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T a t b e s t a n d :
2Der Kläger - geboren 1956 - unterzog sich im April 1996 bei dem Beklagten - Facharzt für Urologie - aus Gründen der Familienplanung einer Vasektomie. Zuvor hatte der Beklagte im Rahmen einer Voruntersuchung bei ihm eine Nebenhodenentzündung rechts sowie eine Varikozele links festgestellt.
3Der Kläger wurde vom Beklagten mündlich und schriftlich über den geplanten Eingriff aufgeklärt, wobei der Beklagte dem Kläger mündlich die geplante Operation erläuterte und ihm den gesamten Text der Einwilligungs- und Verzichtserklärung vorlas. Wegen der Einzelheiten wird auf die schriftliche Einwilligungserklärung (Blatt 20 f. d. A.) Bezug genommen.
4Nach der Operation klagte der Kläger über Beschwerden. Der Beklagte stellte am 22.04.1996 eine beginnende Nebenhodenentzündung links mit einem leicht druckdolenten Nebenhodenkopf links fest. In der Folgezeit kam es zu einer leichten Schwellung links sowie einem etwas druckdolenten Hoden. Ansonsten war die Wundheilung ausweislich der Behandlungsunterlagen unauffällig. Bei zwei im Juni 1996 durchgeführten Kontrollspermiogrammen waren keine Spermien nachweisbar. Anlässlich einer Untersuchung bei einem anderen Arzt im September 1996 wurde eine Atrophie des linken Hodens festgestellt.
5Der Kläger hat zunächst behauptet, der Beklagte habe ihn bei der Operation und der Nachbehandlung fehlerhaft behandelt. Im Rahmen der Operation sei es zu einer Aderverletzung gekommen, die zu einer Hodenatrophie des linken Hodens geführt habe. Er sei über die bestehenden Risiken nicht ausreichend aufgeklärt worden.
6Der Kläger hat beantragt,
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9den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 15.04. bis 03.05.1996 zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichtes gestellt wird, mindestens jedoch 50.000,00 DM nebst 2,5 % Zinsen über dem jeweiligen Diskontsatz der deutschen Bundesbank, mindestens verzinslich jedoch mit 6 % seit dem 15.11.1996,
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12festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm auch allen materiellen Schaden der Vergangenheit und Zukunft sowie allen immateriellen weiteren Schaden zu ersetzen, der aus der fehlerhaften Behandlung in der Zeit vom 15.04. bis 03.05.1996 entstanden ist bzw. noch entstehen wird, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.
13Der Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er hat behauptet, den Kläger lege artis behandelt und auch ausreichend aufgeklärt zu haben.
16Nach Einholung von Sachverständigengutachten hat das Landgericht durch Urteil vom 1. September 2000, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, nach der durchgeführten Beweisaufnahme könnten Behandlungsfehler nicht festgestellt werden, und es sei auch nicht bewiesen, dass sich die Hodenatrophie erst infolge der Vasektomie ergeben habe. Der Kläger sei vor der Operation auch ordnungsgemäß über die möglichen Risiken einer Vasektomie aufgeklärt worden.
17Gegen dieses am 15. März 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 17. April 2000, einem Montag, Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. Juni 2000 am 16. Juni 2000 begründet.
18Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung seine erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Er stützt seine Berufung nicht mehr auf den Gesichtspunkt möglicher Behandlungsfehler, sondern vielmehr ausschließlich auf den Gesichtspunkt fehlerhafter Aufklärung. Insoweit vertritt er die Ansicht, der Beklagte habe ihn auf das im Hinblick auf die von ihm diagnostizierte Varikozele erhöhte Blutungsrisiko hinweisen müssen, und darauf, dass dieses erhöhte Blutungsrisiko auch die Gefahr einer durch eine Blutung verursachen Hodenatrophie begründe. Tatsächlich habe der Beklagte dies nicht getan. Bei ordnungsgemäße Aufklärung wäre er jedenfalls in einen Entscheidungskonflikt geraten und hätte sich, da es sich bei der vom Beklagten durchzuführenden Operation um eine selektive Operation gehandelt habe, für eine andere Verhütungsmethode entschieden. In diesem Falle wäre auch die bei ihm eingetretene Hodenatrophie zu vermeiden gewesen. Es habe bei ihm nicht etwa bereits vor der Operation eine Verkleinerung eines Hodens vorgelegen.
19Der Beklagte tritt unter Aufrechterhaltung seines Klageabweisungsantrages dem Vorbringen des Klägers in allen Punkten entgegen und vertritt die Ansicht, die Möglichkeit einer Hodenatrophie sei nicht aufklärungspflichtig gewesen, da es sich hierbei nicht um ein Risiko der von ihm durchgeführten Vasektomie handele. Mit der Varikozele sei kein erhöhtes Blutungsrisiko verbunden gewesen.
20Wegen des weiteren Parteivorbringen wird auf die beiderseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Bezug genommen wird ferner auf das Ergebnis der in zweiter Instanz durchgeführten Beweisaufnahme nämlich das gemäß Beweisbeschluss des Senats vom 6. November 2000 erstattete mündliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. R. vom 30. Mai 2001 sowie das schriftliche Ergänzungsgutachten dieses Sachverständigen vom 2. November 2001.
21E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
22Die zulässige Berufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.
23Nachdem der Kläger in der Berufungsinstanz keine Behandlungsfehler mehr rügt, war nur noch darüber zu entscheiden, ob der Kläger durch den Beklagten vor Durchführung der Vasektomie in ausreichender Weise über die hiermit verbundenen Risiken aufgeklärt worden ist. Dies bejaht der Senat vor dem Hintergrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. in der Berufungsinstanz.
24Entgegen der Ansicht des Klägers war der Beklagte nicht gehalten, den Kläger auf die Möglichkeit des Eintretens einer Hodenatrophie nach Durchführung der Vasektomie hinzuweisen. Die Gefahr einer Hodenatrophie nach Vasektomie ist nach den eindeutigen und den Senat in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen kein aufklärungspflichtiges Risiko. Der Sachverständige hat mit aller Deutlichkeit erklärt, in der gesamten wissenschaftlichen Literatur sei kein einziger Fall einer Hodenatrophie nach einem Eingriff der vorliegenden Art beschrieben. Zwar sei rein denktheoretisch eine Ursachenkette dergestalt vorstellbar, dass sich eine Hodenatrophie nach einem Hodeninfarkt einstelle, die auf einer Hodenentzündung beruht, die ihrerseits sich wiederum aus einer Nebenhodenentzündung entwickele. Eine derartige, gänzlich unwahrscheinliche, und im Grunde nur hypothetische Ursachenkette begründet jedoch keine Aufklärungspflicht. Zwar sind nach der Rechtsprechung unter Umständen auch sehr seltene Risiken aufklärungspflichtig, nämlich über solche, die, wenn sie sich verwirklichen, die Lebensführung schwer belasten und die trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch sind (BGH VersR 1980, 428; OLG Köln, VersR 1998, 1510). Ein Risiko, welches in der wissenschaftlichen Literatur aber überhaupt noch nicht beschrieben, sondern nur als rein hypothetische Möglichkeit vorstellbar ist, gehört jedoch nicht in den aufklärungspflichtigen Kanon; eine dahingehende Anforderung würde Sinn und Zweck einer Aufklärung des Patienten unterlaufen. Diesem sollen nämlich durch die Aufklärung die Vor- und Nachteile einer Behandlung oder eines operativen Eingriffes in sachgerechter Weise dergestalt vermittelt werden, dass er in die Lage versetzt wird, das Für und Wider des vorgesehen Eingriffs vernünftig gegeneinander abzuwägen und auf dieser Grundlage seine Entscheidung für oder gegen (beispielsweise) eine Operation zu treffen. Eine Risikomöglichkeit, die nur über eine Kette von Hypothesen denkbar ist und sich tatsächlich nach den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. noch nie - jedenfalls in der wissenschaftlichen Literatur nicht beschrieben - verwirklicht hat, muss dem Patienten jedoch nicht vor Augen geführt werden. Bei sachbezogener und vernünftiger Überlegung wird ein verständig denkender Patient eine solche rein hypothetische, tatsächlich jedoch noch nicht realisierte Möglichkeit nämlich nicht in seine Abwägung des Für und Wider im Bezug auf eine operative Maßnahme einbeziehen.
25Auch im übrigen ist eine Verletzung der Risikoaufklärungspflicht des Beklagten nicht festzustellen. So war der Beklagte nicht gehalten, den Kläger auf ein vor dem Hintergrund des Vorliegens einer Varikozele anzunehmendes erhöhtes Blutungsrisiko hinzuweisen. Dass es bei jeglicher Operation zu Blutungen kommen kann, liegt auf der Hand und ist auch medizinischen Laien durchgängig bekannt, so dass es einer diesbezüglichen Aufklärung nicht bedarf. Aus dem Vorliegen einer Varikozele resultierte entgegen der Ansicht des Kläger kein erhöhtes Blutungsrisiko, auf welches hinzuweisen gewesen wäre. Der Sachverständige Prof. Dr. R. hat sowohl im Rahmen seines mündlich erstatteten Gutachtens als auch in dem schriftlichen Ergänzungsgutachten mit nachvollziehbarer Begründung klargestellt, dass und weshalb das Vorliegen einer Varikozele für sich alleine keine erhöhte Blutungsgefahr begründete. Begründet hat er dies damit, es handele sich bei einer Varikozele um eine Krampfader, die gut in den Griff zu bekommen sei. Entweder blute sie, dann koaguliere man bzw. unterbinde, anderenfalls gebe es ohnehin kein Problem. Im übrigen könne eine solche Blutung auch nicht zu einer Hodenatrophie führen. Krampfadern seien nämlich Venen, deren Unterbindung eine Atrophie im Regelfall nicht auslösen könne. Allenfalls bei einer schweren Einblutung in den Hodensack könne eine Atrophie ausgelöst werden, derart massive Einblutungen, wie sie Voraussetzung für das Entstehen einer Atrophie sein könnten, kämen intraoperativ aber so gut wie nicht vor. Eine solche erhöhte Blutungsgefahr und insbesondere eine hieraus resultierende Möglichkeit einer Hodenatrophie war demzufolge kein ausklärungspflichtiges Risiko.
26Zwar hat der Sachverständige sowohl im Rahmen seines mündlichen als auch seines schriftlichen Ergänzungsgutachtens klargestellt, dass es sich bei einer Nebenhodenentzündung nach Vasektomie um ein aufklärungspflichtiges Risiko handele. Dies gilt allerdings nicht unter dem Gesichtspunkt einer hieraus resultierenden Hodenatrophie. Wie dargelegt, ist vielmehr eine Kausalkette: "Hodenatrophie nach Hodeninfarkt nach Hodenentzündung nach Nebenhodenentzündung" nur als denktheoretisches hypothetisches Modell vorstellbar, tatsächlich jedoch in der wissenschaftlichen Literatur und Fallbeschreibung nicht beschrieben. Eine rein hypothetisch vorstellbare Kausalkette gehört jedoch nicht zu den aufklärungspflichtigen Risiken. In sofern mag - was der Senat dahinstehen lässt - allenfalls die Möglichkeit einer sich als (seltene) Komplikation darstellenden Hodenentzündung zur sachgerechten Aufklärung zu rechnen sei, keinesfalls aber die sich aus einer Hodenentzündung entwickelnde Hodenatrophie.
27Soweit tatsächlich über das an sich aufklärungspflichtige Risiko einer Nebenhodenentzündung vorliegend seitens des Beklagten nicht aufgeklärt worden ist, führt dies gleichwohl nicht zu einer Haftung des Beklagten. Wie auch der Kläger ausweislich der Ausführungen in der Berufungsbegründung selbst nicht verkennt, hätte er nämlich nachweisen müssen, dass es ohne den mangels ausreichender Aufklärung über die Gefahr einer Nebenhodenentzündung insoweit rechtswidrigen Eingriff zu dem Schaden, also der Atrophierung des linken Hodens - nicht gekommen wäre. Dies kann vor dem Hintergrund der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. R. jedoch nicht angenommen werden. Wie nämlich bereits wiederholt dargelegt, wäre eine Kausalkette von einer infolge einer Vasektomie eintretenden Nebenhodenentzündung zu einer letztendlichen Hodenatrophierung nur als denkhypothetisches Modell möglich, tatsächlich ist eine solche kausale Abfolge jedoch in der wissenschaftlichen Literatur, worauf der Sachverständige wiederholt und mit Nachdruck hingewiesen hat, in keinem einzigen Fall beschrieben. Dies verdeutlicht, dass diese Kausalkette in der Tat ausschließlich theoretischer Natur ist und keinen konkreten Aktualitätsbezug hat. Mit anderen Worten: es kann vor dem Hintergrund der Ausführungen des Sachverständigen gerade nicht davon ausgegangen werden, dass das Risiko, über welches der Kläger nicht aufgeklärt worden ist und welches sich bei ihm in der Tat verwirklicht hat, nämlich eine Nebenhodenentzündung am linken Hoden, ursächlich für die Atrophierung des linken Hodens war, aus welchem Umstand der Kläger seinen Anspruch auf Schmerzensgeld herleitet. Wenn tatsächlich kein einziger Fall bekannt ist, in dem sich aufgrund einer Nebenhodenentzündung nach einer Vasektomie im Ergebnis eine Hodenatrophie eingestellt hat, so kann - und der Sachverständige Prof. Dr. R. hat dies wiederholt bestätigt - eine Ursächlichkeit zwischen einer Vasektomie mit konsekutiver Nebenhodenentzündung und einer Hodenatrophie nicht festgestellt werden.
28Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine Haftung des Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Aufklärungspflicht über die Möglichkeit einer Nebenhodenentzündung auch deshalb nicht in Betracht kommt, weil der Kläger - bezogen hierauf - keinen plausiblen Entscheidungskonflikt nachvollziehbar vorgetragen hat. Selbst wenn der Beklagte den Kläger auf die Möglichkeit einer Nebenhodenentzündung hingewiesen hätte, so ist nicht ersichtlich, dass und weshalb der Kläger sich allein wegen dieses Hinweises einem Entscheidungskonflikt hinsichtlich der Durchführung der Vasektomie, die er schließlich aus Gründen der Familienplanung wünschte, ausgesetzt gesehen hätte. Auf die Möglichkeit einer Hodenatrophie brauchte der Beklagte im Sinne einer weiteren denkbaren Folge aus den dargelegten Gründen nicht hinzuweisen. Eine Nebenhodenentzündung als solche war jedoch ein in jeder Hinsicht beherrschbares Risiko, was auch dem Kläger bekannt war, weil er ausweislich der Behandlungsunterlagen bereits zuvor an einer Nebenhodenentzündung rechts gelitten hatte, ohne dass ihn dies in seiner Lebensführung nennenswert beeinträchtigt hätte, dies umso weniger vor dem Hintergrund der Tatsache, dass eine Nebenhodenentzündung unter antibiotischer Behandlung ohne weiteres ausheilbar ist. Letztlich kommt es allerdings auf das Verneinen eines Entscheidungskonfliktes bzw. des diesbezüglichen plausiblen Vortrages nicht entscheidend an, weil eine Haftung des Beklagten schon aus den zuvor dargelegten Gründen ausscheidet.
29Die Berufung des Klägers war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
30Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Zif. 10, 711, 108 ZPO.
31Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.).
32Berufungsstreitwert und Wert der Beschwer des Klägers: 35.790,43 EUR (=70.000 DM = 50.000 DM + 20.000 DM).