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Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Aachen zurückverwiesen.
G r ü n d e :
2I.
3Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene wegen Verstoßes gegen § 24 a Abs. 2, 3 StVG eine Geldbuße in Höhe von 280,00 EUR festgesetzt und gegen sie ein Fahrverbot von 1 Monat verhängt (dies nach der Liste der angewendeten Vorschriften - die ihrerseits schon vorab neben § 24 a StVG in den Urteilstenor aufgenommen worden ist - in der Absicht, die Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG anzuwenden, ohne dass jedoch ein entsprechender Ausspruch im Tenor des Urteils enthalten wäre). Sie ist für schuldig befunden worden, am 22. März 2004 gegen 16.45 Uhr einen Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen xx-xx 622 auf der Bundesautobahn 4 auf der Höhe AS M. in B. "unter Einwirkung des berauschenden Mittels Heroin/Morphin" geführt zu haben.
4Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde vom 27. April 2005, die unter dem 9. Juni 2005 begründet worden ist. Unter Erhebung der Rüge der Verletzung materiellen Rechts wird die Aufhebung des angefochtenen Urteils beantragt.
5Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 3 OWiG als unbegründet zu verwerfen.
6II.
7Das gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 statthafte und auch sonst zulässige Rechtsmittel hat vorläufigen Erfolg. Die Sache ist gemäß § 353 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 S. 1, Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht Aachen zurückzuverweisen.
81.
9Allerdings ist die Aufhebung des angefochtenen Urteils nicht schon deswegen geboten, weil das Amtsgericht keine Feststellungen zu vorsätzlicher oder fahrlässiger Tatbegehung getroffen habe. Die Benennung auch des § 25 a Abs. 3 StVG im Tenor zeigt, dass das Amtsgericht von einem fahrlässigen Führen eines Kraftfahrzeuges unter der Wirkung eines berauschenden Mittels ausgegangen ist. Dies wäre auch - obwohl entsprechende Ausführungen zur Sorgfaltswidrigkeit im Urteil fehlen - nach den sonst getroffenen Feststellungen im Ergebnis rechtsfehlerfrei. Wenn die Betroffene am 22. März 2004 Heroin/Morphin zu sich genommen hatte, dann kann dies nur vorsätzlich geschehen sein; von daher wurde dann auch wenigstens fahrlässig von ihr nicht bedacht, dass sie bei der Fahrt mit dem Pkw unter der Wirkung des berauschenden Mittels im Sinne der Anlage zu § 24 a Abs. 2 Satz 1 StVG handelte. Jedoch hätte die fahrlässige Begehungsweise ausdrücklich nach § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG Aufnahme in die rechtliche Bezeichnung der Tat in der Urteilsformel finden müssen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 260 Rdn. 24; vgl. auch Göhler/Seitz, OWiG, 13. Aufl., § 71 Rdn. 41).
10Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht etwa schon begründet, soweit sich ihre Begründung zu einer von dem Amtsgericht ausgeschlossenen Verwechslung der entnommenen und der untersuchten Blutprobe verhält. Ein Denkfehler, wie gerügt, liegt nicht vor; die Schlussfolgerung des Amtsgerichts enthält auch sehr wohl eine Begründung. Dass die Tatrichterin der Anregung der Verteidigung auf ein weiteres Gutachten nicht nachgekommen ist, wäre allenfalls einer dem § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 OWiG entsprechenden Aufklärungsrüge zugänglich gewesen. Gerügt wird aber nur die Verletzung sachlichen Rechts.
112.
12Das angefochtene Urteil leidet aber an einem sachlich-rechtlichen Mangel, weil es das eingeholte Sachverständigengutachten nicht genügend nachvollziehbar wiedergibt. Die Urteilsgründe werden den sachlich-rechtlichen Anforderungen an die Darlegung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung aufgrund eines Gutachtens nicht gerecht und ermöglichen so dem Rechtsbeschwerdegericht keine hinreichende Überprüfung auf Rechtsfehler. Der Tatrichter, der ein Sachverständigengutachten eingeholt hat und ihm Beweisbedeutung beimisst, muß auch dann, wenn er sich dem Gutachten des Sachverständigen anschließt, in der Regel dessen Ausführungen in einer - sei es auch nur gedrängten - zusammenfassenden Darstellung unter Mitteilung der zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen und der daraus gezogenen Schlussfolgerungen im Urteil wiedergeben (vgl. BGH NStZ 98, 83; BGH NJW 00, 1350 = NStZ 00, 106; ständige Rechtsprechung auch des Senats; vgl. Senat NJW 00, 3491; SenE vom 14.11.2003 - Ss 435/03 - und SenE vom 17.05.2005 - 8 Ss 75/05 -) In welchem Umfang die Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen geboten ist, richtet sich u. a. nach der jeweiligen Beweislage und nicht zuletzt auch nach der Bedeutung, die der Beweisfrage für die Entscheidung zukommt (BGHSt 39, 291; Engelhardt in Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., § 261 Rdn. 32 m. w. N.).
13Den danach zu stellenden Anforderungen an die Darstellung eines Sachverständigengutachtens genügt das angefochtene Urteil nicht. Gegenüber dem Bestreiten der Betroffenen, die zur fraglichen Zeit lediglich mit Polamidon substituiert worden sein und ein Schmerzmittel Tramal eingenommen haben will, und gegenüber der Zeugenaussage ihres Begleiters, er könne ausschließen, dass die Betroffene am Tattag Heroin oder Morphin konsumiert habe, hat das Amtsgericht seine Überzeugungsbildung wie folgt begründet:
14"Die Einlassung der Betroffenen und die Bekundung des Zeugen werden widerlegt durch die fachkundigen und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. L., der in der mündlichen Verhandlung die erstellten chemisch-toxikologischen Gutachten vom 13.04.2004 und 27.08.2004 erläuterte. Nach den Analyseergebnissen wurde im Blut der Betroffenen Morphin nachgewiesen, was darauf schließen lässt, dass die Betroffene zum Vorfallzeitpunkt unter der Wirkung von Heroin/Morphin stand.Nach den fachkundigen Ausführungen des Sachverständigen, die sich das Gericht vollumfänglich zu Eigen macht, kann ausgeschlossen werden, dass sich die in der Blutprobe identifizierten Morphinspuren auf die Einnahme von Polamidon oder Tramal zurückführen lassen. Die in den genannten Medikamenten enthaltenen Opioide weisen eine andere Struktur als die in Morphin/Heroin enthaltene Opiate auf."
15Soweit demnach der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung seine (wohl schriftlich erstellten) Gutachten vom 13.04.2004 und 27.08.2004 - die von den Daten her nur vorbereitende Gutachten gewesen sein können - lediglich "erläutert" wird (ohne dass hier auf eine Verstoß auch gegen den Grundsatz der Mündlichkeit nach §§ 261, 264 StPO einzugehen wäre, weil ein vorbereitendes Gutachten nur verwertbar ist, soweit es mündlich vorgetragen wird, BGH NJW 70, 523, 525), wird der wesentliche Inhalt dieser Gutachten im Urteil nicht mitgeteilt. Dem genügen auch nicht die Worte "nach den Analyseergebnissen" für den Nachweis von Morphin; vielmehr hätte es gerade der Angabe dieser Analyseergebnisse bedurft. Soweit sich das Amtsgericht weiterhin "die fachkundigen Ausführungen" des Sachverständigen zu Eigen macht, hätten auch diese Ausführungen wiedergegeben werden müssen. Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, ob sich diese Ausführungen in dem dann von dem Amtsgericht angenommenen Ausschluß, dass sich die in der Blutprobe identifizierten Morphinspuren auf die Einnahme von Polamidon oder Tramal zurückführen lassen, erschöpfen, oder ob der Sachverständige hierzu weitere Anknüpfungstatsachen vorgetragen hat, aus denen dann das Amtsgericht auch nach der ihm obliegenden eigenen Beurteilung auf die Nichtursächlichkeit der Einnahme von Polamidon oder Tramal auf den Blutprobenbefund geschlossen hat.
163.
17Dem Sachverständigengutachten und seiner möglichst vollständigen Wiedergabe und Würdigung in dem Urteil kommt um so mehr Bedeutung zu, als nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 05, 349 ff.; vgl. hierzu Hentschel NJW 05, 641, 646 und L. Schreiber NJW 05, 1026 ff.) und nach ersten sich hieran orientierenden obergerichtlichen Entscheidungen (OLG Zweibrücken NJW 05, 2168 = DAR 05, 408; SenE vom 30. Juni 2005 - 8 Ss-OWi 103/05 - ) die Vorschrift des § 24 a Abs. 2 StVG einschränkend auszulegen ist. Das BVerfG a. a. O. hat - wenngleich bezogen nur auf THC (Cannabis) - entschieden, dass § 24 a Abs. 2 StVG nur dann verfassungskonform angewendet werden kann, wenn mindestens der von der Grenzwertkommision am 20.11.2002 beschlossene sog. analytische Grenzwert erreicht ist, der (für die der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegende Entscheidung) bei THC 1 ng/ml beträgt (und der sich nach Hentschel NJW 05, 646 Fußnote 76 bei dem hier interessierenden Morphin auf 10 ng/ml beläuft). Dies beruhe darauf, dass sich die Nachweisdauer (jedenfalls für das Vorhandensein von THC) aufgrund des technischen Fortschritts seit der Einführung des § 24 a Abs. 2 StVG wesentlich erhöht habe und damit der Vorstellung des Gesetzgebers, die in der Anlage hierzu aufgeführten Wirkstoffe seien nur in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Genuß des berauschenden Mittels im Blut nachweisbar, (jedenfalls für THC) die Grundlage entzogen sei. Es müsse daher eine Tatzeit-Konzentration der betreffenden Substanz jedenfalls in der Höhe festgestellt werden, die für die Anwendung von § 24 Abs. 2 StVG als abstraktem Gefährdungsdelikt eine Beeinträchtigung der Fahrsicherheit zumindest als möglich erscheinen lasse.
18Auch diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet zwar keine Feststellungen zur Wirkung einer Substanz im Sinne einer konkreten Beeinträchtigung, wohl aber den qualifizierten Nachweis der erfassten Substanzen als einschränkende objektive Voraussetzung der Ahndbarkeit gemäß § 24 a Abs. 2 Satz 2 StVG, der erfordert, dass zumindest der jeweilige analytische Grenzwert erreicht ist (OLG Zweibrücken, a. a. O.; hierauf bezugnehmend auch, wenngleich wieder für THC, SenE vom 30. Juni 2005 - 8 Ss-OWi 103/05 -).
19Das Amtsgericht wird somit auch zu prüfen haben, ob schon nach den bisher eingeholten bzw. nunmehr in der erneuten mündlichen Verhandlung einzuholenden Sachverständigengutachten - für den Fall, dass sich wieder der Nachweis von Morphin ergibt - auch die Menge des in dem Blut festgestellten Morphin gemessen worden ist und ob sie über dem bei Morphin relevanten Grenzwert von 10 ng/ml liegt. Wenn dies so ist, wäre den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts in jedem Falle Genüge getan. Sollte sich hingegen eine über dem Grenzwert liegende Konzentration nicht feststellen lassen, könnte es nach sachverständiger Beratung auf Feststellungen dazu ankommen, ob auch bei Heroin/Morphin der technische Fortschritt eine erhöhte Nachweisdauer mit sich gebracht hat, die ohne den Nachweis des Grenzwertes die Vermutung des § 24 a Abs. 2 Satz 2 möglicherweise entkräften könnte.
204.
21Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 OWiG auch Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen der Betroffenen zu treffen sind, wenn wieder eine Geldbuße in der bisher festgesetzten Höhe in Aussicht genommen wird.
22Zwar bleiben die wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 17 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 2 OWiG bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten in der Regel unberücksichtigt. Die Wertgrenze für die "geringfügige Ordnungswidrigkeit" ist in Anpassung an die Neuregelung der Wertgrenzen für die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde in §§ 79, 80 OWiG derzeit bei 250,00 EUR anzusetzen (vgl. OLG Zweibrücken DAR 99, 181 = NZV 99, 219 = NStZ 00, 95; OLG Zweibrücken DAR 02, 90, 91 = NZV 02, 97; OLG Düsseldorf VRS 97, 67, 69; ständige Rechtsprechung auch des Senates, vgl. Senat VRS 97, 381, 384 und zuletzt SenE vom 12.08.2005 - 81 Ss-OWi 11/05 - ; vgl. auch unter Annahme eines noch niedrigeren Schwellenwertes von nur 100,00 EUR Göhler-König, § 17 Rdn. 24).
23Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ist die Grenze von 250,00 EUR nicht etwa deswegen nicht überschritten, weil sich die Geldbuße nach der Bußgeldkatalogverordnung auf 250,00 EUR hätte belaufen müssen, während die verhängte Geldbuße von 280,00 EUR lediglich auf der Berücksichtigung von Voreintragungen beruht. Maßgeblich ist die tatsächlich verhängte Geldbuße.