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Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Aachen zurückverwiesen.
G r ü n d e
2I.
3Das Amtsgericht hat den Betroffenen „wegen fahrlässigen Verstoßes gegen die Sofortmeldepflicht nach § 28a Abs. 4 SGB IV“ zu einer Geldbuße von 200,-- € verurteilt.
4Es hat zur Person des Betroffenen und zum Schuldspruch folgende Feststellungen getroffen:
5„Der zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 40 Jahre alte Betroffene ist Geschäftsführer der Taxi F UG. Nach Abzug der Miete verbleiben ihm zum Leben etwa 400,00 € im Monat. Der Betroffene ist in einer Beziehung mit der Zeugin U. Die beiden wohnen jedoch nicht zusammen. Der Betroffene hat keine Kinder.
6(…)
7Der Betroffene und die Zeugin U waren seit dem Frühjahr 2013 ein Paar. Da es in dem Betrieb des Betroffenen gelegentlich zu Problemen kam, bot die Zeugin U, die zu diesem Zeitpunkt Leistungen über das Jobcenter bezog, dem Betroffenen an, ihm bei Bedarf aushelfen zu können. Zu diesem Zwecke erwarb sie im Mai 2013 den Personenbeförderungsschein und die Zulassung, Taxi fahren zu dürfen.
8In der Folge sprang die Zeugin U mehrfach als Fahrerin für das Taxiunternehmen des Betroffenen ein, wenn sich anderer Fahrer kurzfristig krankgemeldet hatten oder nicht zum Dienst erschienen waren. Im Schnitt fuhr sie ca. ein- bis zweimal die Woche Taxi. Ein Entgelt erhielt sie hierfür jedoch nicht.
9Am 01.10.2013 führten Beamte des Hauptzollamtes B auf dem Bahnhofsvorplatz in B eine Prüfung nach §§ 2 ff. des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes durch. Dabei wurde auch die Zeugin U als Fahrerin eines Taxis des Unternehmens des Betroffenen angetroffen. Bei der Überprüfung stellten die Beamten fest, dass keine Sofortmeldung nach § 28a Abs. 4 S. 1 SGB IV für die Zeugin U vorlag. Der Betroffene hatte für die Zeugin keine Sofortmeldung abgegeben, weil er der Auffassung war, dass eine solche aufgrund der Unentgeltlichkeit der Beschäftigung nicht erforderlich sei.
10Bei sorgfältiger Prüfung hätte der Betroffene erkennen können und müssen, dass eine Sofortmeldung abzugeben war.“
11Zur rechtlichen Würdigung hat das Amtsgericht ausgeführt:
12„Durch die Tat hat sich der Betroffene eines leichtfertigen Verstoßes gegen §§ 28a Abs. 4, Abs. 9, 111 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB 4 schuldig gemacht. Die Sofortmeldung war auch für die Zeugin U abzugeben, obwohl sie für ihre Tätigkeit kein Entgelt erhielt.
13Die Zeugin U war als Taxifahrerin im Personenbeförderungsgewerbe tätig, so dass der Anwendungsbereich des § 28a Abs. 4 S. 1 SGB IV grundsätzlich eröffnet war.
14Trotz Unentgeltlichkeit im Rahmen der Beziehung zwischen dem Betroffenen und der Zeugin lag bei der Zeugin U ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne dieser Norm vor. Voraussetzung für Beschäftigungsverhältnis bei einer Beziehung ist zunächst, dass der Beschäftigte in den Betrieb wie ein Arbeitnehmer eingegliedert und dementsprechend dem Weisungsrecht des Betriebsinhabers - wenn auch in abgeschwächter Form - unterworfen ist. Dies ist bei der Zeugin U der Fall. Der Zeugin wurde ein Taxi des Unternehmens des Betroffenen zur Verfügung gestellt, mit dem sie die anfallenden Fahrten durchführte. Diese wurden ihr teilweise auch über die Zentrale zugeteilt bzw. waren vorab abgesprochen, so dass sie die Fahrten zu erledigen hatte.
15Die Zahlung eines Entgelts ist als Merkmal ist für das Vorliegen einer nach § 28a Abs. 4 SGB IV erforderlichen Sofortmeldung nicht erforderlich. Die Vorschrift wurde eingeführt, um eine effektive Kontrolle der Schwarzarbeit zu ermöglichen. Bei einer Kontrolle soll in sensiblen Wirtschaftsbereichen über die vorliegenden Daten unmittelbar festgestellt werden können, ob aiie Arbeitnehmer zur Sozialversicherung angemeldet sind. Langwierige Prüfungen im Nachhinein oder nachträgliche Anmeldungen zur Verschleierung von Schwarzarbeit sollen so vermieden werden. Unterlägen unentgeltlich Beschäftigte nicht unter die Sofortmeldepflicht, wäre eine effektive und zügige Kontrolle der Arbeitnehmer nicht mehr gewährleistet. Daher ist beispielsweise auch bei Praktikanten, die nach dem Inhalt des Praktikums eine tatsächliche Arbeitsleistung erbringen und weisungsabhängig bzw. arbeitsorganisatorisch eingegliedert sind, und bei einem Probearbeitsverhältnis eine Sofortmeldung zu erstatten (Pietrek in jurisPK-SGB IV, 2. Auflage 2011, Stand: 06.01.2014, Rn. 131 f).“
16Gegen dieses Urteil richtet sich die Zulassungsrechtsbeschwerde des Betroffenen mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.
17Durch Beschluss vom 13.01.2015 hat der Einzelrichter des Senats die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen und die Sache dem Senat zur Entscheidung in der Besetzung mit drei Richtern übertragen (§ 80a Abs. 3 OWiG).
18II.
19Die nach ihrer Zulassung gemäß § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache (zumindest vorläufigen) Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.
20Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass der Betroffene gegen die Sofortmeldepflicht nach § 28a SGB IV verstoßen hat.
21Arbeitgeber sind nach § 28 a Abs. 4 Satz 1 SGB IV verpflichtet, den Tag des Beginns eines Beschäftigungsverhältnisses spätestens bei dessen Aufnahme an die Datenstelle der Träger der Rentenversicherung zu melden, sofern sie Personen in den dort aufgeführten Wirtschaftsbereichen oder Wirtschaftszweigen beschäftigen. Die Sofortmeldepflicht wurde mit Wirkung vom 01.01.2009 für die Wirtschaftsbereiche oder Wirtschaftszweige eingeführt, in denen der Gesetzgeber ein erhöhtes Risiko für Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung sah (OLG Düsseldorf BeckRS 2012, 21504). Nach § 28 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB IV zählt dazu das Personenbeförderungsgewerbe.
22Beschäftigung ist nach der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 SGB IV, der für sämtliche Bereiche der Sozialversicherung gilt, nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (BSG NZS 2001, 429 = BeckRS 2000, 30119347). Danach ist Arbeitnehmer, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist (BSG a.a.O.). Dabei bedingt ein Beschäftigungsverhältnis nicht notwendig einen abgeschlossenen Arbeitsvertrag, maßgebend sind vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse (BSG a.a.O.).
23Mit Beschäftigung gemeint ist eine sozialrechtlich erhebliche Tätigkeit, die zur Aufnahme des Beschäftigten in die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung führen kann (vgl. Thüringer LSG BeckRS 2014, 73371; vgl. auch Wache in Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Stand, April 2011, SGB IV § 28 a Rn. 1), mithin eine entgeltliche Beschäftigung (BSG a.a.O.; BSG BeckRS 1997, 30004089; OLG Hamm BeckRS 2008, 04665; vgl. OLG Oldenburg NStZ-RR 2010, 217; Lüdtke in LPK-SGB VI, § 7 Rn. 8; Wache a.a.O., SGB IV § 28 a Rn. 2) - auch wenn es z.B. in der Unfallversicherung Fälle (gleichwohl) versicherter Beschäftigung ohne Entgelt gibt (vgl. BSG NZS 2001, 429; Lüdtke a.a.O.) -, mag auch streng begrifflich die Entgeltlichkeit nicht Voraussetzung für eine Arbeit oder Beschäftigung im Rechtssinne sein (wird geschuldetes Arbeitsentgelt nicht gezahlt, so entfällt damit nicht das Vorliegen einer Beschäftigung, Seewald in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, Stand 2014, SGB IV § 7 Rn. 26).
24Dass § 7 Abs. 1 SGB IV vom entgeltlichen Beschäftigungsverhältnis ausgeht, wird zum einen auch bestätigt durch die Ausnahmeregelung in Abs. 3 der Vorschrift, wonach eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt als fortbestehend gilt, solange das Beschäftigungsverhältnis ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat (Lüdtke a.a.O., SGB IV § 7 Rn. 2a).
25Zum anderen spricht auch die Regelung in Abs. 2, wonach als Beschäftigung auch der Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fertigkeiten oder Erfahrungen im Rahmen betrieblicher Berufsbildung gilt, dafür, dass die Legaldefinition des Abs. 1 nur entgeltliche Beschäftigung meint. Denn die in Abs. 2 angesprochen Tätigkeiten sind auch solche, die häufig unentgeltlich erfolgen, wie z.B. das Praktikum (vgl. Pietrek in juris-SGB IV, § 28 a Rn. 129 ff.). Sie – die nur über die Fiktion „gilt“ als Beschäftigung gelten - müssten nicht gesondert erwähnt werden, wenn sie auch im Falle ihrer Unentgeltlichkeit ohnehin unter die Legaldefinition fielen.
26Danach wäre der Betroffene nur dann zur Sofortmeldung verpflichtet gewesen, wenn die Zeugin U für ihre Fahrtätigkeit einen Lohn zu beanspruchen hatte oder wenn sie mit dieser Tätigkeit eine solche im Sinne des § 7 Abs. 2 SGB IV (s.o.) erbracht hätte (vgl. zu Letzterer: Pietrek a.a.O.; Seewald a.a.O., SGB IV § 7 Rn. 168 ff.). Nach den getroffenen Feststellungen ist davon indes nicht auszugehen. Nach den Feststellungen hat die Zeugin kein Entgelt erhalten. Eine etwa der Ausbildung oder weiteren Schulung dienende Tätigkeit lässt sich ihnen ebenfalls nicht entnehmen.
27Ein bloßes Freundschafts- und/oder Gefälligkeitsverhältnis (vgl. etwa zur familienhaften Mithilfe: Seewald a.a.O., SGB IV § 7 Rn. 101 ff.) würde nicht der Meldeplicht des § 28 a Abs. 4 SGB IV unterliegen.
28Das angefochtene Urteil kann somit keine Bestand haben. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die eine rechtsfehlerfreie Verurteilung des Betroffenen wegen des dem Bußgeldbescheid zugrunde liegenden Tatvorwurfs zu tragen vermögen, sei es, dass in Bezug auf die Tätigkeit der Zeugin U eine Verbuchung als Betriebsausgabe stattgefunden hat oder ihre Tätigkeit als „Ausbildung“ im Sinne des § 7 Abs. 2 SGB IV - z.B. im Hinblick auf einen etwa beabsichtigten Abschluss eines Arbeitsvertrages mit dem Taxibetrieb des Betroffenen - erscheint.
29Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass unter „leichtfertig“ im Sinne des § 111 Abs. 1 SGB IV eine graduell gesteigerte (grobe) Fahrlässigkeit zu verstehen ist; es müssen sowohl die objektiven als auch die subjektiven Fahrlässigkeitselemente in intensivierter Form vorliegen (Rengier in KK-OWiG, 4. Auflage, § 10 Rn. 49 mit näherer Erläuterung und Nachweisen).