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Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Der Antrag der Staatsanwaltschaft Bonn, die durch Urteil des Amtsgerichts vom 10. November 1993 erfolgte Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten zur Bewährung zu widerrufen, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Verurteilten hierin entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
G r ü n d e:
2I.
3Durch Urteil des Amtsgerichts Bonn (82 Ds 25 Js 716/92 - 563/92) vom 10. November 1993 wurde gegen den Beschwerdeführer wegen Leistungserschleichung - unter Einbeziehung des Urteils vom Amtsgerichts Bonn vom 10. März 1993 (82 Ds 25 Js 1703/92 - 879/92) - auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung erkannt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt und lief am 18. November 1996 ab.
4In der Folgezeit wurde der Verurteilte erneut straffällig. Wiederum wegen Erschleichens von Leistungen in 7 Fällen (Tatzeiten vom 11. Mai 1996 bis zum 31. August 1996) wurde er durch Urteil des Amtsgerichts Bonn (73 Ds 132 Js 796/96 - 176/97) vom 20. Februar 1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Dieses Urteil ist seit dem 20. Februar 1997 rechtskräftig.
5Vom 31. Oktober 1997 datiert der Wiederrufsantrag der Staatsanwaltschaft. Ein entsprechendes Anschreiben des Amtsgerichts Bonn zur Wahrung rechtlichen Gehörs vom 11. November 1997 gelangte wegen damals unbekannten Aufenthalts des Verurteilten nicht zur Zustellung. Das Amtsgericht Bonn hat am 20. März 1998 Sicherungshaftbefehl erlassen. Am 15. September 1998 wurde der Verurteilte wegen anderweitiger Vollstreckungshaftbefehle festgenommen; er hat sich seither in Strafhaft zunächst in der JVA Rheinbach, später in der JVA Wuppertal und danach in der JVA Siegburg befunden. Der Sicherungshaftbefehl vom 20. März 1998 in vorliegender Sache ist durch Beschluss des Amtsgerichts Bonn vom 02. Oktober 1998 aufgehoben worden.
6Mit Beschluss vom 20. November 1998 hat das erkennende Amtsgericht Bonn die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil vom 10. November 1993 widerrufen. Diese Entscheidung ist durch Beschluss der 4. grossen Strafkammer des Landgerichts Bonn vom 12. Februar 1999 wegen Unzuständigkeit des Amtsgerichts Bonn (§ 462 a Abs. 1 StPO) aufgehoben worden.
7Mit Beschluss vom 18. März 1999 hat nunmehr die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil vom 10. November 1993 widerrufen. Gegen diese am 24. März 1999 zugestellte Entscheidung richtet sich die am 30. März 1999 eingegangene sofortige Beschwerde vom 24. März 1999. Das Rechtsmittel ist durch den Verteidiger Rechtsanwalt Hasslacher unter dem 26. Mai 1999 unter anderem im Hinblick hierauf begründet worden, dass gegen den Beschwerdeführer durch Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 04. März 1999 - in Kenntnis schon früher erfolgter Bewährungswiderrufe - auf eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten wiederum unter Strafaussetzung zur Bewährung erkannt worden und damit dem Verurteilten nunmehr eine günstige Sozialprognose gestellt worden ist. Die Sache ist dem Senat am 22. Juni 1999 vorgelegt worden.
8II.
9Die sofortige Beschwerde ist gemäss § 453 Abs. 2 Satz 3 StPO statthaft und auch im übrigen zulässig. In der Sache erweist sich das Rechtsmittel im Ergebnis als begründet.
10Zwar haben die Voraussetzungen für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil vom 10. November 1993 im Hinblick auf die erneuten Straftaten, die Gegenstand des Urteils vom 20. Februar 1997 gewesen sind, gemäss § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB vorgelegen. Wegen des Zeitablaufs nicht nur seit dem Ablauf der Bewährungszeit, sondern insbesondere auch seit dem Eintritt der Rechtskraft der erneuten Verurteilung ist jedoch von einem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung abzusehen.
11Zwar entfällt der Widerruf der Strafaussetzung nicht schon allein deswegen, weil seit dem bereits am 18. November 1996 eingetretenen Ablauf der Bewährungszeit bis zu der nunmehr angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer 2 Jahre 4 Monate vergangen sind. Nach Rechtskraft eines Urteils in einer neuen Sache kann der Widerruf grundsätzlich auch noch nach dem Ablauf der Bewährungszeit erfolgen, bis der Erlass der Strafe rechtskräftig geworden ist (von Bedeutung allerdings vor allem für den - hier nicht einschlägigen - Fall, dass erst noch die Rechtskraft der erneuten Verurteilung abgewartet werden muss); eine Frist, innerhalb derer der Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit auszusprechen ist, besteht nicht, jedoch hat das Gericht nach rechtsstaatlichen Grundsätzen sobald wie möglich zu entscheiden (vgl. Schönke-Schröder/Stree, StGB, 25. Aufl., § 56 f Rn. 13 m.w.N.).
12Die neuere Rechtsprechung hält aus Gründen des Vertrauensschutzes des Betroffenen wie auch aus Gründen der Rechtssicherheit den Widerruf überwiegend dann für unzulässig, wenn seit Rechtskraft der neuen Verurteilung ein Jahr verstrichen ist (vgl. etwa OLG Celle Nds. Rpfl. 80, 91; OLG Koblenz OLGSt Nr. 1 zu § 56 f; OLG Hamm StV 85, 198; ebenso Tröndle-Fischer, StGB, 49. Aufl., § 56 f Rn. 2 a). Vereinzelt wird auch auf einen Zeitraum von 1 1/2 bis 2 Jahren nach Rechtskraft des neuen Urteils abgestellt (vgl. OLG Bremen StV 86, 166; OLG Koblenz MDR 85, 70). Insoweit bestehen für die Zulässigkeit des Widerrufs der Strafaussetzung keine starren Fristen; die Entscheidung hängt stets vom Einzelfall ab.
13Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt man, wenn man - wie Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts AT, 4. Aufl., S. 767 und Schönke-Schröder/Stree, § 56 f Rn. 13 - die Vorschrift des § 56 g Abs. 2 StGB analog anwendet, damit der Verurteilte nicht über Gebühr mit der Ungewissheit eines Widerrufs belastet bleibt.
14Vorliegend sind zwischen der Rechtskraft des neuen Urteils vom 20. Februar 1997 und der angefochtenen Widerrufsentscheidung der Strafvollstreckungskammer mehr als zwei Jahre vergangen. Zwar ist - so auch die Antragsschrift der Generalstaatsanwaltschaft - nicht zu verkennen, dass sich das Widerrufsverfahren auch dadurch verzögert hat, dass der Verurteilte nach dem 11. November 1997 postalisch nicht erreichbar gewesen ist. Andererseits sind aber auch Zeitabläufe zu verzeichnen, die nicht dem Verurteilten angelastet werden können. Schon der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft ist erst am 31. Oktober 1997 und damit 8 Monate nach Rechtskraft des Urteils vom 20. Februar 1997 sowie nahezu ein Jahr nach dem bereits am 18. November 1996 erfolgten Ablauf der Bewährungszeit gestellt worden. Nach der Festnahme des Verurteilten im September 1998 kam eine weitere Verzögerung dadurch hinzu, dass zunächst das nicht mehr zuständige Amtsgericht Bonn über den Widerruf entschieden hat, sodass nach Aufhebung der Amtsgerichtsentscheidung durch die Strafkammer am 12. Februar 1999 die nunmehr zuständige Strafvollstreckungskammer erst seit dem 16. März 1999 mit der Widerrufsfrage befasst worden ist. Da für die Frage, ob von dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen Zeitablaufs abzusehen ist, auch die Art und Schwere der neuerlichen Taten zu berücksichtigen sind (Tröndle-Fischer, § 56 f Rn. 2 a) und diese in dem Urteil vom 20. Februar 1997 mit jeweils zwei Monaten Einzelstrafen geahndet werden konnten, ist wegen des dargestellten Zeitablaufs von dem Widerruf abzusehen. Auf die Frage, aus welchen Gründen in einer neueren Verurteilung vom 04. März 1999 wiederum auf Strafaussetzung zur Bewährung erkannt werden konnte, kommt es nicht mehr an.
15Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 StPO analog.