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Der Antrag des Klägers des Verfahrens 7 O 247/19 LG Köln, den Bescheid des Präsidenten des Köln vom 04.11.2019 über die Gewährung von Akteneinsicht in die Verfahrensakten 220 C 10/11 AG Köln an den Beklagten aufzuheben und dessen Akteneinsichtsgesuch abzulehnen, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Klägern auferlegt.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Verfahrenswert wird auf 5.000,- EUR festgesetzt.
Gründe:
2I.
3Der Kläger (Antragsteller) führt als Testamentsvollstrecker über den Nachlass von Herrn A (Erblasser) gegen den Beklagten vor dem LG Köln unter dem Az. 7 O 247/19 einen Rechtsstreit; der Beklagte hat in diesem Rechtsstreit Widerklage erhoben und beantragt, den Kläger zur Zahlung von 10.000 € zuzüglich Zinsen zu verurteilen. Im Rahmen seiner Klageerwiderung hat der Beklagte sich auf das Urteil des AG Köln in dem Rechtsstreit 220 C 10/11 berufen, welches der Kläger – ebenfalls als Testamentsvollstrecker des Erblassers – gegen den Beklagten im Jahr 2011 erstritten hat – wobei der Beklagte damals nicht von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten worden war. In dem amtsgerichtlichen Verfahren ging es um offene Pacht aus einer Kneipe, die der Erblasser an den Beklagten verpachtet hatte, in Höhe von ca. 3700 €. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 10.06.2011 den Beklagten zur Zahlung von 2452,71 € zuzüglich Zinsen verurteilt. Den Rechtsstreiten vor dem Landgericht Köln und vor dem Amtsgericht Köln liegt jeweils im wesentlichen der gleiche Sachverhalt zugrunde. Die von der Klägerseite aktuell geltend gemachten Ansprüche sollen sich aus dem gleichen Pachtvertrag aus dem Jahr 2008 ergeben, der auch bereits Gegenstand des amtsgerichtlichen Verfahrens gewesen ist. Die Bevollmächtigten der Parteien hatten sich bereits vorgerichtlich über die Wirksamkeit einzelner Bestimmungen des Pachtvertrages ausgetauscht. In diesem Zusammenhang hatte der Prozessbevollmächtigte der Klägerseite Bezug auf die Entscheidungsgründe des amtsgerichtlichen Urteils genommen. Daraufhin hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagtenseite um Übersendung einer Abschrift des Urteils mit der Begründung gebeten, ihm liege eine Abschrift nicht vor. Nachdem der Kläger ihm die Abschrift nicht zur Verfügung gestellt hatte, beantragte der Beklagte die Gewährung von Akteneinsicht in die amtsgerichtlichen Verfahrensakten. Der Kläger ist dem Akteneinsichtsgesuch entgegengetreten. Er meint, der Antragsteller habe ein rechtliches Interesse an der Gewährung von Akteneinsicht nicht glaubhaft gemacht.
4Mit Bescheid vom 04.11.2011 hat der Antragsgegner die begehrte Akteneinsicht gewährt und zur Begründung ausgeführt, der Beklagte habe ein berechtigtes Interesse an der Akteneinsicht ausreichend dargelegt; die begehrte Akteneinsichtnahme diene der Verteidigung des Beklagten gegen die Ansprüche des Klägers im aktuellen Verfahren vor dem Landgericht. Da die Entscheidungsgründe des amtsgerichtlichen Urteils Ausführungen zur Auslegung und Wirksamkeit einzelner Bestimmungen des Pachtvertrages enthielten, sei ein rechtliches Interesse gegeben. Auch spreche vieles dafür, ein rechtliches Interesse anzuerkennen, weil der Antragsteller den Umfang der Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils zu prüfen beabsichtige. Schutzwürdige Interessen der Klägerseite, die einer Gewährung der Akteneinsicht entgegenstehen könnten, seien nicht ersichtlich und nicht dargelegt. Dies gelte insbesondere deshalb, weil der Beklagte als Partei an dem amtsgerichtlichen Rechtsstreit selbst beteiligt gewesen sei.
5Gegen diesen Beschluss hat der Kläger mit Schriftsatz vom 12.11.2019 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und diesen im wesentlichen damit begründet, die Behauptung des Beklagten, er verfüge nicht mehr über das Urteil des Amtsgerichts aus dem vorangegangenen Rechtsstreit, sei „schlicht unzutreffend“, wie sich jüngst herausgestellt habe. Denn in einem Schriftsatz vom 25.10.2019 habe der Beklagte ein ausführliches wörtliches Zitat aus dem besagten Urteil wiedergegeben, obwohl er noch gar keine Akteneinsicht gehabt habe. Daraus lasse sich schließen, dass er über das angeblich fehlende Urteil sehr wohl verfüge.
6Der Kläger und Antragsteller beantragt,
7den Bescheid des Antragsgegners vom 04.11.2019 aufzuheben und die begehrte Akteneinsicht abzulehnen.
8Der Antragsgegner beantragt,
9den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
10Er meint, die Akteneinsicht sei zu Recht bewilligt worden – der Bescheid wurde noch nicht vollzogen –, weil der Beklagte selbst Partei des betreffenden Verfahrens gewesen sei und der Antragsteller kein der Gewährung entgegenstehendes Interesse dargelegt habe.
11Der Senat hat ergänzend den aktuellen Prozessbevollmächtigten des Beklagten angehört. Dieser hat den Vorwurf, er habe die Akteneinsicht unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – nämlich dass das Urteil nicht vorliege – beantragt, entschieden zurückgewiesen und angegeben, der Beklagte habe ursprünglich keine brauchbaren Erinnerungen an den Rechtsstreit gehabt und auch keine Unterlagen, daher habe er als sein neuer Prozessbevollmächtigter am 10.09.2019 für den Beklagten Akteneinsicht in die Gerichtsakte des AG Köln beantragt. Erst danach – nämlich am 18.10.2019 – habe der Beklagte ihm mitgeteilt, dass er alte Unterlagen aufgefunden habe, und diese dann in einem Termin am 21.10.2019 übergeben. Bei diesen Unterlagen habe sich auch das Urteil des AG Köln vom 10.06.2011 befunden. Der Antrag auf Akteneinsicht sei in der Folgezeit aufrechterhalten worden, weil durch die zwischenzeitliche Übergabe des Urteils die Akteneinsicht in die Gerichtsakte, insbesondere in die wechselseitigen Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Klageschrift, etwaige Vermerke, Verfügungen, Hinweise und Beschlüsse nicht obsolet geworden sei. Sie sei auch weiterhin gewünscht. Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass sich der Kläger im aktuellen Verfahren vor dem Landgericht Köln eines versuchten Prozessbetrugs schuldig mache, weil er wahrheitswidrig vortrage. Auch die entgegenstehende materielle Rechtskraft des Urteils des Amtsgerichts Köln im Hinblick auf das neue Verfahren vor dem Landgericht könne nur durch eine vollständige Lektüre der Gerichtsakte und des dortigen Prozessstoffes abschließend bewertet werden.
12Der Kläger hatte Gelegenheit zur Stellungnahme, bei der er noch einmal darauf hingewiesen hat, dass das glaubhaft gemachte rechtliche Interesse an der Akteneinsicht durch die Übergabe des Urteils aus seiner Sicht entfallen sei.
13II.
14Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist gemäß §§ 23 ff. EGGVG statthaft und zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt worden. In der Sache kann der Antrag jedoch keinen Erfolg haben, da die Akteneinsicht gewährende Entscheidung aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist.
15Das Recht auf Akteneinsicht richtet sich bei dritten Personen, die nicht Partei des betreffenden Rechtsstreits gewesen sind, und bei Parteien nach rechtskräftigem Abschluss des Prozesses (so zutreffend Zöller-Greger, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 299 Rn 6c) nach § 299 Abs. 2 ZPO. Nach dieser Vorschrift kann der Vorstand des Gerichts ohne Einwilligung der Parteien die Einsicht der Akten nur gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird.
16Der Begriff des rechtlichen Interesses ist für § 299 ZPO unter Berücksichtigung der Interessenlage aller betroffenen Personen zu ermitteln. Als Voraussetzung für das Vorliegen ist ein auf Rechtsnormen beruhendes oder durch solche geregeltes, gegenwärtig bestehendes Verhältnis einer Person zu einer anderen oder zu einer Sache zu fordern. Bloße wirtschaftliche oder gesellschaftliche Interessen reichen nicht aus, ebenso wenig bloße Neugier am Prozessgeschehen. Als rechtliches Interesse ist es anzuerkennen, wenn Rechte des Antragstellers durch den Akteninhalt auch nur mittelbar berührt werden können. Das ist insbesondere zu bejahen, wenn sich Anhaltspunkte für einen eigenen Anspruch des Dritten ergeben. Die Entscheidung hat nach pflichtgemäßem Ermessen zu ergehen. Entscheidende Stelle ist der „Vorstand des Gerichts“. Gemeint ist damit der Behördenleiter des Gerichts. Dies ist bei Amtsgerichten der mit der Dienstaufsicht betraute Richter, während bei großen Amtsgerichten, Landgerichten und höheren Gerichten der Präsident des Gerichts diese Aufgabe wahrnimmt – er kann sie allerdings auch intern delegieren. Es handelt sich bei der Einsichtsgewährung an Dritte um Aufgaben der Justizverwaltung. Die der Einsicht unterliegenden Akten sind darauf zu untersuchen, ob durch die Kenntnisnahme Dritter schutzwürdige Interessen der Parteien verletzt werden können. In diesen Fällen ist bei der Ermessensentscheidung das Geheimhaltungsbedürfnis der Parteien mit dem Informationsbedürfnis des Dritten abzuwägen. Bei besonderem Parteiinteresse können sodann Namen geschwärzt oder besonders geheimhaltungsbedürftige Aktenteile vor der Einsichtnahme aus den Akten entnommen werden. Sind die am Verfahren beteiligten Parteien mit der Einsichtnahme Dritter in die Prozessakten einverstanden, so bedarf es nicht der Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses. Allerdings besteht auch in diesem Falle kein Anspruch des Dritten auf Einsichtnahme, sondern der Vorstand des Gerichts entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen. Die in die Akteneinsicht nicht einwilligende Partei kann gegen die Gestattung der Einsicht eine gerichtliche Entscheidung nach § 23 EGGVG beantragen (vgl. MüKoZPO-Prütting § 299 Rn 21-28 m.w.N.).
17Unter Zugrundelegung der vorgenannten Grundsätze und Kriterien ist die angegriffene Ermessensentscheidung des Präsidenten des AG Köln, dem Beklagten Akteneinsicht in die amtsgerichtlichen Verfahrensakten zu gewähren, im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass einer ehemaligen Partei eines Rechtsstreits in aller Regel ein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht auch nach Abschluss des Verfahrens nicht abzusprechen ist, sofern der Inhalt der Akten für einen aktuell zu führenden Rechtsstreit wegen der Berührungspunkte zwischen den Streitgegenständen relevant sein kann und ihr nicht bereits alle in Betracht kommenden Unterlagen in Kopie vorliegen (vgl. Zöller-Greger, § 299 Rn. 6c a.E.). Der Beklagte hat durch seine Stellungnahme im laufenden Verfahren dargelegt, dass das Urteil zwischenzeitlich zwar wieder aufgetaucht sei, die Akteneinsicht im Hinblick auf die gesamte Akte aber wegen der Parallelität der Streitgegenstände aufrechterhalten werde. Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, es sei zu befürchten, dass der Kläger im laufenden Verfahren etwas anderes vortrage als seinerzeit vor dem Amtsgericht Köln. Auch könne er die materielle Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils im Hinblick auf das neue Verfahren ohne die vollständige Lektüre der Gerichtsakte nicht abschließend bewerten. Diese Argumente reichen aus und sind auch ausreichend glaubhaft, um ein hinreichendes Akteneinsichtsinteresse des Beklagten grundsätzlich darzulegen. Maßstab für die Interessenabwägung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats. Entscheidend ist letztlich, dass der Inhalt der amtsgerichtlichen Akten für einen aktuell zu führenden Rechtsstreit wegen der Berührungspunkte zwischen den Streitgegenständen relevant sein kann. Auch der Gedanke der Waffengleichheit spricht für die Gewährung von Akteneinsicht. Dem hat der Kläger eigene vorrangig schutzwürdige Interessen nicht entgegensetzen können. Insbesondere hat er bis zuletzt nicht zu erklären vermocht, welcher Nachteil ihm durch die Einsichtnahme der amtsgerichtlichen Verfahrensakten drohen könnte.
18III.
19Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 1 Abs. 2 Nr. 19, 22 Abs. 1 GNotKG. Den Gegenstandswert hat der Senat mangels anderweitiger Anhaltspunkte nach § 36 Abs. 3 GNotKG bestimmt.
20IV.
21Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 29 Abs. 2 EGGVG bestand kein Anlass, weil das Verfahren weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern.