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Unter Verwerfung der weitergehenden Revision wird das angefochtene Urteil abgeändert. Der Angeklagte wird wegen vorsätzlichen verbotenen Fahrens im Fußgängerbereich in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung von Fußgängern zu einer Geldbuße von 200,00 DM verurteilt.
Dem Angeklagten wird für die Dauer eines Monats verboten, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge zu führen. Das Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelangt, spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Eintritt der Rechtskraft.
Die Kosten der Revision werden dem Angeklagten auferlegt, jedoch werden die Gebühr für die Revisionsinstanz auf 1/4 ermäßigt und 3/4 der dem Angeklagten in der Revisionsinstanz entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt.
- §§ 1 Abs. 2, 41 Abs. 2 Nr. 5 Zeichen 242, 49 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 Nr. 4 StVO, §§ 24, 25 StVG -
G r ü n d e :
2Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Das Landgericht hat die Berufung des Angeklagten verworfen.
3Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4"Am 16.07.1997 befuhr der Angeklagte gegen 16.10 Uhr mit seinem PKW Opel, amtliches Kennzeichen x-x xxxx, in K. aus Richtung K. kommend die S. in Richtung N.. Die S. als auch der davon abzweigende vordere Teil der K. sind als Fußgängerzone ausgeschildert, mit der das Befahren zum Zwecke des Be- und Entladens nur bis 11.00 Uhr erlaubt ist. Der Angeklagte wollte im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Kurierfahrer eine Sendung bei einer Werbefirma ausliefern, deren Eingang sich etwa 25 Meter von der Ecke K./S. entfernt auf der S. - etwa in Höhe des Treppenabgangs zum Zwischengeschoß über der U-Bahn-Haltestelle - befindet. Der Angeklagte war verärgert darüber, daß er die Auslieferung mit seinem PKW durchführen mußte und daß ihm keine Sackkarre zur Verfügung stand. Außerdem befand er sich in Zeitdruck. Zur Tatzeit herrschte auf der S. reger Fußgängerverkehr. Der Angeklagte fuhr jedenfalls auf der S. mit deutlich mehr als Schrittgeschwindigkeit, wobei er slalomartig um mehrere Fußgänger herumfuhr und dabei wiederholt den Motor aufheulen ließ und auch mehrfach abrupt bremste. Mehrere Fußgänger sprangen beiseite, um nicht überfahren zu werden, so auch die Zeugin H., als sie das Kaufhaus L. verließ."
5Der Angeklagte hat die ihm vorgeworfene Fahrweise bestritten und sich eingelassen, er sei ganz langsam gefahren und habe den Motor nicht aufheulen lassen. Die Kammer hat ihre Überzeugung auf die Bekundungen von drei Zeugen gestützt, die übereinstimmend angegeben haben, der Angeklagte sei mit deutlich mehr als Fußgängergeschwindigkeit durch die Fußgängerzone gefahren und habe Fußgänger gezwungen zur Seite zu springen.
6Zur rechtlichen Würdigung hat das Landgericht ausgeführt:
7"Nach den Feststellungen der Kammer ist der Angeklagte mit dem angefochtenen Urteil zu Recht wegen Nötigung gemäß § 240 (a. F.) StGB verurteilt worden, weil er andere rechtswidrig mit Gewalt zu einer Handlung oder Unterlassung genötigt hat. Das Zufahren mit einem Kraftfahrzeug auf Menschen, um diese zu veranlassen, ihm Platz zu machen, stellt eine Gewaltausübung im Sinne dieser Vorschrift dar. Diese Gewaltausübung war rechtswidrig; denn zum einen durfte der Angeklagte zur Tatzeit die Fußgängerzone überhaupt nicht mit einem Fahrzeug befahren, zum anderen ist das Zufahren mit einem Kraftfahrzeug auf Fußgänger mit mehr als doppelter Fußgängergeschwindigkeit mit aufheulendem Motor und bei starker Beschleunigung nach abrupten Bremsen sozial-ethisch in erhöhtem Maße zu mißbilligen und nach den Gesamtumständen auch verwerflich..."
8Mit der Revision des Angeklagten wird Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt und Freispruch beantragt.
9Die Revision führt zu einer Verurteilung des Angeklagten wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit; die weitergehende Revision hat keinen Erfolg.
10Die Verfahrensrügen greifen nicht durch. Auf der Nichtgewährung von Akteneinsicht nach Urteilsverkündung kann das angefochtene Urteil nicht beruhen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung von Verfahrensrügen ist nicht beantragt. Soweit mit der Verfahrensrüge die Feststellungen des Landgerichts angegriffen werden, ist dies unzulässig. Die Urteilsfeststellungen über das Ergebnis der Beweisaufnahme können mit Verfahrensrügen grundsätzlich nicht bekämpft werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 337 Rdnr. 13 m.w.N.). Der Gegenbeweis gegen die Urteilsfeststellungen läßt sich nur führen, wenn er ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung erbracht werden kann (dazu näher: Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O, § 337 Rdnr. 14). Ein solcher Ausnahmefall läßt sich dem Revisionsvorbringen nicht entnehmen. Eine Aktenwidrigkeit der Urteilsgründe kann mit einer Verfahrensrüge nicht beanstandet werden (Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O., § 337 Rdnr. 15 a). Soweit eine Aufklärungsrüge erhoben wird, ist sie jedenfalls nicht begründet, da sich die Vornahme einer Ortsbesichtigung nicht aufdrängte.
11Die Sachrüge führt zu einer Abänderung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs.
12Die Verurteilung wegen Nötigung hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
13Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, daß Gewalt angewendet wird und der objektive Tatbestand der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB) erfüllt ist, wenn ein Kraftfahrer mit deutlich mehr als Schrittgeschwindigkeit auf Fußgänger zufährt und diese zwingt, beiseite zu springen, um nicht überfahren zu werden (BGH VRS 30, 281; OLG Hamm NJW 1973, 1240; OLG Koblenz VRS 46, 31, 33; Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 240 Rdnr. 28 a; Krey in "Was ist Gewalt?" BKA-Forschungsreihe Band 1 Rdnr. 231 ff.). Wenn auch nicht jedes mit einer Behinderung oder Gefährdung verbundene verkehrswidrige Verhalten verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB ist (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 75, 344; SenE VRS 76, 361), so ist im vorliegenden Fall auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen die Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als verwerflich doch nicht zu beanstanden, da die Gewaltanwendung mit einer nicht ganz unerheblichen Gefährdung der Fußgänger verbunden war (vgl. BayObLG bei Bär DAR 1991, 367). Zudem ist die Verkehrssituation zu berücksichtigen (OLG Düsseldorf VRS 75, 344). Hier erfolgte die Gewaltanwendung in einer Fußgängerzone, in der zur Tatzeit Fahrzeugverkehr uneingeschränkt verboten war und Fußgänger nicht mit Kraftfahrzeugen zu rechnen brauchten.
14Dem Inbegriff der Urteilsgründe kann auch noch die Überzeugung des Landgerichts entnommen werden, daß der Angeklagte zumindest bedingt vorsätzlich handelte (vgl. hierzu Schäfer in LK, StGB, 10. Aufl., § 240 Rdnr. 105), also die Kenntnis, mit Gewalt das Verhalten der Fußgänger zu erzwingen, und den Willen zu diesem Zwang hatte (vgl. Tröndle, StGB, 48. Aufl., § 240 Rdnr. 33).
15Das Urteil ist aber insoweit materiell-rechtlich unvollständig, als ihm nicht entnommen werden kann, worauf das Landgericht seine Überzeugung stützt, daß der Angeklagte vorsätzlich gehandelt hat.
16Der Tatrichter muß für das Revisionsgericht nachprüfbar darlegen, daß seine Überzeugung auf tragfähigen tatrichterlichen Erwägungen beruht (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE VRS 80, 34, 82, 358, Beschluß vom 21.03.1997 - Ss 132/97). Der Beweis muß mit lückenlosen, nachvollziehbaren Argumenten geführt sein; die Überprüfung durch das Revisionsgericht setzt Mitteilung der tragenden Beweisgründe voraus (SenE a.a.O.). Der Tatrichter verfehlt seine Beweiswürdigungsaufgabe, wenn er eine rechtserhebliche Feststellung überhaupt nicht aus dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu legitimieren versucht (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. SenE VRS 80, 34; 82, 358; 94, 215, 218).
17Diese Grundsätze gelten auch für die Feststellung des subjektiven Tatbestands, insbesondere für die Feststellung des Nötigungsvorsatzes (vgl. SenE vom 04.01.1994 - Ss 547/93). Da der Angeklagte den Nötigungswillen nicht gestanden hat und die vernommenen Zeugen nur Angaben zum äußeren Geschehensablauf, nicht aber zu den Vorstellungen und zum Willen des Angeklagten machen konnten, hätte der Nötigungsvorsatz aus Indizien hergeleitet werden müssen. Eine nähere Erörterung hätte sich insbesondere deshalb aufgedrängt, weil der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen "slalomartig um mehrere Fußgänger herumfuhr" und "mehrfach abrupt bremste". Diese Fahrweise zeigt, daß er sich zumindest in diesen Fällen bemühte, Fußgänger nicht zu gefährden. Es kann nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden, daß er die Fußgänger, die durch seine Fahrweise zum Ausweichen gezwungen wurden, erst zu spät bemerkte oder ihm aus anderen Gründen der Wille, sie zu nötigen, fehlte.
18Der Senat schließt aus, daß in einer neuen Hauptverhandlung noch Feststellungen getroffen werden können, die eine rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen Nötigung tragen. In entsprechender Anwendung des § 83 Abs. 3 OWiG (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 354 Rdnr. 12; KK OWiG-Steindorf, § 83 Rdnr. 12) kann der Senat den Angeklagten aber aufgrund der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 41 Abs. 2 Nr. 5 Zeichen 242, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO in Tateinheit mit einem Verstoß gegen § 1 Abs. 2, § 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO verurteilen, da er mit einem Kraftfahrzeug in einem Fußgängerbereich gefahren ist, obwohl zur Tatzeit Fahrzeugverkehr nicht zugelassen war, und er bei seiner Fahrt Fußgänger konkret gefährdet hat.
19Eines rechtlichen Hinweises nach § 265 Abs. 1 StPO bedurfte es nicht, da auszuschließen ist, daß der Angeklagte sich im Fall eines Hinweises anders als geschehen hätte verteidigen können, zumal der Verteidiger sowohl vor dem Amtsgericht als auch vor dem Landgericht eine Verurteilung wegen Verkehrsordnungswidrigkeit beantragt hat.
20Die Regelbuße des Bußgeldkatalogs, der in Nr. 36.2 für den vorliegenden Fall eine Buße von 100,00 DM vorsieht, hat der Senat im Hinblick auf die im landgerichtlichen Urteil festgestellten Vorverurteilungen wegen Straftaten im Straßenverkehr und die wegen Verkehrsordnungswidrigkeiten ergangenen Bußgeldbescheide auf 200,00 DM erhöht. Die am 10.02.1993 verhängte Geldbuße von 100,00 DM hat der Senat dabei außer Betracht gelassen, da ohne Angaben zur Rechtskraft nicht beurteilt werden kann, ob diese Verurteilung wegen Ablauf der Fünfjahresfrist (§ 29 Abs. 6 S. 2 StVG n.F.) möglicherweise tilgungsreif ist.
21Der Senat hält außerdem ein Fahrverbot von einem Monat nach § 25 StVG für erforderlich, weil dem Angeklagten eine objektiv grobe Pflichtverletzung und subjektiv ein besonderes verantwortungsloses Verhalten vorzuwerfen ist und angesichts der Voreintragungen im Verkehrszentralregister eine empfindliche Geldbuße nicht ausreicht, um den angestrebten Erfolg zu erreichen.
22Da gegen den Angeklagen innerhalb der letzten zwei Jahre noch kein Fahrverbot angeordnet worden ist, ist die in § 25 Abs. 2 a StVG vorgesehene Bestimmung über das Wirksamwerden des Fahrverbots vorzunehmen. Rechtskraft im Sinne des § 25 Abs. 2 a StVG gilt gemäß § 34 a StPO mit Ablauf des Tages der Beschlußfassung des Senats als eingetreten (SenE vom 19.05.1998 - Ss 221/98).