Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Dem Bewährungswiderruf können nach längerem Ablauf der Bewährungszeit (hier : zwei Jahre und sieben Monate) Gründe des Vertrauensschutzes entgegenstehen.
Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K. vom 29.01.2014, mit dem die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts K. vom 06.06.2007 widerrufen worden ist, wird aufgehoben.
Die Strafe aus dem vorbezeichneten Urteil wird erlassen.
G r ü n d e :
2I.
3Durch Urteil des Amtsgerichts K. vom 06.06.2007 ist der Beschwerdeführer wegen unerlaubten Handeltreibens mit Marihuana in zwei Fällen, in einem Fall in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung der Strafen aus den Urteilen des Amtsgerichts K. vom 22.02.2006 und 25.10.2006 sowie des Amtsgerichts L. vom 14.03.2007 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden. Das Urteil des Amtsgerichts K. ist am Tag der Verkündung (06.06.2007) in Rechtskraft erwachsen. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt.
4Der Beschwerdeführer ist während der Bewährungszeit wiederholt straffällig geworden. Das Amtsgericht K. hat die Bewährungszeit mit Beschluss vom 12.05.2010 im Hinblick auf eine neue Verurteilung durch das Amtsgericht K. vom 18.07.2008 (Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz) um ein Jahr - bis zum 05.06.2011- verlängert.
5Im März 2010 wurde der Beschwerdeführer wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen durch Urteil des Amtsgerichts L. vom 03.11.2010 zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 10,-- Euro verurteilt.
6Durch Urteil des Amtsgerichts E. vom 25.06.2012 ist der Beschwerdeführer wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 16 Fällen, begangen in der Zeit von Mai 2010 bis Januar 2011, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden.
7Unter Auflösung und Einbeziehung der in der vorgenannten Entscheidung des Amtsgerichts E. in Verbindung mit dem (Berufungs-)Urteil des Landgerichts B. erkannten Gesamtfreiheitsstrafe ist der Beschwerdeführer durch Urteil des Amtsgerichts L. vom 07.03.2013 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Tatzeit der neu abgeurteilten Tat war der 03.10.2012. Das Urteil des Amtsgerichts L. ist am 15.03.2013 in Rechtskraft erwachsen.
8Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft K. vom 15.11.2013 wurde dem Beschwerdeführer in dem vorgenannten Verfahren des Amtsgerichts L. eine Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zur Durchführung einer stationären Drogentherapie in der Therapieeinrichtung Schloss B. gewährt. Seit dem 02.01.2014 befindet sich der Beschwerdeführer in der vorgenannten Therapieeinrichtung.
9Mit dem angefochtenen Beschluss vom 29.01.2014 hat die 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K. die Strafaussetzung aus dem Urteil des Amtsgerichts K. vom 06.06.2007 im Hinblick auf das vorgenannte Urteil des Amtsgerichts L. widerrufen.
10Gegen den dem Verteidiger des Beschwerdeführers am 30.01.2014 zugestellten Beschluss hat dieser mit Schriftsatz vom 31.01.2014, bei dem Landgericht K. eingegangen am 03.02.2014, sofortige Beschwerde eingelegt und diese mit anwaltlichem Schriftsatz vom 06.02.2014 begründet.
11II.
12Die gemäß § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthafte und gemäß §§ 311 Abs. 2, 306 Abs. 1 StPO form- und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
13Zwar besteht vorliegend der Widerrufgrund des § 56 f Abs. 1 Ziff. 1 StGB, da der Verurteilte innerhalb der Bewährungszeit neue, der Anlassverurteilung vergleichbare, Straftaten begangen hat. Abzustellen war insoweit auf die der Verurteilung durch das Amtsgericht E. vom 25.06.2012 zu Grunde liegenden und anders als die im Urteil des Amtsgerichts L. vom 07.03.2013 festgestellten auch während der laufenden Bewährungszeit begangen Straftaten. Einem Widerruf stehen vorliegend jedoch Gründe des Vertrauensschutzes entgegen. Zwar entspricht es allgemeiner Auffassung, dass ein Bewährungswiderruf auch noch nach Ablauf der Bewährungszeit zulässig ist (Fischer, StGB, 61. Auflage 2014, § 56 f Rdnr. 19a); bei der Entscheidung sind jedoch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes ebenso zu berücksichtigen wie Art und Schwere der neuerlichen Tat. Starre Fristen für einen Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit sieht das Gesetz nicht vor, maßgeblich sind stets die Umstände des Einzelfalles (SenE v. 02.12.2009 – 2 Ws 451/09; SenE v. 11.09.2008 – 2 Ws 443/08; Senat StV 2001, 412).
14Gegen ein Absehen von einem Widerruf und den Erlass der ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe spricht vorliegend, dass die Straftaten, die den Widerrufsgrund bilden, nach Art und Schwere mit der Anlassverurteilung (unerlaubtes Handeltreiben mit Marihuana, teilweise in nicht geringer Menge) nahezu identisch sind (Amtsgericht E.: gewerbsmäßiges Handeltreiben mit Marihuana). Andererseits war zu berücksichtigen, dass es sich bei den Betäubungsmitteln jeweils um Marihuana handelte, der Beschwerdeführer selbst Betäubungsmittelkonsument war und die Taten ihren Anlass bzw. ihre Ursache letztlich auch in seiner Betäubungsmittelabhängigkeit fanden.
15Darüber hinaus war die seit Ablauf der Bewährungszeit verstrichene erhebliche Zeitspanne sowie eine zunehmende Erwartung und ein damit wachsendes Vertrauen des Beschwerdeführers, nach Ablauf der Bewährungszeit nicht mehr mit einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung rechnen zu müssen, zu würdigen. Vorliegend ist die zunächst dreijährige Bewährungszeit, nach der mit Beschluss des Amtsgerichts K. vom 12.05.2010 angeordneten Verlängerung um ein Jahr, am 05.06.2011 abgelaufen. Die vorliegend angefochtene Widerrufentscheidung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K. datiert vom 29.01.2014 und erfolgte damit mehr als zwei Jahre und sieben Monate nach dem Ende der Bewährungszeit. Der Beschwerdeführer wurde im vorliegenden Verfahren mit Verfügung der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K. vom 11.06.2013 erstmals mit der Möglichkeit eines Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung konfrontiert und entsprechend angehört. Der Senat verkennt hierbei nicht, dass die maßgebende neue Verurteilung durch das Urteil des Amtsgerichts E. vom 25.06.2012 erst am 15.03.2013 in Rechtskraft erwachsen ist. Dies ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass die Bewährungszeit im Zeitpunkt der Stellung des Widerrufantrags am 07.06.2013 sowie der späteren Anhörung zu einem möglichen Widerruf bereits seit zwei Jahren abgelaufen war. Aus den dem Senat vorliegenden Akten ist nicht zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer - zur Vermeidung einer entsprechenden Vertrauensbildung - bereits zuvor auf die Möglichkeit eines Bewährungswiderrufes hingewiesen worden wäre, wobei die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts K., im Hinblick auf die zwischenzeitlich erfolgte Strafvollstreckung, erst ab Juni 2013 mit der Sache befasst war. Eine frühzeitigere Anhörung bzw. Information des Beschwerdeführers über die Möglichkeit eines Bewährungswiderrufes wäre vorliegend zudem ohne weiteres möglich gewesen. Denn die Verurteilung durch das Urteil des Amtsgerichts E. vom 25.06.2012, welche maßgeblich auf der geständigen Einlassung des Beschwerdeführers beruhte, ist bereits im Juli 2012 zur Kenntnis der Staatsanwaltschaft gelangt und hat im Anschluss daran auch Eingang in das vorliegende Bewährungsheft gefunden. Unabhängig von einer bereits zu diesem Zeitpunkt zu erwägenden Einleitung eines Widerrufverfahrens wäre eine entsprechende Information des Beschwerdeführers mit Blick auf die bereits im Juni 2011 abgelaufene Bewährungszeit aus Sicht des Senats möglich und auch angezeigt gewesen. Der Senat hatte darüber hinaus festzustellen, dass zwischen der Anhörung zu dem Widerrufantrag vom 11.06.2013 und der Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung am 29.01.2014 weitere siebeneinhalb Monate vergangen sind, von denen lediglich etwa ein Monat auf die seitens der Verteidigung begehrte Akteneinsicht sowie eine beantragte Fristverlängerung entfallen.
16Die vorgenommene Abwägung zwischen Art und Schwere von Anlass- und Nachverurteilung einerseits sowie der zwischenzeitlich verstrichenen Zeit andererseits ergibt vorliegend, dass der Beschwerdeführer den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nunmehr nicht mehr hinzunehmen braucht. Der Beschwerdeführer musste nicht damit rechnen, dass sich die justizförmige Abwicklung des Widerrufverfahrens derart verzögert würde, insbesondere dass das Verfahren erst rund zwei Jahre nach Ablauf der Bewährungszeit eingeleitet wird.
17Da die Bewährungszeit bereits am 05.06.2011 abgelaufen ist und ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung auch aus anderen als den im hiesigen Beschwerdeverfahren zugrunde liegenden Gründen nicht in Betracht kommt, hat der Senat nach § 56 g Abs.1 StGB zugleich den Erlass der Strafe ausgesprochen.