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Das angefochtene Urteil wird mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Gummersbach zurückverwiesen.
G r ü n d e :
2Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß den §§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO zu einer Geldbuße von 250,00 DM und zu einem Fahrverbot von einem Monat verurteilt. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3"Am 28.01.1999 befuhr der Betroffene gegen 08.05 Uhr mit seiner Ehefrau mit seinem Pkw Audi .. - .. ... die H.straße in Gummersbach und musste verkehrsbedingt an der Straßenkreuzung H.straße/W.-B.-Allee noch vor der Lichtzeichenanlage halten. Direkt hinter dem Betroffenen befand sich der Pkw mit den Zeugen W. und H. , der ebenfalls anhalten musste.
4In den Kreuzungsbereich war bereits ein Omnibus eingefahren, um nach links abzubiegen. Da der Omnibus jedoch den vorrangigen geradeaus fahrenden Gegenverkehr passieren lassen musste, versperrte er für den ihm nachfolgenden Verkehr den Kreuzungsbereich. Der Betroffene musste so noch vor der Lichtzeichenanlage warten. Erst als die Lichtzeichenanlage auf "Rot" umsprang, räumte der Omnibus die Kreuzung. Ohne auf die für ihn noch sichtbare Lichtzeichenanlage zu achten, fuhr der Betroffene sodann in den Kreuzungsbereich ein und bog nach rechts in die W.-B.-Allee ab. Zu dem Zeitpunkt, als der Betroffene die Lichtzeichenanlage passierte, zeigte diese bereits seit 2 bis 3 Sekunden "Rot". Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer trat jedoch nicht ein."
5In der Beweiswürdigung hat das Amtsgericht u. a. ausgeführt:
6"Zur Erforschung der Wahrheit hielt es das Gericht gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht erforderlich, dem von der Verteidigung gestellten Beweisantrag nachzugehen, ob zum Tatzeitpunkt vor der Lichtzeichenanlage eine Haltelinie auf der H.straße war. Zum einen trifft dies keine Aussage darüber, ob der Betroffene die Lichtzeichenanlage bei "Rot" passiert hat oder nicht. Zum anderen ist dieser Beweisantrag auch nicht geeignet, die Überzeugung des Gerichts von der Glaubwürdigkeit der Zeugen W. und H. zu erschüttern, die beide im Hauptverhandlungstermin bekundeten, sie meinten zwar, dass sich dort zum Tatzeitpunkt noch eine Haltelinie befunden hätte, waren sich bei Nachfrage aber nicht sicher. Diese Unsicherheit haben sie im Termin eingeräumt."
7Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Die Feststellungen des Amtsgerichts sind materiell-rechtlich unvollständig und ermöglichen dem Rechtsbeschwerdegericht nicht die Überprüfung, ob das Amtsgericht rechtsfehlerfrei von einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG) ausgegangen ist.
8Dem Zusammenhang der Urteilsgründe kann entnommen werden, dass das Amtsgericht den Tatbestand der laufenden Nummer 34.2 der BKatV angenommen hat, also einen Rotlichtverstoß "bei schon länger als einer Sekunde andauernden Rotphase eines Wechsellichtzeichens" seinem Rechtsfolgenausspruch zugrunde gelegt hatte. Bei diesem Tatbestand sieht die BKatV eine Regelbuße von 250,00 DM und ein Regelfahrverbot von einem Monat vor, so dass nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BKatV eine grobe Pflichtwidrigkeit im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG indiziert wird.
9In der Rechtsprechung ist inzwischen allgemein anerkannt, dass für die Berechnung der Rotlichtdauer grundsätzlich der Zeitpunkt maßgebend ist, in dem das Fahrzeug des Betroffenen die Haltelinie überfährt (BayObLG NZV 1994, 200; OLG Düsseldorf VRS 95, 133; OLG Hamm DAR 1999, 226; SenatsE NZV 1995, 327 = VRS 89, 470; NZV 1998, 297 = VRS 95, 136; NZV 1998, 472 = VRS 95, 424). Es bedarf daher der Feststellung, ob vor der Lichtzeichenanlage eine Haltelinie vorhanden war (OLG Düsseldorf VRS 95, 133) und - falls dies der Fall war - der Feststellung, wie lange das Rotlicht beim Überfahren der Haltelinie schon andauerte (SenatsE NZV 1998, 472 = VRS 95, 424). An diesen Feststellungen fehlt es im angefochtenen Urteil, da das Amtsgericht offenbar der Ansicht war, dass es auf den Zeitpunkt ankommt, zu dem der Betroffene "die Lichtzeichenanlage bei Rot passiert hat".
10Auf den Zeitpunkt des Vorbeifahrens an der Lichtzeichenanlage kann es nur ankommen, wenn keine Haltelinie vorhanden ist. Für diese Fallgestaltung ist in der Rechtsprechung zwar umstritten, ob das Vorbeifahren an der Lichtzeichenanlage oder das Einfahren in den durch die Lichtzeichenanlage geschützten Bereich der entscheidende Bezugspunkt ist (vgl. hierzu BGH DAR 1999, 463 = NJW 1999, 2978 = NStZ 1999, 512 = NZV 1999, 430; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 37 StVO Rdnr. 61 - jeweils m.w.N.), wobei aus den in der Senatsentscheidung vom 15.03.1994 - Ss 84/94 (NZV 1994, 330 = VRS 87, 147) - dargelegten Gründen der erstgenannten Ansicht der Vorzug zu geben sein dürfte. Solange nicht feststeht, dass im vorliegenden Fall eine Haltelinie fehlte, bedarf diese Frage keiner abschließenden Entscheidung.
11Sollte der Betroffene die Haltelinie bei Grün überfahren haben und erst dann wegen der versperrten Kreuzung angehalten haben, so ist zu beachten, dass auch in diesem Fall ein qualifizierter Rotlichtverstoß im Sinne der Nr. 34.2 BkatV vorliegen kann, wenn der Betroffene bei schon länger als einer Sekunde andauernder Rotphase in die Kreuzung einfährt (BGH DAR 1999, 463 = NJW 1999, 2978 = NStZ 1999, 512 = NZV 1999, 430). In einem solchen Fall bedarf es dann jedoch, um dem jeweiligen Einzelfall gerecht zu werden, auch unter Berücksichtigung der indiziellen Wirkung des Regelbeispiels der Nr. 34.2 BkatV der sorgfältigen Prüfung, ob das Fahrzeug mit dem Einfahren in den Kreuzungsbereich seine Pflichten "grob" im Sinne des § 25 StVG verletzt hat (BGH a.a.O.). Sollte der Betroffene nicht schon die Haltelinie bei mehr als einer Sekunde Rotlicht überquert haben, bedarf es daher dieser Einzelfallprüfung, an der es bisher fehlt.
12Zu der gebotenen Einzelfallprüfung wird auf folgendes hingewiesen:
13Der Tatrichter ist an die Indizwirkung des Regelbeispiels nicht gebunden. Ihm bleibt vielmehr, im Rahmen einer Gesamtwürdigung unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls in objektiver und subjektiver Hinsicht zu bestimmen, ob das gesamte Tatbild vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in solchem Maß abweicht, dass das Fahrverbot unangemessen wäre, mithin eine unverhältnismäßige Reaktion auf objektiv verwirklichtes Unrecht und subjektiv vorwerfbares Verhalten darstellt (BVerfG DAR 1996, 196 = NJW 1996, 1809; SenatsE VRS 92, 228; 92, 279; 97, 381). Insbesondere zu Nr. 34.2 BkatV ist anerkannt, dass nur besonders schwerwiegende Rotlichtverstöße unter diese Regelung fallen (SenatsE NZV 1994, 41; NZV 1994, 330 = VRS 87, 147; VRS 92, 228; VRS 92, 279; VRS 97, 381).
14Wenn unter den besonderen Umständen des Einzelfalls eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilsnehmer auszuschließen ist, liegt kein Regelfall vor (ständige Senatsrechtsprechung vgl. SenatsE VRS 97, 381 m.w.N.). Da der Grund für die in Nr. 34.2 BkatV enthaltene Regelung die mit dem bezeichneten Verkehrsverhalten im allgemeinen verbundene abstrakte Gefährdung ist (vgl. Verkehrsblatt 1991, 702, 704; SenatsE NZV 1994, 330 = VRS 87, 147), weicht ein Fall, in dem eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen ist, so sehr vom Regelfall ab, dass ein Abweichen von der Regelsanktion geboten ist (vgl. OLG Hamm DAR 1996, 469; SenatsE VRS 97, 381).
15Die Erörterung der Frage, ob eine abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist, drängt sich insbesondere auf, wenn ein Betroffener vor der Kreuzung zunächst anhält und dann trotz andauernden Rotlichts nach rechts abbiegt (vgl. OLG Düsseldorf VRS 97, 447; SenatsE NZV 1994, 330 = VRS 87, 147; VRS 92, 228). Bei der Beurteilung, ob es sich um einen besonders schwerwiegenden Rotlichtverstoß im Sinne der laufenden Nr. 34.2 BkatV handelt, ist auch zu berücksichtigen, dass durch ein grünes Pfeilschild das Rechtsabbiegen nach Anhalten trotz Rotlichts erlaubt werden kann, also in der Regel ein solches Verhalten wesentlich weniger gefahrenträchtig ist als andere Rotlichtverstöße (vgl. SenatsE NZV 1994, 330 = VRS 87, 147).
16Wenngleich aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen davon auszugehen ist, dass der Betroffene jedenfalls gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO verstoßen hat, muss das Urteil insgesamt aufgehoben werden, da die Frage, ob es sich um einen qualifizierten Rotlichtverstoß oder nur um einen einfachen Rotlichtverstoß handelt, den Schuldumfang betrifft und die hierzu zu treffenden Feststellungen untrennbar mit den Schuldfeststellungen verknüpft sind (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1999, 94 = VRS 95, 439; SenatsE VRS 92, 228 und Beschluss vom 04.12.1998 - Ss 571/98 (B) -.