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Die Sache wird dem Bundesgerichtshof gem. § 36 Abs. 3 ZPO vorgelegt.
Gründe:
2I.
3Die im Bezirk des Landgerichts Kassel wohnhafte Antragstellerin hat vor dem Landgericht Köln gegen den im Bezirk des Landgerichts Köln geschäftsansässigen Antragsgegner zu 1) - Autohändler - und die im Bezirk des Landgerichts Braunschweig geschäftsansässige Antragsgegnerin zu 2) – Herstellerin des Fahrzeugs - Klage erhoben. Gegenüber der Antragsgegnerin zu 2) begehrt die Antragstellerin die Feststellung der Verpflichtung zum Schadensersatz für Schäden, die aus einer behaupteten Manipulation des streitgegenständlichen Fahrzeugs stammen, und stützt diese auf § 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB sowie auf § 826 BGB. Nach dem Antragstellervortrag soll die Antragsgegnerin zu 2) die Antragstellerin u.a. durch unrichtige werbliche Aussagen über den Schadstoffausstoß des Fahrzeugs getäuscht haben. Insoweit sieht die Antragstellerin eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Köln gem. § 32 ZPO, § 16 UWG als gegeben an. Gegenüber der Antragsgegnerin zu 1) begehrt die Antragstellerin die Feststellung, dass ihr ein Minderungsrecht zustehe und stützt dieses auf §§ 346, 433, 434, 437, 441 BGB. Dabei stützt sie sich u.a. auf § 434 Abs. 1 S. 3 BGB, wonach werbliche Aussagen des Herstellers, die der Verkäufer kannte oder kennen musste, einen Sachmangel begründen können. Ferner beantragt die Antragstellerin, dass beide Antragsgegner sie in einer nicht näher bezeichneten Schuldnermehrheit von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freistellen sollen.
4Das Landgericht hat die Antragstellerin auf Zweifel betreffend die örtliche Zuständigkeit für die Klage gegen die Antragsgegnerin zu 2) hingewiesen, woraufhin die Antragstellerin die Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch das Oberlandesgericht und hilfsweise die Verweisung des Rechtsstreits hinsichtlich der Antragsgegnerin zu 2) an das Landgericht Kassel als deliktischen Gerichtsstand gem. § 32 ZPO beantragt hat.
5Die Antragsgegnerin zu 2) hat sich gegen eine Bestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ausgesprochen. Sie vertritt unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg (OLG Nürnberg v. 25.04.2017 – 1 AR 749/17 - n.v.) den Rechtsstandpunkt, dass es mangels Streitgenossenschaft an den tatbestandlichen Voraussetzungen von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO fehle. Für den Fall einer Zuständigkeitsbestimmung durch das Oberlandesgericht entspreche es der Prozesswirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, das Landgericht Braunschweig als zuständiges Gericht zu bestimmen, weil am Sitz der Antragsgegnerin zu 2) eine Vielzahl von Zeugen vernommen werden könnten und es auch unter dem Gesichtspunkt der Konzentration einer Vielzahl von Verfahren gegen die Antragsgegnerin zu 2) sinnvoll sei, die Zuständigkeit bei ihrem allgemeinen Gerichtsstand anzunehmen.
6II.
7Die Sache wird dem Bundesgerichtshof gem. § 36 Abs. 3 ZPO zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
81.
9Der Senat würde auf den zulässigen Antrag gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO das Landgericht Köln als zuständiges Gericht bestimmen. Nach Auffassung des Senats liegen die Voraussetzungen hierfür vor.
10a) Das Oberlandesgericht Köln ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 ZPO für die Gerichtsstandbestimmung zuständig, weil das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht der Landgerichte Köln und Braunschweig der Bundesgerichtshof wäre und das im Bezirk des Oberlandesgerichts Köln gelegene Landgericht Köln zuerst mit der Sache befasst worden ist.
11b) Die Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsbestimmung liegen vor.
12aa) Die Antragsgegner sollen als Streitgenossen im Sinne von §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 59, 60 ZPO verklagt werden.
13§ 60 ZPO beruht weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen und ist deshalb grundsätzlich weit auszulegen. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossenschaft anzunehmen, wenn diese Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt (BGH, Beschluss vom 03. Mai 2011 – X ARZ 101/11 –, Rn. 18, juris; BGH, Beschluss vom 23. Mai 1990 – I ARZ 186/90 –, Rn. 5, juris). Ein Zusammenhang wird weder dadurch aufgehoben, dass die Ansprüche gegen die Antragsgegner auf unterschiedliche Verträge gestützt werden, die ihrerseits nicht in unmittelbarem rechtlichen Zusammenhang stehen (BGH, Beschluss vom 07. Januar 2014 – X ARZ 578/13 –, Rn. 9, juris), noch durch den Umstand, dass sie einerseits auf deliktischen und andererseits auf vertraglichen Ansprüche beruhen (Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 20. Juli 2005 – 1Z AR 118/05 –, Rn. 15, juris).
14So liegt der Fall nach Auffassung des Senats hier. Der innere Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Ansprüchen wird dadurch begründet, dass diese auf einem im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt beruhen und dass gegen die beiden Antragsteller Rechtsschutzziele verfolgt werden, die ihrerseits in einem inneren Zusammenhang stehen. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Klagevorbringens sind gegen beide Beklagte der Schadstoffausstoß des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die hiermit verbundenen werblichen Äußerungen der Antragsgegnerin zu 2) und die hierauf gegründete Kaufentscheidung der Antragstellerin. Besonders deutlich wird die Verbindung der Ansprüche bei den Ausführungen zu den werblichen Aussagen der Antragstellerin zu 2). Diese sollen einerseits gem. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB den gegen den Antragsgegner zu 1) verfolgten Gewährleistungsanspruch tragen und andererseits eine deliktische Täuschung seitens der Antragsgegnerin zu 2) begründen. Die verfolgten Rechtsschutzziele – Feststellung des Rechts auf Schadensersatz gegenüber der Herstellerin, Feststellung des Rechts auf Minderung gegenüber dem Händler – stehen unbeschadet der Frage der Zulässigkeit der gestellten Anträge ebenfalls in einem engen inneren Zusammenhang, denn sie betreffen denselben Erwerbsvorgang und der Umfang des Minderungsanspruchs kann den Umfang des Schadensersatzanspruchs beeinflussen. Aus der Klageschrift ergibt sich zudem, dass die Klägerin entsprechend dem Gesetz ihr behauptetes Minderungsrecht an Stelle des Rechts auf Rücktritt gegenüber dem Antragsgegner zu 1) geltend machen möchte (Klageschrift S. 38) und zugleich gegenüber der Antragsgegnerin zu 2) sich die Geltendmachung der Rückabwicklung des Kaufvertrages vorbehält (Klageschrift S. 51).
15Der innere Zusammenhang wird nach Auffassung des Senats nicht dadurch aufgehoben, dass für die jeweiligen Ansprüche weitere, zwischen den Antragsgegnern divergierende Voraussetzungen existieren. Das gilt umso mehr, als die bereits vorliegende Klageerwiderung der Antragsgegnerin zu 2) sich in weiten Teilen mit der Frage befasst, ob das streitgegenständliche Fahrzeug fehlerhaft ist und ob bei der Antragstellerin ein Schaden eingetreten ist. Diese Fragen stellen sich auch im Verhältnis zum Antragsgegner zu 1).
16bb) Die Antragsgegner haben unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände und einer Zuständigkeitsbestimmung steht nicht das Vorliegen eines gemeinsamen besonderen Gerichtsstandes entgegen.
17Beim Landgericht Braunschweig besteht kein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand, weil die gegenüber dem Antragsgegner zu 1) geltend gemachten kaufrechtlichen Ansprüche keinen Bezug zu diesem Gerichtsbezirk aufweisen. Dasselbe gilt für das Landgericht Kassel, denn die Antragstellerin macht gegen den Antragsgegner zu 1) Minderungsansprüche geltend, welche nicht den Gerichtsstand des Erfüllungsortes gem. § 29 ZPO begründen (OLG Hamburg, Beschluss vom 18.07.2005 – 13 AR 24/05 - , OLGR Hamburg 2006, 25). Ob ein gemeinsamer Gerichtsstand gem. § 32 ZPO beim Landgericht Köln besteht, kann offen bleiben, weil die beabsichtigte Zuständigkeitsbestimmung schon dann (ggf. deklaratorisch) ergehen kann, wenn der gemeinsame besondere Gerichtsstand nicht sicher feststellbar ist oder wenn das zu bestimmende Gericht seine Zuständigkeit mit nachvollziehbaren Gründen in Frage stellt (OLG Hamm, Beschluss vom 22. August 2016 – I-32 SA 41/16 –, Rn. 14, juris; OLG Köln, Beschluss vom 30. Mai 2016 – 8 AR 24/16 –, Rn. 7, juris; OLG München, Beschluss vom 08. Januar 2013 – 34 AR 336/12 –, Rn. 7, juris; vgl. auch OLG Frankfurt, Beschluss vom 03. Juli 2017 – 13 SV 6/17 –, juris). So liegt der Fall hier ausweislich des Hinweises des Landgerichts Köln auf seine fehlende örtliche Zuständigkeit in Bezug auf die Antragsgegnerin zu 2).
18c) Der Senat beabsichtigt, das Landgericht Köln als zuständiges Gericht zu bestimmten. Zwar sprechen Gesichtspunkte der Prozesswirtschaftlichkeit und der Konzentration dafür, das Landgericht Braunschweig als Sitzgericht der Herstellerin zu bestimmen, um eine einheitliche Entscheidung der anstehenden Fragen zu gewährleisten (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 29. April 1999 – 1Z AR 37/99 –, Rn. 9, juris). Auf der anderen Seite besteht durch den Umstand, dass der Kaufvertrag mit der in L ansässigen Antragsgegnerin zu 1) geschlossen wurde, eine besondere Sachnähe zum Ler Bezirk. Vor allem aber ist es der bundesweit agierenden Antragsgegnerin zu 2) als Herstellerin eher zuzumuten, ihre Rechte vor einem auswärtigen Gericht zu verteidigen, als dem mit regionalem Schwerpunkt handelnden Antragsgegner zu 1), dem beklagten Autohaus.
192.
20An dieser Entscheidung sieht sich der Senat durch die entgegenstehenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Nürnberg (Beschluss vom 25.04.2017 – 1 AR 749/17 -, n.v., Bl. 178ff. d.A.) und Braunschweig (Beschluss vom 12.07.2017 - 1 W 48/17 - n.v., Bl. 184 ff. d.A.) gehindert. Beide Gerichte haben das Vorliegen einer Streitgenossenschaft gem. §§ 36 Abs. 1 Nr. 3, 60 ZPO zwischen gemeinsam verklagten Autohersteller und Autohändler verneint und eine Zuständigkeitsbestimmung abgelehnt. Dabei haben sich diese Gerichte maßgeblich darauf gestützt, dass bei den gegen den Autohändler geltend gemachten kaufrechtlichen Ansprüchen andere rechtliche Fragen im Mittelpunkt stehen – nämlich Vorliegen eines Mangels, Erforderlichkeit und Möglichkeit einer Nachbesserung –, wohingegen bei den deliktischen Ansprüchen schwerpunktmäßig Verschuldensfragen zu prüfen seien. Die Konstellationen unterscheiden sich zwar insoweit, als in den vorzitierten Rechtsstreiten das Autohaus jeweils nicht auf Minderung, sondern auf Rückabwicklung in Anspruch genommen wurde. Sie stehen einer Entscheidung des Senats aber dennoch entgegen, da die Verknüpfung der Rechtsschutzziele nach Auffassung des Senats in den dortigen Fällen noch enger ist. Da der Senat die Rechtsfrage des Vorliegens einer Streitgenossenschaft wie aus den vorstehenden Ausführungen ersichtlich in anderer Weise beantworten möchte als die Oberlandesgerichte Nürnberg und Braunschweig, legt er die Sache dem Bundesgerichtshof gem. § 36 Abs. 3 ZPO vor.