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Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Jülich vom 22.10.2015 – 10 F 559/14 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.
Die Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin vom 02.02.2016 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe:
2I.
3Mit einstweiliger Anordnung vom 13.08.2014 (AG Jülich 10 F 555/14) hatte das Amtsgericht der Kindesmutter die Sorge für das am 07.08.2014 geborene Kind M entzogen und das Jugendamt E als Vormund eingesetzt. Dem lag zugrunde, dass die Mutter am 11.08.2014 (also vier Tage nach Entbindung) einen Selbstmordversuch unternommen hatte, was sie auch bereits im Verlauf der Schwangerschaft versucht hatte. Sie leidet unter einer Borderline-Störung und einer schweren dissozialen Störung.
4Das Kind war zunächst – und ist auch aktuell wieder – in einer Pflegefamilie. Es leidet unter einer Corpus-Callosum-Agenesie, bei welcher der Balken im Gehirn, der beide Gehirnhälften miteinander verbindet, nicht richtig ausgebildet ist; die Folgen hiervon sind aktuell nicht abzusehen, es muss aber z.B. mit Defiziten in den Sinneswahrnehmungen gerechnet werden.
5Im erstinstanzlichen Verfahren hatte die Kindesmutter erklärt, sie beabsichtige „weder die Rückführung des Kindes noch ihre Übertragung der elterlichen Sorge auf sich“, weil aufgrund ihres derzeitigen Gesundheitszustandes ein solches Begehren nicht in Betracht komme (Bl. 11 d.A.). Im Parallelverfahren 10 F 600/15 AG Jülich = 10 UF 178/15 OLG Köln, in welchem der Kindesvater die Übertragung der Alleinsorge auf sich beantragt hat, hat das Amtsgericht ein psychologisches Sachverständigengutachten eingeholt, für welches beide Eltern untersucht worden sind.
6Mit Beschluss vom 22.10.2015 hat das Amtsgericht im Hauptsacheverfahren die elterliche Sorge entzogen und Vormundschaft angeordnet; zur Begründung hat es ausgeführt, auch nach dem Ergebnis der sachverständigen Begutachtung sei die Kindesmutter nicht in der Lage, die elterliche Sorge auszuüben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter, mit welcher diese die Übertragung des alleinigen Sorgerechts erstrebt. Sie ist der Ansicht, die Entscheidung sei nicht hinreichend begründet; sie sei mit der Fremdunterbringung, nicht aber mit dem Sorgerechtsentzug einverstanden gewesen.
7II.
8Die zulässige Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
9Die Gründe ergeben sich aus dem Beschluss des Senats vom 27.01.2016 (Bl. 68 ff. d.A.), auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin gibt lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:
10Ein Eingriff in die Personensorge setzt nach §§ 1666, 1666 a BGB das Vorliegen einer erwiesenen Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls voraus und den Umstand, dass die Eltern nicht bereit oder nicht in der Lage sind, diese Gefahr von dem Kind abzuwenden. Eine solche Kindeswohlgefährdung liegt dann vor, wenn eine gegenwärtig in einem solchen Maß vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Palandt-Götz, BGB, 75. Aufl. (2016), § 1666 Rn. 8). Dies ist – worauf der Senat in dem vorbezeichneten Beschluss auch hingewiesen hat – vorliegend u.a. nach den gutachterlichen Erkenntnissen im Verfahren 10 F 600/14 = 10 UF 178/15 der Fall und wird letztlich von der Beschwerdeführerin nicht angegriffen.
11Ihr Hinweis, § 1673 BGB sei missachtet worden, geht fehl.
12Zwar mag es sein, dass Maßnahmen des Ruhens der elterlichen Sorge nach §§ 1673, 1674 – da regelmäßig von geringerer Eingriffsintensität – dem Vorgehen nach § 1666 BGB vorrangig sind (so Palandt-Götz, 75. Aufl. (2016), § 1675, Rn. 1; andere Ansicht Staudinger-Coester, BGB, (2016), § 1674, Rn. 6). Die Voraussetzungen des § 1673 BGB – auf welchen sich die Antragstellerin bezieht – liegen indes ebenso wenig vor wie die des § 1674 BGB.
131. Erst im Falle der Geschäftsunfähigkeit des Elternteils ruht die elterliche Sorge (§ 1673 Abs. 1 BGB) mit der möglichen Folge einer alleinigen Sorgerechtsberechtigung des anderen Elternteils (§ 1678 Abs. 1 BGB). Das Institut der Betreuung, welche für die Kindesmutter angeordnet ist, hat indes keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten; die Annahme einer Geschäftsunfähigkeit der Antragstellerin ist aus Sicht des Senates auch fernliegend und wird auch von den Beteiligten nicht angeführt.
14Auch im Übrigen hat die Bestellung eines Betreuers für den sorgeberechtigten Elternteil keine Auswirkungen auf die elterliche Sorge und beinhaltet insbesondere nicht die Vertretung des minderjährigen Kindes (BGH, Beschl. vom 16.12.2008 – 4 StR 542/08, NStZ 2009, 586; Palandt-Götz, 75. Aufl. (2016), § 1673, Rn. 5).
152. Auch ein Ruhen nach § 1674 BGB kommt nicht in Betracht.
16Im Verhältnis zu § 1673 BGB ist § 1674 BGB einschlägig, wenn geistig/psychische Kompetenzmängel eines Elternteils nicht den Tatbestand der Geschäftsunfähigkeit erfüllen (§ 104 Nr. 2 BGB), ihn aber faktisch an der Wahrnehmung der Sorgeverantwortung hindern (Staudinger-Coester, BGB, (2016), § 1674, Rn. 5). Ein „tatsächliches Ausübungshindernis“ ist nur anzunehmen, wenn die Sorgerechtsverantwortung im Wesentlichen nicht vom Elternteil selbst wahrgenommen werden kann (a.a.O., Rn. 9).
17Die wegen mangelnder Eignung des Sorgerechtsinhabers gebotenen Maßnahmen nach § 1666 BGB können indes nicht, wie die Kindesmutter meint, durch die Anordnung des Ruhens der elterlichen Sorge nach § 1674 Abs. 1 BGB ersetzt werden. Diese Vorschrift setzt eine längere, objektive, weil tatsächliche Verhinderung an der Ausübung der elterlichen Sorge voraus, jedoch mit der Aussicht, dass die elterliche Sorge nach Wegfall des tatsächlichen Hindernisses wieder ausgeübt werden kann, was das Vormundschaftsgericht durch feststellenden Bescheid gem. § 1674 Abs. 2 BGB auszusprechen hat. Demgegenüber bedarf ein Abänderungsverfahren zur Aufhebung der Maßnahmen nach § 1666 BGB gem. § 1696 Abs. 2 BGB der Feststellung, dass eine Kindeswohlgefährdung nicht mehr besteht. Bei dem Vorliegen (auch) der Voraussetzungen des § 1666 BGB kann der Schutz der betroffenen Kinder daher nicht auf die auf objektiven Gegebenheiten tatsächlicher Art beruhenden Maßnahmen nach § 1674 BGB beschränkt werden, die aufzuheben sind, sobald die zugrundeliegenden tatsächlichen Gegebenheiten sich geändert haben (OLG Hamm, Beschl. v. 13.02.1996 - 15 W 434/95, FamRZ 1996, 1029), ganz unabhängig von dem Umstand, dass für § 1674 BGB die – hier nicht ohne weiteres ersichtliche – Aussicht erforderlich ist, dass die elterliche Sorge wieder ausgeübt werden kann (OLG Hamm, Beschl. v. 13.02.1996 - 15 W 434/95, FamRZ 1996, 1029; Palandt-Götz, 75. Aufl. (2016), § 1674, Rn. 1).
18Gerade aber die erzieherische Nichteignung des sorgeberechtigten Elternteils wegen bestehender erheblicher psychischer Erkrankungen und die, wie vorliegend, daraus resultierende Gefährdung des Kindeswohls macht staatliche Eingriffe nach § 1666 BGB notwendig (vgl. nur OLG Düsseldorf, Beschl. v. 05.06.2009 - 6 UF 130/07, FamRZ 2010, 308; OLG Stuttgart, Beschl. v. 29.10.2009 - 17 WF 235/09, FamRZ 2010, 1090; OLG Brandenburg, Beschl. v. 17.12.2012 – 3 UF 84/12, zit. n. Juris), so dass auch vorliegend der durch § 1666 BGB verfolgte Zweck, eine Kindeswohlgefährdung verlässlich auszuschließen, nicht schon dadurch erreicht werden kann, dass die Sorge ruht und – ohne die Möglichkeit von Feststellungen nach § 1696 Abs. 2 BGB – nach lediglich feststellendem Bescheid wieder aufleben kann.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
20Wert des Beschwerdegegenstandes: 3.000,00 € (§§ 40 Abs. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG)
21III.
22Die Gegenvorstellung gegen die Zurückweisung von Verfahrenskostenhilfe war ebenfalls zurückzuweisen.
23Ungeachtet der sich aus oben Ziff. II ergebenden Gründe für eine fehlende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung ist bereits anerkannt, dass der außerordentliche Rechtsbehelf der Gegenvorstellung jedenfalls nur bei einer greifbaren Gesetzwidrigkeit, der angefochtenen Entscheidung, bei einer Verletzung des Willkürverbots oder bei mit der angefochtenen Entscheidung verbundenen schweren Grundrechtseingriffen eröffnet ist (BFH, Beschl. v. 13.10.2005 - IV S 10/05, FamRZ 2006, 204; OLG Rostock, Beschl. v. 21.02.2008 - 7 U 27/07, n.v.; OLG Frankfurt, Beschl. v. 19.04.2013 - 4 UF 239/12, FamRZ 2013, 1678). Entsprechende Rechtsverstöße macht die Antragstellerin mit ihrer Gegenvorstellung nicht geltend. Vielmehr begehrt sie ein Überdenken der vom Senat getroffenen Verfahrenskostenhilfeentscheidung und eine Entscheidung in ihrem Sinne.
24IV.
25Es besteht kein Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 FamFG nicht vorliegen.