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Das angefochtene Urteil wird mit seinen Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Aachen zurückverwiesen.
G r ü n d e
2I.
3Die Staatsanwaltschaft Aachen hat die der kurdischen Volksgemeinschaft zugehörigen angeklagten Eheleute beschuldigt, entgegen § 58 Abs. 1 AuslG am 22.11.2001 ohne einen erforderlichen Paß in das Bundesgebiet eingereist zu sein, und beantragt, gegen die Angeklagten durch Strafbefehl eine Geldstrafe von je 40 Tagessätzen zu je 10,00 € festzusetzen. Das Amtsgericht hat gem. § 408 Abs. 3 StPO Termin zur Hauptverhandlung anberaumt und die Angeklagten mit Urteil vom 09. August 2002 aus Rechtsgründen freigesprochen. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht mit Urteil vom 09. Dezember 2002 ebenfalls aus Rechtsgründen verworfen.
4Das Landgericht hat folgendes festgestellt:
5In der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2001 vereinbarten die Angeklagten mit "Schleppern" in der Türkei, dass sie und eines ihrer Kinder für einen Preis von umgerechnet 15.000, DM nach Deutschland, Aachen, gebracht werden sollten. Der Bestimmungsort Aachen, Deutschland, war von dem "Schlepper' vorgegeben; den Angeklagten kam es lediglich darauf an, in einem Land Aufenthalt zu nehmen, in dem sie nicht politisch verfolgt würden. Im November 2001 bestiegen die Angeklagten und. ihr Kind in Istanbul / Türkei in Absprache mit dem "Schlepper" einen Reisebus, mit dem sie zwei Tage und Nächte in Richtung Westen fuhren. Dann wurden sie in einen Kleinbus verfrachtet, der sie zu einem Bauernhof brachte, in dem sie die Nacht verbrachten. Am frühen Morgen des darauffolgenden Tages wurde die Fahrt für einen Tag und eine Nacht fortgesetzt. Zu mitternächtlicher Stunde wurden sie an einem Haus beziehungsweise einer Wohnung abgesetzt, wo sie die Nacht verbrachten. Am nächsten Morgen fragten sie die dort im Auftrag des Schleppers anwesende Person, ob sie sich schon in Deutschland befänden, was diese bejahte. Die Person brachte sie von der Wohnung zu einem den Angeklagten unbekannten Bahnhof; es handelte sich um den Bahnhof gare du nord in Paris. Die im Auftrag des Schleppers handelnde Person übergab beiden Angeklagten jeweils eine Bahnfahrkarte für den Zug Thalys ParisKöln und begleitete sie bis zu ihren Sitzplätzen im Zug; er sagte ihnen noch, dass sie in "Aachen" aussteigen sollten, dort würden sie erwartet. Die Fahrt mit dem Thalys führte von Paris über Belgien Richtung belgischdeutsche Grenze. Nach ca. zwei Stunden Fahrtzeit, etwa 30 Minuten vor der Ankunft in Aachen, wurden die Angeklagten um 10.15 Uhr vom Bundesgrenzschutz auf belgischem Gebiet aufgegriffen. Am 23. November 2001 stellten sie bei der Bundesgrenzschutzinspektion Aachen Asylantrag und wurden zur zuständigen Aufnahmeeinrichtung nach Köln geschickt.
6Das Landgericht hat zur Begründung des Freispruchs ausgeführt, die Angeklagten hätten zwar den Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 6 in Verbindung mit § 58 Abs. 1 Nr. 2 Ausländergesetz – zumindest in der Form des Versuchs – offensichtlich erfüllt. Den Angeklagten stehe aber der persönliche Strafaufhebungsgrund des Artikel 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Konvention; GK) zur Seite. Unabhängig davon, ob die Angeklagten sich bei ihrer Einreise über Frankreich und Belgien auf den Grundrechtsschutz des Art 16 a Abs. 2 Grundgesetz berufen könnten, trete nach Art. 31 Abs. 1 GK Straffreiheit auch dann ein, wenn der Flüchtling zwar aus einem sicheren Drittstaat – hier Frankreich und Belgien – einreise, diesen aber nur als Durchgangsstaat berührt habe und kein schuldhaft verzögerter Aufenthalt vorliege. So liege es hier, da die Angeklagten sich in Frankreich äußerstenfalls zwei bis drei Tage und in Belgien nur wenige Stunden aufgehalten hätten. Von Anfang an sei ihre endgültige Destination Aachen, Deutschland, gewesen.
7Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, die mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts begründet worden ist mit dem Antrag, das angefochtene Urteil mit seien Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
8Die Angeklagten beantragen, die Revision der Staatsanwaltschaft als unbegründet zu verwerfen.
9II.
10Die statthafte und auch ansonsten in formeller Hinsicht unbedenkliche Revision der Staatsanwaltschaft hat (vorläufigen) Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung (§ 353 StPO). Zur erneuten tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
11Der Freispruch der Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Einreise in die Bundesrepublik (§ 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG i.V.m. § 58 Abs. 1 Nr. 2 AuslG) hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
121.
13Auf der Grundlage der getroffenen tatsächlichen Feststellungen ist das Landgericht allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass die Angeklagten den Tatbestand des § 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG, wenn auch nur in Form des strafbaren Versuchs (§ 92 Abs. 2 a AuslG), verwirklicht haben. Danach macht sich strafbar, wer entgegen § 58 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AuslG, also ohne eine erforderliche Aufenthaltsgenehmigung (Nr.1) bzw. einen erforderlichen Pass (Nr.2) zu besitzen, in das Bundesgebiet einreist. Die Angeklagten wollten in das Bundesgebiet einreisen, ohne einen nach § 4 AuslG erforderlichen gültigen Pass zu besitzen. Als türkische Staatsangehörige waren sie von der Passpflicht nicht befreit, weil die Türkei in der sogenannten Positivliste (Anlage I a zu § 4 Abs. 2 DV AuslG) nicht aufgeführt ist. Allerdings liegt eine vollendete Einreise erst mit dem Grenzübertritt vor (vgl. § 59 Abs. 2 AuslG; vgl. auch Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 59 AuslG Rn 2 f.; Senge in Erbs/Kohlhaas, § 59 AuslG Rn 5). Da die Angeklagten nach den Feststellungen des Landgerichts etwa 30 Minuten vor der Ankunft des Thalys in Aachen auf belgischem Gebiet aufgegriffen worden sind, liegt somit nur eine versuchte Einreise vor. Die Strafbarkeit dieses Versuchs wird auch entgegen der Ansicht der Verteidigung nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Angeklagten möglicherweise irrig meinten, sich schon im Bundesgebiet zu befinden, als sie aufgegriffen wurden; dieser Irrtum lässt ihren Vorsatz, mit Hilfe von Schleusern illegal in das Bundesgebiet einzureisen, mit dessen Verwirklichung sie bereits begonnen hatten, unberührt.
142.
15Das Landgericht hat die Frage offen gelassen, ob das Asylgrundrecht nach Art. 16 a Abs. 1 GG als Rechtfertigungsgrund eingreift. Sie ist im Hinblick auf Art. 16 a Abs. 2 GG zu verneinen, weil Asylsuchende, die - wie die Angeklagten – aus einem sicheren Drittstaat einreisen, Asyl nicht beanspruchen können. Das entspricht einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. etwa BayObLG DÖV 1999, 119 ff.; BayVGH BayVBl 1998, 119 f.; Renner, a.a.O., Art. 16 a GG Rn 100; Westphal/Stroppa NJW 1999, 2137 ff.). Entgegen der früheren Rechtslage genügt nunmehr die bloße Durchreise durch einen als sicher geltenden Staat, um Asylrechtsschutz auszuschließen. Abgestellt wird weder auf einen bereits gewährten und dann aufgegebenen Schutz vor Verfolgung noch auf eine für den Flüchtling potentiell erreichbare Sicherheit vor Verfolgung, der Kreis der verfolgungssicheren Staaten ist objektiv beschrieben (so Renner a.a.O.). Ebenso hat der BayVGH (a.a.O.) in seinem Beschluss vom 13.11.1997 unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BVerwG ausgeführt:
16"Nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG in der seit 30. Juni 1993 verbindlichen Fassung ... kann sich nicht auf das Asylrecht des Art. 16 a Abs. 1 Sätze 1 und 2 GG berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft oder aus einem anderen [sicheren] Drittstaat einreist ... Deutschland ist allseitig von sog. sicheren Drittstaaten umgeben mit der Folge, daß eine Einreise auf dem Landweg immer ein Asylrecht ausschließt. Wer über einen sog. sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, hat dort bereits Schutz vor Verfolgung gefunden oder hätte ihn finden können und bedarf deshalb nicht mehr des Schutzes des Asylrechts; Schutzbedürftigkeit ist als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal neben politischer Verfolgung Voraussetzung für ein Asylrecht (dazu BVerwG v. 2.12.1991, BVerwGE 89,231/234; v. 7.11.1995, BVerwGE 100, 23; v. 6.5.1997 BVerwG 9 C 56.96 UA S. 7, InfAuslR 1997, 422 mit Anm. Gerson)."
173.
18Zu Unrecht ist das Landgericht allerdings davon ausgegangen, dass die Angeklagten trotz rechtswidriger Tatbestandserfüllung straflos zu bleiben haben, weil zu ihren Gunsten der persönliche Strafausschließungsgrund des § 92 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge – Genfer Konvention (GK) – vom 28.7.1951 eingreift.
19a.
20Beachtliche Stimmen in der Literatur verneinen schon die Frage, ob Art. 31 GK trotz der Regelung des Art. 16 a GG bei der – wie hier - unerlaubten Einreise eines Asylbewerbers Geltung hat. Hierzu wird ausgeführt, dass die Regelung des § 26 a AsylVfG abstrakt-generell und ohne die Möglichkeit eines Gegenbeweises bestimme, dass mit dem Erreichen eines sicheren Drittstaates die Fluchtsituation beendet und dem Ausländer damit objektiv der erforderliche Schutz vor politischer Verfolgung vermittelt worden ist, unabhängig davon, ob er subjektiv diesen Schutz in Anspruch nehmen wollte oder nicht. Ein Asylbewerber, der aus einem sicheren Drittland i.S. des § 26 a AsylVfG einreise, könne sich nicht auf Art 16 a GG berufen mit der Maßgabe, dass er nicht als Asylbewerber anerkannt werden könne. Er sei damit kein Flüchtling nach Art 31 GK, so dass für die verwirklichten Straftatbestände der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts (§ 92 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 AuslG) Straffreiheit nach Art. 31 GK nicht in Betracht komme (so Senge in Erbs/Kohlhaas § 92 AuslG Rn 46a; im Ergebnis ebenso Renner, a.a.O. § 92 AuslG Rn 23).
21Der Senat hat demgegenüber bereits in einem Beschluss v. 19.04.1994 (Ss 119/94) entschieden, dass wegen der im Zusammenhang mit Art. 16a GG zum 01.07.1993 in Kraft getretenen Änderung des AsylVfG für die Einreise eines Asylbewerbers aus einem sicheren Drittstaat die Prüfung der Voraussetzungen des Art. 31 GK nicht entbehrlich geworden ist. Er hat dabei zum einen auf § 92 Abs. 4 AuslG und zum anderen darauf verwiesen, dass die verschärften Möglichkeiten der Zurückweisung nach dem Ausländerrecht nicht die Fortgeltung des Art. 31 GK für die strafrechtliche Würdigung der unerlaubten Einreise berühren. Spätere Äußerungen in Entscheidungen des BayObLG (StV 1999, 99 [100]) und des BGH (StV 1999, 382 = NStZ 1999, 408) weisen in die selbe Richtung. Im Ergebnis teilen auch Westphal/Stoppa (NJW 1999, 2137 [2139] mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen), diese Auffassung wenn sie ausführen, der Eintritt der Straffreiheit nach Art. 31 I GK wegen einer unmittelbaren illegalen Einreise setze nicht voraus, dass zwischen dem Herkunftsland und der BRD kein anderes Territorium berührt worden ist.
22b.
23Die Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Erörterung. Denn Art 31 GK greift vorliegend nach den bislang getroffenen tatrichterlichen Feststellungen jedenfalls aus anderen Gründen nicht zu Gunsten der Angeklagten ein.
24aa.
25Nach dem im angefochtenen Urteil festgestellten Sachverhalt bleibt offen, ob die Voraussetzungen des Art 31 GK vollständig erfüllt sind.
26Art. 31 GK macht die Straffreiheit unter anderem davon abhängig, dass der Flüchtling unverzüglich seine Einreise einer inländischen Behörde anzeigt und dabei Gründe darlegt, die seine unrechtmäßige Einreise rechtfertigen (so etwa BGH StV 1999, 382 = NStZ 1999, 409). Der Flüchtling muss mit stichhaltigen Gründen darlegen, dass ein legaler Grenzübertritt für ihn mit Gefahr für Leibe oder Leben oder mit weiterer politischer Verfolgung verbunden gewesen wäre. Wenn der Reise- bzw. Fluchtweg des Asylbewerbers über dritte Staaten geführt hat, muss er darlegen, weshalb er sich dort nicht schon vor Verfolgung sicher fühlte. Wenn der Ausländer über einen sicheren Drittstaat i.S.d. § 26a AsylVfG einreist, können die Gründe in aller Regel nicht stichhaltig sein (Kloesel/Christ/Häußler, Deutsches Ausländerrecht, Art. 31 GK Rn 8). Feststellungen dazu, dass die Angeklagten bei der Beantragung des Asylrechts in Aachen triftige Gründe i.S. des Art. 31 GK vorgetragen haben, hat das Landgericht nicht getroffen.
27bb.
28Etwas anderes ergibt sich hier auch nicht daraus, dass sich die Angeklagten – wie vom Landgericht festgestellt – Schleusern anvertraut hatten. Das Gegenteil ist der Fall, weil das Schleusersystem gerade eine andere Vorgehensweise beinhaltet, als es Art. 31 GK vorsieht, nämlich die Umgehung der Behörden, an die sich der Flüchtling auch nach Art. 31 GK wenden muss.
29Asylbewerber ohne erforderliche Einreisepapiere genießen nicht die Strafbefreiung nach Art. 31 Abs. 1 GK i.V.m. § 92 Abs. 4 AuslG, wenn sie für die Umgehung der Grenzkontrolle die Dienste von Schleusern in Anspruch genommen haben, die ihrerseits kriminelles Unrecht i.S.d. §§ 92a und 92b AuslG begehen. Die Vorschriften des § 92 IV AuslG und des Art. 31 GK sind nämlich für den «Normalfall» des Asylsuchenden geschaffen, der zwar ohne die an sich erforderlichen Einreisepapiere, aber ansonsten unter Achtung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland einreist. In diesem Fall soll das Strafbedürfnis wegen der unerlaubten Einreise angesichts der Bedeutung des Asylrechts entfallen (BGH StV 1999, 382 = NStZ 1999, 409 = StraFo 1999, 311). Es liegt aber nicht im Schutzbereich der Norm des Völkerrechts, kriminellem Tun Vorschub zu leisten (so Senge a.a.0., § 92 AuslG Rn 48a; ebenso Kloesel/Christ/Häußler, Deutsches Ausländerrecht Loseblatt , § 92 AuslG Rn 72; zustimmend mit weiteren Literaturangaben: Bay0bLG, Beschluss v. 30.06.1998 4St RR 83/98 = Bay0bLGSt 1998, 112115 = StV 1999, 99100), das gerade auf die Umgehung der zuständigen Behörden und Missachtung der in Art 31 GK getroffenen Verfahrensweise angelegt ist.