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Bei einer fünf Jahre übersteigenden Straferwartung bedarf es besonderer fluchthemmender Faktoren, um die Fluchtgefahr auszuräumen.
Die Fortdauer der Untersuchungshaft wird angeordnet.
Die weitere Haftprüfung wird für die Dauer von 3 Monaten dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen.
Mit vorliegender Haftentscheidung ist die weitere Beschwerde des Beschuldigten vom 5. November 2002 gegen den Beschluss des Landgerichts Köln (109 Qs 512/02) vom 29. Oktober 2002 erledigt.
G r ü n d e
2I.
3Der Beschuldigte ist am 14. Mai 2002 festgenommen worden und befindet sich seit dem 15. Mai 2002 in Untersuchungshaft aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Köln (505 Gs 1568/02) vom 13. Mai 2002, ersetzt durch Haftbefehl des Amtsgerichts Köln (505 Gs 2718/02) vom 21. Oktober 2002.
4Darin wird dem Beschuldigten (zusammengefasst) folgendes zur Last gelegt:
51) Er soll im Zeitraum von Anfang 2001 bis zum 13. Mai 2002 in K. und anderen Orten gemeinsam mit weiteren Mittätern in mindestens 130 Fällen gewerbsmäßig als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, an der Einschleusung von Ausländern in das Bundesgebiet beteiligt gewesen sein. Dabei soll er tateinheitlich bandenmäßig und gewerbsmäßig unechte Urkunden im Rechtsverkehr hergestellt und gebraucht haben (§§ 92 a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1, 92 Abs. 2 Nr. 2 erste Alternative, 92 Abs. 1 Nr. 1, 6, 58 Abs. 1 Nr. 1 AuslG, 267, 52, 53 StGB).
6Der Beschuldigte soll sich in dem angegebenen Tatzeitraum mit ca. 20 Personen zumeist ukrainischer Herkunft, darunter den Mitbeschuldigten Z., V.L., S. K., V. M. , V. K. , seiner Ehefrau J. K. sowie E. H., H. B. sowie weiteren Personen mit dem Ziel zusammengetan haben, aus dem K. Raum gesteuert eine Vielzahl von Ausländern aus den GUS-Staaten (Ukrainer) nach Deutschland sowie in die Schengenstaaten einzuschleusen. Den betreffenden Personen soll er mit Hilfe seiner Organisation Unterstützung bei der Erlangung erschlichener Besuchervisa geleistet haben, die diese für die Einreise benötigten.
7Dabei soll der Beschuldigte wie folgt vorgegangen sein: Zum einen soll er den Ukrainern gegen Zahlung eines Entgelts Einladungsschreiben und sog. Verpflichtungserklärungen gemäß §§ 82 bis 84 AuslG von Deutschen verschafft haben. Ausgestellt wurden diese Erklärungen sowohl von wahllos im Raum K. angesprochenen, überwiegend nicht solventen Personen (u.a. Sozialhilfeempfänger und Drogenabhängige), als auch von Schein- und Strohmannfirmen des Beschuldigten oder seiner Mittäter. Die ukrainischen Antragsteller benötigten diese Unterlagen vor Ort als Voraussetzung für die Visumserteilung durch die Konsularabteilung der deutschen Botschaft in Kiew. Zum anderen soll der Beschuldigte mit sogenannten Reise-Schutz-Pässen gehandelt haben, welche er unter Einschaltung von Strohmann- bzw. Scheinfirmen von dem gesondert verfolgten K. bezog. Auch diese Unterlagen, welche von der Botschaft in Kiew als Alternative zu Verpflichtungserklärungen gemäß §§ 82 f. AuslG anerkannt wurden, sollen in großer Zahl zur Erlangung von Visa eingesetzt worden sein. Die anschließend mit den Visa aus der Ukraine nach Deutschland eingereisten Personen sollen nicht - wie von ihnen bei der Antragstellung jeweils angegeben - aus touristischen Gründen oder zu Besuchen gekommen sein, sondern in Wirklichkeit zum Zweck der Arbeitsaufnahme in Deutschland oder im sonstigen Schengenbereich.
82) Dem Beschuldigten wird weiter zur Last gelegt, in der Zeit zwischen Januar und Dezember 2001 gegenüber dem Sozialamt der Stadt K. unrichtige Angaben gemacht und dadurch zu Unrecht Sozialhilfe für sich und seine Familie bezogen zu haben.
9Wegen der Einzelheiten des Tatgeschehens wird auf den Inhalt des Haftbefehls Bezug genommen.
10Die Ermittlungen gegen den Beschuldigten und zahlreiche weitere Personen werden von der Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit dem Bundesgrenzschutz - Inspektion Flughafen Köln/Bonn "E. K." - geführt. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse sind in 7 Bänden Hauptakten zusammengetragen, außerdem ist eine große Zahl von Fallakten angelegt worden. Die Untersuchungsergebnisse werden aus polizeilicher Sicht in regelmäßigen Zwischenberichten (zuletzt datiert vom 11. September, 24. sowie 30. Oktober 2002) niedergelegt.
11Der Beschuldigte hat durch seine Verteidigerin mit Schriftsatz vom 27. September 2002, auf den wegen der Einzelheiten des Vortrags Bezug genommen wird, erstmals Haftprüfung beantragt. Die gegen die Haftfortdauerentscheidung des Amtsgerichts gerichtete Beschwerde des Beschuldigten ist durch die 9. große Strafkammer des Landgerichts Köln mit Beschluss vom 13. September 2002 verworfen worden. Ein weiterer Haftprüfungsantrag des Beschuldigten vom 27. September 2002 ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben. Das Landgericht Köln hat unter dem 29. Oktober 2002 seine erneute Beschwerde gegen die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft verworfen. Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner weiteren Haftbeschwerde vom 5. November 2002.
12II.
13Gemäß §§ 121, 122 StPO ist die Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate hinaus anzuordnen.
14A)
15Die allgemeinen Haftvoraussetzungen (§ 112 ff. StPO) liegen vor:
161.
17Der Beschuldigte ist aufgrund der bisherigen Ermittlungen der ihm vorgeworfenen Straftaten des banden- und gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern gemäß § 92 a Abs. 1, 2 Nr. 1, 2, 92 b Abs. 1 i.V.m. § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG dringend verdächtig:
18a)
19Aufgrund der Vernehmungen zahlreicher Zeugen sowie mitbeschuldigter Personen, des Inhalts von Urkunden und sichergestellter Informationen auf der Festplatte des Computers des Beschuldigten ferner der bei den Akten befindlichen Behördenauskünfte besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte zusammen mit weiteren Personen in groß angelegtem Stil Geschäfte im Zusammenhang mit der Erteilung von Visa betrieben hat. Der Beschuldigte hat - teilweise unter Einschaltung von Vermittlern - gegen ein geringes Entgelt eine große Zahl von vornehmlich im Raum K. ansässigen Personen als "Einladende" für ukrainische Staatsangehörige angeworben, teilweise sind auch angeblich geschäftliche Einladungen von Firmen bzw. Geschäftsleuten fingiert worden. Ohne die jeweils von ihnen eingeladenen Personen zu kennen oder einen Kontakt mit diesen zu beabsichtigen, haben die als "Einladende" fungierenden Personen (nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen handelt es sich um weit mehr als 100 Personen, dazu kommen eine Reihe von nicht existenten Firmen) gegenüber der zuständigen Bezirksbehörde in K. Verpflichtungserklärungen gemäß §§ 82 bis 84 AuslG abgegeben und dabei Kostenübernahmen erklärt. Aufgrund der Aussagen/Einlassungen (u.a. der Mitbeschuldigten M. Z., S. K. und K.-P. V.) ist davon auszugehen, dass Personen angesprochen wurden, die überwiegend über keine ausreichende finanzielle Bonität verfügten oder frei erfundene Firmen Einladungen zu angeblich geschäftlichen Zwecken erteilt haben. Aufgrund der im Ermittlungsverfahren gegen den Inhaber der Firma K. sichergestellten Unterlagen bestehen darüber hinaus konkrete Erkenntnisse, dass der Beschuldigte von dieser Firma gegen Zahlung von insgesamt 447.000,-- Euro insgesamt 6.855 Reiseschutzpässe erworben hat. Dabei hat der Beschuldigte gemäß der in den Akten befindlichen Auflistung (Bl. 1687 d.A.) unter Einschaltung von mindestens 35 Schein- und Strohmannfirmen gearbeitet, welche nur zum Teil (18) bei den Gewerbeämtern registriert waren und keine wirkliche Geschäftstätigkeit ausübten. Soweit sich der Beschuldigte fremder Firmen, Reisebüros und Personen bedient hat, sind durch Fälschung von Unterschriften in größerer Zahl Bestellungen von Reiseschutzpässen vorgenommen worden (vgl. die Zusammenfassung der Zeugenvernehmungen P., S., H., D.-S. im Zwischenbericht vom 12. Juli 2002, Bl. 1409 ff. d.A.). Sowohl die Einladungen/Verpflichtungserklärungen als auch die Reiseschutzpässe wurden auf Veranlassung des Beschuldigten durch Kuriere oder auf anderem Wege nach Kiew geschafft, wo sie von Mitarbeitern des Beschuldigten vor Ort gegen Entgelt an ukrainische Staatsbürger veräußert wurden. Diese benutzten die erworbenen Unterlagen zur Beantragung von sogenannten "Schengenvisa". Dabei handelt es sich um Besuchervisa, welche für einen begrenzten Zeitraum (nicht über drei Monate hinaus) zur Einreise nach Deutschland oder in die übrigen Schengenstaaten berechtigen. Bei den im Haftbefehl aufgeführten Personen konnte sowohl die Visumserteilung als auch die Einreise nach Deutschland festgestellt werden.
20Der Beschuldigte stellt dieses äußere Geschehen jedenfalls in seinen wesentlichen Zügen nicht in Abrede. Er hat in seiner persönlichen Eingabe vom 5. November 2002 an den Senat (Bl. 2020 ff.) einleitend ausgeführt: "Bei dieser Strafsache handelt sich um (eine) reine Rechtssache, deren Sachverhalt schon längst aufgeklärt ist."
21b)
22Das Vorgehen des Beschuldigten erfüllt den Tatbestand des bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern im Sinne der oben genannten Strafvorschriften (hingegen findet § 92 a Abs. 4 AuslG, der allein für hier nicht in Rede stehende Auslandstaten gilt, keine Anwendung):
23Gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG macht sich strafbar, wer unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen eine Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung zu beschaffen, oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht. Gemäß § 3 Abs. 1 AuslG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt nach Deutschland grundsätzlich einer Aufenthaltsgenehmigung. Diese ist vor der Einreise in Form des Sichtvermerks (Visum) einzuholen (§ 3 Abs. 3 AuslG). Aus dieser Formulierung folgt entgegen den Rechtsausführungen des Beschuldigten im Haftprüfungsantrag vom 27. September 2002, dass die von der deutschen Auslandsvertretung in Kiew erteilten Visa Aufenthaltsgenehmigungen (vgl. Renner, AuslG, 7. Auflage, § 5 Rn. 5) im Sinne der Strafvorschrift des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG darstellen. Daran ändert es nichts, dass jeweils sog. Schengenvisa erteilt worden sind. Durch das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) ist zur Vereinheitlichung des Personenverkehrs im Bereich der Visumsregelungen für den kurzfristigen Aufenthalt ein einheitlicher Sichtvermerk eingeführt worden (Artikel 10 bis 17 SDÜ). Auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 SDÜ kann danach die Einreise von Ausländern für einen Aufenthalt von bis zu 3 Monaten gestattet werden, wenn der Ausländer, soweit erforderlich, über einen gültigen Sichtvermerk verfügt. Dabei stellt Art. 5 Abs. 1 c) SDÜ für die Aufenthaltsgestattung auf die gleichen Kriterien ab wie das nationale deutschen Recht, nämlich den Nachweis über den Aufenthaltszweck, die Umstände des Aufenthaltes und die Sicherheit hinsichtlich der Kosten. Die Schengen-Staaten wollten mit dem Schengen-Visum keinen eigenständigen, vom jeweiligen nationalen Recht losgelösten Einreise- und Aufenthaltstitel schaffen. Zweck der SDÜ-Regelungen ist es, die in den einzelnen Staaten erteilten Visa gegenseitig anzuerkennen (Westphal/Stoppa, AuslR für die Polizei, 2. Auflage, Kapitel B, Anm. 6.4.3. m.w.N.). Schengen-Visa haben daher aus deutscher Sicht den gleichen Rechtscharakter wie die vor dem Inkrafttreten des SDÜ in Deutschland erteilten Visa für Kurzaufenthalte, unabhängig davon, von welchem Staat sie ausgestellt wurden. Das Schengen-Visum entspricht nach nationalem deutschen Recht somit einer Aufenthaltsgenehmigung (§ 5 AuslG), und zwar in Gestalt der Aufenthaltsbewilligung gem. § 28 Abs. 1 AuslG (Westphal/Stoppa a.a.O., Anm. 6.4.3.; Renner a.a.O., § 5 Rn. 7; ferner: Allgemeine Anwendungshinweise zum SDÜ (AAH-SDÜ) vom 28. Januar 1998, Nr. 1.3.0.2. zum Stichwort "Schengen-Visum").
24Eine Befreiung vom Visumzwang ist lediglich für Kurzaufenthalte bis zu 3 Monaten ohne Arbeitsaufnahme (§ 12 DVO AuslG) bei einem sogenannten Positivstaat im Sinne der Liste als Anlage zu § 1 DVO AuslG vorgesehen. Die Ukraine gehört nicht zu den Positivstaaten. Nach dem Gesagten bedürfen daher die angeblich zu touristischen bzw. Besuchszwecken nach Deutschland einreisenden ukrainischen Staatsangehörigen der Aufenthaltsgenehmigung in Form der Visumserteilung. Auch an dieser Beurteilung ändert die Regelung des Art. 5 SDÜ nichts.
25Nach den vorliegenden Erkenntnissen haben sich die betreffenden Personen mit der von ihnen bezahlten Unterstützung des Beschuldigten die benötigten Sichtvermerke durch unrichtige Angaben gegenüber der zuständigen Erteilungsbehörde (Konsularabteilung der deutschen Botschaft in Kiew, vgl. § 63 Abs. 3 AuslG) und damit unter Verstoß gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG verschafft:
26Soweit die Antragsteller eine Einladung/Verpflichtungserklärung gemäß §§ 82 bis 84 AuslG als Voraussetzung für die Visumserteilung vorlegt haben, haben sie wissentlich nicht nur - unzutreffend - eine Einladung durch eine Person im Inland vorgespiegelt, sondern auch die Existenz eines solventen Bürgen, der für die auf der Grundlage der §§ 82 bis 84 AuslG eventuell entstehenden Kosten eintreten sollte. Tatsächlich erfüllten die als "Einladende" fungierenden Personen diese Voraussetzungen nicht. Die Betreffenden waren den ukrainischen Antragstellern weder persönlich bekannt, noch bestand die Absicht des Kontakts. Die Besuche waren nur vorgetäuscht. Bereits damit haben die Antragsteller unrichtige Angaben gemacht, denn die Täuschungshandlungen im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG beziehen sich auf alle Angaben, die von den Auslandsvertretungen für die Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung üblicherweise benötigt werden (Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, § 92 Rn. 53). Darüber hinaus rechtfertigt diese Vorgehensweise der Antragsteller - jedenfalls im Sinne eines dringenden Tatverdachts - den Schluss, dass die Einreisen nach Deutschland (bzw. in andere Schengenstaaten) in Wirklichkeit aus einem anderen Grund, nämlich zum Zwecke der Arbeitsaufnahme, erfolgen sollten. Bei mehreren eingereisten Personen, welche in Deutschland aufgegriffen worden sind, ist diese Absicht im übrigen festgestellt worden. Die Erteilung von Visa zum Zwecke der Arbeitsaufnahme hätte gem. § 11 DVO AuslG aber die Beteiligung und Zustimmung der Ausländerbehörde erfordert, welche in keinem Fall eingeholt worden ist. Auf die geschilderte Art erlangte Visa sind somit erschlichen im Sinne von § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (BGH NStZ 00, 659). Soweit der Beschuldigte mit den genannten Reiseschutzpässen gehandelt hat, ergibt sich keine andere Beurteilung. Diese Dokumente sind durch Firmen des Beschuldigten oder ihm zuzurechnende Firmen - teils auch im Wege der Urkundenfälschung durch Personen, welche von diesem Vorgängen keine Kenntnis hatten - erworben worden. Die mit der Vorlage solcher Schutzbriefe durch die Antragsteller vorgetäuschte Absicht touristischer oder geschäftlicher Zwecke ist nicht anders zu beurteilen als die Vorlage inhaltlich unrichtiger Verpflichtungserklärungen.
27Bereits mit der Abgabe der unrichtigen Erklärungen ist der Tatbestand des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in der Alternative "unrichtige oder unvollständige Angaben" erfüllt. Dass die Angaben zur Ausstellung der Urkunde geführt haben (oder gar eine spätere Einreise erfolgt ist), setzt der Tatbestand nicht voraus (Erbs-Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 92 AuslG Rn. 37). Nach weitergehender Ansicht (Erbs-Kohlhaas a.a.O. m.w.N.) ist es nicht einmal erforderlich, dass die Angaben zur Beschaffung des Visums geeignet waren. Es liegt auf der Hand, dass die Konsularabteilung der Botschaft in Kiew bei Kenntnis der wahren Umstände und Zusammenhänge die Visa nicht erteilt hätte. Auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes betreffend die Einreisebestimmungen nach Deutschland heißt es unter Ziffer 6. "Voraussetzungen für die Erstellung von Besuchervisa":
28"Bei der Erteilung von Besuchervisa müssen die Auslandsvertretungen die einschlägigen ausländerrechtlichen Bestimmungen zugrunde legen. Einen Anspruch auf ein Besuchervisum vermittelt das Ausländergesetz nicht. Das Visum darf erteilt werden, wenn die Anwesenheit des Ausländers Interessen der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigt oder gefährdet. Der Antragsteller muss nachweisen, dass sein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland finanziell abgesichert ist. Er darf für seinen Besuch keine öffentlichen Mittel in Anspruch nehmen. Kann er Reise und Aufenthalt nicht aus eigenen Mitteln finanzieren, kann sich auch ein in Deutschland wohnhafter Gastgeber verpflichten, für alle aus dem Aufenthalt des Gastes in Deutschland entstehenden Kosten einschließlich der Kosten für eventuelle Krankenhausbehandlungen aufzukommen. Zuständig für die Aufnahme einer solchen Verpflichtungserklärung nach § 82 ff. AuslG sind regelmäßig die deutschen Ausländerbehörden am Wohnort des Einladers. Darüber hinaus gibt es derzeit 2 Versicherungen (das "Carnet de Touriste" des ADAC, den Reiseschutzpass der "Reise-Schutz-AG" und den "Travel Voucher" der Itres GmbH), die neben einer Krankenversicherung auch die Verpflichtung zur Übernahme aller entstehenden Kosten nach §§ 82, 84 AuslG beinhalten. Der Reisende braucht bei Vorlage dieser Dokumente, ebenso wie bei einer Verpflichtungserklärung, keine zusätzlichen Nachweise zur Finanzierung zu erbringen. Die Auslandsvertretungen müssen zudem insbesondere zur Rückkehrbereitschaft und Rückkehrmöglichkeit des Reisenden eine positive Prognose abgeben
29Bei diesen nicht einfachen und verantwortungsvollen Ermessensentscheidungen wird stets auf den einzelnen Antragsteller und dessen persönliche Verhältnisse abgestellt. In die Entscheidung fließen die besonderen Landes- und Personenkenntnisse der Auslandsvertretungen ein. Es werden aber auch die persönlichen Interessen des Antragstellers und ggf. vorliegende humanitäre und politische Belange berücksichtigt. Schließlich müssen die Sicherheitsinteressen der Schengen-Partner beachtet werden. Daher muss jeder Antrag einer Einzelfallprüfung unterzogen werden.
30Erfüllt der Antragsteller nicht die obigen Kriterien, muss der Antrag abgelehnt werden. Gleiches gilt, wenn im Verlauf der Prüfung deutlich wird, dass der Antragsteller einen anderen als den von ihm angegebenen Aufenthaltszweck (Anmerkung: Unterstreichung durch das Gericht) verfolgt."
31Durch die geschilderte Vorgehensweise hat der Beschuldigte die durch § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG unter Strafe gestellten (zur Täterschaft verselbständigten) Beihilfehandlungen ("für sich oder einen anderen eine Aufenthaltsgenehmigung zu beschaffen") verwirklicht. Tatbestandsmäßig im Sinne der Vorschrift ist jede Hilfe und Förderung, die dazu beiträgt, dass der Ausländer unerlaubt einreisen oder sich unerlaubt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten kann (BGH NStZ 00, 659; Erbs-Kohlhaas, a.a.O., § 92 a Rnr. 4). Zu den Hilfeleistungen sind auch fingierte Einladungsschreiben oder Verpflichtungserklärungen zu zählen (Westphal/Stoppa, NJW 1999, 2137, 2141). Dabei spielt es für die Beurteilung der Strafbarkeit keine Rolle, ob der Aufenthalt der Ausländer in Deutschland von längerer Dauer sein sollte oder von den Betroffenen von vornherein eine Weiterreise in andere Schengen-Staaten geplant war. Auch das Durchschleusen von Ausländern erfüllt die Strafvorschriften der §§ 92 a, 92 b AuslG (BGH NJW 99, 2827 ff.).
32Dem Beschuldigten war dabei nicht nur klar, dass er den Antragstellern zu unrichtigen Angaben und damit zur Einreisemöglichkeit verholfen hat. Ihm war jeweils auch der wahre Zweck der Einreise in das Schengengebiet bekannt (vgl. zur subjektiven Tatseite des § 92 a AuslG im übrigen: BGH NJW 99, 2828). So hat er beispielsweise in einem auf der Festplatte seines Computers sicher gestellten Schreiben an einen Herrn Queyssalier, den er als Partner für seine Geschäftstätigkeit gewinnen wollte, folgendes ausgeführt:
33"Wie Ihnen wahrscheinlich bekannt ist, benötigen Personen aus der Ukraine Visa, um in das Schengengebiet einzureisen. Zur Zeit besteht bei diesen ein enormes wirtschaftlichen Interesse hieran, solch Visa zu erhalten, da sie Arbeit finden können in Spanien (Orangen pflücken und Wohnungsbau), Portugal sowie in Süditalien, und zwar lediglich in diesen Ländern, da die Behörden in diesen Staaten stillschweigend die Anwesenheit der Ukrainer akzeptieren, die für wenig Geld gute Arbeit leisten."
34Nach den vorliegenden Erkenntnissen hat der Beschuldigte sowohl zur Erzielung einer fortlaufenden Einnahmequelle, als auch als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, gehandelt (die Vorschrift des § 92 b Abs. 1 AuslG ist im Haftbefehl offenbar versehentlich nicht genannt worden). Die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zur Gewerbsmäßigkeit des Handelns und zur Bandenstruktur (vgl. zu den Anforderungen: BGH NStZ 00, 660) sind erfüllt. Dabei ist in den Fällen des Haftbefehls von jeweils selbständigen Beihilfehandlungen gemäß § 53 StGB auszugehen. Die Annahme lediglich einer Tat im Sinne des § 92 a AuslG kommt nur dann in Betracht, wenn einheitliche Beihilfehandlungen - auch bezüglich mehrerer Haupttaten - zu bejahen sind (vgl. BGH NStZ 00, 660); das dürfte nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand vorliegend nicht der Fall gewesen sein.
35Der Beschuldigte hat die ihm zur Last gelegten Beihilfehandlungen maßgeblich im Raum Köln erbracht. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit bestand in der gewerbsmäßigen Beschaffung der zur Visumserteilung erforderlichen Einladungsschreiben bzw. dem Ankauf und Vertrieb von Reiseschutzpässen. Darüber hinaus stand der Beschuldigte von seinem Wohnort aus in ständigem Kontakt zu seinen Mitarbeitern und Geschäftspartnern vor Ort in Kiew. Auf sein Handeln ist daher gemäß § 9 Abs. Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 3 StGB das deutsche Strafrecht anzuwenden. Der Senat braucht dabei nicht zu entscheiden, ob die Strafvorschrift des § 92 Abs. 2 AuslG vorliegend auch auf das Handeln der ukrainischen Antragsteller Anwendung findet. Da die deutschen Auslandsvertretungen nicht im Sinne des § 3 StGB zum Inland zählen (vgl. OLG Köln NStZ 00, 40; Schönke/Schröder-Eser, StGB, Vorbem zu §§ 3-7 Rn. 31), genügen unrichtige oder unvollständige Angaben bei den genannten Einrichtungen nicht für die Anwendung des deutschen Strafrechts (Erbs-Kohlhaas a.a.O., § 92 Rnr. 36; Lutz, Inf- AuslR 97, 388). Soweit die ukrainischen Personen jedoch in das Bundesgebiet unter Vorlage der von ihnen erschlichenen Visa an der Grenze eingereist sind, kommt sehr wohl aber auch eine Strafbarkeit im Sinne der 2. Tatbestandsalternative des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG (wer "eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht") in Betracht. Damit wäre eine Inlandstat als Anknüpfungspunkt für das deutsche Strafrecht vorhanden. An der Beurteilung der Strafbarkeit des Beschuldigten ändert dies im Ergebnis deswegen nichts, weil gem. § 9 Abs. 2 S. 2 StGB - unter Durchbrechung des Akzessorietätsgedankens (vgl. Gribbohm JR 98, 177, 178) - für den im Inland handelnden Teilnehmer an einer Auslandstat selbst dann das deutsche Strafrecht gilt, wenn die Tat nach dem Recht des Tatorts (überhaupt) nicht mit Strafe bedroht ist. Der im Inland tätig gewordene Schleuser ist daher in allen Fällen der Erschleichung von Visa durch unrichtige Angaben gegenüber einer Auslandsvertretung zur Verantwortung zu ziehen (vgl. BGH NStZ a.a.O., S. 660).
362.
37Nach der vom Bundesgerichtshof in seiner bereits mehrfach zitierten Entscheidung (NStZ 00, 657 ff.) vertretenen und vom Senat geteilten Auffassung, wonach Beihilfehandlungen, wie sie vom Beschuldigten geleistet wurden, bereits unter den Straftatbestand des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG fallen, erübrigen sich Erörterungen zu § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 6 AuslG. Der Bundesgerichtshof hat zu der Auffassung tendiert, die Einreise von Ausländern mit durch unrichtige Angaben erschlichenen Visa erfülle nicht den Tatbestand der illegalen Einreise gemäß § 58 AuslG, diese Frage aber letztlich - weil nicht entscheidungserheblich - offen gelassen. Die von Lauer in seiner Anmerkung (NStZ 00, 661 ff.) zu der Entscheidung aufgeworfenen Bedenken hinsichtlich eventueller Strafbarkeitslücken greifen bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht ein.
383.
39Der Beschuldigte ist ferner auch des ihm zur Last gelegten Betruges (§ 263 StGB) zum Nachteil der öffentlichen Hand dringend verdächtig. Soweit er dagegen mit Schriftsatz vom 27. September 2002 hat einwenden lassen, es sei nicht nachgewiesen, dass er aus den vorgeworfenen Taten überhaupt ein Einkommen erzielt habe, ist aus einem Schreiben zu zitieren, welches der Beschuldigte an einen Adressaten ("Liebe Amerikaner!") verfasst und auf der Festplatte seines Computers gespeichert hat. Dort heißt es auszugsweise wie folgt:
40"Ich habe eine Frage, sogar eine Bitte für Genja. Es geht um folgendes: Hier habe ich mit den Schengen-Visen etwas Kohle gemacht und ich möchte meine und die Wohnbedingung von Oma verbessern und mich mit Immobilien beschäftigen. Ich bekomme hier Sozialhilfe und möchte, dass dies so weiter läuft und kann auf meine oder Julias Name keine Immobilie registrieren. Sogar wenn Julia nach den Kursen arbeiten gehen würde, würde es keinen Sinn machen, weil ich verdiene viel mehr."
41Dies spricht für sich.
42B)
43Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, weil es aufgrund folgender Tatsachen wahrscheinlicher erscheint, dass sich der Beschuldigte dem Verfahren im Fall seiner Freilassung durch Flucht bzw. vorübergehendes Untertauchen entziehen, als dass er sich ihm stellen wird:
44Der Beschuldigte muss angesichts der Vielzahl der ausnahmslos Verbrechen (§ 92 b Abs. 1 AuslG) betreffenden Tatvorwürfe damit rechnen, dass im Falle der Verurteilung eine langjährige Freiheitsstrafe gegen ihn verhängt wird. Zwar kann grundsätzlich die Erwartung einer hohen Strafe nicht allein, sondern nur in Verbindung mit weiteren Umständen den Haftgrund der Fluchtgefahr begründen (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. OLG Köln StV 1997, 642). Die Straferwartung ist lediglich Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt ist, der Beschuldigte werde ihm mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nachgeben (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 112 Rn. 24). Andererseits ist der Fluchtanreiz, der von einer besonders hohen - wie hier fünf Jahre übersteigenden - Straferwartung ausgeht, so stark, dass es besonderer fluchthemmender Faktoren bedarf, um die Fluchtgefahr auszuräumen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2.08.2002 - 2 Ws 366/02 -; 1.03.2000 - 2 Ws 128/00).
45Den Lebensumständen des Beschuldigten lassen sich solche nachhaltig fluchthemmenden Umstände nicht entnehmen. Der Senat verkennt nicht, dass der Beschuldigte die deutsche Staatsangehörigkeit erworben, in Deutschland verheiratet und Vater eines - zudem erkrankten - Kindes ist. In der Wohnung der Familie in Köln ist der Beschuldigte auch festgenommen worden. Diese Umstände sind als fluchthemmende Faktoren in Betracht zu ziehen; die örtlichen und familiären Bindungen des Beschuldigten werden jedoch durch andere Gesichtspunkte deutlich relativiert. Er geriert sich als sog. "global player", d.h er macht grenzüberschreitende Geschäfte und verfügt über gut funktionierende Kontakte ins Ausland. Verifiziert sind diese in Bezug auf sein Herkunftsland Ukraine. Offenbar pflegt der Beschuldigte aber auch über geschäftliche Kontakte im Schengenausland bzw. versucht solche Beziehungen zu installieren. Das bereits zitierte Schreiben an den Adressaten beinhaltet das Angebot an diesen, in das lukrative Visa-Geschäft ("interessantes Geschäft in ihrem Tätigkeitsgebiet") einzusteigen. Von Herrn Queyssalier hat der Beschuldigte Räumlichkeiten offenbar im Ausland ("zwei Studios in der Residenz Rives de Courail") angemietet. Auch die familiären Bindungen des Beschuldigten in Deutschland stehen dem Fluchtanreiz jedenfalls nicht hinreichend entgegen. Die Ehefrau des Beschuldigten, die Mitbeschuldigte J. K., ist an den Straftaten offenbar in erheblicher Weise selbst beteiligt. Auch sie hat daher ein Interesse, sich dem Verfahren zu entziehen. Die Erkrankung des Sohnes der Eheleute Barg muss nicht notwendigerweise in Deutschland behandelt werden. Nach alledem besteht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Beschuldigte sich im Fall seiner Freilassung dem Verfahren durch die Flucht entziehen wird.
46Der Fluchtgefahr kann durch weniger einschneidende Maßnahmen im Sinne des § 116 Abs. 1 StPO derzeit nicht hinreichend begegnet werden, so dass der Haftbefehl auch nicht außer Vollzug gesetzt werden kann.
47Die Fortdauer der Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung des Verfahrens und der zu erwartenden Strafe nicht außer Verhältnis.
48C)
49Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO für die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft über 6 Monate hinaus liegen ebenfalls vor. Der besondere Umfang der Ermittlungen, welche mit hoher Intensität gegen einen großen Täterkreis geführt werden, hat eine Anklageerhebung und damit ein Urteil noch nicht zugelassen. Gegenstand der Ermittlungen ist der Verdacht äußerst umfangreicher Schlepperkriminalität, bei dem komplexe Bandenstrukturen mit teilweise unterschiedlichen Begehungsweisen aufzuklären sind. Wegen des Auslandsbezuges der Taten haben sich auch die Ermittlungen auf diesen Bereich zu erstrecken. Die von der Staatsanwaltschaft beabsichtigte Anklageerhebung noch in diesem Jahr begegnet daher aus zeitlichen Gesichtspunkten keinen Bedenken.
50D)
51Die Übertragung der weiteren Haftprüfung auf das nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Gericht beruht auf § 122 Abs. 3 S. 3 StPO.