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I.
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das am 2. April 2014 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln (25 O 387/08) durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Der Kläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweis binnen drei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
G r ü n d e:
2I.
3Die Berufung des Klägers hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung noch rechtfertigen die im Berufungsverfahren zugrunde zu legenden Tatsachen (§§ 529, 531 ZPO) eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
4Das Landgericht hat die Beklagten vielmehr zu Recht in dem aus dem Tenor des angefochtenen Urteils ersichtlichen Umfange verurteilt und die weitergehende, auf Zuerkennen eines um 300.000 Euro höheren Schmerzensgeldkapitalbetrages und einer um 450 Euro monatlich höheren Schmerzensgeldrente gerichteten Klage des Klägers zurückgewiesen. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung, die sich der Senat zu Eigen macht, wird hier zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen. Das Berufungsvorbringen des Klägers rechtfertigt eine abweichende, für ihn günstigere Entscheidung nicht und bietet lediglich Veranlassung für folgende ergänzende Anmerkungen:
5Das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld ist weder hinsichtlich der Gesamthöhe noch hinsichtlich des Verhältnisses von Schmerzensgeldkapital und Schmerzensgeldrente zu beanstanden. Unter Berücksichtigung einer Kapitalisierung der Schmerzensgeldrente auf einer Basis eines Zinssatzes von 4 % beläuft sich das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld auf gut 600.000 Euro [550 Euro (vom Landgericht zuerkannte monatliche Rente) x 12 Mo. = 6.600 Euro; 6.600 Euro x 23,330 (Kapitalisierungsfaktor für einen männlichen Betroffenen und bei Beginn der Rente ab 1. April 2013 und damit in einem Alter des Klägers von 11 Jahren; gemäß der Kapitalisierungstabelle, etwa abgedruckt bei Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, 7. Aufl., 2014, S. 449 ff., Rn. 1736 Tabelle für Frauen, Rn. 1737 Tabelle für Männer) = 153.978,00 Euro; 450.000 Euro + 153.978 Euro = 603.978,00 Euro]. Mit einem Betrag in einer Größenordnung von 600.000 Euro handelt es sich bei dem erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeld um einen der höchsten Schmerzensgeldbeträge, die in Deutschland je rechtskräftig ausgeurteilt worden sind. Aus den veröffentlichten Präjudizien zu Schwerstschadensfällen, bei denen die Betroffenen irreversibel schwerste körperliche und geistige Behinderungen erlitten und dadurch die Möglichkeit eines Lebens als selbstbestimmte Persönlichkeit verloren haben, ergeben sich als bisher höchste rechtskräftig titulierte Schmerzensgelder Beträge in einem Rahmen von 300.000 Euro nebst Rente in Höhe von 300 Euro monatlich bis zu 500.000 Euro nebst Rente in Höhe von 500 Euro monatlich [OLG Zweibrücken, 22. April 2008, 5 U 6/07, MedR 2009, 88, Geburtsschaden, 500.000 Euro nebst Rente in Höhe von 500 Euro monatlich; OLG Köln, 20. Dezember 2006, 5 U 130/01, VersR 2007, 219, Geburtsschaden, 500.000 Euro ohne zusätzliche monatliche Rente; OLG Hamm, 21. Mai 2003, 3 U 122/02, VersR 2004, 386, Geburtsschaden, 500.000 Euro ohne zusätzliche monatliche Rente; OLG München, 19. September 2005, 1 U 2640/05, MedR 2006, 211, Geburtsschaden, 350.00 Euro nebst Rente in Höhe von 500 Euro monatlich, vorgehend: LG München, 2. März 2005, 9 O 6741/98; OLG Düsseldorf, 26. April 2007, 8 U 37/05, VersR 2008, 534, Geburtsschaden; 300.000 Euro nebst Rente in Höhe von 300 Euro, vorgehend: LG Kleve, 9. Februar 2005, 2 O 370/01; hinsichtlich der von den Beklagten zitierten Entscheidung des LG Ansbach vom 7. August 2009 zu 2 O 259/04, mit der ein Schmerzensgeld von 400.000 Euro nebst einer monatlichen Rente von 500 Euro zugesprochen worden wurde, ist der – soweit ersichtlich – einzigen Fundstelle in Hacks/Wellner/ Hecker, Schmerzensgeldbeträge 2014, lfd. Nr. 2747, nicht zu entnehmen, ob diese Entscheidung rechtskräftig geworden ist]. Das vom Landgericht titulierte Schmerzensgeld bewegt sich am oberen Rand dieses Rahmens. Ein Schmerzensgeld in diesem Umfange ist erforderlich, um den massiven vom Kläger erlittenen geistigen und körperlichen Schäden angemessen Rechnung zu tragen, an denen der Kläger sein Leben lang ohne Hoffnung auf Besserung leiden wird, aufgrund derer er lebenslänglich rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen sein wird, durch die ihm jede Chance auf ein selbstbestimmtes Leben genommen worden ist und die seine Persönlichkeit weitgehend zerstört haben. Das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld ist aber als Ersatz für die immateriellen Schäden des Klägers mit den Erwägungen des Landgerichts, auf die hier zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, auch ausreichend. Bei dieser Beurteilung steht dem Senat vor Augen, dass es eine absolut angemessene Entschädigung für nicht vermögensrechtliche Nachteile nicht geben kann, weil diese letztlich in Geld nicht messbar sind, dass der Tatrichter bei der Schmerzensgeldbemessung von Gesetzes wegen keinen betragsmäßigen Beschränkungen unterliegt, dass auch Präjudizien keine verbindlichen Vorgaben darstellen, und dass bei dem Heranziehen von Präjudizien neben einer Prüfung der Vergleichbarkeit der jeweiligen Sachverhalte und der Berücksichtigung eventueller Divergenzen insoweit auch der Zeitablauf seit den jeweiligen Entscheidungen, die zwischenzeitliche Geldentwertung sowie der Umstand zu berücksichtigen ist, dass die Rechtsprechung bei der Bemessung von Schmerzensgeld nach gravierenden Verletzungen inzwischen großzügiger verfährt als früher [vgl. zu Vorstehendem statt vieler etwa: OLG München, Entscheidung vom 19. September 2005, 1 U 2640/05, MedR 2006, 211, Juris-Rn. 43 m. w. N.]. Die vom Kläger angefochtene Entscheidung des Landgerichts hält sich indes ersichtlich in dem ihm danach in gewisser Weise vorgegebenen Rahmen. Insbesondere hat das Landgericht alle spezifischen Umstände des hier vorliegenden Streitfalles berücksichtigt, eigenständig und in Abgrenzung insbesondere zu dem herangezogenen Präjudiz des OLG Zweibrücken [a. a. O.] bewertet und aus einer Gesamtschau dieser Umstände die angemessene Entschädigung für das sich darbietende Schadensbild gewonnen. Dieser vom Landgericht vorgenommenen Abwägung schließt sich der Senat an. Dabei geht der Senat ebenso wie das Landgericht auch davon aus, dass im vorliegenden Streitfall keine Umstände vorliegen, die es rechtfertigen könnten, das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld trotz des Umstandes, dass es sich dabei um einen der höchsten je in Deutschland rechtskräftig zuerkannten Schmerzensgeldbeträge handelt, weiter anzuheben. Dies gilt auch in Bezug auf diejenigen Umstände, die nach Auffassung des Klägers eine Anhebung des erstinstanzlich titulierten Schmerzensgeldes in dem von ihm angestrebten Umfange rechtfertigen:
6Insbesondere ist eine Anhebung des erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeldes entgegen der beim Kläger offenbar bestehenden Vorstellung nicht wegen des Umstandes gerechtfertigt, dass er die massiven Schäden nicht im Rahmen seiner Geburt erlitten hat mit der Folge, dass er ein nicht behindertes Leben gar nicht erst hat kennenlernen können, sondern erst im Alter von zwei Jahren nach einem bis dahin unbeschwerten Leben, in dem er sich altersgerecht normal hat entwickeln und entfalten können, und in dem er ein Gefühl für ein Leben als gesunder Mensch hat entwickeln können. Denn es ist gerichtsbekannt, dass sich auch gesunde Menschen an ihre Empfindungen und Erlebnisse in den ersten beiden Lebensjahren später nicht mehr erinnern können, dass eine Erinnerung insoweit vielmehr erst im Verlaufe des dritten Lebensjahres einsetzt. Dementsprechend ergibt sich hinsichtlich des Empfindens der massiven Behinderungen kein erheblicher, bei der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigungsfähiger Unterschied zwischen einem durch Geburtsschaden geschädigten Betroffenen und einem Betroffenen, der vor seiner Schädigung für die Dauer von zwei bis drei Lebensjahren ein normales und gesundes Leben hat kennenlernen können.
7Einen Umstand, der eine Anhebung des erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeldes rechtfertigen könnte, stellt entgegen der beim Kläger offenbar bestehenden Vorstellung auch das Prozess- und Regulierungsverhalten der Beklagten nicht dar. Zwar kann es sich bei dem Prozess- und insbesondere bei dem Regulierungsverhalten eines Schädigers durchaus um Gesichtspunkte handeln, die unter Umständen schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen sind. Im vorliegenden Streitfall ist indes eine Anhebung des Schmerzensgeldes unter diesen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt. Zwar haben die Beklagten entgegen der bei ihnen offenbar bestehenden Vorstellung auch nach ihrem eigenen Vortrag die Behandlungsunterlagen betreffend den Kläger einschließlich der Röntgenaufnahmen und sonstigen bildgebenden Diagnostik nicht – wie dies in Arzthaftungsprozessen angemessen und wünschenswert wäre – zeitnah nach Prozessbeginn vollständig und in lesbarer Form vorgelegt; vielmehr haben die Beklagten sich insoweit auch nach ihrem eigenen Vorbringen nachhaltig und immer wieder bitten lassen. Es ist aber zum einen zu berücksichtigen, dass auch das Prozessverhalten des Klägers nicht dem insoweit Wünschenswerten entsprach. Insbesondere hat er nachhaltig die erfolgten Zahlungen der Haftpflichtversicherers des Unfallgegners, die ersichtlich auch für die Beklagten befreiende Wirkung hatten, nicht von sich aus mitgeteilt und bei seiner Antragstellung in der gebotenen Weise berücksichtigt; vielmehr erfolgte dies jeweils erst auf Aufforderung bzw. nach Kenntniserlangung seitens der Beklagten. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass in dem vorliegenden Streitfall der Kläger nicht allein auf Zahlungen seitens der Beklagten angewiesen war bzw. ist. Vielmehr haftet neben den Beklagten gesamtschuldnerisch auch der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners. Und dieser hat teils bereits vor [am 11. Mai 2005] und teils während des Verfahrens [am 6. April 2010 und am 9. Februar 2012] in erster Instanz das erstinstanzlich titulierte Schmerzensgeldkapital durch drei Teilzahlungen insgesamt in voller Höhe gezahlt und ab dem 1. April 2013 die regelmäßige Zahlung der Schmerzensgeldrente aufgenommen. Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch der Umstand, dass die Beklagten zum einen nach Abschluss der erstinstanzlichen Beweisaufnahme den Feststellungsantrag anerkannt, und dass sie zum anderen gegen das angefochtene Urteil Berufung nicht eingelegt haben mit der Folge, dass über die Frage, ob das erstinstanzlich titulierte Schmerzensgeld zu hoch festgesetzt worden sein könnte, nicht mehr zu entscheiden ist. Vor dem Hintergrund des Vorstehenden stellt das Prozess- und Regulierungsverhalten keine zusätzliche Belastung des Klägers dar, die eine Anhebung des ohnehin schon sehr hoch festgesetzten Schmerzensgeldes rechtfertigen könnte. Hinzu kommt, dass im Rahmen der Arzthaftung das Schmerzensgeld in erster Linie dem Ausgleich dienen soll, während der Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes eine eher unbedeutende Rolle zukommt, und dass das Schmerzensgeld ganz allgemein dem Ausgleich immaterieller Schäden dient und nicht als Mittel der Disziplinierung des Schädigers.
8Soweit der Kläger schließlich meint, dass „ganz allgemein … angesichts der seit 2008 herrschenden Wirtschafts- und Währungskrise eine Unterschreitung des … Schmerzensgeldes von 500.000,00 Euro im vorliegenden Fall nicht nachvollziehbar“ sei [S. 2 seiner Berufungsbegründung, Bl. 526 ff., 527 d. A.], ist dies nicht nachvollziehbar. Denn zum einen überschreitet das erstinstanzlich zuerkannte Schmerzensgeld den vom Kläger genannten Betrag von 500.000 Euro erheblich und zum anderen ist nicht ersichtlich, inwiefern die allgemeine Wirtschafts- und Währungskrise Einfluss auf die Schmerzensgeldbemessung haben könnte. Sofern mit diesem Vorbringen der Gesichtspunkt angesprochen worden sein sollte, dass bei der Auswertung von Präjudizien bei der vergleichenden Betrachtung auch die zwischenzeitliche Geldentwertung berücksichtigt werden muss, träfe dies zwar zu, vermag aber auch dieser Gesichtspunkt eine Anhebung des erstinstanzlich zuerkannten Schmerzensgeldes nicht zu rechtfertigen. Denn auch unter Berücksichtigung der Geldentwertung stellt das vom Landgericht zuerkannte Schmerzensgeld einen der höchsten in Deutschland je rechtskräftig zuerkannten Schmerzensgeldbeträge dar.
9II.
10Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung [§ 522 Abs. 2 Nr. 2 ZPO]; weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senats aufgrund mündlicher Verhandlung [§ 522 Abs. 2 Nr. 3 ZPO].
11Eine mündliche Verhandlung ist auch aus sonstigen Gründen nicht geboten [§ 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO]. Dabei stehen dem Senat durchaus das besonders schwere Schicksal des Klägers, die schwersten Schäden, die er erlitten hat, und insoweit insbesondere der Umstand vor Augen, dass die Schädigungen in sehr weitgehendem Umfange die Persönlichkeit des Klägers zerstört haben. Es geht aber in dem vorliegenden Berufungsverfahrens nicht um die Haftung der Beklagten dem Grunde nach für diese das Leben des Klägers existenziell beeinträchtigenden Schädigungen und/oder um einen Streit um das gesamte vom Kläger geltend gemachte Schmerzensgeld [Wäre dies der Fall, wäre eine mündliche Verhandlung zweifellos im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 4 ZPO geboten]. Die Haftung dem Grunde nach haben die Beklagten vielmehr in erster Instanz anerkannt. Und die vom Landgericht in dem vom Kläger angefochtenen Urteil getroffene Entscheidung zu dem in ganz erheblicher Höhe zuerkannten Schmerzensgeld ist bereits rechtskräftig geworden, weil die Beklagten hiergegen Berufung nicht eingelegt haben. In dem vorliegenden Berufungsverfahren geht es somit lediglich noch um die Frage, ob das vom Landgericht bereits rechtskräftig zuerkannte Schmerzensgeld trotz des Umstandes, dass es sich dabei um einen der höchsten je in Deutschland rechtskräftig zuerkannten Schmerzensgeldbeträge handelt, weiter anzuheben ist.