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Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11. Februar 2003 verkündete Teil-Urteil des Landgerichts Bonn abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 2.500 € abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e
2I.
3Die Klägerin wurde am 26.9.2000 nach einem zweiten Schlaganfall in komatösem Zustand aus stationärer Krankenhausbehandlung in dem von der Beklagten geführten Seniorenheim Haus Mühlenbach in Bonn aufgenommen. Während des Krankenhausaufenthaltes war ihr eine Magensonde gelegt worden, da sie infolge einer Lähmung nicht mehr schlucken konnte. Dieser Zustand hat sich in der Folgezeit nicht mehr verbessert. Die Klägerin ist durchgehend ausschließlich über die Magensonde ernährt worden. Die Kosten der Sondennahrung trägt die Krankenkasse. Der Klägerin ist im Übrigen Selbstzahlerin.
4Der Heimvertrag zwischen den Parteien wurde am 22.9.2000 auf Seiten der Klägerin durch ihren Betreuer abgeschlossen. Wegen des Vertragsinhalts wird auf Blatt 9 bis 18 der Akten verwiesen.
5Der Betreuer der Klägerin hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei im Hinblick auf die durchgeführte Sondenernährung nicht berechtigt, ein Verpflegungsentgelt zu verlangen.
6Da die Beklagte nicht offengelegt habe, welcher Teil des Entgelts auf die Verpflegung entfalle, sei sie zunächst zur Auskunft verpflichtet. Sodann werde sie beantragen, die Beklagte zu verurteilen, den sich aus der Auskunft ergebenden Betrag multipliziert mit der Anzahl der Tage, an denen sie, die Klägerin, die Verpflegungskosten getragen habe, an sie zurückzuzahlen.
7Die Klägerin hat beantragt,
81. festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, der Klägerin für die Zeit, in der sie mit Sondennahrung ernährt werde, ein Leistungsentgelt für die Verpflegung in Rechnung zu stellen,
92. die Beklagte zu verurteilen, Auskunft darüber zu erteilen, in welcher Höhe Verpflegungskosten in dem Tagessatz für Unterkunft und Verpflegung enthalten seien,
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hält sich für berechtigt, den vollen Verpflegungssatz zu berechnen, da das Leistungsentgelt für alle Heimbewohner nach einheitlichen Gesichtspunkten zu bestimmen sei. Außerdem führe die Sondenernährung zu einem erheblichen Pflegeaufwand.
13Das Landgericht hat der Klage durch Teilurteil hinsichtlich des Feststellungs- und des Auskunftsantrags stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte müsse sich nach § 615 S. 2 BGB die Aufwendungen anrechnen lassen, die sie dadurch erspare, dass die Klägerin nicht an den angebotenen Verpflegungsleistungen partizipiere. Der von der Beklagten behauptete Aufwand im Zusammenhang mit der Sondenernährung sei nicht zu berücksichtigen, da er in den Leistungsbereich der Pflege falle und mit dem dort gezahlten Entgelt abgegolten sei.
14Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung und macht zum einen geltend, für die Klage sei nicht der Zivilrechtsweg, sondern der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben.
15Im Übrigen verweist sie darauf, dass der Heimvertrag in Kenntnis des Betreuers von der Notwendigkeit, die Klägerin über eine Sonde zu ernähren, abgeschlossen worden sei. Als Selbstzahlerin könne die Klägerin für sich keine Sonderregelung verlangen. Eine weitere Differenzierung sei ihr, der Beklagten, auch wegen des damit verbundenen Verwaltungsaufwandes nicht zumutbar. Mit Schreiben vom 31.7.2003 hat die Beklagte den Heimbewohnern eine Erhöhung des Heimentgelts mitgeteilt und aufgeschlüsselt, dass auf die Lebensmittel in der Vergangenheit ein Betrag von 4,32 € entfallen sei und ab 1.9.2003 ein Betrag von 4,50 € pro Tag und Heimbewohner.
16Die Beklagte beantragt,
17das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
18Die Klägerin beantragt,
19die Berufung zurückzuweisen.
20Sie verteidigt unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens das angefochtene Urteil.
21II.
22Die Berufung ist zulässig und in der Sache auch begründet.
231.
24Zwar greift der Einwand der Beklagten nicht, der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten sei für die vorliegende Streitigkeit nicht eröffnet. Abgesehen davon, dass die Frage des Rechtsweges nach § 17 a GVG vom Rechtsmittelgericht grundsätzlich nicht zu prüfen ist, ist der vorliegend für den Streitgegenstand maßgebliche Sachverhalt dem privaten Recht zuzuordnen, da es um Ansprüche aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Heimvertrag geht. Der Heimvertrag ist aber ein privatrechtlicher Vertrag (Kunz/Butz/Wiedemann, Heimgesetz, 9. Auflage, § 5 HeimG Rdn. 2). Eine Bindung der Beklagten an die Festlegungen der Pflegesatzparteien führt nicht zu einer anderen rechtlichen Qualifizierung des Rechtsverhältnisses zwischen Heim und Heimbewohner.
252.
26Das vom Landgericht erlassene Teilurteil ist unzulässig.
27Die Entscheidung über einen Teil muss unabhängig davon sein, wie im Schlussurteil über den Rest des noch streitigen Teils entschieden wird. Da die Entscheidung über die negative Feststellungsklage und die bisher unbezifferte Leistungsklage von denselben rechtlichen Vorfragen abhängt, sind widersprüchliche Entscheidungen nicht auszuschließen. Es wäre daher entweder durch Teilurteil zunächst nur über den Auskunftsantrag zu entscheiden gewesen oder es hätte über den unbezifferten Zahlungsantrag ein Teil-Grundurteil ergehen müssen.
28Es erscheint aus prozessökonomischen Gründen sachgerecht, den noch in erster Instanz anhängig gebliebenen unbezifferten Zahlungsanspruch in die Berufungsinstanz „hochzuziehen„ und nach § 538 I ZPO über die Klage insgesamt zu entscheiden.
293.
30Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte ist berechtigt, von der Klägerin das vereinbarte Verpflegungsentgelt zu verlangen.
31a.
32In dem zwischen den Parteien am 22.9.2000 geschlossenen Heimvertrag ist vereinbart, dass das Entgelt von der Klägerin in der aus der Anlage zum Heimvertrag ersichtlichen Höhe geschuldet wird. Darin ist ohne Unterschied zwischen den Pflegestufen für Unterkunft und Verpflegung ein Betrag von 38,76 DM vorgesehen. Bei Abschluss dieses Vertrages war sowohl der Beklagten wie auch dem Betreuer der Klägerin bekannt, dass die Klägerin nur über eine Sonde ernährt werden und daher nicht an der angebotenen Verpflegung teilhaben konnte. Darüber ist, wie der Betreuer der Klägerin im Senatstermin erklärt hat, bei Vertragsschluss auch gesprochen worden. Damit ist Inhalt des Vertrages geworden, dass die Beklagte das vereinbarte Entgelt erhalten sollte, ohne die Klägerin mit der von ihr angebotenen Nahrung zu verpflegen. Die nachträgliche Berufung auf eine Ersparnis von Verpflegungskosten ist der Klägerin daher grundsätzlich versagt.
33Ob dem Betreuer der Klägerin bei Vertragsschluss bekannt war, dass die Sondennahrung von der Krankenkasse und nicht vom Heim finanziert wurde, ist letztlich unerheblich. Da die Sondennahrung nicht unter den in § 2 Abs. 1 lit. b des Heimvertrages aufgeführten Verpflegungsleistungen genannt ist, konnte der Betreuer der Klägerin aus der Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers nicht von einer Finanzierung der Sondennahrung durch die Beklagte ausgehen. Eine entsprechende Fehlvorstellung wäre ein vorgelagerter, einseitiger Motivirrtum, der weder zu einer Vertragsanfechtung berechtigt noch eine Geschäftsgrundlage darstellt. Außerdem hat der Betreuer der Klägerin sich über die Finanzierung der Sondenkost überhaupt keine Gedanken gemacht. Wie er im Senatstermin erklärt hat, war ihm das Problem überhaupt nicht bewusst. Er sei damals nur froh gewesen, einen Heimplatz für seine Mutter gefunden zu haben. Das für ihre Unterbringung geforderte Entgelt hat er daher in Kenntnis ihres Zustandes als angemessen akzeptiert. Damit ist ihm aber auch die Berufung auf ersparte Aufwendungen entsprechend §§ 552 S. 1,615 S. 2 BGB versagt.
34b.
35Die zwischen den Parteien getroffene Entgeltvereinbarung verstößt auch nicht gegen § 4 Abs. 3 HeimG a.F., wonach das Entgelt nicht in einem Missverhältnis zu den Leistungen des Trägers stehen darf. Es handelt sich insoweit um ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB. In der Entscheidung vom 5.7.2001 (FamRZ 2001, 1361) hat der BGH die Frage, ob die Unangemessenheit des zu zahlenden Entgelts sich daraus ergeben kann, dass ein nach dem Vertrag geschuldeter Leistungsbestandteil auf Dauer nicht erbracht wird, offengelassen. Im vorliegenden Fall der dauerhaft erforderlichen, ausschließlichen Sondenernährung ist diese Frage jedoch zu entscheiden.
36Für die Zeit bis zum 31.12.2001 ist nach der gesetzlichen Regelung auf das Gesamtentgelt abzustellen. Dieses darf nicht in einem Missverhältnis zu den Leistungen des Trägers stehen. Der Heimbewohner soll nicht durch ein unangemessen hohes Gesamtentgelt übervorteilt werden. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte durch die von der Krankenkasse finanzierte Sondenernährung zwar Lebensmittel für die Verpflegung der Klägerin erspart, auf der anderen Seite aber die Verabreichung von Sondennahrung einen speziellen Pflegeaufwand erfordert, der für Heimbewohner, die normal ernährt werden, nicht aufzubringen ist. Insoweit wird auf die von der Beklagten überreichten Pflegeanleitungen für die Verabreichung von Sondennahrung verwiesen, die sie zum Gegenstand ihres Vortrags gemacht hat. Soweit die Klägerin im nachgelassenen Schriftsatz einer Verwertung widerspricht, stellt das kein substantiiertes Bestreiten des Vortrags der Beklagten dar.
37Danach reicht es nicht aus, den Nahrungs- oder Flüssigkeitsbehälter an die Magensonde anzuschließen, vorausgehen müssen insbesondere die richtige Lagerung des Patienten und die Einstellung der passenden Dosiergeschwindigkeit an der Pumpe. Um die Durchgängigkeit der Sonde zu erhalten, muss diese vor und nach jeder Nahrungszufuhr und Medikamentenverabreichung gespült werden, wobei Medikamente in Tablettenform zuvor zermörsert und aufgelöst werden müssen. Soweit die Klägerin behauptet, die Reinigung der Sonde werde stationär im Krankenhaus durchgeführt, handelt es sich dabei nicht um das Durchspülen der Sonde nach jeder Nahrungszufuhr. Die Notwendigkeit dieser Maßnahme ist offenkundig, weil sonst Nahrungsrückstände den Schlauch verkleben würden.
38Außerdem ist die Mundpflege ungleich aufwendiger als bei einem Menschen, der die Nahrung durch den Mund aufnimmt. Um zu verhindern, dass die Mundschleimhaut austrocknet oder sich entzündet, muss diese mehrmals täglich durch Austupfen befeuchtet und von Belägen gereinigt werden. Zudem muss zwei- bis dreimal in der Woche an der Einstichstelle, an der die Sonde durch die Bauchdecke geführt ist, ein steriler Verbandwechsel durchgeführt werden.
39Dieser Aufwand geht weit über das Portionieren der Nahrung hinaus. Zeitaufwendig ist zwar auch das „Füttern„ einzelner Bewohner, die nicht mehr selbst essen können. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass das Verabreichen der Sondennahrung einschließlich aller pflegerischen Tätigkeiten nur ausgebildeten Pflegekräften übertragen werden darf (Udsching, SGB XI, 2. Auflage § 14 SGB XI Rdn. 23) und damit kostenintensiver ist.
40Für diese allein durch die Sondenernährung bedingten Pflegemaßnahmen erhalten die Pflegeheime gemäß § 82 Abs. 1 S. 2 SGB XI keine zusätzliche Vergütung, da es sich insoweit um medizinische Behandlungspflege handelt (Udsching a.a.O.). Wägt man die Ersparnis der Lebensmittel gegen den Pflegemehraufwand ab, lässt sich nicht feststellen, dass das verlangte Gesamtentgelt in einem Missverhältnis zur erbrachten Leistung steht.
41§ 5 Abs. 7 HeimG in der ab 1.1.2002 auch für Altverträge geltenden Fassung, erweitert den Schutz der Heimbewohner vor Übervorteilung insoweit, als nicht nur das Gesamtentgelt, sondern auch die Entgeltbestandteile im Verhältnis zu den Leistungen angemessen sein müssen. Allein auf das Verpflegungsentgelt abgestellt wirkt sich die Ersparnis der Aufwendungen für Lebensmittel zwar in gewissem Umfang aus, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass die Fixkosten wie die Aufwendungen für die Kücheneinrichtung, die Personal- und Energiekosten bei nahezu hundert Heimbewohnern nicht merklich dadurch verringert werden, dass ein Essen weniger zubereitet wird. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Ersparnis von Lebensmitteln sich indirekt wieder auf die Klägerin auswirkt, da der verminderte tatsächliche Sachaufwand die Berechnung des Pflegeentgelts mitbestimmt.
42Letztlich kommt es auf diese Differenzierung aber auch nicht entscheidend an. Die Frage der Angemessenheit von Entgelt und Leistung ist nach dem Gesamtcharakter des Rechtsgeschäfts zu beurteilen, d.h. unter einer umfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck des Geschäfts (Kunz/Butz/Wiedemann, a.a.O. § 5 Rdn. 29). Diese Betrachtung schließt es auch nach der auf die Angemessenheitsprüfung von Entgeltbestandteilen erweiterten Gesetzesänderung aus, einen Entgeltbestandteil dann isoliert zu betrachten, wenn er die mit ihm abgegoltenen Leistungen zwar wertmäßig übersteigt, die Kostenersparnis des Heimträgers in einem anderen Leistungsbereich aber unmittelbar zu einem Mehraufwand führt, der nicht zusätzlich vergütet wird.
43Wenn die Klägerin sich hinsichtlich des Pflegeentgelts nicht der Pauschalierung unterwerfen wollte, müsste sie auf der anderen Seite auch eine konkrete Berechnung des durch die Sondenernährung erhöhten Pflegebedarfs hinnehmen. Dieses Recht würde aus Gleichheitsgründen jedem Heimbewohner zustehen, der einzelne Leistungen nicht in Anspruch nehmen kann. Das würde zu einem verwaltungstechnisch nicht vertretbaren Aufwand führen, der finanziell wiederum auf die Heimbewohner umzulegen wäre.
44c.
45Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin sich in § 4 Abs. 1 S. 2 des Heimvertrages damit einverstanden erklärt hat, dass sich die Entgelte nach den Regelungen richten, die in der Pflegesatzkommission jeweils vereinbart sind. Die Pflegesatzkommission legt nicht nur das Entgelt für die Pflege, sondern gemäß § 87 SGB XI auch für Unterkunft und Verpflegung fest. Diese Bindung der Heimbewohner an die Vereinbarungen der Pflegesatzkommission verstößt nicht gegen das AGBG. Insoweit gelten dieselben Grundsätze, die auch die Koppelung von Heimverträgen an Rahmenverträge gemäß 75 SGB XI zulässig erscheinen lassen (dazu BGH NJW 2002, 507). Es ist davon auszugehen, dass die an den Pflegesatzvereinbarungen beteiligten Leistungs- und Kostenträger hinsichtlich der Festlegung des Pflegentgelts die finanziellen Interessen der Heimbewohner vertreten, so dass es zumutbar erscheint, die Heimbewohner an diese Vereinbarungen zu binden. Von den Pflegesatzkommissionen ist aber auch kein verringertes Entgelt für den Fall der Sondenernährung vorgesehen.
46d.
47Eine Verpflichtung der Beklagten, den Vertrag zu ändern, ergibt sich nicht aus § 4 a HeimG a. F., § 6 Abs. 1 HeimG n.F, da es im Hinblick auf die Notwendigkeit der Sondenernährung schon an einer Änderung des Gesundheitszustandes (§ 4 a HeimG a.F.) bzw. des Betreuungsbedarfs (§ 6 HeimG n.F.) der Klägerin fehlt.
48Die unbezifferte Zahlungsklage und der Feststellungsantrag sind daher unbegründet.
49Da die Auskunftsklage, wie der Betreuer der Klägerin im Senatstermin klargestellt hat, nur der Vorbereitung des Zahlungsanspruchs dient, unterliegt auch sie der Abweisung.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.
51Die Revision war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.