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Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Verurteilten wird für das auf den Widerrufsantrag vom 08.05.2002 hin eingeleitete Vollstreckungsverfahren Rechtsanwalt R. in K. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten hierin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zutragen.
G r ü n d e
2I.
3Durch Urteil des Landgerichts Köln vom 30. Oktober 1997 wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und wegen vorsätzlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sieben Monaten verhängt, deren Vollstreckung auf die Dauer von 3 Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde.
4In einem nachfolgenden Widerrufsverfahren zunächst wegen Nichtzahlung der dem Verurteilten auferlegten Geldbuße, sodann wegen erneuter Verurteilung durch das Amtsgericht Köln vom 6. April 1999 (Vergewaltigung in minder schwerem Fall in Tateinheit mit Körperverletzung; Verhängung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten), in dem der Verurteilte noch anwaltlich vertreten gewesen war, wurde mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Köln vom 17. November 1999 ein Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt und die Bewährungszeit um ein Jahr verlängert. Ergänzend wurde dem Verurteilten hierbei die Weisung erteilt, sich nach der Entlassung aus anderweitiger Strafhaft einer psycho-therapeutischen Behandlung zu unterziehen.
5Aufgrund einer erneuten Verurteilung durch das Amtsgericht Köln vom 28. Juni 2001 (Trunkenheit im Verkehr; Verhängung einer Geldstrafe) wurde durch Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Köln vom 8. Oktober 2001 die Bewährungszeit nochmals um ein Jahr verlängert; sie endet nach dem derzeitigen Sachstand am 4. November 2002.
6Durch Urteil des Amtsgerichts Köln vom 28. Februar 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 10,00 € verhängt. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft unter dem 8. Mai 2002 den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil vom 30. Oktober 1997 beantragt. Für den Verurteilten hat sich mit Schriftsatz vom 22. Mai 2002 Rechtsanwalt R. bestellt und zugleich seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Hierbei und mit weiterem Schriftsatz vom 1. Juni 2002 hat der Verteidiger schriftliche Unterlagen – unter anderem einen psychotherapeutischen Bericht des Dipl.-Psychologen P. – vom 29. Mai 2002 vorgelegt, zu welchem die Staatsanwaltschaft ihrerseits mit Verfügung vom 7. Juni 2002 Stellung genommen hat.
7Durch Beschluss vom 11. Juni 2002 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag, Rechtsanwalt R. als „notwendigen Verteidiger“ beizuordnen, zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich Rechtsanwalt R. – der insoweit seinem Wahlmandat wieder aufgenommen und anschließend erneut niedergelegt hat – für den Verurteilten mit der Beschwerde vom 20. Juni 2002, welcher die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. Juni 2002 nicht abgeholfen hat.
8II.
9Das gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Rechtsmittel erweist sich als begründet. Wegen der Besonderheiten des vorliegenden Vollstreckungsverfahrens ist dem Verurteilten antragsgemäß in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO Rechtsanwalt R. als Pflichtverteidiger beizuordnen.
10Zutreffend ist der Ausgangspunkt des angefochtenen Beschlusses, dass zum einen die anstehende Entscheidung für den Verurteilten von erheblicher Bedeutung sein muss, dass aber zum anderen auch die Sach- und Rechtslage schwierig bzw. der Betroffene zur eigenen Verteidigung nicht hinreichend in der Lage sein muss. Hinsichtlich der erheblichen Bedeutung kann dahinstehen, ob eine Pflichtverteidigung im Strafvollstreckungssachen für ein Widerrufsverfahren immer dann geboten ist, wenn (wie hier) noch mehr als ein Jahr Freiheitsstrafe zu verbüßen ist (so Laufhütte in Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 141 Rn. 10 m. w. N.); der Senat neigt dieser Auffassung in dieser Allgemeinheit nicht zu. Jedenfalls aber weist das vorliegend anstehende Verfahren Besonderheiten auf, die die Sach- und Rechtslage doch als von solchem Schwierigkeitsgrad erscheinen lassen, dass sich der Verurteilte allein nicht hinreichend verteidigen kann:
11Nachdem schon zweimal eine Verlängerung der Bewährungszeit ausgesprochen worden ist (wobei der Verurteilte in dem ersten Widerrufsverfahren bis hin zu dem Beschluss vom 17. November 1999 sehr wohl noch durch einen Verteidiger vertreten war), ist es für die vorliegend zu treffende Entscheidung (wie auch schon für den vorangegangenen Verlängerungsbeschluss vom 8. Oktober 2001) zunächst von Bedeutung, ob die von dem Verurteilten zuletzt begangenen Verkehrsdelikte überhaupt in dem Sinne einschlägig sind, dass hieraus abgeleitet werden kann, dass sich im Sinne des § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB die Erwartung, die der Strafaussetzung bei der Verurteilung wegen Vergewaltigung zu Grunde lag, nicht erfüllt hat (vgl. hierzu Stree in Schönke-Schröder, StGB, 26. Aufl., § 56 f Rn. 4). Weiterhin handelt es sich bei dem Urteil des Amtsgerichts Köln vom 28. Februar 2002, das Anlass für den jetzigen Widerrufsantrag ist, um ein nach § 267 Abs. 4 StPO abgekürztes Urteil; aber auch der beigefügten Anklage vom 25. Juni 2001 sind nähere Einzelheiten zum Tatgeschehen nicht zu entnehmen. Die Strafvollstreckungskammer wird daher zu prüfen haben, ob eine Beiziehung der Akte 408 Js 1038/01 erforderlich ist, um die Umstände der erneuten Straftat zu klären. Akteneinsicht insoweit bliebe dann aber einem Verteidiger vorbehalten. Schließlich geht es aber insbesondere darum, dass aufgrund des von dem jetzigen Verteidiger vorgelegten psycho-therapeutischen Berichts (auch auf der Grundlage der mit Beschluss vom 17. November 1999 auferlegten Therapieweisung) zu beurteilen sein wird, ob die Entwicklung des Verurteilten während der letzten Jahre und im Anschluss an seine Strafverbüßung aufgrund der Verurteilung vom 16. April 1999 jedenfalls eine hinreichend günstige Prognose aufweist, aufgrund derer nach § 56 f Abs. 2 StGB doch noch einmal von einem Widerruf abgesehen werden könnte. Die Zweifel der Staatsanwaltschaft dazu, was „zwischen den Zeilen“ diesem psychotherapeutischen Bericht des Dipl.-Psychologen P. zu entnehmen sein könnte, geben für die Strafvollstreckungskammer Veranlassung, zur Prognosefrage – sofern doch zunächst die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB angenommen werden – selbst ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben. Angesichts der Höhe der bei einem etwaigen Widerruf zur Vollstreckung anstehenden Strafe und des Zeitablaufs seit der ursprünglichen Verurteilung wäre eine solche Sachverständigenbeauftragung durchaus verhältnismäßig. Die dann notwendige Würdigung eines solchen Sachverständigengutachtens aus der Sicht der Verteidigung kann der Verurteilte nicht persönlich leisten; insoweit ist der Beistand durch einen (Pflicht-) Verteidiger geboten.
12Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.