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1. Der Antrag der Beteiligten zu 1) und 2) auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) vom 28.10.2020 gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Euskirchen vom 15.10.2020 (Az. 19 F 117/20) wird zurückgewiesen.
3. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beteiligten zu 1) und 2) je zur Hälfte; außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500,00 € festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Die Beteiligten zu 1) und 2) sind die biologischen Eltern (im Folgenden auch: Kindesvater bzw. Kindesmutter) des verfahrensbetroffenen Kindes A, geb. am xx.xx.2020. Sie stammen aus Eritrea, sprechen Tigrinya und geben an, in Eritrea kirchlich geheiratet zu haben. Der Kindesvater ist vor ca. fünf Jahren nach Deutschland gekommen, die Kindesmutter im Zuge der Familienzusammenführung Anfang des Jahres 2019 mit zwei weiteren gemeinsamen Kindern und zwei Kindern, die offenbar nur vom Kindesvater abstammen. Seit Februar 2020 lebt die Kindesmutter mit den Kindern in einer Flüchtlingsunterkunft in B. Der Kindesvater bewohnt ein kleines Zimmer außerhalb der Unterkunft. Der Kindesvater hält sich täglich bei der Familie in der Unterkunft auf.
4Nach der Geburt des verfahrensbetroffenen Kindes erfolgte eine Mitteilung nach § 57 Abs. 1 und 2 PStV an das zuständige Jugendamt, aus dem sich ergibt, dass der Kindesvater nicht sorgeberechtigt sei. Sodann erhielt die Kindesmutter eine Bescheinigung nach § 58 a SGB VIII. Aus dieser ergibt sich, dass der Personenstand der Kindeseltern nicht nachgewiesen und eine gemeinsame Sorgeerklärung nicht abgegeben worden sei.
5Am Abend des 18.09.2020 brachte der Kindesvater das Kind in das Krankenhaus C. Er gab dabei an, das Kind sei in seiner Anwesenheit aus einem ca. 30 cm hohen Bett herausgefallen und mit der linken Seite des Kopfes auf dem Fliesenboden aufgekommen. Die ärztlichen Untersuchungen ergaben einen Schädelbruch an beiden Seiten des Hinterkopfes mit einem deutlichen Frakturspalt mit Versatz von 2-3 mm und beidseitig darüber liegende schwappende Hämatome mit einer Größe von 10 × 6 cm (vgl. Arztbericht des Krankenhauses C vom 18.09.2020, Bl. 4 ff. d.A.).
6In einem Gespräch am runden Tisch am 21.09.2020 im Beisein einer Dolmetscherin gab die Kindesmutter zunächst an, der Sohn A sei aus einer Höhe von ca. 80-90 cm aus dem Bett auf den Fliesenboden gefallen. Danach gab sie an, in der Küche gewesen und wegen eines plötzlichen Schreis des Babys in das Zimmer gelaufen zu sein. Nachdem der Kindesvater zu dem Gespräch hinzugekommen war, fragte er als erstes, was die Kindesmutter im Hinblick auf die Höhe des Bettes, von dem der Sohn gefallen soll sein, gesagt habe und verwies in der Folgezeit des Gespräches zunehmend darauf, dass alles mit Gottes Wille geschehe, auch wenn sich sein Kind verletzen oder sterben würde.
7Mit Schriftsatz vom 25.09.2020 (Bl. 1 ff. der Akte) hat das Jugendamt des Kreises B einen Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge der Kindesmutter gemäß den §§ 1666, 1666a BGB gestellt.
8Mit Beschluss vom 29.09.2020 hat das Amtsgericht dem Kind eine Verfahrensbeiständin bestellt und einen Beweisbeschluss erlassen, um durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens die Frage zu klären, welche Ursache die Verletzungen des minderjährigen Kindes (Schädelbruch rechts und links) haben können.
9Weiter hat das Amtsgericht Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 13.10.2020, 13:00 Uhr bestimmt. Mit Verfügung vom 05.10.2020 hat das Amtsgericht die Terminsstunde vorverlegt auf 8.30 Uhr und die Verfahrensbeteiligten per Fax bzw. die Kindeseltern auch per Zustellungsurkunde umgeladen. Die Umladung haben die Kindeseltern am 06.10.2020 (Bl. 59 und 60 der Akte) erhalten. Mit Schriftsatz vom 09.10.2020 hat der Verfahrensbevollmächtigte die Vertretung der Kindeseltern angezeigt.
10In der mündlichen Verhandlung vom 13.10.2020 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Euskirchen die Kindeseltern im Beisein einer Dolmetscherin, die dem Säugling bestellte Verfahrensbeiständin, die zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes sowie die Sachverständige D angehört. Diese hat erläutert, der Säugling habe eine lebensbedrohende Verletzung aufgewiesen, die nicht durch einem von den Kindeseltern geschilderten Sturz aus einem Etagenbett aus einer Höhe von 1,15 m entstanden sein könne; es müssten vielmehr zwei massive Gewalteinwirkung auf das Kind stattgefunden haben.
11Sowohl das Jugendamt als auch die Verfahrensbeiständin haben angeregt, der Kindesmutter jedenfalls Teilbereiche der elterlichen Sorge (das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Antragsrecht auf Hilfen zur Erziehung sowie die Gesundheitsfürsorge) zu entziehen und insoweit auf einen Ergänzungspfleger zu übertragen.
12Die Kindesmutter hat sich sinngemäß gegen die Entziehung von Teilbereichen des Sorgerechts ausgesprochen.
13Mit dem angegriffenen Beschluss vom 15.10.2020 hat das Amtsgericht der Kindesmutter das Umgangsrecht, das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII, die Gesundheitsfürsorge und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den Sohn A, geboren am xx.xx.2020, vorläufig entzogen und Ergänzungspflegschaft angeordnet. Es hat weiter das Jugendamt des Kreises B zum Ergänzungspfleger bestellt. Zusammenfassend hat das Amtsgericht ausgeführt, dass nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen davon auszugehen sei, dass der Säugling die schweren Verletzungen nicht durch einen Sturz aus dem Bett erlitten haben könne, sondern durch zwei schwerste Gewalteinwirkungen. Die Kindeseltern hätten weder eine plausible Erklärung dafür geben können, wie die Verletzungen des Kindes entstanden sein könnten, noch sei überzeugend dargelegt worden, inwieweit zukünftig eine Kindeswohlgefährdung ausgeschlossen werden könne.
14Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 28.10.2020 erhobene Beschwerde der Kindeseltern, mit der diese die Aufhebung der angegriffenen Entscheidung begehren. Ursache der Verletzungen des Kindes sei ein Sturz aus der oberen Etage des Hochbettes gewesen. Der Kindesvater habe A nur kurz abgelegt, um sich seinem ältesten Sohn zuzuwenden, welcher sich ebenfalls im Zimmer befunden habe, und ihm sei nicht bewusst gewesen, dass sich A seit kurzem drehen könne, weshalb es zum Sturz gekommen sei. Die Entscheidung sei darüber hinaus verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil das Gericht so kurzfristig die Terminsstunde geändert habe, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Kindeseltern hiervon keine Kenntnis erhalten habe und nicht im Termin anwesend sein konnte. Die Anwesenheit war aber vor dem Hintergrund, dass er die Sprache der Kindeseltern spreche, von den Kindeseltern verlangt worden. Weiter sei der geladene Dolmetscher nicht allgemein vereidigt gewesen.
15Der Senat hat den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme gegeben und auf die Bedenken bzgl. der Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsmittels hingewiesen.
16II.
171. Die Beschwerde der Kindeseltern ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig.
18a) Die Beschwerde der sorgeberechtigten Kindesmutter ist statthaft und insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, mithin zulässig.
19b) Die Beschwerde des Kindesvaters ist ebenfalls zulässig, auch wenn nach der hier im einstweiligen Anordnungsverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung aufgrund der vorgelegten Unterlagen des Standesamtes und des Jugendamtes aufgrund des nicht geklärten Familienstandes davon auszugehen ist, dass er nicht Inhaber des Sorgerechts ist. Dennoch ist er beschwerdeberechtigt. Die Beschwerdeberechtigung nach § 59 Abs. 1 FamFG setzt eine unmittelbare Beeinträchtigung des Beschwerdeführers in einem ihm zustehenden subjektiven Recht voraus (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27.04.2016 – XII ZB 67/14 –, FamRZ 2016, 1146; und vom 18.04.2012 – XII ZB 623/11 –, NJW 2012, 2039). Ein bloßes berechtigtes Interesse an der Änderung oder Beseitigung der Entscheidung genügt insoweit nicht (BGH, a.a.O.). Aus diesen Vorgaben folgt eine unmittelbare Beeinträchtigung von Rechten des Kindesvaters, weil das Amtsgericht mit seiner Entscheidung gemäß §§ 1666, 1666 a BGB, der auch nach den Angaben der Kindeseltern alleinsorgeberechtigten Kindesmutter das Sorgerecht teilweise zu entziehen, zugleich verpflichtet war, gemäß § 1680 Abs. 2, 3 BGB zu prüfen, ob eine Übertragung des Sorgerechts auf den Kindesvater dem Kindeswohl entspräche. Diese Regelung begründet ein subjektives Recht des Vaters, aus dem sich auch dessen Beschwerdeberechtigung ergibt (BGH, Beschluss vom 16.06.2010 – XII ZB 35/10 –, FamRZ 2010, 1242).
202. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht – Familiengericht – B hat der Kindesmutter zu Recht und mit zutreffenden Erwägungen das Sorgerecht gemäß §§ 1666, 1666a BGB im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 49 FamFG teilweise entzogen. Eine Übertragung des Sorgerechts auf den Kindesvater kam als milderes Mittel nicht in Betracht.
21a) aa) Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 –, FamRZ 2019, 598). Das Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantiert den Eltern das Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder. Der Schutz des Elternrechts erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.05.1991 – 1 BvL 32/88 –, BVerfGE 84, 168, 180). Art. 6 Abs. 3 GG erlaubt eine räumliche Trennung des Kindes von seinen Eltern nur unter der strengen Voraussetzung, dass das elterliche Fehlverhalten ein solches Ausmaß erreicht, dass das Kind bei den Eltern in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.11.2014 – 1 BvR 1178/14 –, FamRZ 2015, 112; BVerfGE 60, 70/91; 136, 382/391; std. Rspr) Eine solche Gefährdung des Kindes ist dann anzunehmen, wenn bei ihm bereits ein Schaden eingetreten ist oder sich eine erhebliche Gefährdung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.06.2020 – 1 BvR 572/20 –, FamRZ 2020; und vom 19.11.2014 – 1 BvR 1178/14 –, FamRZ 2015, 112 m.w.N.). Bei der Prognose, ob eine solche erhebliche Gefährdung vorauszusehen ist, muss die drohende Schwere der Beeinträchtigung des Kindeswohls berücksichtigt werden. Dabei kann das erforderliche Maß der Gefahr nicht abstrakt generell festgelegt werden. Denn der Begriff der Kindeswohlgefährdung erfasst eine Vielzahl von möglichen, sehr unterschiedlichen Fallkonstellationen. Erforderlich ist daher seine Konkretisierung mittels Abwägung der Umstände des Einzelfalls durch den mit dem Fall befassten Tatrichter. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind dabei umso geringere Anforderungen zu stellen, je schwerer der drohende Schaden wiegt (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 –, FamRZ 2019, 598). Die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit muss in jedem Fall auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen. Eine nur abstrakte Gefährdung genügt nicht. Schließlich muss der drohende Schaden für das Kind erheblich sein (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 –, FamRZ 2019, 598).
22Dem wird bei der Anwendung von § 1666 BGB einfachrechtlich dadurch Rechnung getragen, dass an die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts desto geringere Anforderungen zu stellen sind, je schwerer der drohende Schaden wiegt (vgl. zuletzt BGH, Beschluss vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 –, juris Rn 18). Zudem sind die negativen Folgen einer Trennung des Kindes von den Eltern und einer Fremdunterbringung zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 10.06.2020 – 1 BvR 572/20, FamRZ 2020, 1562 Rn. 23 m.w.N; und vom 21.09.2020 – 1 BvR 528/19 –, FamRZ 2021, 104, Rn. 30) und diese Folgen müssen durch die hinreichend gewisse Aussicht auf Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessert (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19.06.2020 – 1 BvR 1284/20 –, FamRZ 2021, 104, Rn. 32; und vom 03.04.2018 – 1 BvR 2018 –, FamRZ 2018, 1084, Rn. 15 ff).
23bb) Darüber hinaus muss jeder Eingriff in das Elternrecht dem – für den Fall der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie in § 1666 BGB ausdrücklich geregelten – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Er gebietet, dass Art und Ausmaß des staatlichen Eingriffs sich nach dem Grund des Versagens der Eltern und danach bestimmen müssen, was im Interesse des Kindes geboten ist (BGH, Beschluss vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 –, FamRZ 2019, 598). Die anzuordnende Maßnahme muss zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung geeignet, erforderlich und auch im engeren Sinne verhältnismäßig sein. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gegeben, wenn der Eingriff unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zumutbar ist. Hierbei ist insbesondere auch das Verhältnis zwischen der Schwere des Eingriffs und seiner Folgen, dem Gewicht des dem Kind drohenden Schadens und dem Grad der Gefahr zu berücksichtigen. Die Verhältnismäßigkeit im verfassungsrechtlichen Sinne verlangt dabei keine weitere, eine höhere Sicherheit des Schadenseintritts erfordernde Prognose, wie sie der Bundesgerichtshof in der Auslegung von §§ 1666, 1666a BGB verlangt (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 –, FamRZ 2019, 598 auf der einen Seite und BVerfG, Beschluss vom 21.09.2020 – 1 BvR 528/19 –, FamRZ 2021, 104, Rn. 31, auf der anderen Seite).
24cc) In Sorgerechtsverfahren haben die Familiengerichte das Verfahren so zu gestalten, dass es geeignet ist, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erlangen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.04.2018 – 1 BvR 383/18 –, FamRZ 2018, 1084, m.w.N.). In Eilverfahren bleiben die praktisch verfügbaren Aufklärungsmöglichkeiten angesichts der spezifischen Eilbedürftigkeit dieser Verfahren allerdings regelmäßig hinter den im Hauptsacheverfahren bestehenden Möglichkeiten zurück. Den Gerichten ist es in kindesschutzrechtlichen Eilverfahren insbesondere regelmäßig nicht möglich, noch vor der Eilentscheidung ein Sachverständigengutachten einzuholen. Dies steht dem vorläufigen Sorgerechtsentzug jedoch nicht entgegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.04.2018 – 1 BvR 383/18 –, FamRZ 2018, 1084, m.w.N.). Entscheidend ist vielmehr, ob die Gefährdungslage nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit aufgrund der vorhandenen Erkenntnisse bereits derart verdichtet ist, dass ein sofortiges Einschreiten auch ohne weitere gerichtliche Ermittlungen geboten ist (BVerfG, Beschluss vom 23.04.2018 – 1 BvR 383/18 –, FamRZ 2018, 1084, m.w.N.). Einfachrechtlich drücken sich diese Anforderungen in der Vorschrift des § 49 FamFG aus. Ein danach erforderliches dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden setzt voraus, dass ein Abwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache nicht möglich ist, weil diese zu spät käme, um die zu schützenden Interessen (hier: das Kindeswohl) zu wahren. Nicht ausreichend ist, dass die Entziehung des Sorgerechts dem Kindeswohl „am besten entsprechen“ würde, vielmehr muss das Kindeswohl ohne den Sorgerechtsentzug nachhaltig gefährdet sein (vgl. BVerfG Beschluss vom 29.09.2015 – 1 BvR 1292/15 –, BeckRS 2016, 41034).
25b) Diese Grundsätze zugrunde gelegt, liegen die Voraussetzungen für einen teilweisen Entzug des Sorgerechts gemäß §§ 1666, 1666a BGB im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 49 FamFG vor, wie das Amtsgericht zu Recht angenommen hat.
26aa) Eine nachhaltige Gefährdung des Kindes bei einem Verbleib in der Obhut der Kindeseltern liegt vor. Es ist bereits ein Schaden des Kindes in Form einer lebensbedrohlichen Kopfverletzung eingetreten und es besteht auch weiter die konkrete Gefahr einer erneuten Schädigung. Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts, nachdem Ursache der massiven Kopfverletzungen des Kindes nicht, wie die Kindeseltern behaupten, ein Sturz aus dem Hochbett, sondern eine gewollte Gewalteinwirkung, wahrscheinlich durch den Kindesvater, war. Er nimmt insoweit zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe rechtfertigen keine andere Entscheidung. Insbesondere ist das Ergebnis des mündlich erstellten Sachverständigengutachtens vom Amtsgericht richtig bewertet worden und auch für den Senat überzeugend.
27Die Sachverständige hat ausgeschlossen, dass die Verletzungen am Kopf des Kindes durch einen schlichten Sturz vom Hochbett hervorgerufen werden konnten und benannte als einzig mögliche Ursache eine massive Gewalteinwirkung in Form des Schlagens des Säuglings gegen eine Wand. Die herfür genannten Gründe der Sachverständigen sind überzeugend. Sie hat ausgeführt, dass, wenn überhaupt, der Sturz von einem Hochbett zu einem Schädelbruch führen könnte, nicht jedoch zu zwei Brüchen. Weiter läge der Bruch aufgrund der Gewichtsverhältnisse bei einem Säugling an der Seite und nicht am Hinterkopf, so wie vorliegend. Darüber hinaus hat die Sachverständige nachvollziehbar ausgeführt, dass auch die Lage der Hämatome oberhalb der Brüche gegen eine Verletzung durch ein Sturzereignis spreche. Schließlich hat die Sachverständige in ihrer mündlichen Anhörung ausgeschlossen, dass die gegebenen zwei Verletzungen bei A durch einen Sturz auf einen Gegenstand, der noch auf dem Boden lag, hervorgerufen worden sein könnten, so wie es die Kindeseltern behauptet haben.
28Soweit die Kindeseltern auf einen Aufsatz mit dem Titel „Stürze vom Wickeltisch“ der Universitätsklinik für Kinderchirurgie E verweisen, in dem es heißt, dass bei einem Sturz vom Wickeltisch in 17 % der Fälle eine Kopfverletzung in Form einer Schädelfraktur die Folge gewesen sei, ergeben sich hieraus für den Senat ebenfalls keine Bedenken an der Richtigkeit der sachverständigen Feststellungen. Denn vorliegend handelt es sich nicht um eine „einfache“ Schädelfraktur, sondern um eine doppelte, die zudem dadurch gekennzeichnet ist, dass sie sich nicht an der Seite, sondern im hinteren Bereich des Kopfes befindet und sich über den Bruchstellen große Hämatome befinden. Weiter ist zu beachten, dass es zu Blutungen zwischen Schädelknochen und Gehirn gekommen ist. Schon aus diesen Gründen kann die von den Kindeseltern vorgelegte Studie die Ausführung der Sachverständigen nicht ernsthaft in Zweifel ziehen.
29Soweit die Kindeseltern mit ihrer Beschwerde rügen, dass die genaue Position der Brüche nicht thematisiert werde, ist dies nicht zutreffend. Schon aus dem Bericht des Krankenhauses C ergibt sich eine Fraktur des hinteren Schädelbereichs. In dem Arztbericht heißt es insoweit „beidseitig parieto-occipital rechts und links“. „Parieto-occipital“ bezieht sich auf die hintere Region des Großhirns, das vom Occipitalknochen bedeckt wird. Auch die Sachverständige führt aus, dass es sich um zwei Schädelbrüche am Hinterkopf gehandelt hat. Damit ist die Position der Brüche ausreichend lokalisiert.
30Es bedurfte auch nicht der Einvernahme des Sohnes des Kindesvaters im Hinblick auf die Behauptung der Kindeseltern, der Säugling sei vom Bett gefallen, da die Sachverständige einen Sturz als Verletzungsursache ausgeschlossen hat. Ob der Sohn also einen Sturz des Säuglings vom Bett beobachtet hat, ändert an diesem Ergebnis nichts.
31bb) Vor dem Hintergrund der sachverständigen Feststellungen, der Schwere der Kopfverletzungen des Kindes und des Bestreitens der Eltern, hierfür ursächlich zu sein, besteht auch eine ausreichende Gefahr weiterer schweren Schädigungen des Kindes, da eine Wiederholung eines Gewaltausbruchs nicht ausgeschlossen werden kann. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die Kindesmutter, die bei dem Ereignis offenbar nicht anwesend war, in der Lage ist, ihren Sohn vor weiteren schädigenden Handlungen des Kindesvaters zu schützen. Vorliegend ist zu beachten, dass an die Wahrscheinlichkeit eines weiteren Schadenseintritts schon deshalb nur geringere Anforderungen zu stellen sind, als dass der bereits eingetretene Schaden bereits zu lebensbedrohlichen Verletzungen des Säuglings geführt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 06.02.2019 – XII ZB 408/18 –, FamRZ 2019, 598).
32cc) Die angeordnete Maßnahme war auch verhältnismäßig. Sie ist geeignet, weitere Gefahren von dem Säugling abzuwenden. Sie war auch erforderlich, weil durch das Verhalten insbesondere der Kindesmutter nicht sichergestellt ist, dass diese willens und in der Lage ist, ihren Sohn vor weiteren Verletzungen zu schützen. Indem sie eine Verantwortlichkeit der Kindeseltern trotz der sachverständigen Feststellungen sicher ausschließt und nicht willens ist, eine Trennung zum Kindesvater herzustellen, war ein Verbleib des Säuglings in ihrer Obhut zumindest bis zur endgültigen Klärung der Verursachung nicht möglich, obwohl sie selber nach den Angaben der Verfahrensbeiständin einen liebevollen Umgang mit dem Kind pflegt. Die Entscheidung war auch trotz des sehr jungen Alters des Säuglings verhältnismäßig im engeren Sinne. Die negativen Folgen seiner Trennung von den Eltern können vorliegend durch regelmäßige Besuche abgemildert, der Gefahr weiterer massiver Verletzungen hingegen nur durch eine Fremdunterbringung begegnet werden. In der Gesamtbetrachtung verbessert sich damit die Situation des Kindes deutlich (hierzu BVerfG, Beschluss vom 23.04.2018 – 1 BvR 383/18 –, FamRZ 2018, 1084 m.w.N). Zudem wäre die Installation von helfenden, unterstützenden, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der leiblichen Eltern gerichtete Maßnahmen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 21.09.2020 -1 BvR 528/19 -, FamRZ 2021, 104) vorliegend unzureichend gewesen, da dadurch der hier notwendige kurzfristige umfassende Schutz des Säuglings nicht möglich gewesen wäre. Durch solche kann vielmehr eine mögliche Rückkehr des Säuglings in den mütterlichen Haushalt vorbereitet und damit eine dauerhafte Sorgerechtsentziehung vermieden werden.
33dd) Es kam schließlich auch keine Sorgerechtsübertragung auf den Kindesvater in Betracht (§ 1680 Abs. 2, 3 BGB), da dieser aller Wahrscheinlichkeit nach für die Verletzungen des Säuglings verantwortlich ist und ihm jede Bereitschaft, die Gefahr, in der sich das Kind befunden hat, einzusehen, fehlt, so dass auch ein weiteres Fehlverhalten in der nahen Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann.
34ee) Vor dem Hintergrund der sachverständigen Feststellungen und der Schwere der Kopfverletzungen des Kindes war darüber hinaus ein sofortiges Einschreiten des Amtsgerichts im Wege einstweiligen Anordnung auch ohne schriftliches Sachverständigengutachten zulässig und geboten. Indem das Amtsgericht, obwohl es sich noch im einstweiligen Anordnungsverfahren befunden hat, einen Beweisbeschluss im Hinblick auf die Ursache der Kopfverletzungen erlassen hat und insofern eine mündliche Gutachtenerstattung angeordnet hat, die die von den Kindeseltern behauptete Verletzungsursache ausgeschossen hat, hat es eine ausreichende Tatsachengrundlage geschaffen, die trotz des jungen Alters des Kindes den erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Kindeseltern aus Art. 6 Abs. 2 GG rechtfertigt. Abgesehen davon ist zu beachten, dass im einstweilen Anordnungsverfahren keine letzte Gewissheit daran bestehen muss, ob bei dem Verbleib des Kindes bei den sorgeberechtigten Eltern tatsächlich eine akute Kindesgefährdung droht oder nicht.
35ff) Schließlich war auch keine erneute Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch den Senat geboten, da das Amtsgericht die Beteiligten, insbesondere die Kindeseltern, im Beisein eines Dolmetschers, vor seiner Entscheidung angehört hat. Die in diesem Zusammenhang erfolgten Einwendungen der Kindeseltern greifen nicht durch. Die Kindeseltern sind ordnungsgemäß geladen und auch umgeladen worden; der Umstand, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Kindeseltern hiervon keine Kenntnis erlangt hat, geht nicht zu Lasten des Amtsgerichts. Zum Zeitpunkt der Umladung hatte sich dieser noch nicht dem Gericht gegenüber bestellt, so dass das Amtsgericht lediglich die Kindeseltern mit Zustellungsurkunde, wie erfolgt (um-)laden konnte und musste. Das Amtsgericht durfte die Anhörung ohne den Verfahrensbevollmächtigten durchführen, da eine anwaltliche Vertretung nicht erforderlich war. Schließlich hat es den Dolmetscher ausweislich des Sitzungsprotokolls vor Beginn der Anhörung vereidigt; der Umstand, dass er nicht allgemein vereidigt war, ist damit unerheblich. Weiterer Erkenntnisgewinn durch eine erneute Durchführung einer mündlichen Verhandlung war schließlich auch unter Berücksichtigung des Vorbringens in der Beschwerde nicht zu erwarten.
36III.
37Kann es nach alledem nicht verantwortet werden, das Kind bis zur Entscheidung in der Hauptsache wieder in die Obhut der Kindesmutter zu geben und kam auch eine einstweilige Übertragung des Sorgerechts auf den Kindesvater nicht in Betracht, waren die Verfahrenskostenhilfegesuche der Kindeseltern mangels Erfolgsaussichten ab- und das von ihm eingelegte Rechtsmittel mit der Kostenfolge des § 84 FamFG zurückzuweisen.
38Die Festsetzung des Verfahrenswertes folgt aus §§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 FamGKG.
39R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g:
40Gegen diese Entscheidung findet ein Rechtsmittel nicht statt.