Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Berufung der Klägerin gegen das am 30.08.2011 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 5 O 299/10 – wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die Kosten der Streithilfe werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
2I.
3Die Klägerin macht Ansprüche im Urkundenprozess wegen nicht gezahlter Miete aus einem gewerblichen Mietverhältnis sowie wegen Nutzungsentschädigung geltend.
4Die Streithelferin der Beklagten, die L GmbH, ist eine Gesellschaft privaten Rechts. Ihre Anteile werden zu 79,02 % von der Stadt L1 und zu 20 % vom Land Nordrhein-Westfalen gehalten. Die restlichen 0,98% der Anteile sind im Streubesitz mehrerer Kammern und Verbände. Gegenstand der Gesellschaft ist die Organisation von Messen und Ausstellungen zur Förderung von Industrie, Handel und Handwerk. Mit Grundstückskaufvertrag des Notars T – UR-Nr. 0000/2003 – vom 18.12.2003 verkaufte die Streithelferin der Klägerin, einer privaten Investmentgesellschaft, unbebauten Grundbesitz zum Kaufpreis von 67.402.820,00 €. Die Streithelferin beabsichtigte die Bebauung des Grundbesitzes u.a. mit vier Messehallen mit ca. 76.000 qm Bruttogrundfläche. Das städtebauliche Planungskonzept bildete einen Bestandteil des Grundstückskaufvertrags (Anlage K 14, Bl.148 des Anlagenheftes, Anlage KuP 5).
5Zur Absicherung des Interesses der Streithelferin, dass die Grundstücke nur dann verkauft werden, wenn rechtlich sichergestellt war, dass die Gebäude nach ihrer Vorplanung errichtet und ihr sodann dauerhaft zur Nutzung überlassen werden, gab die T1 einen Tag vor dem Grundstückskaufvertrag, am 17.12.2003, eine entsprechende Garantieerklärung gegenüber der Streithelferin der Beklagten ab (Anlage KuP 4). In dieser Erklärung garantierte die T1 außerdem eine Rückerwerbsoption der Beklagten bzw. der Streithelferin. Sie sagte zu, durch ihre Tochtergesellschaft T3 sicherzustellen, dass der Beklagten bzw. ihrer Streithelferin „das dinglich gesicherte Recht eingeräumt“ werde, „nach Beendigung des Mietvertrages den Grundbesitz samt Aufbauten zu einem Betrag in Höhe von 70. Mio. EUR zu erwerben“.
6Am 06.08.2004 schloss die Klägerin als Vermieterin mit der T4, BGA, als Mieterin einen Mietvertrag über die Anmietung des Grundstücks unter anderem mit vier noch zu errichtenden Messehallen. Das Mietverhältnis wurde auf einen Zeitraum von 30 Jahren ab Mietbeginn fest abgeschlossen (§ 3 Nr. 4). Fertigstellung und Übergabe des Mietobjektes an die Mieterin waren für den 01.12.2005 vorgesehen (§ 3 Nr. 1). Die monatliche Miete betrug 1.725.000,00 € zuzüglich Umsatzsteuer in jeweils gesetzlicher Höhe (§ 4 Nr. 1) - derzeit 327.750,00 € (19 %) -, d.h. insgesamt 2.052.750,00 € zuzüglich Mietenebenkosten (§ 5). Die Klägerin hat auf die Umsatzsteuerbefreiung für Vermietungsumsätze verzichtet und zur Umsatzsteuer optiert. Für die ersten 13 Monate der Mietzeit wurde keine Miete geschuldet, sondern nur die Mietenebenkosten (§ 4 Nr. 1), so dass die erste Miete am 01.01.2007 fällig wurde. Die Parteien trafen Regelungen über die Ausführung, die Ausstattung und die Nutzung des Mietobjektes (§ 2). Wegen der Einzelheiten des Vertrages wird auf Anlage K 1 (Bl.17 ff GA) verwiesen.
7Die Parteien schlossen am 21./26.09.2005 einen 1. Nachtrag zum Mietvertrag (Bl.46 GA), am 04./09.11.2005 einen 2. Nachtrag (Bl.53 GA), am 30.11.2005 einen 3. Nachtrag (Bl.57 GA), am 16./23./26.10.2006 einen 4. Nachtrag (Bl.60 GA) und am 13.12.2007 einen 5. Nachtrag (Bl.64 GA).
8Mit Untermietvertrag vom 11.08.2004 vermietete die Beklagte die von der Klägerin zu errichtenden 4 Messehallen nebst Nebengebäuden an die Streithelferin. Der Wortlaut des Untermietvertrages entsprach im Wesentlichen dem Hauptmietvertrag. Am 11./16.8.2004 schlossen die beiden Vertragsparteien eine " Durchführungsvereinbarung zum Untermietvertrag ". Die Streithelferin wurde zur vollständigen Durchführung und Wahrnehmung aller Rechte und Pflichten bevollmächtigt, die die Beklagte im Verhältnis zur Klägerin übernommen hatte.
9Die Klägerin beauftragte die F-GmbH, vertreten durch ihren alleinvertretungsberechtigten Geschäftsführer S, mit der Durchführung des Bauvorhabens. Diese wiederum beauftragte die Firma I AG mit Generalunternehmervertrag vom 06.08.2004 mit den erforderlichen Planungs- und Bauleistungen (Anlage KuP 6).
10Nach Durchführung der Arbeiten erfolgte am 30.11.2005 die Übernahme des Mietobjektes durch die Beklagte und die L. Das Mietobjekt wies Mängel auf. Wegen der Einzelheiten wird auf die Protokolle über die Übernahme des Mietobjektes Norderweiterung - Hallen - (Anlage KuP 2) und Konferenzgebäude (Anlage KuP 7) verwiesen.
11In der Folgezeit kam es zu einem Streit über das Vorliegen von Mängeln. Die Firma F-GmbH leitete unter dem 30.01.2007 ein selbständiges Beweisverfahren vor dem Landgericht Bonn – 14 OH 1/07 - gegen die Firma I AG ein. Der Sachverständige G erstattete am 19.12.2008 ein Gutachten (Anlage CBH 15, Bl.78 ff. des Anlagenheftes). Darin war ein Mangel im Zusammenhang mit der Kälteanlage festgestellt worden. Am 28.02.2011 erstattete er ein Ergänzungsgutachten (Anlage KuP 53). Er bestätigte die Defizite der Regelung der Verbraucherkreise der Kälteanlage. Für Sanierungskosten setzte der Sachverständige 318.500,00 € netto an.
12Die Firma F-GmbH schloss am 13.12.2007 eine "Vergleichsvereinbarung" mit der Streithelferin. Darin waren Regelungen zu den festgestellten bzw. gerügten Übernahme- und Gewährleistungsmängeln und den von der Beklagten insoweit geltend gemachten Mietminderungsrechten sowie sonstigen Gewährleistungs-, Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüchen enthalten. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlagen K 18 (Bl.377 GA), K 19 (Bl.192 des Anlagenheftes I) und K 20 (Bl.193 des Anlagenheftes I) verwiesen. Am selben Tag schlossen die Klägerin und die Beklagte einen 5. Nachtrag zum Mietvertrag ab. Dieser enthielt - im Hinblick auf die vorgenannte Vergleichsvereinbarung - ebenfalls Regelungen zu den geltend gemachten Sachmängeln und zur Erfüllung. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage KuP 50 (Bl.502 GA) Bezug genommen.
13Die Klägerin stellte der Beklagten die geschuldeten Mieten mit Dauerrechnungen der mit der Verwaltung des Mietobjektes beauftragten Firma P GmbH in Rechnung. Die Rechnung für das Kalenderjahr 2010 in Höhe von 2.142.000,00 € datiert vom 01.02.2010 (Anlage K 2, Bl.69 GA).
14Der Europäische Gerichtshof erließ am 29.10.2009 in der Rechtssache C-536/07 – Kommission der Europäischen Gemeinschaften ./. Bundesrepublik Deutschland - ein Urteil. Er stellte fest, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 7 Abs. 4 und Art. 11 der Richtlinie 93/37EWG des Rates vom 14.06.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge verstoßen habe, dass die Beklagte mit der Klägerin den Vertrag vom 06.08.2004 geschlossen habe, ohne ein Vergabeverfahren nach den genannten Bestimmungen durchzuführen. Wegen der Einzelheiten des Urteils wird auf Anlage K 3 (Bl.71 ff. GA) verwiesen.
15Am 03.12.2009 kam es zu einer Besprechung zwischen Vertretern der Beklagten und Vertretern der Europäischen Kommission. Die Vertreter der Europäischen Kommission machten deutlich, dass es nunmehr Sache der Bundesrepublik Deutschland sei, aus dem Urteil die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Sie ließen erkennen, dass sie sowohl einen Ankauf der Hallen durch die Beklagte als auch den Neuabschluss eines Mietvertrages durch die Streithelferin oder Dritte nach heutigen Marktbedingungen als geeignete Abhilfemaßnahmen anerkennen würden und gaben Gelegenheit, diese Schritte innerhalb der ersten Jahreshälfte 2010 zu verhandeln und zu vollziehen. In der Folgezeit verhandelten die Parteien über mögliche Lösungen. Zu einer Einigung kam es nicht.
16Unter dem 03.06.2010 versandte die Europäische Kommission ein Anhörungsschreiben an die Bundesrepublik Deutschland und forderte die Bundesregierung auf, sich binnen zwei Monaten nach Eingang des Schreibens zu äußern, nachdem ihr keine wirksamen Maßnahmen zur Durchführung des Urteils vom 29.10.2009 mitgeteilt worden seien. Damit habe die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 260 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verstoßen. Ein europarechtskonformer Zustand sei nicht herbeigeführt worden. Die Europäische Kommission wies auf die Möglichkeit von finanziellen Sanktionen hin (Anlage CBH 2, Bl. 5 des Anlagenheftes).
17Vor diesem Hintergrund erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 14.07.2010 (Anlage K 4, Bl.79 GA) gegenüber der Klägerin die Beendigung, hilfsweise die Kündigung des Mietvertrages vom 06.08.2004 mit sofortiger Wirkung. Sie kündigte an, die Mietzahlungen zum 31.07.2010 einzustellen.
18Mit Schreiben vom 15.07.2010 (Anlage CBH 14, Bl.73 des Anlagenheftes, Anlage KuP 10) erklärte die Streithelferin gegenüber der Klägerin, sie halte den Grundstückskaufvertrag vom 18.12.2003 für nichtig. Unbeschadet hiervon erklärte sie vorsorglich den außerordentlichen Rücktritt von diesem Vertrag und forderte die Klägerin zur Rückübertragung ihres Eigentums auf. Die Klägerin wies dies mit Schreiben vom 26.07.2010 (Anlage KuP 11) zurück und führte aus, der Grundstückskaufvertrag würde von einer etwaigen Unwirksamkeit oder vorzeitigen Beendigung des Mietvertrages mit der Beklagten nicht betroffen. Grundstückskaufvertrag und Mietvertrag seien niemals "Teil eines einheitlichen Geschäftes" gewesen. Auch sei das spätere Zustandekommen eines Mietvertrages mit der Beklagten oder mit der Streithelferin der Beklagten nicht Geschäftsgrundlage für den Abschluss des Grundstückskaufvertrages gewesen.
19Ab dem 01.08.2010 erfolgten keine Mietzahlungen der Beklagten mehr an die Klägerin.
20Im Rahmen eines von der Europäischen Kommission eröffneten Vorprüfungsverfahrens hatte diese in einer bereits am 15.05.2007 erfolgten Anfrage an die Bundesrepublik Deutschland (Anlage KuP 33) mitgeteilt, dass der Kommission Informationen zugegangen seien, „die nahelegen, dass neben einem eventuellen Verstoß gegen die europäischen Vorschriften für das Beschaffungswesen auch eine Zuwiderhandlung gegen die Beihilfevorschriften der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag vorliegt“. Am 01.09.2010 richtete die Europäische Kommission im Hinblick auf „neuere Entwicklungen“ und „weiteren Klärungsbedarf“ weitere Fragen an die Bundesregierung. Sie forderte die Bundesregierung unter anderem auf, ein von einem unabhängigen Sachverständigen erstelltes Gutachten vorzulegen, das die Höhe des Mietzinses unter Berücksichtigung üblicher Marktbedingungen und vergleichbarer Gewerbeimmobilien in ähnlicher Lage feststelle ("marktübliches Niveau") (Anlage KuP 34).
21Die Beklagte gab nach einem europaweiten Vergabeverfahren bei der Q ein entsprechendes Gutachten in Auftrag. Das Gutachten wurde am 27.04.2011 vorgelegt. Es kam zu dem Ergebnis, dass die angemessene Jahresmiete der Liegenschaft zum 01.12.2005 14.750.000,00 € betrage, bzw. 17.820.000,00 € unter Berücksichtigung des von der Klägerin tatsächlich bezahlten Grundstückskaufpreises. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten verwiesen.
22Die Klägerin machte im einstweiligen Anordnungsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Berlin – VG 20 L 151.11 – gegenüber der Bundesrepublik Deutschland Beteiligungsrechte geltend, die im Wesentlichen auf Akteneinsicht und Anhörung in dem innerstaatlichen Ermittlungsverfahren zur Beantwortung des Auskunftsersuchens der EU-Kommission gerichtet waren. Das Verwaltungsgericht Berlin lehnte den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 01.06.2011 ab (Anlage K 32). Die Klägerin legte Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg ein. Der 10. Senat des OVG Berlin-Brandenburg wies die Beschwerde der Klägerin vom 01.06.2011 mit Beschluss vom 17.10.2011 zurück (OVG 10 S 22.11).
23Die Klägerin holte ihrerseits ein Wertgutachten zur Ermittlung des marktgerechten Mietzinses bei der I1 GmbH (im Folgenden: Gutachten I1) ein. Das Gutachten wurde am 05.05.2011 durch I2 und L2 erstattet. Die Vertragsmiete wurde als marktgerecht bezeichnet. Wegen der Einzelheiten wird auf Anlage K 28 verwiesen.
24Mit Schreiben vom 07.10.2010 (Anlage K 12, Bl.111 GA) kündigte die Klägerin das durch den Mietvertrag vom 06.08.2004 begründete Mietverhältnis gegenüber der Beklagten fristlos wegen Verzugs mit Mietzinszahlungen von August bis Oktober 2010 in Höhe von 6.426.000,00 €.
25Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin unter Berücksichtigung der monatlich von der Streithelferin an sie gezahlten Beträge von 885.982,00 € Zahlung von Miete bzw. Nutzungsentschädigung für die Monate August 2010 bis Juni 2011. Hierzu geht sie zunächst von einer Gesamtmietzinsforderung von 22.580.250,00 € (11 x 2.052.750,00 €) aus und bringt sodann die monatlichen Teilzahlungen in Höhe von insgesamt 9.745.802,00 € (11 x 885.982,00 €) in Abzug. Wegen Nachzahlungen der Streithelferin der Beklagten in Höhe von 5.653.928,50 € (11 x 513.993,50 €), die auf einer "Interimsvereinbarung“ zwischen den Parteien vom 07.06.2011 (Anlage CBH 28) beruhen und in welcher sich die Streithelferin verpflichtete, ab dem 01.08.2010 als Nutzungsentschädigung 1.176.450,00 € zu zahlen, errechnete die Klägerin einen offenen Betrag in Höhe von 7.180.519,50 €.
26Die Klägerin hat den Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe eines Teilbetrages von 4.111.948,00 € für erledigt erklärt. Dies betrifft die Teilzahlungen der Streithelferin der Beklagten für August 2010 bis März 2011 (8 x 513.993,50 €). Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Seiten 1 und 2 des Schriftsatzes der Klägerin vom 17.06.2011 (Bl.568, 569 GA) Bezug genommen. Die Beklagte und die Streithelferin der Beklagten haben der Teilerledigungserklärung widersprochen.
27Das Landgericht hat die im Urkundsverfahren erhobene Zahlungsklage der Klägerin, gerichtet auf Zahlung eines Mietzinsbetrages bzw. einer Nutzungsentschädigung von 7.180.519,50 € sowie auf Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits in einer Höhe von 4.111.948,00 €, als unstatthaft gemäß § 597 Abs. 2 ZPO abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich die Beklagte auf ein Minderungsrecht nach § 536 Abs. 1 S. 2 BGB berufen und die Einrede des nichterfüllten Vertrages wiederholt habe im Hinblick auf die Heizungs- und Kälteanlagen und der von ihr behaupteten Mängel dieser Anlagen im Volllastbetrieb. Neben einem Vorbehalt zu diesem behaupteten Mangel habe sich die Beklagte ferner ihre Ansprüche in Bezug auf die Feinregulierung der Heizungs-, Kälte- und Lüftungsanlagen vorbehalten und das Mietobjekt nur unter diesen Vorbehalten übernommen. Damit habe die Klägerin urkundlich nicht belegt, dass die Übergabe des Mietobjektes eine ordnungsgemäße, geschuldete Erfüllung gewesen sei. Die Mietsache sei insoweit ausdrücklich nicht als ordnungsgemäß angenommen worden, insbesondere nicht im Hinblick auf die Kälteanlage. Für die Beseitigung der Mängel an den Kälteanlagen fielen nach Einschätzung des Sachverständigen Sanierungskosten von 318.000,00 € netto an. Auch mit Abschluss des 5. Nachtrags vom 13.12.2007 zum Mietvertrag vom 06.08.2004 sei eine etwaige Einrede des nichterfüllten Vertrages hinsichtlich verbliebender Übernahmemängel nicht etwa überholt gewesen. Vielmehr habe die Beklagte zwar den “insoweit“ vorhandenen tatsächlichen Zustand des Mietobjektes als vertragsgerecht hingenommen. Die betreffende Regelung in § 3 der Vergleichsvereinbarung habe indes nicht die Mängel hinsichtlich der Kälteanlage erfasst. Hierzu sei vielmehr in § 2 Nr. 3 der Vergleichsvereinbarung vereinbart worden, dass Mängel hinsichtlich der in dem selbständigen Beweisverfahren untersuchten Kälteanlagen (14 OH 1/07 LG Bonn) beseitigt werden sollten. Danach habe die Klägerin auch durch die vorgenannten Unterlagen gerade keine ordnungsgemäße, geschuldete Erfüllung nachgewiesen. Die Statthaftigkeit des Urkundenverfahrens scheitere ferner daran, dass Artikel 108 Abs. 3 S. 3 AEUV in Verbindung mit dem Effektivitätsgrundsatz im vorliegenden Fall von solcher Bedeutung sei, dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin im vorliegenden Urkundenprozess als unstatthaft anzusehen sei. Nach dieser Vorschrift dürfe der betreffende Mitgliedsstaat die beabsichtigte Maßnahme (im Sinne einer Beihilfengewährung) nicht durchführen, bevor die Europäische Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen habe. Im Hinblick auf die Verpflichtung der einzelstaatlichen Gerichte, die Rechte desjenigen zu schützen, der durch die Missachtung des Durchführungsverbotes geschädigt werde, sei es im Falle einer bevorstehenden Auszahlung einer rechtswidrigen Beihilfe geboten, diese Auszahlung zu verhindern. Um das Beihilferecht im Sinne des Effektivitätsgrundsatzes (effet utile) wirksam durchzusetzen, müsse das einzelstaatliche Gericht demgemäß alle ihm zur Verfügung stehenden prozessrechtlichen Maßnahmen ergreifen, um rechtswidrige Beihilfen zu verhindern. Im vorliegenden Fall bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Mietvertrag nichtig sei, weil es sich bei der für die Errichtung der Hallen erbrachten Gegenleistung um eine rechtswidrige Beihilfe handele. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29.10.2009 stehe zunächst fest, dass die Beklagte den Mietvertrag mit der Klägerin abgeschlossen habe, ohne ein Vergabeverfahren nach der Richtlinie 93/37/EGB durchzuführen. Ein solcher Vorgang könne bereits den Tatbestand einer rechtswidrigen Beihilfe erfüllen, wenn die Gegenleistung nicht einem marktüblichen Wert entspreche. Ob vorliegend eine marktübliche Miete zum Stichtag 01.12.2005 vereinbart worden sei oder ein deutlich übersetzter Mietzins, könne derzeit dahinstehen. Jedenfalls könnten solche Einwendungen im vorliegenden Urkundenprozess gerade nicht überprüft werden. Dies gelte auch für weitere Fragen, die zur Beantwortung der Frage erforderlich seien, ob ein Beihilfeverstoß vorliegt. Maßgeblich sei insofern, dass eine Prüfung im vorliegenden Urkundenprozess nicht möglich sei. Bei dieser Sachlage sei es nicht zulässig, dass ein deutsches Gericht lediglich aufgrund der prozessualen Besonderheiten des Urkundenprozesses eine Verurteilung zur Zahlung vornehme, wenn eine endgültige Klärung erst im Nachverfahren erfolgen könne. Hiernach könne auch keine Feststellung dahingehend erfolgen, dass der Rechtsstreit teilweise in der Hauptsache erledigt sei; die Klage sei auch in dieser Hinsicht unbegründet.
28Gegen dieses Urteil, das der Klägerin am 01.09.2011 zugestellt worden ist, hat dieser mit einem am 04.10.2011 beim Oberlandesgericht Köln eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 28.11.2011 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem der Senat zuvor einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Fristverlängerung bis zum 01.12.2011 entsprochen hat.
29Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die Beklagte habe das Mietobjekt Ende November 2005 als Erfüllung im Sinne von § 363 BGB angenommen. Die Auslegung des Übernahmeprotokolls vom 30.11.2005 belege urkundlich, dass die Beklagte das Mietobjekt auch hinsichtlich der Kälteanlage bei Übernahme ohne Mängelrüge als vertragsgemäße Erfüllung entgegengenommen und in der Folgezeit entsprechend genutzt habe. Das Protokoll zur Übernahme des Mietobjekts vom 30.11.2005 enthalte unter dem Punkt 2. b) und c) sowie den Punkten 8., 9. und 10. keine ausdrückliche Rüge zu Mängeln der Heizungs- und Kälteanlagen. Das Protokoll als Urkunde stelle die Existenz solcher Mängel bei der Übergabe gerade nicht fest. Vielmehr beschränke sich die betreffende Erklärung der Beklagten auf einen allgemeinen Vorbehalt, der lediglich sichern solle, dass eine witterungsbedingt noch nicht vollständig durchgeführte Funktionsprüfung später – ergebnisoffen – nachgeholt werde, ohne dass der Vermieter später einwenden könne, der Mieter habe dieses Überprüfungsdefizit bei Mietübergabe bereits gekannt. Die Durchführung des Messebetriebes in der Zeit vom 18.12.2005 bis zum 10.03.2006 wie auch die ungeminderte Zahlung des Mietzinses über 43 Monate hinweg zeigten außerdem anschaulich, dass die Beklagte die Mietsache als im Wesentlichen vertragsgemäße Leistung angesehen und so übernommen habe. Angesichts des – in Relation zur Mietzinshöhe – geringfügigen Aufwandes zur Sanierung der Mängel der Kälteanlage (318.500,00 €) sei die Verweigerung der Erfüllungsannahme ohnehin treuwidrig. Spätestens mit Abschluss des 5. Nachtrages zum Mietvertrag vom 13.12.2007 und der Vergleichsvereinbarung vom selben Tag sei eine zuvor etwa noch bestehende Möglichkeit der Einrede des nichterfüllten Vertrages endgültig entfallen. Der Zweck dieser Gesamtregelung habe darin bestanden, den Streit über die Behandlung der Mängel zu beenden und einen „Schlussstrich“ unter ungeklärte Fragen aus der Vergangenheit zu ziehen. Ferner habe das Landgericht eine angebliche EU-Beihilfenrechtswidrigkeit zu Unrecht unterstellt bzw. eine solche für wahrscheinlich gehalten. Die Beklagte trage für eine solche Behauptung die Beweislast. Da sie den ihr obliegenden Beweis nicht habe führen können, hätte die Kammer die entsprechende Einwendung der Beklagten gemäß § 598 ZPO als im Urkundenprozess unstatthaft zurückweisen müssen. Ob eine europarechtlich unzulässige Beihilfe gemäß Artikel 107, 108 AEUV vorliege, könne erst nach einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung und Gesamtbeurteilung entschieden werden. Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabes hätte das Landgericht zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass es sich im Urkundsverfahren auf der Grundlage des unstreitigen Sachverhaltes überhaupt keine Überzeugung bilden könne. Gerade im Hinblick auf die Bewertungskomplexität könne das Gericht frühestens mit der Eröffnung eines förmlichen Beihilfeprüfverfahrens durch die Kommission nach Art. 6 VerfVO in freier Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO im Nachverfahren eine Überzeugung über das Vorliegen einer Beihilfe bilden. Zuvor sei selbst im Zweifel davon auszugehen, dass keine Beihilfe vorliege. Ohnehin habe das Landgericht sich mit dem Wertgutachten der I1 GmbH überhaupt nicht auseinandergesetzt und sich stattdessen in verfahrensrechtlich unzulässiger Weise allein auf das im Urkundsprozess nicht statthafte Beweismittel des von der Beklagten eingeholten Q-Gutachtens gestützt. Im Übrigen bleibe der Beklagten vorbehalten, ihre Rechte im Nachverfahren geltend zu machen. Im Falle eines nachträglichen Obsiegens stünde der Beklagten zudem ein Anspruch auf Ersatz des Vollstreckungsschadens gemäß § 600 Abs. 2 i.V.m. § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO zu. Dies genüge dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz in jeder Hinsicht. Dieser gebiete es insbesondere nicht, die nach einzelstaatlichem Recht vorgesehenen und gesetzlich garantierten Rechtsbehelfe und Verfahrensarten wie den Urkundenprozess auszuschließen. Auch gewähre das von der Beklagten eingeholte Q-Gutachten, das zur Vorlage an die Europäische Kommission im Rahmen des EU-beihilferechtlichen Vorprüfungsverfahrens diene, der Klägerin nicht das gebotene kritische Beteiligungsrecht. Der Klägerin als vermeintlicher Beihilfeempfängerin stehe in dem rein bilateralen Verfahren zwischen der Kommission und der Bundesrepublik Deutschland gerade kein Beteiligungs- oder Stellungnahmerecht zu. Zu Unrecht gehe das Landgericht insoweit dennoch von einer Gegendarstellungsmöglichkeit der Klägerin aus. Schließlich gehe die Kammer fehlerhaft davon aus, dass jeder Beihilfetatbestand zwangsläufig zu einer Nichtigkeit des zugrunde liegenden Vertrages und einer Rückforderung der Begünstigung führe. Dies sei jedenfalls vorliegend nicht der Fall, da die Klägerin von einer Beihilfe in Form einer „Übermarktmiete“ weder gewusst habe noch habe wissen müssen.
30Die Klägerin beantragt,
3146unter Abänderung des Urteils der 5. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 30.08.2011 – 5 O 299/10 –
32die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag von 7.180.519,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
33- aus 2.052.750,00 € vom 05.08.2010 bis 03.09.2010,
34- aus 4.105.500,00 € vom 04.09.2010 bis 05.10.2010,
35- aus 3.500.304,00 € vom 06.10.2010 bis 04.11.2010,
36- aus 4.667.072,00 € vom 05.11.2010 bis 05.12.2010,
37- aus 5.833.840,00 € vom 06.12.2010 bis 05.01.2011,
38- aus 7.000.608,00 € vom 06.01.2011 bis 03.02.2011,
39- aus 8.167.376,00 € vom 04.02.2011 bis 03.03.2011,
40- aus 9.334.144,00 € vom 04.03.2011 bis 05.04.2011,
41- aus 10.500.912,00 € vom 06.04.2011 bis 04.05.2011,
42- aus 11.667.680,00 € vom 05.05.2011 bis 05.06.2011,
43- aus 12.834.448,00 € vom 06.06.2011 bis 07.06.2011,
44- aus 7.180.519,50 € seit 08.06.2011
45zu zahlen.
Die Beklagte und die Streithelferin der Beklagten beantragen,
4748die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin verteidigen das angefochtene Urteil und ergänzen die erstinstanzlich bereits dargelegten Behauptungen und Auffassungen. Allein anhand des Sachvortrages der Klägerin und des von ihr vorgelegten Gutachtens der I1 GmbH lasse sich nachvollziehen, dass der vereinbarte Mietzins über dem üblichen Marktzins liege und in Höhe der Differenz eine europarechtlich verbotene Beihilfe darstelle. Bei einem Vergleich mit dem Verhalten eines marktwirtschaftlich handelnden privaten Investors („Private Investor Test“) stelle sich heraus, dass die Beklagte der Klägerin als privater Kapitalgeberin für das Investment deutlich mehr bezahlt habe und künftig zahlen müsse als die marktübliche Rendite. Eine angemessene Rendite für die Zurverfügungstellung des Kapitals und dessen Rückzahlung in monatlichen „Leibrenten“ ergebe, auch wenn man die von dem Sachverständigen der Klägerin als angemessen angenommene Rendite zugrunde lege, einen marktüblichen monatlichen Mietzins zwischen 1.414.489,00 € und 1.419.000,00 €. Tatsächlich liege die monatliche Mietzahlung jedoch bei 1.725.000,00 € netto, so dass in Höhe der Differenz von 306.000,00 € eine europarechtlich unzulässige Beihilfe der Beklagten an die Klägerin vorliege. Die von der Klägerin geltend gemachten Zwischenfinanzierungskosten, Managementkosten, Verwaltungskosten, Instandhaltungskosten und Mietausfallwagnisse seien entweder von ihr weit übersetzt in Ansatz gebracht worden oder schon gar nicht berücksichtigungsfähig im Rahmen des „Private Investor Test“. Vielmehr ergebe eine nähere Überprüfung des Sachverhalts, dass die Beklagte unnötig auf wichtige Forderungen verzichtet und zentrale Risiken ohne Gegenleistung übernommen habe. So hätte die Klägerin verpflichtet werden müssen, eine Bausumme von 260 Millionen € auch tatsächlich zu investieren oder – wie andere Investoren – alternativ zuzusagen, bei geringeren Investitionen die Miete entsprechend zu senken. Außerdem hätte die Klägerin eine Rückkaufoption für 70 Millionen € garantieren müssen. Die Übernahme dieser Risiken durch die T1 durch deren Garantieerklärung vom 17.12.2003 gleiche den der Klägerin gewährten Vorteil nicht aus. Die T1 sei nämlich der Beklagten und damit der öffentlichen Hand zuzurechnen, welche unter dem Strich gegenüber der Klägerin einfach nur auf Forderungen verzichtet habe. Bei der beihilferechtlich gebotenen Gesamtbetrachtung habe letztlich die öffentliche Hand selbst die ursprünglich von der Klägerin zu tragenden Risiken übernommen. Tatsächlich realisiere sich in der überhöhten Miete das von der Beklagten übernommene Risiko, dass die Baukosten niedriger liegen als die ehemals zugrunde gelegten 260 Millionen €. Der tatsächliche Gebäudesachwert für die vier Messehallen und die dazu gehörenden Neben- und Außenanlagen betrage nur 152,5 Millionen €, so dass die geltend gemachte Miete deutlich über dem marktüblichen Niveau liege. Der Effektivitätsgrundsatz gebiete es, die Auszahlung einer europarechtswidrigen Beihilfe zu verhindern. Die Urkundenklage sei insgesamt bereits nach dem bloßen Klägervortrag endgültig abweisungsreif. Im Übrigen habe die Klägerin eine ordnungsgemäße Erfüllung ihrer Übergabepflicht nicht urkundlich belegt. Auch aus dem 5. Nachtrag vom 13.12.2007 zum Mietvertrag und der Vergleichsvereinbarung vom selben Tag ergebe sich, dass die Beklagte das Mietobjekt insbesondere bezüglich der Kälteanlagen nie als vertragsgemäß akzeptiert habe. Die Vergleichsregelung vom 13.12.2007 habe insoweit nicht zu einer „Schuldumschaffung“ geführt. Der Urkundenprozess sei desweiteren unstatthaft, da der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz es verbiete, dass ein deutsches Gericht allein aufgrund der prozessualen Besonderheiten des Urkundenprozesses die Beklagte zur Zahlung einer nicht notifizierten Beihilfe verurteile und damit selbst gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstoße. Das deutsche Prozessrecht habe hier hinter europäischem Recht zurückzutreten. Jedes deutsche Gericht müsse sich bei genügenden Anhaltspunkten selbständig eine Meinung darüber bilden, ob eine staatliche Maßnahme eine Beihilfe i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle. Die Regeln des Urkundsverfahrens böten keine geeignete prozessuale Grundlage, um das Vorliegen einer Beihilfe zu prüfen. Eine Stattgabe des klägerischen Begehrens, ohne dieses auf ihre Beihilferelevanz zu überprüfen, führe zu einer Verletzung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV. Außerdem sei der Mietvertrag nichtig nach § 13 S. 6 VgV a.F. analog, jedenfalls aber kündbar. Der Mietvertrag sei auch aus anderen Gründen nichtig, da der Abschluss des Vertrages ohne die Durchführung eines vorhergehenden ordnungsgemäßen Ausschreibungsverfahrens gegen mehrere gesetzliche Verbote verstoße und außerdem ein sittenwidriges Rechtsgeschäft darstelle im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB. So habe Herr F1, handelnd für die Firma K, im Vorfeld des Gesamtgeschäfts Schmiergeldzahlungen in Höhe von 9,9 Millionen € an die T2, vertreten durch den damaligen Vorstandsvorsitzenden der T2, Herrn T5, gebracht. Die Unrechtsabrede führe auch zur Nichtigkeit des Mietvertrages. Die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag ergebe sich dabei auch aus dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz.
49Die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 18.01.2012 und von der Streithelferin der Beklagten mit Schriftsatz vom 03.02.2012 eingelegten Anschlussberufungen haben diese nach einem entsprechenden Hinweis des Senats in der mündlichen Verhandlung vom 09.03.2012 jeweils zurückgenommen.
50II.
51Die zulässige Berufung der Klägerin führt in der Sache nicht zum Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den von der Klägerin im Urkundsverfahren geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Miete bzw. Nutzungsentschädigung als in der gewählten Prozessart unstatthaft abgewiesen gemäß § 597 Abs. 2 ZPO.
52Die Geltendmachung eines Zahlungsanspruchs im Urkundsverfahren setzt gemäß § 592 S. 1 ZPO voraus, dass „die sämtlichen zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können“. Hieran fehlt es vorliegend aus den in dem angefochtenen Urteil dargelegten Gründen. Die Klägerin hat es weder in erster noch in zweiter Instanz vermocht, den geltend gemachten Zahlungsanspruch auf Miete (§ 535 Abs. 2 BGB) bzw. Nutzungsentschädigung (§ 546 a Abs. 1 BGB) urkundlich zu belegen. Im Einzelnen gilt folgendes:
531. a) Die fehlende Statthaftigkeit ergibt sich zum Einen aus dem fehlenden urkundlichen Nachweis der ordnungsgemäßen Übergabe der Mietsache als vertragsgemäße Erfüllung. Das Landgericht hat zu Recht den rechtlichen Ansatzpunkt des Bundesgerichtshofs in dem Urteil vom 08.07.2009 (BGH NJW 2009, 3099) übernommen, nach welchem eine Zahlungsklage auf Mietzins „auch dann im Urkundenprozess statthaft“ ist, „wenn der Mieter, der wegen behaupteter anfänglicher Mängel der Mietsache Minderung geltend macht oder die Einrede des nicht erfüllten Vertrags erhebt, die ihm vom Vermieter zum Gebrauch überlassene Wohnung als Erfüllung angenommen hat, ohne die später behaupteten Mängel zu rügen, sofern dies unstreitig ist oder vom Vermieter durch Urkunden bewiesen werden kann“.
54Entscheidend ist daher die Frage, ob die Beklagte das Mietobjekt zu irgendeinem Zeitpunkt „als Erfüllung angenommen“ hat gemäß § 363 BGB, „ohne die später behaupteten Mängel zu rügen“. Eine Annahme als Erfüllung liegt vor, wenn das Verhalten des Gläubigers bei und nach Entgegennahme der Leistung erkennen lässt, dass er sie als eine im Wesentlichen ordnungsgemäße Erfüllung gelten lassen will (BGH NJW 1958, 1724; OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.10.2006 – 5 U 108/06 – Rdnr.23, 24, zitiert nach JURIS; Palandt-Grüneberg, BGB, 67. Aufl. 2012, § 363, Rdnr.2). Ein allgemeiner Vorbehalt schließt die Annahme als Erfüllung nicht aus, wohl aber ein Vorbehalt bezüglich konkreter Mängel (BGH NJW 2009, 360 (361); BGH NJW-RR 1997, 339; Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 363, Rdnr.2).
55Legt man diese Bewertungsmaßstäbe bei der rechtlichen Beurteilung der Vorgänge aus November 2005 und Dezember 2007 zugrunde, so ist eine Annahme als Erfüllung i.S.d. § 363 BGB zu keinem Zeitpunkt erfolgt. Insbesondere belegen auch die von den Parteien vorgelegten Urkunden keine solche Annahme als Erfüllung. So werden zunächst im Übernahmeprotokoll vom 30.11.2005 (Anlage KuP 7) unter Punkt 2. a) und b) Mängel und Restarbeiten geltend gemacht und entsprechende Vorbehalte angemeldet, unter anderem auch bezogen auf die Funktionsfähigkeit (Punkt 2. a)) und die Feinregulierung (Punkt 2. b)) der Heizungs- und Kälteanlagen. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei diesen Erklärungen auch nicht um einen bloßen allgemeinen Vorbehalt ohne ausdrückliche Rüge bestimmter Mängel. Allein der Obersatz zu Ziffer 2. („Mängel geltend“) macht deutlich, dass dieser Passus nicht nur spätere Funktionsprüfungen ermöglichen soll. In den Punkten selbst wird dies nochmals dadurch unterstrichen, dass „der Mieter“ sich „deswegen seine Ansprüche wegen … aller Abweichungen“ vorbehält (Punkt 2. a)) bzw. „die darauf gerichteten Ansprüche des Mieters“ „vorbehalten“ bleiben (Punkt 2. b)). Unter Punkt 8. des Protokolls wird nochmals klargestellt, dass die Übernahme des Mietobjekts „unter dem Vorbehalt“ der „in diesem Protokoll“ „erwähnten Leistungsfeststellungen bezüglich der vorzeitig übergebenen Räume gerügten Mängel und Restarbeiten und unter dem Vorbehalt der dort erklärten Vorbehalte“ erfolge. Die wiederholt und teilweise doppelt von den Parteien erklärten Vorbehalte zu konkreten Mängeln, unter anderem zur Heizungs- und Kälteanlage, konnten bei verständiger Würdigung nur dem Zweck dienen, jedenfalls hinsichtlich der im Vorbehalt näher beschriebenen Teilleistungen keine Annahme als Erfüllung gemäß § 363 BGB (mit entsprechender Beweislastumkehr) eintreten zu lassen. Ansonsten liefe die mehrfache Anmeldung von ausdrücklichen Vorbehalten, auf welche die Mieterin offenkundig großen Wert legte, rechtlich ins Leere. Zumindest müssen die betreffenden Abreden im Übernahmeprotokoll als Vorbehalt zur Ermittlung etwaiger Mängel der Kälteanlage verstanden werden. Als weiteren Mangel des Mietobjekts benannten die Parteien die fehlende Sichtbarkeit der Türen in der Gebäudeautomation (Punkt 2. e)). Auch insoweit schlossen die Parteien – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt (30.11.2005) – eine Erfüllungswirkung i.S.d. § 363 BGB aus.
56In dem Schriftsatz der Klägerin vom 16.03.2012 wendet diese ein, dass unter Punkt 2. a) nur Mängelrügen erfasst seien, die in einem unmittelbaren Kausalzusammenhang mit der noch nicht durchgeführten „Leistungsmessung unter Volllastbetrieb“ stehen. Eine solche kausale Einengung des Vorbehalts kann der betreffenden Abrede im Protokoll indes nicht entnommen werden. Vielmehr behält sich der Mieter in der Erklärung Ansprüche vor wegen „aller bei der späteren Überprüfung im Volllastbetrieb zu Tage tretenden Abweichungen von den vom Vermieter gemäß Mietvertrag geschuldeten Leistungen der Heizungs- und Kälteanlagen“. Die vorbehaltenen Mängel, die ggfs. erst im Volllastbetrieb hervortreten, müssen sich also nicht zwangsläufig konkret auf einen nur mangelhaften Volllastbetrieb beschränken. Es sind ausdrücklich „alle“ Abweichungen von der Soll-Qualität, die im späteren Volllastbetrieb zu Tage treten, erfasst. So können – wie vorliegend – die nicht gleichmäßige Auslastung der Kältemaschinen, unzulässige Spreizungen zwischen Rücklauf- und Vorlauftemperatur oder fehlerhafte Regelungen der Verbraucherkreise denkbare Mängel sein, die sich erst im Volllastbetrieb zeigen und dennoch vom Mängelvorbehalt erfasst werden.
57Aus dem 5. Nachtrag zum Mietvertrag vom 13.12.2007 (Bl.64 ff. GA) i.V.m. der Vergleichsvereinbarung vom selben Tage (Bl.377 ff. GA) folgt bezüglich des bestehenden Vorbehalts zur Funktionsfähigkeit der Heizungs- und Kälteanlagen nichts anderes. Zwar wird dort, worauf die Klägerin hinweist, eine verbindliche Neuregelung zu allen „etwaigen Rechten und Ansprüchen der Mieterin mit allen bis zum 30.11.2007 geltend gemachten Sachmängeln“ getroffen. Speziell nach § 2 des 5. Nachtrages verzichtet die Mieterin „nach Maßgabe der Regelung in § 3 der Vergleichsvereinbarung auf die Beseitigung“ der dort näher aufgeführten Mängel und „nimmt den insoweit vorhandenen tatsächlichen Zustand des Mietobjektes als vertragsgerecht hin“. Zu Recht hat in diesem Zusammenhang bereits das Landgericht betont, dass die konkret in Bezug genommene Regelung in § 3 der Vergleichsvereinbarung gerade nicht die Mängel der Kälteanlage erfasst. Die Hinnahme des tatsächlichen Zustandes des Mietobjekts als vertragsgerecht bezieht sich mithin auch nicht auf die gesondert geregelten Mängel der Kälteanlagen. Diesbezüglich verbleibt es vielmehr gemäß § 2 Nr. 3 der Vergleichsvereinbarung (Bl.381 GA) bei der Pflicht der Vermieterin, die gerichtlich oder durch außergerichtlichen Vergleich festgestellten Mängel „innerhalb angemessener Frist“ zu „beseitigen“ (vgl. insoweit auch die Parallelregelung zu den nach wie vor bestehenden Ansprüchen der Mieterin auf Mängelbeseitigung in § 1 Ziffer 2., 2. Abs. des 5. Nachtrags, Bl.66 GA). Ob und ggfs. in welcher Höhe mit Rücksicht auf diesen Sachverhalt eine Mietminderung seitens der Beklagten oder der Streithelferin erfolgte, kann dahinstehen, da es vorliegend nicht darum geht, ob die Mieterin von der Entrichtung der Miete gemäß § 536 Abs. 1 BGB befreit war. Maßgebend ist allein die Frage, ob die Vorgänge aus November 2005 und Dezember 2007 die rechtliche Bewertung einer Annahme als Erfüllung gemäß § 363 BGB erlauben. Dies ist – wie ausgeführt – nicht der Fall.
58b) Der Verweigerung der Beklagten zur Annahme des Mietobjekts als vertragsgerecht kann auch nicht der Einwand treuwidrigen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegen gehalten werden. Die Höhe der Mängelbeseitigungskosten steht derzeit noch nicht abschließend fest. In dem derzeit noch laufenden selbständigen Beweisverfahren 14 OH 1/07 LG Bonn hat der Sachverständige G die voraussichtlichen Sanierungskosten in seinem Ergänzungsgutachten vom 28.02.2011 in einer „Grobschätzung“ (S.27 des Gutachtens) mit 318.500,00 € netto beziffert (vgl. Anlage KuP 53, Bl.33 ff., 58, 59 des Anlagenheftes II). Dieser Betrag wird indes von den Parteien in Zweifel gezogen, so dass insoweit auch ein höherer Mängelbeseitigungsaufwand denkbar ist. Jedenfalls ist allein die Qualität und Bedeutung des Mangels, der in der fehlerhaften Regelung der insgesamt 61 Verbraucherkreise begründet liegt und der u.a. durch eine Änderung der Algorithmen der Kältemaschinenregelung behoben werden muss, für den Alltagsbetrieb der Mietobjekts nicht derart unbeachtlich, dass sich die Berufung auf den Fortbestand des Mangels und den betreffenden Vorbehalt als rechtsmissbräuchlich erweisen würde.
59c) Schließlich steht dieser Bewertung auch nicht entgegen, dass die Beklagte über 43 Monate hinweg (Januar 2007 bis Juli 2010) die Miete ungemindert zahlte und ein Zurückbehaltungsrecht erst im Laufe dieses Urkundenprozesses geltend machte. Zwar kann grundsätzlich die Zahlung des vollen Mietzinses indizieren, dass der Mieter die Leistung als Erfüllung angenommen hat (vgl. BGH NJW 2009, 3099 (3100)). Allerdings gilt dies nicht, wenn der Mieter – wie hier – konkrete Mängel rügt und diese ausdrücklich zum Gegenstand spezifischer Vorbehalte macht.
602. Zu Recht ist das Landgericht ferner im Hinblick auf die Bedeutung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz („effet utile“) davon ausgegangen, dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin im Urkundenprozess nicht statthaft ist. Nach der auch den einzelstaatlichen Gerichten obliegenden besonderen Pflicht zur Vermeidung von Maßnahmen, die zu einer Beihilfengewährung gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV führen, besteht in einem Urkundsverfahren angesichts der dort nur sehr eingeschränkt zulässigen Beweismittel keine ausreichende Aufklärungsmöglichkeit über die Frage, ob die für die Errichtung und Überlassung der Hallen erbrachte Gegenleistung – die geltend gemachte Miete – nicht dem marktüblichen Wert entspricht und es sich daher um eine rechtswidrige Beihilfe handelt. Ein deutsches Gericht kann angesichts der europarechtlichen Bedeutung nicht allein im Hinblick auf die prozessualen Besonderheiten des Urkundenprozesses zu einer Zuerkennung des Zahlungsbegehrens gelangen, wenn bereits jetzt feststeht, dass die gebotene endgültige Klärung der Frage, ob die geltend gemachte Miete zu einer deutlichen Überzahlung und damit zu einer Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV führt, erst im Nachverfahren erfolgen kann.
61Im Einzelnen gilt folgendes:
62a) Der Zweck des Urkundenprozesses liegt darin, es dem Kläger zu ermöglichen, schneller als im ordentlichen Verfahren zu einem vollstreckbaren Titel zu gelangen, den er darüber hinaus ohne Sicherheitsleistung (§ 708 Nr. 4 ZPO), jedoch mit dem Risiko einer späteren Schadensersatzpflicht (§ 600 Abs. 2 i.V.m. § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO), vollstrecken darf. Diese Beschleunigung wird mit dem Ausschluss der Widerklage (§ 595 Abs. 1 ZPO) sowie vor allem durch die Beschränkung der Beweismittel auf präsente Urkunden und Parteivernehmung (§§ 595 Abs. 2, 598 ZPO) erreicht. Kehrseite dieser Beschränkung ist, dass das Ergebnis des Verfahrens möglicherweise nicht endgültig ist und durch ein im ordentlichen Prozess zu verhandelndes Nachverfahren umgestoßen werden kann (Zöller-Greger, ZPO, 29. Aufl. 2012, Vorb. v. § 592, Rdnr.1).
63Vorliegend stellt sich speziell im Hinblick auf die europarechtliche Bedeutung und die vergabe- und beihilferechtliche Prägung dieses Rechtsstreits die Frage, inwieweit diese Besonderheiten mit dem Zweck und den Grundlagen des Urkundenprozesses noch vereinbar sind. Der Bundesgerichtshof hat im Rahmen eines Rückforderungsprozesses nach Zahlung auf eine Bürgschaft auf erstes Anfordern zu dem prozessualen Hintergrund und der verfahrensrechtlichen Bedeutung des Urkundsverfahrens näher Stellung genommen und betont, dass die innere Rechtfertigung des Urkundenprozesses und seines Vollstreckungsprivilegs in Form des Vorbehaltsurteils gerade in der generell erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit des von Urkunden gestützten Rechtsschutzbegehrens liegt und in der erfahrungsmäßigen Seltenheit von Nachverfahren (BGH NJW 2001, 3549 (3551)). Diese Rechtfertigungsumstände werden jedoch verfehlt, wenn zwar im Rahmen des Urkundenprozesses – allein gestützt auf die betreffenden Urkunden – ein Zahlungsbetrag zugesprochen und „zwischen den Beteiligten einmal hin- und herbewegt wird, ohne dass für die eigentliche und endgültige Streitentscheidung irgendetwas gewonnen würde“. Einem solchen Ergebnis müsse dadurch vorgebeugt werden, dass das Urkundenverfahren in solchen Fällen „im Grundsatz verschlossen bleibe“ (BGH a.a.O.).
64Diese Erwägungen gelten für die vorliegende Konstellation entsprechend. Die innere Rechtfertigung des Urkundsprozesses wird verfehlt, wenn die eigentliche Kernfrage, nämlich der Streit darüber, ob das auf Zahlung der Mietzinsforderung gerichtete Rechtsschutzbegehren der Klägerin zugleich den Tatbestand einer rechtswidrigen Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt, zwischen den Parteien offen bleiben muss, da dies mit den im Urkundsverfahren erlaubten Beweismitteln nicht aufzuklären und daher bereits jetzt absehbar ist, dass der eigentliche Streitpunkt zwingend erst im Nachverfahren geklärt werden wird. Es geht in der gegebenen Auseinandersetzung der Parteien gerade nicht um typische Einwendungen eines Mieters gegen die urkundlich verbrieften Forderungen seines Vermieters, welche sich oftmals auch im Nachverfahren nur schwer beweisen lassen. Vielmehr stehen gerade die Wirksamkeit des Grundgeschäftes und damit auch die Wirksamkeit der Urkunde, aus welcher die Ansprüche hergeleitet werden, in Streit. Von einer generell erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit des von Urkunden gestützten Rechtsschutzbegehrens der Klägerin kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Es steht vielmehr zu erwarten, dass die geforderte Mietzinszahlung, die möglicherwiese den Tatbestand einer Beihilfe gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt, zwischen den Parteien „hin- und herbewegt wird, ohne dass für die eigentliche und endgültige Streitentscheidung irgendetwas gewonnen würde“ (vgl. BGH a.a.O.).
65Ohne Erfolg macht die Klägerin hierzu geltend, dass es der Beklagten vorbehalten bleibe, ihre Rechte im Nachverfahren geltend zu machen und im Falle eines nachträglichen Obsiegens den Vollstreckungsschaden gemäß § 600 Abs. 2 i.V.m. § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO erstattet zu verlangen. Die genannten Regelungen sind lediglich das notwendige Korrektiv für den Umstand, dass ein auf einer nur vorläufigen Grundlage basierender Vollstreckungstitel geschaffen wurde, nicht aber die innere Rechtfertigung für das Urkundsverfahren als solches. Das Urkundenvorbehaltsurteil ist auf die Vollstreckung der geltend gemachten Forderung angelegt (§ 599 Abs. 3 ZPO) und damit auf die Entziehung von Liquidität beim Schuldner. Diese vollstreckungsrechtliche Privilegierung des Urkundeninhabers entbehrt aber einer sachlichen Rechtfertigung, wenn – wie hier – gerade nicht von einer generell erhöhten Erfolgswahrscheinlichkeit des von Urkunden gestützten Rechtsschutzbegehrens auszugehen ist und die eigentliche Kernfrage des Rechtsstreits ohnehin erst im Nachverfahren geklärt werden wird.
66b) Darüber hinaus ist die Rolle der nationalen Gerichte bei der Durchsetzung des Verbots rechtswidriger Beihilfen zu berücksichtigen. Deren besondere Aufgaben und Verantwortungsbereiche sind in der „Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilferechts durch die einzelstaatlichen Gerichte“ (2009/C 85/01, Anlage CBH 11, Bl.58 ff. des Anlagenhefters I bzw. Anlage KuP 32) klar definiert. In Ziffer 2.2.1 Rdnr.28, 29 ist hierzu folgendes festgelegt:
67„Die einzelstaatlichen Gerichte sind verpflichtet, die Rechte des Einzelnen zu schützen, der durch die Missachtung des Durchführungsverbotes geschädigt wird. Im Falle eines Verstoßes gegen Artikel 88 Abs. 3 EG-Vertrag (nunmehr Art. 108 Abs. 3 AEUV) müssen die einzelstaatlichen Gerichte daher entsprechend dem einzelstaatlichen Recht alle geeigneten rechtlichen Folgerungen ziehen. Die entsprechenden Verpflichtungen der einzelstaatlichen Gerichte beschränken sich jedoch nicht auf bereits ausgezahlte rechtswidrige Beihilfen. Sie erstrecken sich auch auf Fälle, in denen die Auszahlung rechtswidriger Beihilfen bevorsteht. Zu den Aufgaben der einzelstaatlichen Gerichte nach Artikel 88 Abs. 3 EG-Vertrag gehört es, den Einzelnen vor Rechtsverletzungen zu schützen. Steht die Auszahlung einer rechtswidrigen Beihilfe bevor, so muss das einzelstaatliche Gericht diese Auszahlung folglich verhindern.
68Diese Verpflichtung kann sich je nach den Rechtsbehelfen, die nach einzelstaatlichem Recht zur Verfügung stehen, in einer Vielzahl verfahrensrechtlicher Konstellationen ergeben. …“
69Ausgangspunkt dieser die nationalen Gerichte verpflichtenden Regelungen ist die Vorschrift des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, nach welcher der betreffende Mitgliedstaat die beabsichtigte Maßnahme (= Beihilfe) nicht durchführen darf, „bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat“. Dieses Durchführungsverbot hat nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Funktion, die Interessen derjenigen zu schützen, die von der Wettbewerbsverzerrung betroffen sind, die durch die Gewährung der rechtswidrigen Beihilfe hervorgerufen wurde (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10.02.2011 – I ZR 213/08 –, Rdnr.25, zitiert nach JURIS). Die Gerichte der Mitgliedstaaten haben dementsprechend einen Schutz gegen die Auswirkungen der rechtswidrigen Durchführung von Beihilfen sicherzustellen (EuGH, EuZW 1996, 564 Rdnr.67 – SFEI; BGH a.a.O., Rdnr.26). Dafür ist nicht Voraussetzung, dass die Kommission die Unvereinbarkeit der Beihilfe mit dem Binnenmarkt bereits festgestellt hat. Die nationalen Gerichte sind vielmehr verpflichtet, entsprechend ihrem nationalen Recht aus einer Verletzung des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV sämtliche Folgerungen sowohl bezüglich der Gültigkeit der Rechtsakte zur Durchführung der Beihilfemaßnahmen als auch bezüglich der Rückforderung der finanziellen Unterstützungen zu ziehen, die unter Verletzung dieser Bestimmung gewährt wurden. Zwar ist es allein Aufgabe der Kommission, gemäß Art. 108 Abs. 2 AEUV die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt nach Art. 107 AEUV festzustellen. Im Rahmen der Prüfung eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot obliegt es aber den nationalen Gerichten, den Begriff der Beihilfe selbst auszulegen, solange die Kommission keine verfahrensabschließende Entscheidung nach Art. 108 Abs. 2 AEUV getroffen hat. Grundsätzlich denkbar ist allerdings eine unterschiedliche Beurteilung des Beihilfecharakters einer Maßnahme durch die nationalen Gerichte und die Kommission. Verneint das Gericht eine Beihilfe, wird sie aber später von der Kommission bejaht, so ist eine Rückforderungsentscheidung wegen Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV zu Unrecht unterblieben. Im umgekehrten Fall - das nationale Gericht nimmt eine Beihilfe an, die Kommission verneint sie später - wäre eine rechtswidrige Rückforderungsentscheidung ergangen. Diese Möglichkeiten unterschiedlicher Beurteilung sind allerdings Folge der Aufgabenverteilung, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten und der Kommission besteht (vgl. EuGH, EuZW 2006, 65 Rdnr.37 f. - Transalpine Ölleitung), und die deshalb grundsätzlich hinzunehmen ist (BGH, Urteil vom 10.02.2011 – I ZR 213/08 –, Rdnr.26, 28, 31, 36, zitiert nach JURIS).
70Vor diesem Hintergrund vermag der von der Klägerin vorgetragene Rechtsstandpunkt nicht zu überzeugen. Die Klägerin argumentiert, dass das Landgericht eine angebliche EU-Beihilfenrechtswidrigkeit zu Unrecht unterstelle bzw. eine solche für wahrscheinlich gehalten habe. Ob eine europarechtlich unzulässige Beihilfe gemäß Art. 107, 108 AEUV vorliege, könne erst nach einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung entschieden werden. Frühestens mit der Eröffnung eines förmlichen Beihilfeprüfverfahrens durch die Kommission nach Art. 6 VerfVO hätte das Gericht sich in freier Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO im Nachverfahren eine Überzeugung über das Vorliegen einer Beihilfe bilden können. Zuvor sei selbst im Zweifel davon auszugehen, dass keine Beihilfe vorliege.
71Diese rechtliche Einschätzung der Klägerin blendet die Pflichten der nationalen Gerichte im Rahmen ihrer Verpflichtungen aus Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV und Ziffer 2.2.1 der „Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilferechts durch die einzelstaatlichen Gerichte“ (2009/C 85/01) aus. Es geht in dem vorliegend Verfahrensstadium (noch) nicht darum zu beurteilen, ob die von der Klägerin geforderte Miete inhaltlich als Beihilfe i.S.d. Art. 107 AEUV zu bewerten ist oder ob eine solche Beurteilung zumindest wahrscheinlich ist. Entscheidend ist vielmehr der Gesichtspunkt, dass das Gericht zur Überprüfung dieser Frage in diesem Verfahrensstadium rechtlich überhaupt nicht in der Lage ist. Die bei der Beurteilung der Beihilfequalität der Mietforderung sich stellenden Fragen betreffen in erster Linie die Angemessenheit des vereinbarten Mietzinses unter Berücksichtigung üblicher Marktbedingungen und vergleichbarer Gewerbeimmobilien in ähnlicher Lage. Dies wird üblicherweise durch die Einholung von Sachverständigengutachten überprüft. Ein solches Beweismittel ist im Rahmen dieses Urkundsverfahrens nicht statthaft. Zur wirksamen Durchsetzung des Beihilferechts i.S.d. effet utile muss das nationale Gericht jedoch alle ihm zur Verfügung stehenden prozessrechtlichen Maßnahmen ergreifen, um das Vorliegen einer rechtswidrigen Beihilfe ggfs. nachzuweisen und rückgängig zu machen. So wird in Ziffer 2.4.4 der „Bekanntmachung der Kommission über die Durchsetzung des Beihilferechts durch die einzelstaatlichen Gerichte“ (2009/C 85/01) ausdrücklich angemerkt, dass sich der Effektivitätsgrundsatz „auch auf die Beweiserlangung auswirken“ kann. Das nationale Gericht muss „alle nach einzelstaatlichem Verfahrensrecht zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um dem Kläger Zugang zu diesen Beweisen zu verschaffen.“ Unter Ziffer 2.4.1. „Allgemeine Grundsätze“ wird ferner klargestellt, dass die einzelstaatlichen Verfahrensvorschriften die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfen (Effektivitätsgrundsatz).
72Für das vorliegende Urkundsverfahren und die damit verbundenen Beweismittelbeschränkungen begründet dies einen strengen Beurteilungsmaßstab bei der Bewertung der Frage, ob ein solches Verfahren noch statthaft ist, wenn ein möglicher Beihilferechtsverstoß einer (oder beider) Parteien zu besorgen ist. Die gesamten Vorgänge der vergangenen Jahre, die mit dem Verkauf des Messegeländes am 18.12.2003, dem Neubau der Messehallen und der damit einhergehenden Vermietung der Neubauten an die Beklagte (Mietvertrag vom 06.08.2004) zusammenhängen, bieten jedenfalls unter zwei Aspekten genügend tatsächliche Anhaltspunkte für einen möglichen Beihilferechtsverstoß, so dass auch ein nationales Gericht sich selbständig darüber eine Meinung bilden muss, ob die von der Klägerin geforderte Miete eine Beihilfe i.S.v. Art. 107 AEUV darstellt.
73Zum Einen hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 29.10.2009 (EuGH C-536/07, EuZW 2010, 58 ff.) verbindlich festgestellt, dass das zwischen den Parteien gewählte Investorenmodell mit einem Grundstückskaufvertrag nebst anschließender Rückvermietung an die Beklagte (sale and lease back) in Wahrheit einen „öffentlichen Bauauftrag“ i.S.d. Art. 1 lit. a) der Richtlinie 93/37 darstellt, dem eine europaweite Ausschreibung gemäß Art. 7 Abs. 4 und Art. 11 dieser Richtlinie hätte vorangehen müssen. Der vergaberechtswidrige Direktabschluss des Mietvertrages vom 06.08.2004 mit der Klägerin lässt zumindest Raum für die Besorgnis, dass das gewählte Investorenmodell für den Neubau der Nordhallen bewusst „am Wettbewerb vorbei“ durchgeführt wurde mit der weiteren Folge, dass gerade nicht das für die öffentliche Hand günstigste Modell, sondern nur ein für den konkreten Investor vorteilhaftes Modell gewählt wurde. Die mit einem europaweiten Vergabeverfahren verbundenen Ziele, nämlich die Sicherstellung eines freien und gleichberechtigten Zugangs zu öffentlichen Aufträgen für alle europäische Unternehmen sowie eine möglichst transparente Auftragsvergabe mit einer unmittelbaren Angebotsauswertung zum Zwecke der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots, konnten vorliegend nicht realisiert werden.
74Zum Anderen hat die Europäische Kommission ein Vorprüfungsverfahren eröffnet und bereits in der an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Anfrage vom 15.05.2007 (Anlage KuP 33) mitgeteilt, dass der Kommission Informationen zugegangen seien, „die nahelegen, dass neben einem eventuellen Verstoß gegen die europäischen Vorschriften für das Beschaffungswesen auch eine Zuwiderhandlung gegen die Beihilfevorschriften der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag (jetzt Art. 107, 108 AEUV) vorliegt“. Der Informationsbedarf bestand auch im September 2010 fort, als die Europäische Kommission im Hinblick auf „neuere Entwicklungen“ „weiteren Klärungsbedarf“ sah (Schreiben vom 01.09.2010, Anlage KuP 34).
75Vor dem Hintergrund dieser beiden tatsächlichen Entwicklungen sind auch die nationalen Gerichte verpflichtet, den Begriff der Beihilfe selbst auszulegen und beihilferelevante Sachverhalte hierauf zu untersuchen (BGH, Urteil vom 10.02.2011 – I ZR 213/08 –, Rdnr.31, zitiert nach JURIS). Dies ist – entgegen der Argumentation der Klägerin – nicht etwa damit gleichzusetzen, dass eine solche Beihilfe in diesem Verfahrensstadium bereits unterstellt wird. Die Regeln des Urkundsprozesses bieten jedoch keine geeignete Grundlage zur näheren Überprüfung dieser Frage.
76Die von der Klägerin zitierte Rechtsprechung des EuGH führt gleichfalls nicht zu einer Statthaftigkeit des Urkundsverfahrens. So wird in der sog. CELF II-Entscheidung des EuGH vom 11.03.2010 (C-1/09, zitiert nach JURIS) klargestellt, dass Art. 88 Abs. 3 EG (jetzt Art. 108 Abs. 3 AEUV) den nationalen Gerichten die Aufgabe übertrage, bis zu einer abschließenden Entscheidung der Kommission die Rechte der Einzelnen gegen eine mögliche Verletzung des in dieser Bestimmung enthaltenen Verbots durch die staatlichen Stellen zu schützen sowie Maßnahmen anzuordnen, die geeignet sind, die Rechtswidrigkeit der Durchführung der Beihilfen zu beseitigen, damit der Empfänger in der bis zur Entscheidung der Kommission noch verbleibenden Zeit nicht weiterhin frei über sie verfügen kann (Rdnr.26, 30). Zwar bestehe – wie die Klägerin hervorhebt – eine Verpflichtung zum Erlass von Schutzmaßnahmen nur, wenn die Qualifizierung der Maßnahme als staatliche Beihilfe nicht zweifelhaft sei (Rdnr.36). Allerdings ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass dort einstweilige Maßnahmen zur Durchsetzung des Beihilfenverbots in Rede standen, die für das nationale Gericht nicht bindend seien, wenn das Gericht noch Zweifel an der rechtlichen Qualifizierung habe. Vorliegend geht es indes (nur) um die Überprüfung eines beihilferelevanten Sachverhaltes durch das nationale Gericht. Eine solche effektive Überprüfung obliegt dem Gericht in jedem Fall, da dieses „in erster Linie die Pflicht“ hat „zu entscheiden, ob positiv oder negativ“ (Rdnr.39). Die – ggfs. auch nur vorläufige – Zuerkennung einer Forderung durch ein nationales Gericht ohne nähere Überprüfung der beihilferelevanten Umstände liefe auf eine Verletzung dieser Pflicht hinaus.
77Die Schriftsätze der Klägerin vom 16.03.2012 und der Streithelferin der Beklagten vom 19.03.2012 geben dem Senat keine Veranlassung zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO).
78III.
79Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 101, 708 Nr. 4, 711 ZPO. Die von der Beklagten und der Streithelferin der Beklagten eingelegten und zwischenzeitlich wieder zurückgenommenen Anschlussberufungen wirken sich im Rahmen der Kostenentscheidung nicht aus, da insoweit bereits keine den Streitwert des Verfahrens erhöhende Beschwer der Beklagten gegeben war.
80IV.
81Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§§ 542 Abs. 1, 543 Abs. 1, Abs. 2 ZPO) sind gegeben. Die der Entscheidung des Senats zugrunde liegenden Bewertungen der rechtlichen Fragen, ob ein Urkundsverfahren noch statthaft ist, wenn ein möglicher Beihilferechtsverstoß einer (oder beider) Parteien zu besorgen ist und ob die Regeln des Urkundsprozesses eine geeignete Grundlage zur näheren Überprüfung eines möglichen Beihilferechtsverstoßes bieten, sind von grundsätzlicher Bedeutung i.S.d. § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.
82Streitwert für das Berufungsverfahren: 7.180.519,50 €