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Entscheidungsgründe:
2Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis die Klage mit Recht abgewiesen.
3Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche weder aus unerlaubter Handlung (§§ 823, 847 BGB) noch aus schuldhafter Vertragsverletzung (§§ 611, 242 BGB) gegen den Beklagten zu. Der Senat kann nach dem Ergebnis der ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme nicht feststellen, daß die geklagten Beschwerden (Verminderung des Hörvermögens) und die verzögerte Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit Folgen der behaupteten Fehlbehandlung sind.
4Derartiges hat nämlich keiner der mit der vorliegenden Sache befaßten Gutachter mit der erforderlichen Sicherheit bestätigt. Selbst Prof. M., auf dessen sachverständige Ausführungen die Klägerin sich zur Begründung ihrer Ansprüche im wesentlichen stützt, hat in seinem auf Veranlassung der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein erstellten Gutachten vom 10.1.1994 ausdrücklich ausgeführt, es bleibe dahingestellt, ob durch einen -von ihm allerdings angenommenen- Behandlungsfehler des Beklagten der Eintritt einer Mastoiditis und eine Operation hätten vermieden werden können. Soweit seiner Auffassung nach bei Durchführung des von ihm für richtig gehaltenen Behandlungskonzepts mit großer Wahrscheinlichkeit die Entscheidung zu einer operativen Behandlung in Form der Mastoidektomie früher gefallen wäre, hält er aufgrund dessen lediglich "bessere Voraussetzungen" für die Wiederherstellung des Hörvermögens als gegeben.
5Bei seiner mündlichen Anhörung durch den Senat hat Prof. M. diese Annahme noch einmal bestätigt, zugleich aber ausdrücklich erklärt, daß auch er nicht feststellen könne, ob bei einem Therapieverlauf in der von ihm favorisierten Form der tatsächlich eingetretene Schaden (geringgradige Schalleitungsschwerhörigkeit des linken Ohres) sicher hätte vermieden werden können. Eine derartige Folgeschädigung könne vielmehr bei einer Erkrankung der Art, wie sie die Klägerin durchgemacht habe, grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden.
6Der von der Haftpflichtversicherung des Beklagten im Rahmen eines Privatgutachtens beauftragte Sachverständige Prof. H. hat als denkbare Ursache für die bei der Klägerin eingetretene Schalleitungsschwerhörigkeit entweder eine durch die Operation verursachte Unterbrechung der Gehörknöchelchenkette (Amboßluxation), die sich als eine typische und nicht auf ärztliches Fehlverhalten zurückzuführende Komplikation des vorgenommenen Eingriffs darstelle, oder aber postoperative Verwachsungen aufgeführt und eine Einflußnahme präoperativer Versäumnisse auf den eingetretenen Hörschaden sogar ausdrücklich ausgeschlossen.
7Auch der in erster Instanz vom Landgericht beauftragte Sachverständige Privatdozent Dr. Mi. hat die festgestellten Folgeschäden in Form einer geringfügigen Schallleitungsschwerhörigkeit als einen nach durchgemachter Mittelohrentzündung mit Warzenfortsatzentzündung nicht ungewöhnlichen Befund bezeichnet. Ihre Ursache könne in durch die Entzündung selbst verursachten Veränderungen liegen; auch könne sie auf ein Lärmtrauma, das durch das Aufbohren des Mastoids während der Operation entstehe, zurückzuführen sein. Ferner könne der Hörschaden auf postoperativen Verwachsungen beruhen.
8Der vom Senat zusätzlich beauftragte Sachverständige Prof. K. hat schließlich ebenfalls bekundet, daß sich kein Hinweis darauf ergäbe, daß es bei einer früheren Operation der Klägerin zu einer völligen Wiederherstellung des Hörvermögens gekommen wäre, da es sich bei der eingetretenen geringgradigen Schwerhörigkeit auch seiner Ansicht nach um die durchaus typische Folge einer Mastoiditis handele. Diese könne natürliche Folge der Erkrankung als solcher auf der Grundlage eines toxinischen Schadens infolge der Produkte der Bakterien sein; ebenso sei nicht auszuschließen, daß die Hörminderung eine traumatische Folge der Operation sei; schließlich könne sie nachträglich noch entstanden sein.
9Somit ergibt sich aus den Bekundungen sämtlicher mit der Sache befaßter Sachverständiger, daß jedenfalls nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann, daß der bei der Klägerin eingetretene Hörschaden Folge einer fehlerhaften Behandlung des Beklagten ist, weil eine Vielzahl anderer Ursachen, die der Beklagte nicht zu vertreten hat, als Auslöser der Schwerhörigkeit in Betracht kommen.
10Die Nichtnachweisbarkeit der Schadensverursachung durch ein dem Beklagten zurechenbares Handeln geht zu Lasten der Klägerin, die nach allgemeinen Grundsätzen sämtliche Anspruchsvoraussetzungen, wozu auch die Schadensursächlichkeit der behaupteten Fehlbehandlung gehört, zu beweisen hat. Eine Beweislastumkehr in dem Sinne, daß es Sache des Beklagten ist, zu beweisen, daß die Schäden in jedem Falle eingetreten wären, kommt nicht in Betracht. Dem Beklagten sind keine groben Behandlungsfehler, auch nicht in Form des Unterlassens medizinisch zweifelsfrei gebotener Befunderhebungen, vorzuwerfen, was Voraussetzung für eine Beweislastumkehr ist.
11Es kann offenbleiben, ob dem Beklagten überhaupt (einfache) Behandlungsfehler anzulasten sind, was das Landgericht mit beachtlichen Gründen verneint hat. Jedenfalls kann von groben Fehlern keine Rede sein.
12Vom Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers ist auszugehen bei Verstößen gegen elementare Behandlungsregeln oder gegen gesicherte Erkenntnisse der Medizin; grob sind Fehler dann, wenn sie aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich sind, weil sie einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen dürfen (vgl. zur Definition BGH zuletzt in VersR 1997, 315; OLG Köln in VersR 1991, 689; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht, 7. Auflage, Rdnr. 522 m.w.N.).
13Nach Auffassung von Prof. M. hätte frühzeitig (schon am 8. oder 9.2.1993) eine Hörprüfung vorgenommen werden müssen und wäre angesichts der klinischen Voraussetzungen (über den zehnten Erkrankungstag hinaus unvermindert weiterbestehende Sekretion) bereits in diesem Zeitpunkt eine stationäre Behandlung mit fortlaufenden Kontroll- bzw. Überwachungsmöglichkeiten sowie insbesondere auch eine frühzeitige Röntgenuntersuchung des Ohres (die erst am 1.3.1993 erfolgte) angezeigt gewesen.
14Der Sachverständige Prof. H. kommt dagegen zu dem Ergebnis, daß der Zeitpunkt der Mastoidektomie richtig gewählt worden sei und die durchgeführte Behandlung der akuten Mittelohrentzündung den gängigen Therapiemethoden entsprochen habe.
15Auch die beiden gerichtlich bestellten Sachverständigen Dr. Mi. und Prof. K. haben übereinstimmend ausgeführt, daß die gewählte Behandlungsart des Beklagten (Behandlung über einen Zeitraum von zwei bis drei Wochen nach Auftreten der Mittelohrentzündung mit Antibiotika) im normalen Rahmen eines solchen Krankheitsverlaufs liege und ärztlichem Standard entspreche.
16Der in erster Instanz gerichtliche bestellte Sachverständige Dr. Mi. hat ausdrücklich bekundet, nach seiner Auffassung sei an keiner Stelle des Behandlungsablaufs ein Versäumnis therapeutischer oder diagnostischer Art zu erkennen. Zwar wäre "wünschenswert" gewesen, daß der Beklagte die Klägerin bereits eine Woche nach dem am 12.2.1993 erfolgten Wechsel des Antibiotikums (Umstellung von Doxicyclin auf Augmentan), und nicht erst wieder am 25.2.1993 untersucht hätte; jedoch sei der Beklagte auch zu diesem späteren Zeitpunkt noch nicht gehalten gewesen, einem Verdacht auf Mastoiditis weiter nachzugehen. Die Vornahme eines Audiogramms im Behandlungsverlauf -die im übrigen auch von Prof. H. für wünschenswert erachtet wurde- hätte erfolgen können; eine relevante Aussage hätte daraus vorliegend indes nicht hergeleitet werden können, weil wegen der Trommelfellperforation und der Mittelohrentzündung ohnehin eine Hörminderung vorhanden gewesen wäre. Anstelle von lokaler Wärmebehandlung und Bettruhe sei heute die vom Beklagten vorgenommene Antibiose die Therapie der Wahl. Die erst am 4.3.1993 erfolgte operative Warzenfortsatzausräumung, die einen potentiell gefährlichen Eingriff darstelle und eine genaue Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses erfordere, sei ebenfalls nicht zu beanstanden; eine frühere Vornahme der Operation sei aufgrund des klinischen Verlaufs keineswegs zwingend geboten gewesen.
17Mit weitgehend identischer Begründung hat auch der vom Senat beauftragte Sachverständige Prof. K. Behandlungsfehler verneint. Die unterbliebene Hörprüfung hätte zwar einen -bei der Klägerin nicht gegebenen- Übergriff der Mittelohrentzündung auf das Innenohr feststellbar gemacht, sei aber zur Erkennung einer beginnenden Mastoiditis nutzlos. Auch am 25.2.1993 habe kein Anlaß zum Ausschluß der Stellung einer Verdachtsdiagnose auf Mastoiditis bestanden, nachdem die Klägerin zu diesem Zeitpunkt erst dreizehn Tage mit dem gegen den Erreger der Mittelohrentzündung wirksamen Antibiotikum Augmentan behandelt worden sei. Wenngleich auch der Sachverständige Prof. K. bei seiner mündlichen Befragung durch den Senat eingeräumt hat, daß er selbst die Klägerin nach dem 25.2.1993 wegen des akuten Beschwerdebildes kurzfristig wiederum einbestellt hätte, hat er gleichwohl betont, daß die Fertigung einer Röntgenaufnahme nach Schüller erst am 1.3.1993 nicht verspätet erfolgt sei, weil sich auch dabei noch kein operationsbedürftiger Befund ergeben habe. Auch habe der Beklagte seiner Ansicht nach den operativen Eingriff selbst keinesfalls zu spät vorgenommen; noch nicht einmal am 4.3.1993 sei nämlich eine Destruktion der Knochenstrukturen festzustellen gewesen, die allein eine zwingende Indikation zur Vornahme der mit einem nicht unerheblichen Risiko behafteten Operation zur Folge gehabt hätte.
18Danach mag es nach Auffassung des Senats durchaus sein,daß durch engmaschigere Verlaufskontrollen einschließlich der Durchführung von Hörprüfungen, eventuell auch durch eine frühere stationäre Aufnahme und die damit verbundene körperliche Schonung für die Klägerin und dauernde Beobachtungsmöglichkeit den Anforderungen an eine besonders sorgfältige und zuträgliche Behandlung der Klägerin besser gerecht geworden wäre als durch die tatsächliche Handhabung des Beklagten. Auch mag nicht ausgeschlossen sein, daß im Falle zeitlich dichterer Kontrollen und einer früheren stationären Aufnahme sowie früher durchgeführter Operation der Klägerin rascher Linderung verschafft und tatsächlich ein besseres Ergebnis hätte erzielt werden können. Jedenfalls war aber das gleichwohl vom Beklagten gewählte Zuwarten mit der Mastoidektomie und die zunächst auch längerfristige Durchführung der symptomatischen Therapie auf dem Hintergrund der übereinstimmenden Bekundungen der Sachverständigen Prof. H., Dr. Mi. und Prof. K. nachvollziehbar und -wenn auch vielleicht nicht zwingend geboten- doch jedenfalls verständlich und wohl auch vertretbar, zumal der Eingriff als solcher schwerwiegende Folgen haben kann und sicher, wie auch der Sachverständige Prof. M. angenommen hat, nur bei strikter Indikation durchgeführt werden sollte. Anderenfalls hätte sich der Beklagte im Falle des Eintretens eines Hörschadens bei frühzeitig erfolgter Operation ebensogut dem Vorwurf eines übereilten Eingriffs ausgesetzt sehen können. Ob die Behandlung durch den Beklagten letztlich fehlerhaft war oder nicht, kann indes dahinstehen, denn jedenfalls kann dem Beklagten auf der Grundlage der getroffenen gutachterlichen Feststellungen ganz sicher nicht der Vorwurf grober Behandlungsfehler im Sinne der oben angeführten Definition gemacht werden.
19Die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin liegen somit ersichtlich nicht vor. Mangels Nachweises einer Schadensverursachung durch ein ärztliches Fehlverhalten des Beklagten steht der Klägerin deshalb der geltend gemachte Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch nicht zu.
20Die Kostenregelung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
21Gegenstandswert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer für die Klägerin:
2220.930,- DM.