übertragungsbeschluss nicht mit der erforderlichen Mehrheit der Stimmen gefasst worden sei. Dieser ebenfalls an § 20 Abs. 7 AktG ansetzende Feststellungsantrag ändert nichts daran, dass der Hauptversammlungsleiter gegebenenfalls einen Beschluss mit falschem Inhalt festgestellt und beurkundet hätte mit der Folge, dass dieser Beschluss anfechtbar und somit einer Bestätigung zugänglich wäre (Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl., § 244 Rn. 2). Auch die weiteren angeblichen Rechtsfehler, auf die die vor dem Landgericht Aachen (Az. 43 O 150/06) erhobene Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage gestützt ist, stellen im Ergebnis allenfalls Anfechtungsgründe, mithin keine Nichtigkeitsgründe dar, so dass der Übertragungsbeschluss bestätigungsfähig ist. Insbesondere ist ein Übertragungsbeschluss auch bei Vorliegen eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages statthaft (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 5. November 2007 – 5 W 22/07 –, ZIP 2008, 138, 140).
33Soweit die Antragsgegnerin zu 6) in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf die Doppelanfechtung von Übertragungs- und Bestätigungsbeschluss eine Verbindung der rechtshängigen Beschlussanfechtungsverfahren erwägt und sie daran anknüpfend keinen Raum für eine Freigabe des Bestätigungsbeschlusses sieht, verfängt auch das aus dem vorstehend ausgeführten Grund nicht. Abgesehen davon lässt die Antragsgegnerin zu 6) unberücksichtigt, dass die in Rede stehenden Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsklagen bei unterschiedlichen Gerichten (LG Aachen bzw. LG Köln) anhängig sind, so dass eine Verfahrensverbindung allein aus diesem Grund ausscheidet. Eine Verfahrensverbindung gemäß § 147 ZPO kommt nur für Verfahren in Betracht, die bei demselben Gericht („das Gericht“) anhängig sind (vgl. nur BGH, Beschluss vom 8. November 2017 – VII ZR 82/17 –, NJW 2018, 81 Rn. 5; Fritsche, in: MünchKommZPO, 6. Aufl., § 147 Rn. 3; Stadler, in: Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl., § 147 Rn. 2).
34bb) Der Zulässigkeit des vorliegenden Freigabeverfahrens steht auch nicht gemäß § 319 Abs. 6 Satz 2 AktG i.V.m. § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO die Rechtshängigkeit des Freigabeverfahrens vor dem Landgericht Aachen (Az. 43 O 157/06) entgegen. Aufgrund der in der Hauptversammlung vom 18. November 2020 erfolgten Bestätigung des Übertragungsbeschlusses liegt dem vorliegenden Freigabeverfahren ein anderer Lebenssachverhalt und damit nicht derselbe Streitgegenstand zugrunde (vgl. auch Würthwein, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 244 Rn. 50). Dem entspricht es, dass aufgrund der durch einen Bestätigungsbeschluss veränderten Sachlage ein neues Freigabeverfahren eingeleitet werden kann (vgl. OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 5. November 2007 – 5 W 22/07 –, ZIP 2008, 138, 139; OLG München, Beschluss vom 14. November 2012 – 7 AktG 2/12 –, WM 2013, 703, 704; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl., § 246a Rn. 13; Schäfer, in: MünchKommAktG, 5. Aufl., § 244 Rn. 4, 19; Würthwein a.a.O. § 244 Rn. 9a).
35cc) Schließlich stehen der Zulässigkeit des Freigabeantrags nicht die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen; der Freigabeantrag ist weder verwirkt (dazu [1]) noch erweist er sich als rechtsmissbräuchlich (dazu [2]).
36(1) Entgegen der von den Antragsgegnern vertretenen Auffassung steht dem Freigabeantrag der Antragstellerin nicht der Einwand der Verwirkung entgegen. Es liegen die Voraussetzungen der Verwirkung (vgl. dazu Grüneberg, in: Palandt, BGB, 80. Aufl., § 242 Rn. 93 ff. m.w.N.) nicht vor. Vorliegend ist bereits das Zeitmoment nicht erfüllt, denn die Antragstellerin hat den Freigabeantrag mit Schriftsatz vom 2. Februar 2021 und damit rund sechs Wochen nach Erhebung der gegen den Bestätigungsbeschluss gerichteten Beschlussanfechtungs- und Nichtigkeitsklagen durch die Antragsgegner gestellt. Im Übrigen haben die hierfür darlegungs- und beweisbelasteten Antragsgegner keine Tatsachen für einen Vertrauenstatbestand (sog. „Umstandsmoment“) vorgetragen. Verwirkung als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus (vgl. Grüneberg a.a.O.). Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, so dass die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt. Zu dem Zeitablauf müssen mithin besondere, auf dem Verhalten des Berechtigten beruhende Umstände hinzutreten, die das Vertrauen des Verpflichteten rechtfertigen, der Berechtigte werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Das Umstandsmoment ist regelmäßig erfüllt, wenn der Schuldner im Hinblick auf die Nichtgeltendmachung des Rechts Vermögensdispositionen getroffen hat (Grüneberg a.a.O. Rn. 95). Solche besonderen Umstände sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
37Indem die Antragsgegner zur Begründung ihrer gegenläufigen Auffassung den zwischen dem Übertragungsbeschluss und dem Bestätigungsbeschluss liegenden Zeitraum heranziehen, stellen sie maßgeblich auf Gesichtspunkte ab, denen allenfalls im Rahmen der gegen den Bestätigungsbeschluss gerichteten Klagen der Antragsgegner Bedeutung zukommen kann. Die möglichen Erfolgsaussichten jener Klagen sind aber für die Zulässigkeit des Freigabeantrags ohne Belang und können allenfalls im Rahmen der Begründetheit Bedeutung erlangen.
38(2) Der Freigabeantrag erweist sich auch nicht unabhängig von den Voraussetzungen der Verwirkung aus anderen Gründen als rechtsmissbräuchlich.
39(a) So lässt sich rechtsmissbräuchliches Verhalten der Antragstellerin nicht darauf stützen, dass der dem Senat zur Entscheidung unterbreitete Freigabeantrag der Antragstellerin vom 2. Februar 2021 dem Anwendungsbereich des (§ 327e Abs. 2 i.V.m.) § 319 Abs. 6 AktG in der Fassung von Art. 1 Nr. 45 lit b) des Gesetzes zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2479) unterliegt. Dies ist Folge der bereits zum 1. September 2009 in Kraft getretenen Übergangsvorschrift in Art. 20 Nr. 4 EGAktG. Danach hätte auch ein am 1. September 2009 (neu) gestellter Freigabeantrag dem neu gefassten § 319 Abs. 6 AktG unterlegen, selbst wenn ein von der Antragstellerin zuvor gefasster Bestätigungsbeschluss Gegenstand einer vor dem 1. September 2009 eingeleiteten Anfechtungs-/Nichtigkeitsklage gewesen wäre (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Oktober 2009 – 20 AR [Freig.] 1/09 –, NZG 2010, 27 ff.).
40Der von einzelnen Antragsgegnern beiläufig erwähnte Umstand, dass § 319 Abs. 6 AktG in der Fassung des ARUG für das vorliegende Freigabeverfahren eine Zuständigkeit des Oberlandesgerichts (Satz 7) und die Unanfechtbarkeit der Entscheidung (Satz 9) vorsieht, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
41Die Regelung verletzt insbesondere nicht Art. 19 Abs. 4 GG. Nach Art. 19 Abs. 4 GG steht demjenigen der Rechtsweg offen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Zur öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Bestimmung gehören nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht Akte der Rechtsprechung; denn Art. 19 Abs. 4 GG gewährt Schutz durch den Richter, nicht aber gegen den Richter (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1978 – 2 BvR 1055/76 –, BVerfGE 49, 329, 340 = NJW 1979, 154, 155; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 12. Juli 1983 – 1 BvR 1470/82 –, BVerfGE 65, 76, 90 = NJW 1983, 2929; jeweils m.w.N.). Das bedeutet zugleich, dass Art. 19 Abs. 4 GG einen effektiven Rechtsschutz garantiert, jedoch keinen Instanzenzug gewährleistet (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1978 – 2 BvR 1055/76 –, BVerfGE 49, 329, 340 f. = NJW 1979, 154, 155). Dem steht nicht entgegen, dass es mit Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar ist, den Zugang zur jeweils nächsten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren. Denn dies gilt nur, sofern die jeweilige Verfahrensordnung einen Instanzenzug zur Verfügung stellt, bedeutet hingegen nicht, dass Art. 19 Abs. 4 GG einen solchen gewährleiste (BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1978 – 2 BvR 1055/76 –, BVerfGE 49, 329, 341 = NJW 1979, 154, 155 m.w.N.).
42Auch aus den übrigen, ein rechtsstaatliches Verfahren sichernden Gewährleistungen des Grundgesetzes ergibt sich keine Verpflichtung des Gesetzgebers, einen Instanzenzug bereitzustellen. Weder verlangt Art. 103 Abs. 1 GG, dass gegen eine gerichtliche Entscheidung ein Rechtsmittel an ein Gericht höherer Instanz gegeben sein muss (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 30. Juni 1976 – 2 BvR 164/76 –, BVerfGE 42, 243, 248 = NJW 1976, 1837, 1838 m.w.N.) noch lässt sich aus dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip ein Anspruch auf eine zweite richterliche Instanz herleiten (BVerfG, Beschluss des Plenums vom 11. Juni 1980 – 1 PBvU 1/79 –, BVerfGE 54, 277, 291 = NJW 1981, 39, 41 m.w.N.; so ausdrücklich für das Freigabeverfahren BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Mai 2007 – 1 BvR 390/04 –, WM 2007, 1329, 1331).
43Schließlich kann – entgegen der vom Antragsgegner zu 1) unter Ziffer 2.2.4 seines Schriftsatzes vom 22. Februar 2021 (GA 410) vertretenen Auffassung – in der gesetzlichen Regelung kein Entzug des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) gesehen werden. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, durch dessen Gewährleistungsgehalt der Gefahr vorgebeugt werden soll, dass durch die Auswahl der zur Entscheidung berufenen Richter das Ergebnis einer Entscheidung beeinflusst werden könnte, fordert, dass sich der für den Einzelfall zuständige Richter möglichst eindeutig aus einer allgemeinen Norm ergeben muss (BVerfG, Beschluss vom 12. Januar 1983 – 2 BvR 964/82 –, NJW 1983, 1900 m.w.N.); dies ist hier der Fall (vgl. KG, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 23 AktG 3/09 –, WM 2010, 416, 417; Singhof, in: Spindler/Stilz, AktG, 3. Aufl., § 319 Rn. 25).
44(b) Ferner lässt sich der Vorwurf eines rechtsmissbräuchlichen Freigabeantrags auch nicht darauf stützen, dass mit dem zugrunde liegenden Bestätigungsbeschluss im Ergebnis dem Übertragungsbeschluss vom 21. August 2006 zu den darin festgelegten Konditionen (Barabfindung: 3.715,48 €), denen die wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin vor 15 Jahren zugrunde liegen, zur Wirkung verholfen wird. Dies gilt selbst dann, wenn sich seitdem die Berechnungsgrundlage für die Festsetzung einer angemessenen Barabfindung (deutlich) zum Vorteil der Antragsgegner entwickelt hätte.
45Die Antragsgegner stützen den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs im Wesentlichen darauf, dass die Antragstellerin mit dem Bestätigungsbeschluss die Antragsgegner zu übervorteilen beabsichtige. Sie machen – die Antragsgegner zu 1) und zu 2) jeweils gestützt auf eine von ihnen mit Schriftsatz vom 7. Mai 2021 vorgelegte gutachterliche Stellungnahme – in diesem Zusammenhang geltend, dass der „Unternehmenswert heute weitaus höher“ liege und nach den durch den Bundesgerichtshof in seinem „WELLA“-Beschluss vom 15. September 2020 (– II ZB 6/20 –, BGHZ 227, 137) aufgestellten Grundsätzen eine auf das Jahr 2020 bezogene angemessene Barabfindung „signifikant höher“ ausfalle, weshalb eine auf das Jahr 2006 abstellende Bewertung eine „Sondervorteilsnahme des Hauptaktionärs“ darstelle. Mit diesem Einwand können die Antragsgegner allerdings im Rahmen des vorliegenden Freigabeverfahrens weder gehört werden noch können sie daraus einen hier beachtlichen Rechtsmissbrauchseinwand herleiten. Denn der Vorwurf geht in der Sache dahin, dass der Bestätigungsbeschluss – wie der Antragsgegner zu 1) unter Ziffer 2.1.2.1 des Schriftsatzes vom 22. Februar 2021 (GA 403) formuliert – einen „Sondervorteil des Hauptaktionärs“ darstelle. Auf die behauptete unzulässige Verfolgung von Sondervorteilen durch die Hauptaktionärin, die nach § 243 Abs. 2 AktG einen Anfechtungsgrund begründet, und auf die nach der Behauptung der Antragsgegner damit einher gehende Unangemessenheit der Barabfindung kann indes die Anfechtung eines Übertragungsbeschlusses nicht gestützt werden (vgl. § 327f AktG), was verfassungsrechtlich unbedenklich ist (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. Mai 2007 – 1 BvR 390/04 –, WM 2007, 1329, 1331); entsprechend verhält es sich für den Bestätigungsbeschluss als auf den Übertragungsbeschluss bezogene Geltungserklärung und für ein sich hierauf beziehendes Freigabeverfahren nach § 327e Abs. 2 i.V.m. § 319 Abs. 6 AktG.
46Vor diesem Hintergrund hat die von den Antragsgegnern in Abrede gestellte Angemessenheit der Höhe der Barabfindung nach § 327b AktG, deren Überprüfung gemäß § 327f Satz 2 AktG einem Spruchverfahren vorbehalten ist, bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Freigabeantrags im Sinne von § 327e Abs. 2 i.V.m. § 319 Abs. 6 AktG außer Betracht zu bleiben. Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass die spruchverfahrensrechtliche Überprüfung auf den durch § 327b Abs. 1 Satz 1 AktG vorgegebenen Bewertungsstichtag – hier den 21. August 2006 – abstellt, den die Antragsgegner unter Hinweis auf den verstrichenen Zeitraum als überholt ansehen. Abgesehen davon, dass dem Schwebezustand im Ausgangspunkt die durch die Antragsgegner vor dem Landgericht Aachen erhobene (und auch von ihnen ab Ende März 2007 bis Anfang 2021 nicht betriebene) Anfechtungs-/Nichtigkeitsklage gegen den Übertragungsbeschluss zugrunde liegt, ist ihnen über den gesamten Zeitraum die Möglichkeit erhalten geblieben, die jährliche Garantiedividende abzurufen.
47Es trifft zwar zu, dass die Antragsgegner als Folge der Freigabe lediglich die im Jahre 2006 festgelegte Abfindung für ihre Aktien erhalten, die möglicherweise nicht mehr den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen entspricht. Dasselbe würde sich aber ergeben, wenn die Freigabe abgelehnt würde, aber die gegen den Bestätigungsbeschluss gerichteten Klagen ohne Erfolg blieben. Das zeigt deutlich, dass sich der Einwand des Rechtsmissbrauchs nur gegen den Bestätigungsbeschluss, nicht aber – isoliert – gegen den Freigabeantrag richten kann. Eine etwaige Rechtsmissbräuchlichkeit des Bestätigungsbeschlusses und seine daraus folgende Unwirksamkeit berührt aber nicht die Zulässigkeit des Freigabeantrags, sondern allenfalls (im Rahmen des § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 1 AktG) dessen Begründetheit. Entsprechend verhält es sich für den von der Antragsgegnerin zu 3) mit Schriftsatz vom 10. Mai 2021 erhobenen Vorwurf, die Antragstellerin habe nach dem 15. September 2020 den Bestätigungsbeschluss forciert, um die durch den Bundesgerichtshof in seinem vorgenannten Beschluss vom 15. September 2020 (BGHZ 227, 137) für die Berechnung der Abfindung aufgestellten Grundsätze auszuhebeln. Ohnedies verfängt dieser Vorwurf auch in der Sache nicht. Die zugrunde liegende Annahme, der Beschluss des Bundesgerichtshofs sei am 15. September 2020 veröffentlicht worden, trifft nicht zu. Die Veröffentlichung des Beschlusses auf der Homepage des Bundesgerichtshofs ist erstmals am 30. Oktober 2020 und damit erst nach der Einberufung der Hauptversammlung erfolgt; insoweit fügt es sich, dass die Veröffentlichung der vorgenannten Entscheidung in Fachzeitschriften (AG, DB, DStR, NZG, WM, ZIP) erst ab November 2020 einsetzte. Anhaltspunkte für eine frühere Kenntnis der Antragstellerin zeigt auch die Antragsgegnerin zu 3) nicht auf. Abgesehen davon erschließt sich nicht, warum die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen eines etwaigen Spruchverfahrens keine Berücksichtigung finden soll.
48Im Übrigen bleibt es den Antragsgegnern, sollten sich im Nachhinein sowohl die gegen den Übertragungsbeschluss als auch die gegen den Bestätigungsbeschluss gerichteten Anfechtungs-/Nichtigkeitsklagen als begründet erweisen, die Geltendmachung eines Schadens unbenommen, der ihnen möglicherweise aus dem Verlust ihrer Aktien zu den wirtschaftlichen Konditionen zum Stichtag 21. August 2006 erwachsen ist.
49b) Der Freigabeantrag ist schon deswegen begründet, weil die Antragsgegner nicht innerhalb der Frist von einer Woche nach Zustellung des Antrags durch Urkunden wirksam nachgewiesen haben, dass sie jeweils Aktien im Nennwert von 1.000 € an der Antragstellerin halten (§ 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG). Es ist vielmehr unstreitig, dass dies nicht der Fall ist.
50aa) Es steht fest, dass keiner der Minderheitsaktionäre die für die Erfüllung des gesetzlich festgeschriebenen Mindestquorums erforderliche Mindestzahl von 20 Aktien an der Antragstellerin hält.
51Soweit der Antragsgegner zu 1) dies unter Ziffer 6 der Antragserwiderung vom 22. Februar 2021 (GA 412) mit der Erwägung in Zweifel zu ziehen sucht, der Wert der nach dem Vortrag der Antragstellerin erforderlichen Mindestzahl von 20 Aktien belaufe sich unter Berücksichtigung der den Minderheitsaktionären im Jahr 2006 angebotenen Barabfindung (3.715,48 € je Aktie) auf 74.309,60 € und stelle daher keine Bagatelle dar, vermag er damit nicht durchzudringen. Das Gesetz stellt für die Ermittlung des Mindestquorums von 1.000 € ausschließlich auf den anteiligen Nennbetrag am Grundkapital ab (vgl. nur OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Oktober 2009 – 20 AR [Freig.] 1/09 –, ZIP 2009, 2337, 2338; ebenso für § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG: OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 13. Februar 2018 – 5 AktG 1/17 –, ZIP 2018, 1027, 1029; KG, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 23 AktG 1/14 –, ZIP 2015, 974, 975 f.; Drescher, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 246a AktG Rn. 7; Ehmann, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 246a Rn. 7; Göz, in Bürgers/Körber, AktG, 4. Aufl., § 246a Rn. 4b; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl., § 246a Rn. 20a; Schäfer, in: MünchKommAktG, 5. Aufl., § 246a Rn. 24). Dieser Nennbetrag liegt hier bei 51,13 € pro Aktie.
52bb) Entgegen der von einigen der Antragsgegner vertretenen Auffassung ist die Regelung des § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG nicht verfassungswidrig.
53Der Senat hat diese Frage für § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG, dem der vorliegend anwendbare § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG entspricht (vgl. BT-Drucks. 16/11642 S. 43 li. Spalte zu Nr. 45), im Einklang mit der in der obergerichtlichen Rechtsprechung und im Schrifttum herrschenden Meinung dahin entschieden, dass § 246a Abs. 2 Nr. 2 AktG verfassungsgemäß ist (vgl. Senat, Beschluss vom 23. Januar 2012 – 18 U 323/11 –, BeckRS 2012, 3266; ferner OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 15. Dezember 2020 – 5 AktG 2/20 –, ZIP 2021, 748, 750; Koch, in: Hüffer/Koch, AktG, 15. Aufl., § 246a Rn. 20; a.A. Schwab, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 246a Rn. 8 ff.; jeweils m.w.N.). Er hält daran auch für § 319 Abs. 6 Satz 3 Nr. 2 AktG fest (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 19. Oktober 2009 – 20 AR [Freig.] 1/09 –, ZIP 2009, 2337, 2338 f.; Grunewald, NZG 2009, 967, 970; Wilsing/Saß, DB 2011, 919 f.; siehe auch OLG München, Beschluss vom 26. März 2015 – 23 AktG 1/15 –, juris Rn. 36 ff.).
54cc) Liegt – wie hier – einer der in § 319 Abs. 6 Satz 3 AktG festgeschriebenen Freigabegründe vor, ist die Freigabe zwingend anzuordnen (vgl. Grigoleit/Rachlitz, in: Grigoleit, AktG, 2. Aufl., § 319 Rn. 37; Singhof, in: BeckOGK-AktG, Stand: 1. Februar 2021, § 319 Rn.24). Ein Ermessen des Gerichts besteht insoweit nicht; es kommt auch nicht auf die Schwere der behaupteten Rechtsverstöße an (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 25. Juli 2012 – 12 AktG 778/12 –, ZIP 2012, 2052, 2057).
55c) Die Kostenentscheidung beruht auf § 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 Satz 2 AktG, § 91 Abs. 1, § 100 Abs. 1 ZPO.
563. Der Streitwert wird unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalles, insbesondere der Bedeutung der Sache für die Parteien, die der Senat hierzu in der mündlichen Verhandlung angehört hat, nach billigem Ermessen auf 50.000 € festgesetzt (§ 327e Abs. 2, § 319 Abs. 6 Satz 2, § 247 AktG).