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T a t b e s t a n d
2Im Februar 1991 begann der Beklagte mit vorbereitenden Behandlungen zum Einsatz von Implantaten in den zahnlosen Oberkiefer der damals 48 Jahre alten Klägerin. Am 13.06.1991, 18.11.1991 und 28.01.1992 setzte der Beklagte sodann insgesamt neun Implantate (sogenannte Bonefit-Hohlschrauben) im rechten und linken Oberkiefer der Klägerin ein. Ab dem 13.06.1992 begann er mit der prothetischen Versorgung. Am 14.08.1992 erfolgte der Einsatz einer Suprakonstruktion. Am 10.11.1993 erfolgte eine Nachuntersuchung bei dem Beklagten. Ab April 1995 stellten sich bei der Klägerin sodann erhebliche Probleme im Oberkieferbereich ein. Am 26.04.1995 stellte sie sich bei dem Beklagten erneut mit starken Schmerzen vor, die sich in der Folgezeit nicht beheben ließen. Im Zeitraum vom 30.05. bis zum 08.06.1995 erfolgte sodann ein stationärer Aufenthalt der Klägerin in der R., bei der sämtliche Implantate entfernt wurden. Dabei stellte sich heraus, daß diese zum großen Teil nur noch von den Weichteilen gehalten wurden. Der Knochen des Oberkiefers war massiv abgebaut. Es lag eine Perforation zur Kieferhöhle vor.
3Die Klägerin hat eine fehlerhafte Behandlung durch den Beklagten behauptet. Sie hat vorgetragen, aufgrund der fehlerhaften Behandlung leide sie an vielfältigen Beschwerden wie Knochenabbau, fehlendem Prothesenhalt, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme, Schluckbeschwerden, Kopf- und Ohrenschmerzen und psychosomatischen Beschwerden; außerdem bestehe die Gefahr eines weiteren Knochenabbaus im Oberkiefer.
4Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,
51.
6den Beklagten zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, jedoch nicht unter 50.000,00 DM zu zahlen.
72.
8festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihr allen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus der zahnärztlichen Behandlung der Jahre 1991 und 1992 - neun Implantate im Oberkiefer - zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind.
9Der Beklagte hat in erster Instanz beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er hat behauptet, die Behandlung habe den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen; der Implantatverlust bei der Klägerin sei auf deren völlig unzureichende Mundhygiene zurückzuführen. Hierauf habe er sie auch mehrfach hingewiesen und sie eindringlich vor dadurch drohendem Implantatverlust gewarnt.
12Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie eines Ergänzungsgutachtens des Professors Dr. med. Dr. med. dent. T.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt dieser Gutachten Bezug genommen. Sodann hat es im angefochtenen Urteil der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 35.000,00 DM zuerkannt sowie ihrem Feststellungsantrag stattgegeben. Dies hat es damit begründet, daß aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens feststehe, daß dem Beklagten ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen sei.
13Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten.
14Er bestreitet weiterhin das Vorliegen eines Behandlungsfehlers. Insbesondere bestreitet er, daß die Aufbringung der Suprakonstruktion auf die nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens jetzt wohl unstreitig grundsätzlich lege artis eingesetzten Implantate nicht hätte erfolgen dürfen. Insoweit bestreitet er vor allem die Feststellung des Sachverständigen Prof. T., wonach bereits die Röntgenaufnahme Nr. 257/91 (die im Zusammenhang mit dem Einsatz von vier Implantaten am 18.11.1991 hergestellt wurde) sowie die Aufnahme vom 29.01.1992 (einen Tag nach Einsatz des letzten Implantats) einen erheblichen Knochenabbauvorgang im Oberkiefer der Klägerin hätten erkennen lassen. Der Beklagte behauptet, es hätte entgegen der Annahme des Gutachters keine Notwendigkeit bestanden, von der Aufbringung der Suprakonstruktion abzusehen; die durchgeführte prothetische Versorgung sei vielmehr zahnmedizinisch angezeigt gewesen. Die Voraussetzungen dafür (knöchernes Einwachsen der Implantate) sei gegeben gewesen; die entsprechenden Perkussions- und Mobilitätstests, die zunächst zum Austausch zweier Implantate geführt hätten, seien sodann bei allen Implantaten, die von der anschließend aufgebrachten Brückenkonstruktion betroffen waren, positiv verlaufen. Eine vernünftige Alternative zur Fortsetzung der Behandlung durch Anbringung der Suprakonstruktion habe nicht bestanden.
15Der Zeuge Dr. W. habe noch im Januar 1992 festgestellt, daß nur ein Implantat ein- bis zweigradig locker gewesen sei; dies habe aber nicht angezeigt sein lassen, von der Brückenkonstruktion insgesamt Abstand zu nehmen.
16Der Beklagte verweist zudem auf die seiner Meinung nach "vor Beginn der Behandlung" erfolgte schriftliche Belehrung der Klägerin vom 18.11.1991. Dort heißt es wörtlich:
17"Medizinisch nicht notwendig, da Totalprothese, dennoch Verlangensleistung nach § 1 Abs. 2, Satz 2 GOZ. Einsetzen der Implantate im Oberkiefer mit sehr schlechter Prognose wegen des sehr schlechten Knochenangebots. Erfolg im Sinne der Fünf-Jahres-Frist nicht gegeben."
18Das bestehende Risiko des dadurch schicksalhaft bedingten Fehlschlagens der Behandlung mit Implantaten und anschließender Brückenversorgung, bedingt durch die körperliche und gesundheitliche Ausgangssituation der Patientin, könne ihm deshalb nicht angelastet werden.
19Den Ausführungen des Sachverständigen Prof. T. könne schließlich auf keinen Fall das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers entnommen werden. Deshalb könne auch keine ihm nachteilige Umkehr der Beweislast im Hinblick auf die Kausalität zwischen dem angeblichen Behandlungsfehler und dem jetzigen Gesundheitszustand der Klägerin angenommen werden. Ebenso unrichtig sei die Annahme des Gutachters, er habe unzureichende Voraussetzungen für die erforderliche Mundhygiene der Klägerin geschaffen. Soweit sich der Sachverständige für den angeblich ungenauen Sitz der Suprakonstruktion lediglich auf ein Röntgenbild berufe, lasse jenes eine derartige Beurteilung gar nicht zu. Die erforderliche Reinigung der Prothese sei ohne weiteres gut möglich gewesen, nur die mangelnde Mundhygiene der Klägerin sei verantwortlich für die eingetretenen Schäden.
20Hilfsweise greift der Beklagte die Höhe des Schmerzensgeldes als weit überhöht an. Angesichts der äußerst ungünstigen Ausgangssituation der Klägerin und des ihr wegen der angeblichen mangelnden Mundhygiene seiner Ansicht nach anzulastenden Mitverschuldens hält der Beklagte allenfalls ein Schmerzensgeld von 5.000,00 DM für angemessen.
21Schließlich hält der Beklagte die Ansprüche auch für verjährt mit der Begründung, die Klägerin habe vom Schaden spätestens durch sein an sie gerichtetes Schreiben vom 13.04.1992 Kenntnis erlangt.
22Der Beklagte beantragt,
23unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
24Die Klägerin beantragt,
25die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
26Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
27Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie den Inhalt der zu den Akten gereichten Krankenunterlagen Bezug genommen.
28E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
29Die zulässige Berufung des Beklagten führt in der Sache nur teilweise zum Erfolg, soweit der Senat eine Herabsetzung des vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldes für gerechtfertigt erachtet. Darüberhinaus ist das Rechtsmittel nicht begründet.
30Das Landgericht hat zu Recht eine Einstandspflicht des Beklagten gemäß §§ 823, 847 BGB für die bei der Klägerin eingetretenen und zukünftig noch zu besorgenden Schäden bejaht und sich dabei zutreffend auf die schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. T. gestützt.
31Ausgehend von den nach Auffassung des Senats eindeutigen und auch völlig überzeugend und nachvollziehbar begründeten Feststellungen dieses Sachverständigen ist von einem schwerwiegenden Behandlungsfehler des Beklagten auszugehen, der darin liegt, daß der Beklagte trotz des für ihn spätestens aufgrund der am 13.06.1992 gefertigten Röntgenaufnahmen eindeutig feststellbaren, bei praktisch allen Implantaten weit fortgeschrittenen Knochenabbaus (der Sachverständige spricht von einem "gravierenden Befund") die Eingliederung der Prothese vornahm. Ausdrücklich hat der Gutachter hierzu ausgeführt:
32"Die Implantate 17, 16, 14, 24, 25, 26 stehen praktisch nur noch ca. 1 bis 2 mm im Knochen. Der Knochenabbau hat bei einigen Implantaten die basalen Perforationen erreicht. Damit ist eine Eintrittspforte für Infektionen in die enossal gelagerten Implantat-Hohlräume gegeben."
33Die Aufbringung der prothetischen Arbeit (Suprakonstruktion) auf die danach bereits deutlich geschädigten Implantate bzw. den deutlich geschädigten Kiefer stellt sich infolgedessen nach Angaben des Sachverständigen als ein massiver Behandlungsfehler dar, weil angesichts der fehlenden stabilen Verankerung im Knochengewebe die Weiterbehandlung auf jeden Fall hätte unterbleiben müssen.
34Diese Feststellungen sind eindeutig.
35Die Voraussetzungen für die vom Beklagten beantragte Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens liegen ersichtlich nicht vor.
36Soweit der Beklagte den Feststellungen des Sachverständigen auch in der Berufungsinstanz wiederum ohne nähere Begründung entgegenhält, der Gutachter habe die ihm vorgelegten Röntgenbilder nicht richtig ausgewertet, gibt dies dem Senat keinen Anlaß, das Ergebnis des Gutachtens in Zweifel zu ziehen.
37Die Sachkunde des Gutachters Prof. Dr. med. Dr. med. dent T., dessen Beauftragung im anhängigen Verfahren im übrigen vom Beklagten selbst unter Hinweis darauf angeregt worden ist, daß dieser über besondere Erfahrungen mit Implantaten verfüge, in Gremien von mehreren implantologischen Gesellschaften vertreten sei und gerade auf dem Gebiet der Implantologie internationale Anerkennung genieße, unterliegt keinem Zweifel. Die Deutung und Auswertung von Röntgenbildern gehört danach schwerpunktmäßig zu seinem Aufgaben- und Erfahrungsbereich. Deshalb ergeben sich für den Senat keine Anhaltspunkte dafür, daß die Auswertung der Röntgenbilder, für deren Richtigkeit im übrigen der weitere Verlauf des Schadensbildes bei der Klägerin spricht, falsch sein könnte.
38Nur wenn der Beklagte ein Gegengutachten eines anderen kompetenten Sachverständigen vorgelegt oder konkrete Unstimmigkeiten aufgezeigt hätte, bestünde Anlaß, gemäß § 412 Abs. 1 ZPO eine Überprüfung des Gutachtens vorzunehmen. Die Kritik des Beklagten beschränkt sich indessen auf ein bloßes Bestreiten der Richtigkeit der von Prof. T. getroffenen Feststellungen. Dafür, daß der Sachverständige Röntgenbilder entgegen der Annahme des Beklagten sehr genau und sorgfältig ausgewertet hat, sprechen zum einen bereits dessen ergänzende Ausführungen in seinem auf die entsprechenden vom Beklagten schon in erster Instanz erhobenen pauschalen Einwendungen eingeholten weiteren gutachterlichen Stellungnahme, in der er die auf den Röntgenaufnahmen vorgefundene Situation nochmals eingehend beschreibt; zum anderen spricht auch gerade der Umstand, daß er in seinem Gutachten hinsichtlich früherer Röntgenaufnahmen durchaus einige Einschränkungen zur Deutlichkeit des sich dort bereits abzeichnenden Knochenabbaus macht, für seine besonders sorgfältige und gewissenhafte Auswertung der zur Verfügung stehenden Röntgenbilder.
39Die Behauptung des Beklagten, ein knöchernes Einwachsen und ein Bestehen der Stabilitätstests sei als Voraussetzung für die anschließende prothetische Versorgung gegeben gewesen, ist nicht geeignet, einen Behandlungsfehler zu verneinen. Zum einen steht dem der klare röntgenologische Befund entgegen. Angesichts einer nur noch 1 bis 2 mm tiefen Verankerung im Knochen kann von der gebotenen festen Verankerung des Implantats im Kiefer nämlich schlechterdings nicht ausgegangen werden. Im übrigen mag die Durchführung eines Stabilitätstests mit positivem Ergebnis eine weitere Voraussetzung für die prothetische Versorgung der Implantate sein; angesichts der vom Sachverständigen eindeutig festgestellten fehlenden stabilen Verankerung der Implantate im Knochengewebe hätte indes die Aufbringung der Suprakonstruktion gleichwohl auf jeden Fall unterbleiben müssen.
40Die Argumentation des Beklagten, es habe keine Behandlungsalternative gegeben, geht ebenfalls fehl. Die frühzeitige Feststellung des weit fortgeschrittenen Knochenabbaus hätte zwingend den Abbruch der geplanten Prothetik und die Entfernung sämtlicher Implantate geboten. Auch hierzu hat der Sachverständige klar und eindeutig Stellung bezogen.
41Der Hinweis des Beklagten auf die angeblich mangelnde Mundhygiene als Ursache des Knochenabbaus geht ebenfalls fehl, weil der Sachverständige auch hierzu plausibel ausgeführt hat, daß der als weiterer Behandlungsfehler hinzutretende ungenaue Sitz der Suprakonstruktion eine effektive Reinigung der Prothese ganz erheblich erschwert habe. Ausweislich seines Gutachtens ergibt sich aus der Röntgenaufnahme vom 26.04.1995 eindeutig, daß die vom Beklagten eingebrachte Suprakonstruktion Spalten und Stufen hat; in den Spalten komme es zu einer Plaqueanlagerung, die wiederum entzündliche Komplikationen zur Folge haben könne. Soweit der Beklagte auch zu dieser Feststellung behauptet, entsprechendes lasse sich nur anhand des Röntgenbildes "mangels dreidimensionaler Sichtmöglichkeit" gar nicht ausreichend ermitteln, geht dieser Einwand aus den bereits genannten Gründen fehl. Es besteht überhaupt kein Anlaß, dem Gutachter hier eine Feststellung "ins Blaue hinein" zu unterstellen, zumal sich der Sachverständige mit den Argumenten des Beklagten bereits erstinstanzlich auseinandergesetzt hat.
42Der Hinweis auf die angeblich mangelnde Mundhygiene der Klägerin geht auch deshalb fehl, weil ausweislich der vom Beklagten selbst geführten Krankenunterlagen dort jedenfalls noch bis November 1992 die Mundhygiene der Klägerin als "gut" bezeichnet wird. Zu diesem Zeitpunkt war der Behandlungsfehler - Aufbringung der Suprakonstruktion trotz fehlender stabiler Verankerung der Implantate im Knochengewebe - aber bereits gesetzt.
43Im übrigen sind die Einlassungen des Beklagten in diesem Punkt ohnehin widersprüchlich. Zum einen will er den gesamten Behandlungsmißerfolg allein auf die fehlende Mundhygiene der Klägerin zurückführen; zum anderen will er sie aber schon Ende 1991 auf das erhebliche Risiko der Implantateinbringung und die sehr schlechte Prognose wegen der bereits vorgefundenen Kiefersituation aufmerksam gemacht haben.
44Auch die zu den Akten gereichte Stellungnahme des seinerzeit die Klägerin als ihr Hauszahnarzt behandelnden Herrn Dr. W. ist nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Immerhin stellt nämlich auch bereits dieser Facharzt für Oralchirurgie schon im Januar 1992 einen "deutlich horizontalen Knochenabbau im Oberkiefer" und die Lockerung zumindest eines Implantates fest. Soweit ausweislich seiner Stellungnahme eine "medizinische Indikation zur Entfernung der Implantate nicht gegeben war", ist dieser lapidare Satz ohne jede nähere Begründung zum einen schon nicht geeignet, die Feststellungen des Sachverständigen in Frage zu stellen, zum anderen ergab sich der wirklich dramatische Befund ja auch nach Auffassung des Sachverständigen völlig eindeutig erst aus der fünf Monate später vom Beklagten gefertigten Röntgenaufnahme, die vor Einbringung der Suprakonstruktion gefertigt wurde. Da Herr Dr. W. dieses dem Sachverständigen zur Verfügung stehende Röntgenbild ersichtlich bei seiner Stellungnahme gar nicht ausgewertet hat, kommt seiner Beurteilung ohnehin keine entscheidende Bedeutung zu.
45Der für eine Laien erstaunlich lange Zeitraum, der bis zum Eintritt ganz massiver Beschwerden bei der Klägerin noch verging, wird vom Sachverständigen Prof. T. nachvollziehbar mit dem Fehlen einer Nervversorgung der Implantate und des umliegenden Knochengewebes begründet, die zu einem erst späten subjektiven Schmerzempfinden des Patienten führen.
46Die vom Sachverständigen getroffenen und durch das Vorbringen des Beklagten nicht erschütterten Feststellungen rechtfertigen auch nach Auffassung des Senats das bereits vom Landgericht angenommene Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers. Die Aufbringung der Suprakonstruktion verstieß angesichts der mangelnden Festigkeit der Implantate und des bereits weit fortgeschrittenen Knochenabbaus eindeutig gegen gesicherte und bewährte Erkenntnisse; es handelte sich um einen Fehler, der einem Artz schlechterdings nicht passieren durfte bzw. um eine ganz grobe Fehleinschätzung denkbarer Folgen der Weiterbehandlung.
47Soweit der Beklagte jetzt auf die schriftlich dokumentierte Belehrung der Klägerin vom 18.11.1991 und ein seiner Ansicht nach deshalb vorliegendes "Handeln auf Verlangen" verweist, ist dieser Umstand nicht geeignet, ihn aus der Haftung zu entlassen. Soweit die Klägerin bestreitet, daß der entsprechende fettgedruckte Passus im Zeitpunkt ihrer Unterschrift unter das Formular überhaupt schon eingesetzt gewesen sei, bedarf es hierzu keiner weiteren Sachaufklärung. Selbst wenn nämlich eine entsprechende Belehrung der Klägerin durch den Beklagten am 18.11.1991 erfolgt sein sollte, kann dies den Beklagten nicht entlasten. Zum einen ist anerkannt, daß die Einwilligung eines Patienten in eine fehlerhafte Behandlung grundsätzlich unwirksam ist. Im übrigen erfolgte diese vom Beklagten herangezogene Belehrung keineswegs zu Beginn der Behandlung, sondern erst sehr viel später, nämlich am Tage der zweiten Implantatstaffel, nachdem der Klägerin bereits fünf Monate vorher fünf Implantate eingesetzt worden waren. Aber auch die vom Beklagten behauptete entsprechende mündliche Belehrung der Klägerin bereits vor Beginn der gesamten Behandlung wäre nicht geeignet, ihn zu entlasten. Der Hinweis auf eine schlechte Prognose wegen "schlechten Knochenangebots" der Klägerin berechtigte den Beklagten nämlich auf keinen Fall dazu, bei Feststellung des Eintritts dieser Prognose die Behandlung fortzusetzen. Im übrigen kann wohl kaum davon ausgegangen werden, daß die Klägerin auf dem Einsatz der Prothese bestanden hätte, wenn ihr der Beklagte im Juni 1992 aufgrund des vorliegenden eindeutigen Röntgenbefunds pflichtgemäß mitgeteilt hätte, daß "der Verlust einiger Implantate bereits abzusehen war" (so ausdrücklich der Sachverständige), und daß das Belassen der Implantate im Kiefer, die den Kieferabbau offenbar bereits begünstigt hatten, einen weiteren über das normale physiologische Maß weit hinausgehenden Knochenabbau bedingen würde. Dies hat der Beklagte aber unstreitig nicht getan.
48Entgegen der Rechtsansicht des Beklagten ist der Klägerin auch ein Mitverschulden am Schadenseintritt nicht anzulasten.
49Die Beweislast für ein Mitverschulden der Klägerin infolge mangelnder Mundhygiene liegt beim Beklagten. Insoweit ist anerkannt, daß der Patient seiner Beweislast dafür, daß der Behandlungsfehler zu einem Körper- und Gesundheitsschaden geführt hat, genügt, wenn feststeht, daß der Fehler für die Schädigung mitursächlich ist (vgl. OLG Köln in VersR 1998, 106). Davon ist vorliegend auszugehen. Der Arzt kann sich in diesem Fall der Haftung nur entziehen, wenn er beweist, daß der Patient ohne den Behandlungsfehler dieselben Beschwerden haben würde (vgl. BGH in VersR 1985, 60). Aufgrund der eindeutigen Feststellungen des Sachverständigen hierzu scheint aber ein auch nur geringfügiges Mitverschulden der Klägerin nachgerade unwahrscheinlich, weil der Gutachter ausgeführt hat, daß die Klägerin auch bei sehr guter Mundhygiene den eingetretenen Schaden (weitere Rückbildung der Kieferknochen aufgrund entzündlicher Prozesse) nicht hätte verhindern können.
50Dies gilt auch, soweit der Beklagte der Klägerin zum Vorwurf macht, sie hätte keine Kontrolltermine wahrgenommen. Den Feststellungen des Gutachters ist zu entnehmen, daß auch im Falle regelmäßiger Kontrollen der vorgegebene weitere massive Knochenabbau nicht zu verhindern gewesen wäre. Im übrigen trägt der Beklagte über die angeblich erfolgten allgemeinen Belehrungen der Klägerin hinaus nicht etwa vor, er habe diese konkret zur Wahrnehmung bestimmter Kontrolltermine aufgefordert oder dies in irgendeiner Form nachgehalten. Sinn und Zweck derartiger Kontrolltermine sowie die Folgen deren Versäumung hätten der Patientin indes eindringlichst dargestellt werden müssen.
51Die Ansprüche der Klägerin sind entgegen der Rechtsansicht des Beklagten auch nicht verjährt. Für die für den Beginn der Verjährungsfrist gemäß § 852 Abs. 1 BGB maßgebliche Kenntnis des Geschädigten vom Schadenseintritt ist abzustellen auf den Zeitpunkt, in dem die Klägerin von dem Abweichen vom ärztlichen Standard erfuhr. Hiervon hat die Klägerin indes ersichtlich erstmals im April 1995 erfahren, als ihr ärztlicherseits die Entfernung der Implantate unter Hinweis auf den erheblichen Knochenschwund empfohlen wurde. Es ist nicht ersichtlich, aufgrund welcher Umstände die Klägerin früher Kenntnis hiervon erlangt haben sollte. Aus dem Schreiben des Beklagten vom 13.04.1992, auf das dieser in dem Zusammenhang verweist, ergibt sich ein entsprechender Hinweis gerade nicht. Der Beklagte verweist darin zwar auf eine durch die Oberkieferstrukturen geforderte "schwierige Insertionstechnik", stellt ausweislich des Sachzusammenhangs die Vornahme der bei der Klägerin durchgeführten Behandlung aber ausdrücklich gerade als machbar und geboten dar.
52Der Beklagte ist demnach zur Leistung eines Schmerzensgeldes verpflichtet; auch den Feststellungsanspruch hat das Landgericht mit zutreffender Begründung bejaht.
53Allerdings hält der Senat den vom Landgericht zuerkannten Schmerzensgeldbetrag von 35.000,00 DM für zu hoch angesiedelt.
54Grundlage für die Bemessung des Schmerzensgeldes sind folgende von der Klägerin geltend gemachten Schäden, die der Sachverständige bei seiner Begutachtung bestätigt hat:
55Ab April 1995 erlittene starke Schmerzen bis zur Entfernung der Implantate;
56ab Juni 1992 erlittener Kieferknochenschwund, der sich weiter fortsetzen wird;
57jetzt gegebene Protheseninstabilität mit dadurch bedingter mangelnder Kaufähigkeit und optischer Beeinträchtigung;
58weitere Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens (Schluckbeschwerden, Würgereiz, Kopf- und Kieferschmerzen, depressive Verstimmung).
59Demgegenüber kann dem Beklagten nicht angelastet werden das grundsätzliche Erfordernis des Tragens einer - wenn auch jetzt im Gegensatz zu früher nicht mehr ausreichend haftenden - Oberkieferprothese, weil die Klägerin auf das Tragen einer derartigen Prothese bereits vor Behandlungsbeginn beim Beklagten angewiesen war. Außerdem kann dem Beklagten der bereits während der Behandlung bis Juni 1992 eingetretene nicht unerhebliche Kieferknochenschwund nicht angelastet werden, weil erst ab diesem Zeitpunkt erkennbar war, daß die - im übrigen sachgerecht eingebrachten - Implantate wegen ihrer nachteiligen Wirkungen auf den Kieferknochen der Klägerin wieder hätten entfernt werden müssen. Unter Berücksichtigung von wenn auch nur ganz entfernt vergleichbaren Fällen (vgl. etwa Schmerzensgeldtabelle Hacks-Ring-Böhm, 17. Aufl. 1995, laufende Nr. 1304 sowie Slizyk, Beck'sche Schmerzensgeldtabelle, 3. Aufl. 1997, Rdnrn. 1530 und 1369 auf Seite 177) hält der Senat unter Abwägung aller dieser Gesichtspunkte ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 DM als Entschädigung für angemessen, aber auch ausreichend, so daß das erstinstanzliche Urteil entsprechend abzuändern war.
60Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO.
61In Abänderung des erstinstanzlich festgesetzten Gegenstandswertes werden folgende Gegenstandswerte festgesetzt:
621.
63für die erste Instanz: 55.000,00 DM (50.000,00 DM für den Schmerzensgeldanspruch und 5.000,00 DM für den Feststellungsanspruch)
642.
65für die Berufungsinstanz: 40.000,00 DM (35.000,00 DM für den Schmerzensgeldanspruch und 5.000,00 DM für den Feststellungsanspruch).
66Der Senat hielt eine deutliche Reduzierung des Gegenstandswertes für den Feststellungsantrag angesichts der geschätzten zu besorgenden Zukunftsschäden der Klägerin für geboten.
67Wert der Beschwer für die Klägerin: 10.000,00 DM;
68Wert der Beschwer für den Beklagten: 30.000,00 DM.