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Tatbestand
2Die Klägerin wurde am 22. Juli 1986 um 0.11 Uhr in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen St. J.-H. in H. als zweites Kind ihrer 1961 geborenen Mutter S. G. geboren. Die Schwangerschaft verlief unauffällig. Die letzte Ultraschalluntersuchung am 2. Juni 1986 ergab einen Durchmesser des Kopfes der Klägerin von 9,3 cm.
3Während einer Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchung am 21. Juli 1986 kam es gegen 16.30 Uhr bei der Mutter der Klägerin zu einem vorzeitigen Blasensprung; sie wurde daraufhin in das St. J.-H. eingewiesen. Während des Geburtsverlaufs wurde die Mutter der Klägerin von der Beklagten zu 2) betreut, die bei der Beklagten zu 1) als Assistenzärztin angestellt war. Nach einer Aufnahmeuntersuchung um 19.30 Uhr wurde in der Zeit von 19.35 bis 20.05 Uhr ein CTG angelegt, das keine Auffälligkeiten aufwies. Später wurde die Mutter der Klägerin erneut an das CTG-Gerät angeschlossen; insoweit ist handschriftlich als Aufzeichnungsbeginn 20.55 Uhr notiert. Um 21.56 Uhr oder um 22.10 Uhr - der genaue Zeitpunkt ist zwischen den Parteien streitig - erfolgte ein Wechsel im Abnahmesystem der Herztöne von der Ultraschallabnahme auf die Registrierung über das EKG durch eine sog. Kopfschwartenelektrode. Im Geburtsverlaufsprotokoll ist für 22.10 Uhr der Abgang von Fruchtwasser "dick grün" vermerkt. Nach starker Wehentätigkeit kam es im weiteren Verlauf erstmals zu einem Absinken der Herzfrequenz auf 60 Schläge, wobei die Klägerin den Zeitraum dieser ersten Dezelerationen mit 23.10 Uhr bis 23.22 Uhr angibt, während die Beklagten den Beginn mit 23.26 Uhr bezeichnet haben. Der Mutter der Klägerin wurden 2x 2 ml Partusisten verabreicht, was bei Nachlassen der Wehentätigkeit zu einer Normalisierung der Herzfrequenz der Klägerin führte. Beim Wiedereinsetzen der Wehentätigkeit traten erneut Dezelerationen auf, deren Beginn die Klägerin mit 23.32 Uhr und die Beklagten mit 23.49 Uhr angeben.
4Um 0.11 Uhr am 22. Juli 1986 kam es zur Geburt der Klägerin. Im Geburtsverlaufsprotokoll ist vermerkt:
5"Spontangeburt eines schlaffen Mädchens aus II HHL nach mediolateraler Episotomie."
6Die Apgar-Werte sind mit 5/7/9 nach einer, fünf und zehn Minuten vermerkt, der Nabelschnurarterien-ph-Wert mit 7,11. Das Geburtsgewicht der Klägerin betrug 3.800 g bei einer Länge von 53 cm und einem Kopfumfang von 40,5 cm. Die Klägerin wurde abgesaugt und vorübergehend mit einer Sauerstoffmaske beatmet.
7Noch während des Transportes der Klägerin gegen 2.00 Uhr in das Kinderkrankenhaus D. traten auffällige, plötzliche und ruckartige Bewegungen des Kopfes auf. Bis zur Entlassung am 22. September 1986 wurde ein allgemein schlaffer Zustand der Muskulatur und Zuckungen im Rumpfbereich festgestellt. Nach Einschätzung der die Klägerin in der Universitäts-Kinderklinik in B. behandelnden Ärzte war deren Gesundheitszustand die Folge einer pränatalen Asphyxie. Am 4. Januar 1991 stellte Prof. Dr. A. zum Krankheitsbild der Klägerin folgendes fest:
8"Ausgeprägte allgemeine Hypotonie mit fehlenden Muskeldehnungsreflexen, Koordinationsstörungen zentraler und peripherer Ursache, Artikulationsstörungen, Verdacht auf Hörminderung. Hinweise auf gesteigerte cerebrale Erregbarkeit mit Risiko für epileptische Anfälle."
9Ferner ergab sich eine eindeutige psychomentale und eine ausgeprägte motorische Retardierung.
10Die Klägerin hat den Beklagten mehrere (grobe) Behandlungsfehler zur Last gelegt: Zu Unrecht sei von einer Ultraschalluntersuchung bei der Einlieferung abgesehen worden, obwohl der Beklagten zu 2) bekannt gewesen sei, dass es bereits bei der Geburt des ersten Kindes ihrer Mutter zu Komplikationen wegen eines übergrossen Kopfumfanges gekommen sei. Weiter hat die Klägerin behauptet, es seien weitere ärztliche Massnahmen, etwa eine Blutgasanalyse, notwendig gewesen, nachdem sich nicht erst um 22.10 Uhr, sondern bereits um 19.30 Uhr grünes Fruchtwasser gezeigt habe. Vor allem sei es fehlerhaft gewesen, dass die Beklagte zu 2) auf die zwischen 23.10 Uhr und 23.22 Uhr aufgetretene Bradycardie nicht sachgerecht reagiert habe. Weitere Untersuchungen seien unterblieben. Spätestens ab 23.17 Uhr habe eine zwingende Indikation zur Geburtsbeendigung und zur Durchführung einer Schnittentbindung bestanden. Nach der Geburt habe es die Beklagte zu 2) vorwerfbar unterlassen, sogleich einen Pädiater hinzuzuziehen. Die fehlerhafte Vorgehensweise der Beklagten zu 2) habe zu einer perinatalen Sauerstoffmangelversorgung geführt, die die Ursache für ihre Hirnschädigung sei. Andere, insbesondere genetische Ursachen seien auszuschliessen.
11Die Klägerin hat beantragt,
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131. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter 5.429,70 DM nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
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152. die Beklagten weiterhin gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an sie zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreter einen Schmerzensgeldkapitalbetrag von 120.000,- DM sowie eine zu jedem 3. Werktag eines Monats im voraus - erstmals zum 5. Juni 1991 - fällige Schmerzensgeldrente von 600,00 DM bis zum 22. Juli 1998 zu zahlen;
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173. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, sämtlichen immateriellen und materiellen Schaden zu ersetzen, der ihr künftig aufgrund der kunstfehlerhaften Geburtsbegleitung und Geburtshilfe am 21./22. Juli 1986 entsteht.
18Die Beklagten haben beantragt,
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20die Klage abzuweisen.
21Sie haben behauptet, der Kopfumfang des Bruders der Klägerin habe keine Veranlassung gegeben, sogleich an eine Kaiserschnittentbindung zu denken. Eine solche Indikation sei auch nicht bei Abgang von grünem Fruchtwasser um 22.10 Uhr gegeben gewesen. Entgegen der Behauptung der Klägerin habe sich eine erste Dezeleration auf dem CTG erst um 23.26 Uhr gezeigt. Ausgehend davon habe der Zeitpunkt für eine sofortige Geburtsbeendigung frühestens um 23.49 Uhr gelegen. Soweit in der Austreibungsphase ab 23.55 Uhr weitere Dezelerationen aufgetreten seien, handele es sich um ein Herzfrequenzmuster, das in der überwiegenden Anzahl der Geburten in dieser Phase anzutreffen sei; es sei nicht pathologisch gewesen. Deshalb habe um 23.49 Uhr auch keine Indikation zur Kaiserschnittentbindung bestanden. Und selbst wenn die Entbindung auf diesem Weg erfolgt wäre, wäre die Geburt nicht schneller verlaufen als tatsächlich auf natürlichem Weg geschehen. Die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin seien jedenfalls nicht auf einen Sauerstoffmangel, sondern auf schicksalhafte Vorerkrankungen oder noch nicht bekannte Vorschädigungen schicksalhafter Art zurückzuführen.
22Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 22. Juli 1997 dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Es ist - sachverständig beraten - zu der Überzeugung gelangt, der Beklagten zu 2) sei vorzuwerfen, dass sie trotz bestehender Warnzeichen (insbesondere des Abgangs von grünem Fruchtwasser und einer ersten präpathologischen Herzfrequenzphase), die auf eine Sauerstoffmangelsituation hingedeutet hätten, weder eine Blutgasanalyse zur Überprüfung des Zustandes der Klägerin noch geburtsbeendende Massnahmen ergriffen habe. Darin hat die Kammer einen groben Behandlungsfehler gesehen und der Klägerin hinsichtlich der Frage der Kausalität Beweiserleichterungen zugebilligt. Die Beklagten hätten nicht bewiesen, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitszustand der Klägerin ganz unwahrscheinlich ist.
23Gegen dieses ihnen am 28. Juli 1997 zugestellte Urteil haben die Beklagten am 27. August 1997 Berufung eingelegt und diese mit einem am 12. November 1997 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.
24Die Beklagten wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen und rügen vor allem, dass das Landgericht keine Feststellungen zum Geburtsverlauf anhand des CTG getroffen habe. Bei zutreffender zeitlicher Zuordnung der aufgetretenen Herzfrequenzstörungen könne ein Behandlungsfehler nicht angenommen werden. Der Beginn der zweiten Dezeleration sei mit 23.49/23.50 Uhr anzunehmen; zu diesem Zeitpunkt seien weder ein Kaiserschnitt noch ein vaginal-operative Entbindung in Betracht zu ziehen gewesen, weil aller Voraussicht nach die Spontanentbindung noch vor dem Beginn der Operationen stattgefunden haben würde. Die Entscheidung für eine Zangengeburt oder für den Einsatz der Vakuumpumpe hätte frühestens um 0.00 Uhr getroffen werden können, so dass allenfalls ein Zeitvorteil von 5 Minuten gewonnen worden wäre. Die Beklagten behaupten schliesslich weiterhin, der Geburtsvorgang sei nicht kausal für die Gesundheitsbeeinträchtigungen der Klägerin.
25Die Beklagten beantragen,
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27unter Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landgerichts Bonn vom 22. Juli 1997 die Klage abzuweisen.
28Die Klägerin beantragt,
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30die Berufung zurückzuweisen.
31Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil mit der Begründung, die von ihr aufgrund des Gutachtens von Prof. M. vorgenommene zeitliche Zuordnung der Dezelerationen seien zutreffend; eventuelle Unsicherheiten müssten zu Lasten der Beklagten gehen, weil insoweit ein Dokumentationsfehler vorliege. Selbst wenn man aber die Zeitangaben der Beklagten zugrundelege, sei ein (grober) Behandlungsfehler anzunehmen, denn danach habe sie, die Klägerin, sich etwa 30 Minuten vor der Geburt in einer kritischen Lage befunden, die zum Handeln gezwungen habe. Die Klägerin rügt ferner die mangelnde Qualifikation der Beklagten zu 2) als Assistenzärztin; sie hätte beim Auftreten von Schwierigkeiten den Hintergrunddienst einschalten müssen. Deshalb seien ihr, der Klägerin, nach den für eine Anfängeroperation geltenden Regeln Beweiserleichterungen zuzubilligen. Schliesslich führt die Klägerin aus, die hier getroffene Entscheidung für eine vaginale Geburt sei mangels Einwilligung ihrer Mutter rechtswidrig gewesen.
32Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2000 Anschlussberufung eingelegt mit dem Antrag,
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34festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtlichen weiteren durch die Zahlungsanträge noch nicht erfassten materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aufgrund der Behandlung durch die Beklagten im Krankenhaus der Beklagten zu 1) in der Zeit von 21. bis 22. Juli 1986 entstanden ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
35Die Beklagten beantragen,
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37die Anschlussberufung zurückzuweisen.
38Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
39Der Senat hat gemäss den Beschlüssen vom 4. März 1998, vom 12. Oktober 1998 und vom 4. August 1999 Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B. vom 27. Juli 1998 (Bl. 936-940 d.A.), dessen Ergänzungsgutachten vom 30. November 1998 (BL. 973-974 d.A.), auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K. vom 21. März 2000 (Bl. 1051-1073 d.A.), das Zusatzgutachten der Sachverständigen Prof. Dr. L./Dr. U. vom 8. März 2000 (Bl. 1045-1050 d.A.) sowie auf die Protokolle der Sitzungen vom 31. Mai 2000 (Bl. 1012-1019 d.A.) und vom 18. Oktober 2000 (Bl. 1119-1124 d.A.) verwiesen.
40Entscheidungsgründe
41Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet, während die Anschlussberufung der Klägerin Erfolg hat.
42I.
43Das Landgericht hat die Klage zu Recht dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Der Klägerin steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach §§ 823 Abs. 1, 847, 831 BGB zu.
441. Der Senat ist aufgrund der Feststellungen des zweitinstanzlich herangezogenen Sachverständigen Prof. Dr. B., dessen hohe fachliche Kompetenz dem Senat bereits aus früheren Verfahren bekannt ist und dessen Ausführungen sich im wesentlichen mit denjenigen der erstinstanzlich beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. Be. decken, davon überzeugt, dass die für die Geburtsleitung verantwortliche Beklagte zu 2) gegen anerkannte geburtshilfliche Grundsätze verstossen hat, indem sie nach dem Auftreten der ersten Bradycardie angesichts ihres Ausbildungsstandes (sie befand sich nach ihrer Darstellung im 4. Ausbildungsjahr) nicht den Oberarzt hinzugezogen hat und vor allem nach dem erneuten Auftreten von Dezelerationen zugewartet hat, ohne entweder zügig eine vaginal-operative Geburt herbeizuführen oder wenigstens die Presswehen zu unterdrücken.
45a) Insoweit kommt es nicht entscheidend darauf an, zu welchen zwischen den Parteien streitigen Zeitpunkten sich die Herzfrequenzstörungen bei der Klägerin gezeigt haben. Der Senat ist allerdings der Auffassung, dass etwaige Zweifel, zu welchen genauen Zeiten die durch das CTG dokumentierten Dezelerationen aufgetreten sind, zu Lasten der Beklagten gehen müssen. Dem Patienten sind Beweiserleichterungen zuzubilligen, wenn sich Fehler im technisch-apparativen Bereich ergeben haben und die hieraus resultierenden Gefahren ärztlicherseits voll beherrschbar gewesen sind (vgl. Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 8. Aufl., Rdn. 500 ff.). Ein solcher Fall ist auch hier gegeben. Das CTG-Gerät hat unstreitig fehlerhafte Uhrzeiten ausgedruckt, was nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. G. wahrscheinlich auf einen Batteriedefekt zurückzuführen ist. Darüber hinaus fehlt, legt man die handschriftlich eingetragenen Zeiten zugrunde, ein Zeitraum von ca. 15 Minuten. Eine sichere Klärung, wann und aus welchem Grund es zu dieser Fehlzeit gekommen ist, hat die Beweisaufnahme nicht ergeben; ebenso steht nicht sicher fest, dass das CTG-Gerät tatsächlich erst mit der Geburt der Klägerin abgeschaltet wurde. Die von Prof. Dr. M. aufgestellte Vermutung, das CTG-Gerät sei beim Anlegen der Kopfschwartenelektrode etwa gegen 22.05 Uhr für ca. 15 Minuten unterbrochen worden und gebe danach den Verlauf bis zur Geburt um 0.11 Uhr an, hat der Sachverständige Prof. Dr. B. nicht bestätigen können. Abgesehen davon, dass nach den Ausführungen von Prof. Dr. B. schon nicht sicher beurteilt werden kann, ob die Kopfschwartenelektrode tatsächlich gegen 22.05 Uhr angelegt worden ist, lässt sich eine Aufzeichnungslücke von etwa 15 Minuten aus der Herzfrequenzkurve nicht herleiten, da diese einen kontinuierlichen Verlauf zeigt. Darüber hinaus hat der Sachverständige Prof. Dr. B. kein plausible Erklärung dafür finden können, weshalb die Aufzeichnung um insgesamt 15 Minuten unterbrochen worden sein sollte; für das Anlegen der Kopfschwartenelektrode könnten allenfalls 5 Minuten angesetzt werden. Nach diesem Beweisergebnis könnten, sollte es hierauf massgebend ankommen, jedenfalls nicht die von den Beklagten behaupteten Zeiten des Beginns der beiden Bradycardien (23.26 Uhr und 23.49 Uhr) zugrundegelegt werden.
46b) Aber selbst wenn man zugunsten der Beklagten von den von ihnen behaupteten Zeiten ausgeht, erweist sich das Vorgehen der Beklagten zu 2) als fehlerhaft.
47Der Beklagten zu 2) ist vorzuwerfen, dass sie nach dem Auftreten der ersten Bradycardie nicht dafür Sorge getragen hat, für den weiteren Geburtsverlauf der Facharztstandard zu gewährleisten, denn sie hat es unterlassen, den Oberarzt hinzuzuziehen. Zwar hat die Beklagte zu 2) auf die aufgetretene Bradycardie insoweit zutreffend reagiert, als sie Partusisten erfolgreich als wehenhemmendes Medikament eingesetzt hat. Dass es zu einer ersten Bradycardie gekommen war und dass insbesondere bereits zuvor dick-grünes Fruchtwasser abgegangen war, waren aber eindeutige Warnzeichen dafür, dass es der Klägerin schlecht gegangen war. Nach den übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. B., Prof. Dr. W. und Prof. Dr. Be. musste in dieser Situation damit gerechnet werden, dass es erneut zu einer Verschlechterung des Zustandes der Klägerin beim Wiedereinsetzen der Wehen kommen könnte und dass nunmehr alles unternommen werden musste, um möglichst schnell eine Geburt herbeizuführen. Deshalb war bereits nach dem Auftreten der ersten Bradycardie an eine vaginal-operative Geburt zu denken, die die Beklagte zu 2) jedoch nach ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 31. Mai 1999 nur insoweit hätte durchführen können, als sie die Saugglocke einzusetzen imstande gewesen wäre. Eine Zangengeburt hingegen wurde nach ihrer eigenen Darstellung zum damaligen Zeitpunkt nur vom Oberarzt ausgeführt. Daher wäre es - wie der Sachverständige Prof. Dr. B. klipp und klar erklärt hat - zwingend notwendig gewesen, diesen herbeizurufen, was die Beklagte zu 2) indes aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterlassen hat. Jedenfalls durfte sie sich nicht mit der vagen Hoffnung, dass das Kind jeden Moment auf natürlichem Wege kommen würde, begnügen.
48Ein weiterer gravierender Fehler der Beklagten zu 2) ist darin zu sehen, dass sie auch nach dem erneuten Einsetzen von Dezelerationen nichts unternommen hat, um die Geburt der Klägerin zu beschleunigen. Mit der zweiten Bradycardie hatte sich die zu erwartende Gefahr, dass sich der Zustand der Klägerin wiederum beim Einsetzen von Presswehen verschlechterte, realisiert. Deswegen hätte jetzt mit grösstmöglicher Beschleunigung der Geburtsvorgang beendet werden müssen. Das hat der Sachverständige Prof. Dr. B. klar und unmissverständlich erklärt. Stattdessen ist die Beklagte zu 2) über einen Zeitraum von mindestens 20 Minuten untätig geblieben, wiederum in der blossen Hoffnung, die Geburt werde auf natürlichen Wege erfolgen. Mit Rücksicht auf die vorausgegangenen Ereignisse verbot es sich nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. jedoch, Presswehen nunmehr noch über einen längeren Zeitraum zuzulassen, denn je länger die Pressperiode dauert, umso eher ist anzunehmen, dass bei dem Kind eine Acidose eintritt.
49Den in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. stehen die Feststellungen der erstinstanzlich herangezogenen Sachverständigen Prof. Dr. W. und Prof. Dr. Be. nicht entgegen. Beide haben es in Übereinstimmung mit den Darlegungen von Prof. Dr. B. als notwendig angesehen, nach dem Auftreten der ersten Bradycardie die Geburt so rasch wie möglich herbeizuführen. Prof. Dr. Be. hat bei seiner Anhörung vor dem Landgericht klar zu erkennen gegeben, dass auch er ein anderes Geburtsmanagement für allein sachgerecht gehalten hat. Soweit er - wie auch Prof. Dr. B. - als Alternative zu der Einleitung einer vaginal-operativen Geburt beim Auftreten der zweiten Bradycardie auch die erneute Gabe von wehenhemmenden Mitteln als möglich angesehen hat, bleibt festzuhalten, dass die Beklagte zu 2) sich auch dazu nicht entschlossen hat, sondern untätig geblieben ist. Schliesslich hat auch Prof. Dr. W. es allenfalls für vertretbar gehalten, nach dem Beginn der zweiten Bradycardie noch eine gewisse Zeit - maximal 10 Minuten - zuzuwarten; auch diesen Zeitraum hat die Beklagte zu 2) indes verstreichen lassen, obwohl sie nicht sicher damit rechnen konnte, dass es alsbald zur Geburt auf natürlichem Wege kam.
50c) Im Übereinstimmung mit dem Landgericht wertet der Senat das Vorgehen der Beklagten zu 2) jedenfalls in der Gesamtschau als grob fehlerhaft. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der der Senat folgt, liegt ein grober Behandlungsfehler vor, wenn gegen elementare Behandlungsregeln bzw. gegen elementare Erkenntnisse der Medizin verstossen wird und das Fehlverhalten des Arztes aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich ist. Diese Beurteilung trifft vorliegend zu. Die Beklagte zu 2) hat nach dem Auftreten ernsthafter Warnzeichen - nämlich dem Abgang von dick-grünem Fruchtwasser und dem Auftreten einer Bradycardie - nichts unternommen, um den Geburtsvorgang zu beschleunigen. Sie konnte nicht damit rechnen, dass alsbald die Geburt auf natürlichem Wege erfolgen würde und musste daher zwingend Vorkehrungen treffen, um jedenfalls eine Geburt auf vaginal-operativem Weg zu ermöglichen. Dazu gehörte notwendig die Herbeiziehung des Oberarztes, da nur er eine Zangengeburt hätte durchführen können. Dazu gehörte es aber in jedem Fall, beim Auftreten der zweiten Bradycardie aktiv tätig zu werden, sei es, unverzüglich Vorbereitungen zu einer Vakuumextraktion zu ergreifen, die nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. innerhalb von 5 Minuten (einschl. der Vorbereitung) zur Geburt geführt hätte, oder jedenfalls erneut wehenhemmende Mittel zu verabreichen. Es war jedenfalls unvertretbar, allein auf eine Geburt auf natürlichem Wege zu hoffen und die Klägerin über einen langen Zeitraum einer nach dem CTG klar erkennbaren Gefahrensituation auszusetzen. Die Beklagte zu 2) hat denn letztlich auch auf Befragen des Senats einräumen müssen, heute keine Erklärung mehr dafür zu haben, weshalb sie trotz der augenscheinlich gegebenen Gefahr für die Klägerin über einen Zeitraum von 20 Minuten nichts unternommen hat, sondern untätig auf eine Geburt auf natürlichem Wege zugewartet hat.
51Der somit anzunehmende grobe Behandlungsfehler führt zu einer Beweislastumkehr zugunsten des Klägerin, soweit es die Frage betrifft, ob die Gesundheitsbeeinträchtigungen auf die Fehler im Geburtsmanagement zurückzuführen sind.
52Überdies kommen der Klägerin nach Auffassung des Senats Beweiserleichterungen auch deshalb zugute, weil die Beklagte zu 2) nicht für einen Facharztstandard Sorge getragen hat. Die Beklagte zu 2) war in der gegebenen Situation aufgrund ihres Ausbildungsstandes als Assistenzärztin nicht imstande, das erforderliche Geburtsmanagement zu gewährleisten. Eine in Betracht zu ziehende Zangengeburt durfte sie nicht durchführen, weil dies die alleinige Aufgabe des Oberarztes war. Schon dadurch hat sich für die Klägerin das Risiko für den tatsächlich eingetretenen Schaden erhöht. Bei dieser Sachlage ist es gerechtfertigt, die Beweislast dafür, dass sich die Gefahrerhöhung durch den Einsatz eines nicht hinreichend erfahrenen Assistenzarztes nicht auf den eingetretenen Gesundheitsschaden ausgewirkt hat, auf die Behandlerseite zu verlagern (vgl. nur BGHZ 88, 248, 256 f.).
533. Den nach den vorstehenden Ausführungen somit den Beklagten obliegenden Beweis, dass die Gesundheitsschäden der Klägerin nicht Folge des Geburtsverlaufs sind, haben diese nicht geführt.
54Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat in seinem überaus gründlichen und in jeder Hinsicht überzeugenden Gutachten ausgeführt, dass die bestehende Hirnschädigung der Klägerin weitgehend die Folge einer durch den Geburtsvorgang herbeigeführten traumatischen Hirnschädigung und eines mässigen Sauerstoffmangels in Folge der aufgetretenen Asphyxie war. Zwar hat er nicht auszuschliessen vermocht, dass die familiäre Makrocephalie, die als einzige vorgeburtliche und genetische Störung in Betracht zu ziehen ist, den Geburtsvorgang kompliziert hat. Er hat es jedoch als sehr unwahrscheinlich bezeichnet, dass es alleine infolge der Makrocephalie zu den Behinderungen der Klägerin hätte kommen können. Vielmehr bilden das Geburtstrauma und die Sauerstoffunterversorgung die weitaus überwiegenden Ursachen für die bleibende Behinderung der Klägerin. Das hat der Sachverständige Prof. Dr. K. nachvollziehbar daraus hergeleitet, dass bei der Klägerin schon in der Neugeborenenphase deutliche Zeichen für eine neurologische Funktionsstörung erkennbar waren. Bei der Klägerin haben sich unter der Geburt die Zeichen einer perinatalen Asphyxie gezeigt, die mit dem Abgang von grünem Fruchtwasser, pathologischem CTG in der Endphase der Austreibungsperiode, zunächst niedrigen Apgar-Werten und mit einem erniedrigten Nabelschnur-ph-Wert von 7,11 dokumentiert sind.
55a) Für eine primäre Schädigung des Nervensystems der Klägerin spricht insbesondere die bei einer Computertomographie am 3. Lebenstag festgestellte subdurale und subarachnoidale Hirnblutung, die durch den massiven Blutbefund bei der Lumbalpunktion am 1. Lebenstag bestätigt wird. Derartige Blutungen werden bei reifen Neugeborenen in aller Regel durch eine Verformung des Kopfes und eine mechanische Traumatisierung hervorgerufen. Da die Hirnkammern in der ersten Computertomographie noch normal weit waren und sich dann später - über vier Jahre hinweg - deutlich erweitert haben, kann nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. angenommen werden, dass die Hirnkammererweiterung nicht angeboren war, sondern dass sie auf einem Hirnsubstanzverlust oder einem Nervenwasseraufstau in unmittelbarer Folge der perinatalen Ereignisse beruht.
56Soweit die Beklagten die Mutmassung geäussert haben, durch den Einsatz der Zange oder der Saugglocke hätte sich möglicherweise eine vergleichbare Traumatisierung ergeben, hat der Sachverständige eindeutige Feststellungen nicht treffen können. Er hat es zwar nicht als ausgeschlossen angesehen, dass insbesondere beim Einsatz der Zange die Traumatisierung hätte stärker sein können als bei einer natürlichen Geburt. Dabei hat er jedoch hervorgehoben, dass insoweit der Zeitfaktor eine erhebliche Rolle spiele. Bei der Klägerin ist infolge der durch Druck bewirkten Traumatisierung eine Gehirneinblutung entstanden, die eine örtlich begrenzte Hypoxie hervorgerufen hat. Vor diesem Hintergrund ist es ohne weiteres einleuchtend, dass es sich für die Klägerin nicht besser, sondern schlechter auswirken musste, wenn die Drucksituation länger andauert. Hier haben die Presswehen über einen Zeitraum von 20 Minuten angehalten; das hat sich nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. sicher schädlich ausgewirkt. Hätte demgegenüber die Beklagte zu 2) unverzüglich eine vaginal-operative Geburt eingeleitet, wäre die Klägerin der für sie schädlichen Drucksituation nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B. deutlich weniger lang (mindestens um gut 10 Minuten) ausgesetzt gewesen. Bei dieser Sachlage kann zumindest nicht sicher ausgeschlossen werden, dass sich der Geburtsverlauf für die Klägerin günstiger entwickelt hätte, wenn sogleich eine Vakuumextraktion oder eine Zangengeburt eingeleitet worden wäre. Eventuell verbleibende Zweifel gehen zu Lasten der Beklagten.
57Der Sachverständige Prof. Dr. K. hat schliesslich auch nachvollziehbar erklärt, aus welchem Grund es zu einer durch das Ansteigen der Apgar-Werte belegten raschen Erholung der Klägerin gekommen ist und warum dies nicht gegen eine Schädigung der Klägerin durch den Geburtsvorgang zu werten ist. Bei der Klägerin lag keine Sauerstoffunterversorgung des gesamten Körpers, sondern eine örtliche begrenzte Hypoxie, nämlich eine Ischämie des Gehirns, vor; deshalb konnte sich der Kreislauf der Klägerin schnell erholen. Nur insoweit aber sind die Apgar-Werte aussagekräftig; über den tatsächlich weiterhin bestehenden schlechten neurologischen Zustand der Klägerin besagen sie nichts. Deswegen spricht der nach 10 Minuten ermittelte gute Apgar-Wert von 9 nicht gegen eine perinatale Ursache der Gesundheitsschädigung der Klägerin.
58b) Auch die bei der Klägerin aufgetretenen Neugeborenenkrämpfe, die Hyerexzitabilität und die Unruhe lassen sich - wie der Sachverständige Prof. Dr. K. weiter ausgeführt hat - eher auf eine perinatale Ursache zurückführen. Zwar können solche Symptome auch bei angeborenen Hirnschädigungen auftreten; dann jedoch gehen sie in aller Regel in eine chronische, lebenslang bestehende Epilepsie über. Bei der Klägerin hingegen sind ab dem 3. Lebensmonat kein Anfälle mehr beobachtet worden, und gerade dieser Verlauf spricht für eine perinatale Ursache.
59c) Eine spastische Cerebralparese ist die häufigste Folge einer perinatalen Hirnschädigung. Insoweit zeigen sich bei der Klägerin wenn auch leichte, so doch nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. K. eindeutige Zeichen einer neurologischen Schädigung mit spastischen Symptomen im Bereich beider Beine.
60d) Ob im übrigen eine cerebrale Fehlbildung im mikroskopischen Bereich als Ursache für die Beeinträchtigungen der Klägerin in Betracht kommt, hat der Sachverständige Prof. Dr. K. bei seiner mündlichen Befragung zwar nicht ganz ausschliessen wollen. Er hat dies jedoch für unwahrscheinlich gehalten. Auch Prof. Dr. S., auf den die Beklagten sich insoweit berufen, hat insoweit lediglich eine nicht näher belegte Vermutung geäussert.
61e) Insgesamt ist damit festzuhalten, dass die Gesundheitsschäden der Klägerin mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf perinatale Ursachen zurückführen sind. Die Beklagten haben weder bewiesen, dass die Schäden bei fehlerfreiem Vorgehen der Beklagten zu 2) in gleicher Weise aufgetreten wären, noch haben sie bewiesen, dass ausschliesslich andere, insbesondere genetische Ursachen für die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin verantwortlich sind. Dieses Beweisergebnis geht zu ihren Lasten.
62II.
63Die Anschlussberufung der Klägerin ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
64Zwar kann ein Kläger bei einer Berufung des Beklagten gegen ein Teilurteil grundsätzlich nicht Anschlussberufung einlegen mit dem Ziel, dass über den Teil entschieden wird, der noch in erster Instanz anhängig ist; das gilt aber dann nicht, wenn das erstinstanzliche Gericht unzulässigerweise durch Teil- oder Grundurteil entschieden hat (vgl. Zöller/ Gummer, ZPO, 22. Aufl., § 521, Rdn. 15). So liegt der Fall hier. Das Landgericht durfte nicht über die Zahlungsanträge durch Grundurteil befinden, ohne zugleich über den gestellten Feststellungsantrag eine Entscheidung zu treffen, weil bei einer derartigen Vorgehensweise die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen besteht (zuletzt BGH, NJW 2000, 1405, 1406 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund ist es zulässig, den in erster Instanz anhängig gebliebenen Feststellungsantrag durch Anschlussberufung zum Gegenstand des Berufungsverfahrens zu machen.
65In der Sache ist der Feststellungsantrag begründet. Es steht zu erwarten, dass der Klägerin über die bislang eingeklagten Ansprüche hinaus erhebliche weitere Schadensersatzforderungen gegen die Beklagten zustehen. Zur Vermeidung einer Verjährung solcher Ansprüche war die Feststellungsklage geboten.
66III.
67Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die unterlegenen Beklagten zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). Über diese Kosten kann der Senat bereits jetzt entscheiden (vgl. Zöller/ Herget, aaO, § 97, Rdn. 2; Zöller/Vollkommer, aaO, § 304, Rdn. 26).
68Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
69Berufungsstreitwert
70und Wert der Beschwer der Beklagten: 261.429,70 DM
71(s. schon Senatsbeschl. v. 19. November 1997; Bl. 874 d.A.)