Datum:
30.01.2002
Gericht:
Oberlandesgericht Köln
Spruchkörper:
13. Zivilsenat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
13 U 82/01
ECLI:
ECLI:DE:OLGK:2002:0130.13U82.01.00
Vorinstanz:
Landgericht Aachen, 10 O 476/00
Tenor:
I. Die Berufung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2. und 3. gegen das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Aachen vom 3. Mai 2001 - 10 O 476/00 - wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten beider Instanzen werden wie folgt verteilt:
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1. trägt der Kläger zu 83% allein und zu weiteren 17% als Gesamtschuldner mit den Widerbeklagten zu 2. und 3.
Ihre eigenen außergerichtlichen Kosten tragen der Kläger und die Widerbeklagten zu 2. und 3. selbst.
Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. und 3. trägt der Kläger.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
1E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
2Die Berufung des Klägers und der Widerbeklagten zu 2. und 3.
bleibt erfolglos. Das Landgericht hat die Klage zu Recht als
unbegründet abgewiesen und der Widerklage der Beklagten zu 1. bis
auf eine geringfügige Kürzung im Zinsausspruch stattgegeben. In
Übereinstimmung mit dem Landgericht kommt auch der Senat in
Abwägung der feststehenden unfallursächlichen Umstände gemäß §§ 17
Abs.1, 18 Abs.3 StVG zu einer Alleinhaftung des Klägers und der
Widerbeklagten. Die Angriffe der Berufung geben dem Senat keine
Veranlassung zu einer anderen Beurteilung:
3
- Das Landgericht hat das Unfallereignis in der sog. Boxengasse -
ein Weg, zu dessen beiden Seiten sich Materialboxen befinden - auf
dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1., die dort eine
Produktionsstätte für Baustoffe betreibt (Mischwerk), zu Recht
nicht nach den Vorschriften der StVO, sondern nach den
Besonderheiten der gegebenen örtlichen Verhältnisse und der diesen
Verhältnissen Rechnung tragenden Vorfahrtsregelung durch die
Beklagte zu 1. beurteilt. Die Vorschriften der StVO finden hier
weder unmittelbare noch entsprechende Anwendung.
4
- Für die Frage, ob und in welcher Weise die Vorschriften der
StVO auf nicht öffentliche Verkehrsflächen entsprechend anzuwenden
sind, ist zunächst zu unterscheiden, ob "faktische Öffentlichkeit"
vorliegt, d.h. die betreffende Verkehrsfläche zwar nicht notwendig
jedermann, aber einem weitgehend unbestimmten Personenkreis offen
steht (wie z.B. auf einem Baumarkt, einem Großmarktgelände,
Firmenparkplätzen, Werksgelände mit Publikumsverkehr), oder ob die
Benutzung der Verkehrsfläche auf einen ganz bestimmten, fest
umrissenen Personenkreis beschränkt ist, der in einer
individualisierbaren Beziehung zum Verfügungsberechtigten steht
(nicht öffentlicher Verkehr im engeren Sinne). Das
Produktionsgelände der Beklagten zu 1. gehört in die letztgenannte
Kategorie. Denn der externe Verkehr auf dem Gelände wird von einer
begrenzten Anzahl gewerblicher Anlieferer des Produktionsmaterials
und/oder Abholer der Mischprodukte geprägt, deren Fahrer mit den
dortigen Verhältnissen bestens vertraut sind (so befand sich auch
der Widerbeklagte zu 2. mit dem LKW des Klägers allein am Unfalltag
bereits zum achten Mal dort). Publikumsverkehr wie auf einem
Baumarkt (hierzu verhält sich die von der Berufung angeführte
Entscheidung des Senats vom 06.08.1986 - 13 U 55/86 -, VersR 1988,
194 = DAR 1988, 163 = VRS 1988, Bd. 74, S. 249) findet dort nicht
statt. Allein durch eine hohe Verkehrsfrequenz - nach der
Darstellung des Klägers ca. 80 LKWs täglich - wird kein
"allgemeiner Verkehr" eröffnet, wie der Kläger meint. Zwar mögen
auch auf Werksstraßen, die keinem tatsächlich öffentlichen Verkehr
dienen, nach Maßgabe der jeweiligen Verhältnisse einzelne Regeln
der StVO entsprechende Anwendung finden, wenn von dem
Verfügungsberechtigten nichts anderes bestimmt ist (oder er sogar
Verkehrszeichen nach dem Muster der Anlage zur StVO angebracht hat;
hierzu verhält sich die Entscheidung des Senats vom 23.06.1993 - 13
U 59/93 -, OLGR 1993, 306). Dem Verfügungsberechtigten bleibt es
jedoch unbenommen, von der StVO abweichende Verkehrsregelungen zu
treffen, die dann bei der zivilrechtlichen Beurteilung von
Schadensfällen zu berücksichtigen sind.
5
- Im Übrigen richten sich die bei der Führung von Kraftfahrzeugen
im nicht öffentlichen Verkehr zu beachtenden Sorgfaltspflichten
maßgeblich nach den Anforderungen der Verkehrslage und den
jeweiligen örtlichen Verhältnissen. Die Auffassung der Berufung,
Normzweck sowie Interessenlage seien in concreto mit einer
Verkehrssituation vergleichbar, wie sie den Zielen der StVO
zugrunde liegen (Seite 7 der Berufungsbegründung), wird den
gegebenen Verhältnissen nicht gerecht. Je deutlicher die Funktion
der Verkehrsfläche als Arbeitsbereich und der Einsatz eines
Kraftfahrzeugs als Arbeitsmaschine im Vordergrund steht, um so mehr
treten Verhaltensregeln zurück, die dem "fließenden Verkehr"
Vorrang einräumen. Dem trägt das angefochtene Urteil zutreffend
Rechnung. Zwar war die Durchfahrt durch die sog. Boxengasse für
LKWs, die von dem höher gelegenen Betriebsgelände aus
Schüttmaterial in eine der Boxen abgeladen hatten, der kürzeste Weg
zur Werksausfahrt. Er war auch nicht zur Durchfahrt - sei es
generell oder bei Aufenthalt des Radladers in der Boxengasse -
gesperrt. Bei der sog. Boxengasse stand jedoch, wie das Landgericht
mit Recht hervorhebt, erkennbar die Funktion als Arbeitsbereich des
Radladers im Vordergrund, so dass jedenfalls so lange, wie der
Radlader in dem betreffenden Bereich tätig war, die Funktion als
Verkehrsfläche für den LKW-Verkehr zurücktrat. Dementsprechend war
am Heck des Radladers deutlich sichtbar ein Schild mit der
Aufschrift "Radlader hat Vorfahrt" angebracht. Ob auch noch an der
Einfahrt zu dieser Boxengasse ein zusätzliches Schild mit der
Aufschrift "Radlader hat Vorfahrt" angebracht war, mag dahinstehen.
Angesichts der Häufigkeit der Fahrten des Widerbeklagten zu 2. auf
dem Werksgelände der Beklagten zu 1. kann jedenfalls kein Zweifel
daran bestehen, dass ihm diese Vorfahrtsregelung bekannt sein
musste und auch bekannt war (so heißt es denn auch in dem von ihm
mitunterzeichneten Schadensprotokoll, Bl. 104 GA: "Auf dem Lader
und auf dem Fa.-Gelände stehen Schilder mit der Aufschrift:
‚Lader hat Vorfahrt'."). Die Regelung "Lader hat Vorfahrt"
lässt sich auch nicht, wie die Berufung unverständlicherweise
meint, auf den "vorwärtsfahrenden" Radlader beschränken, sondern
betrifft auch und gerade die Gefahren, die beim Rückwärtsfahren des
Radladers für den "Durchgangsverkehr" entstehen. Gerade weil die
Arbeitsvorgänge des Radladers in den Boxen, insbesondere beim Auf-
und Hochschieben des Schüttmaterials, mit ständig wiederkehrenden
Vor- und Rückwärtsfahrbewegungen verbunden sind, bei denen der
Radlader immer wieder die Fahrgasse mehr oder weniger vollständig
blockiert, würde es eine unzumutbare Erschwerung bedeuten, wenn der
Fahrer des Radladers vor jedem Rücksetzen Umschau halten müsste, ob
die Boxengasse frei ist oder sich dort ein LKW nähert.
6
- Das Landgericht hat dem Widerbeklagten zu 2. hiernach mit Recht
das Alleinverschulden an dem Unfall angelastet. Als sich der
Widerbeklagte zu 2. mit dem LKW des Klägers dem Bereich der
Boxengasse näherte, in dem der Radlader im Einsatz war, soll sich
dieser noch vor den Boxen befunden haben. Deshalb habe er - der
Widerbeklagte zu 2. - seine Geschwindigkeit gedrosselt, um
abzuwarten, wie sich der Lader weiter verhalten würde. Als er dann
gesehen habe, dass der Lader in eine der letzten Boxen auf der
linken Seite der Boxengasse vorwärts hineinfuhr, habe er sich
entschlossen, äußerst rechts daran vorbei zu fahren. Noch bevor er
sich völlig in Höhe des Laders befunden habe, habe dieser wieder
unvermittelt rückwärts gesetzt (im Winkel von 90 zur Boxengasse).
Er - der Widerbeklagte zu 2. - habe darauf noch mit einer Bremsung
reagiert (die Bremsspur habe höchstens 1 Meter betragen), jedoch
nicht mehr vermeiden können, dass ihm der Lader in die linke Seite
des Fahrerhauses gefahren sei. Ausgehend von der oben (unter 1.)
dargestellten Rechtslage folgt aus dieser eigenen Schilderung des
Unfallhergangs, dass der Widerbeklagte zu 2. die Vorfahrt des
Beklagten zu 3. (Fahrer des Radladers) verletzt hat. Dies geschah
schuldhaft. Der Widerbeklagte zu 2. hätte nicht - jedenfalls nicht
ohne eindeutige Verständigung mit dem Beklagten zu 3. - an dem
Radlader vorbeifahren dürfen. Wenn er blindlings darauf vertraute,
der Radlader werde sich schon so lange in der Box aufhalten, dass
er in der Zwischenzeit gefahrlos daran vorbeifahren könne, so
geschah dies auf eigenes Risiko. Von einem schutzwürdigen Vertrauen
des Widerbeklagten zu 2. kann keine Rede sein. Wie lange sich der
Radlader in der Box aufhielt, war nicht vorherzusehen. Bei einem
bloßen Aufschieben des Materials im Einfahren in die Box schließt
sich unmittelbar das Rückwärtssetzen an. Damit musste der
Widerbeklagte zu 2. rechnen. Unabhängig davon, ob der Beklagte zu
3., als er sich noch in der Boxengasse befand, den abwartenden LKW
des Klägers wahrgenommen hat, durfte er darauf vertrauen, dass der
Widerbeklagte zu 2. die Vorfahrt des Radladers in diesem
Arbeitsbereich beachten würde, solange er keine gegenteiligen
Anhaltspunkte hatte. Solche zeigt auch die Berufung nicht auf. Ein
Verstoß gegen die Rückschaupflicht ist dem Beklagten zu 3. nicht
vorzuwerfen. Nach seinen Angaben hat er vor dem Zurücksetzen in den
Rückspiegel geschaut; dass zu diesem Zeitpunkt die Boxengasse
hinter ihm noch frei war, ist nicht zu widerlegen. Zu
weitergehenden Maßnahmen, wie etwa einer Umschau, war er jedenfalls
nicht verpflichtet.
7
- Dem Landgericht ist auch im Ergebnis der nach §§ 17 Abs.1, 18
Abs.3 StVG vorgenommenen Ursachenabwägung unter Einbeziehung der
von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr zuzustimmen. Die
in § 7 StVG geregelte Gefährdungshaftung für den Betrieb von
Kraftfahrzeugen erfasst auch Unfälle auf - rechtlich wie faktisch -
nicht öffentlichen Wegen, unabhängig davon, ob und inwieweit die
Vorschriften der StVO entsprechende Anwendung finden. Der Radlader,
der Fahrgeschwindigkeiten bis zu 37 km/h (vorwärts) bzw. 38 km/h
(rückwärts) erreicht, fällt weder unter die Ausnahmeregelung des §
8 StVG noch unter diejenige des § 18 Abs.2 Nr.1 StVZO für
"selbstfahrende Arbeitsmaschinen ....., die zu einer vom
Bundesministerium für Verkehr ..... bestimmten Art solcher
Fahrzeuge gehören" (jedenfalls ist eine solche Anerkennung durch
den Bundesminister für Verkehr von den Beklagten nicht belegt). Das
im Hinblick auf den Schutzzweck des § 7 Abs.1 StVG weit zu fassende
Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" ist erfüllt,
wenn das Schadensgeschehen durch die von dem Kraftfahrzeug
ausgehende Gefahr mitgeprägt worden ist. Erforderlich ist
allerdings, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des
Kraftfahrzeugs als einer der Fortbewegung und dem Transport
dienenden Maschine besteht. Eine Haftung nach § 7 StVG entfällt
daher, wo die Fortbewegungs- und Transportfunktion des
Kraftfahrzeugs keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch
als Arbeitsmaschine eingesetzt wird (BGH, NZV 1991, 185). Eine
Verbindung mit dem "Betrieb" als Kraftfahrzeug bleibt jedoch
erhalten, wenn eine fahrbare Arbeitsmaschine während der Fahrt
bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet (BGH, a.a.O. - Mähen des
Mittelstreifens einer Autobahn). Unter diesem
Schutzzweckgesichtspunkt entfällt auch hier eine Gefährdungshaftung
der Beklagten nicht völlig. Der im Vordergrund stehende, auch die
Boxengasse als Arbeitsbereich umfassende Einsatz des Radladers als
Arbeitsmaschine ist jedoch bei der Abwägung der unfallursächlichen
Betriebsvorgänge zu berücksichtigen und rechtfertigt es daher, in
der konkreten Situation die Betriebsgefahr des Radladers gegenüber
der durch Alleinverschulden des Widerbeklagten zu 2. erhöhten
Betriebsgefahr, die von dem wartepflichtigen LKW des Klägers
ausging, im Ergebnis vollständig zurücktreten zu lassen.
8
- Abschließend bleibt noch festzuhalten, dass auch ein von der
Berufung ergänzend angeführter vertraglicher Schadensersatzanspruch
wegen Verletzung von Schutzpflichten aus dem Transportvertrag zu
keiner anderen Beurteilung führt. Die Beklagten zu 1. und 2. waren
nicht verpflichtet, die Boxengasse generell oder während des
dortigen Arbeitseinsatzes des Radladers für den LKW-Verkehr zu
sperren oder zur Sicherung jenes Verkehrs eigens einen Einweiser
einzusetzen. "Gefahrvoll" war der Weg für den LKW-Verkehr nur bei
Nichtbeachtung der Vorfahrt des Radladers.
9
- Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass kein
gesetzlicher Grund besteht, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs.2
ZPO n.F.). Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§
91, 97 Abs.1, 708 Nr.10, 713 ZPO. Bei der Kostenentscheidung hat
der Senat aus Berichtigungsgründen (gemäß § 319 ZPO) auch die
Kosten der ersten Instanz einbezogen.
10Streitwert: 6.723,92 EUR (davon entfallen 5.580,83 EUR auf die
Klage und 1.143,09 EUR auf die Widerklage).