Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Unzulässigkeit einer Sichtschutzwand
WEG §§ 14 Nr. 1, 22 Abs. 1 Auch im Rahmen einer äußerlich in zahlreiche Einfamilienhäuser aufgegliederten Wohnungseigentumsanlage bedarf die Errichtung einer ca. 1,90 m hohen Sichtschutzwand an der Grenze zweier in Sondernutzung befindlicher Gartenflächen der Anlage als bauliche Veränderung der Zustimmung aller Wohnungseigentümer. Das gilt auch dann, wenn sich in anderen Gärten, die nicht zur Wohnungseigentumsanlage gehören, solche Wände bereits vorhanden sind.
G r ü n d e
2Die Antragsteller und die Antragsgegner sowie die weiteren Beteiligten zu 3) bis 6) sind die Eigentümer der aus 6 Einfamilienhäusern bestehenden Wohnanlage. Einen Verwalter für das Gemeinschaftseigentum haben die Beteiligten nicht bestellt. Mit den einzelnen Wohnungseigentumsrechten ist ein Sondernutzungsrecht an der jeweils hinter dem Haus gelegenen Gartenfläche verbunden. Die Gartenflächen der Antragsteller und der Antragsgegner grenzen aneinander. Auf der ca. 12 m langen Grenzlinie steht ein Zaun. Im Juni 96 errichteten die Antragsgegner unmittelbar neben dem Zaun auf ihrer Sondernutzungsfläche im Anschluß an die - bereits im Jahre 1979 erstellte - ca. 2,50 m lange und 1,96 m hohe Terrassentrennwand (Mauer) eine ca. 3,7 m lange und ca. 1,80 bzw. 1,92 m hohe aus Holz geflochtene Sichtblende (vgl. Foto in Hülle Bl. 95 und Skizze Bl. 37 GA). Die Antragsteller beantragten daraufhin, die Antragsgegner zu verpflichten, die Sichtblende zu entfernen, weil eine ortsübliche Einfriedigung nur eine Höhe von 1,20 m habe, zudem nehme diese hohe und lange Blende dem Grundstück die Sonne. Das Amtsgericht hat mit Beschluß vom 16.05.1997 die Beteiligten zu 2) antragsgemäß zur Beseitigung der Sichtblende für verpflichtet erklärt und zur Begründung ausgeführt: Die Beteiligten zu 2) behaupteten selbst nicht, daß die Sichtblende - wie nach § 35 NachbG NW erforderlich - ortsüblich sei, auch sei diesen nicht der Nachweis gelungen, daß die Beteiligten zu 1) der Errichtung zugestimmt hätten. Auf die fristgemäß eingelegte sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2) hat das Landgericht den Beschluß abgeändert und den Antrag der Beteiligten zu 1) abgewiesen mit der Begründung, die Sichtblende sei als Einfriedigung ortsüblich, was sich aus den nunmehr vorgelegten Fotos ergebe, so daß mangels Anwendbarkeit des durch die Gemeinschaftsordnung abbedungenen § 22 WEG die Antragsgegner nicht zur Beseitigung verpflichtet seien. Gegen den ihnen am 26.11.1997 zugestellten Beschluß des Landgerichts vom 10.11.1997 haben die Beteiligten zu 1) unter dem 10.12.1997 weitere sofortige Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, unter entsprechender Abänderung der landgerichtlichen Entscheidung den amtsgerichtlichen Beschluß wiederherzustellen.
3Die form- und fristgerecht eingelegte weitere sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist zulässig (§§ 43 Abs. 1 Nr. 1, 45 Abs. 1 WEG, 20, 22 Abs. 1, 27, 29 FGG) und hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluß hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand (§§ 27 Abs. 1 FGG, 550 ZPO).
4Die Antragsgegner sind entgegen der Ansicht des Landgerichts aufgrund des entsprechenden Verlangens der Antragsteller zur Beseitigung der Sichtschutzwand verpflichtet. Der Beseitigungsanspruch der Antragsteller findet seine gesetzliche Grundlage in den §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3, 22 Abs. 1 WEG in Verbindung mit § 922 BGB.
5Aus Rechtsgründen zu beanstanden ist, daß das Landgericht seiner Entscheidung nicht die §§ 14 Nr. 1, 22 Abs. 1 WEG zugrundegelegt hat.
6Die Anwendung der vorgenannten Bestimmungen ist nicht durch eine in der Gemeinschaftsordnung davon abweichende Regelung (§ 10 Abs. 1 S. 2 WEG) für die vorliegende Fallgestaltung ausgeschlossen. Das ergibt die am Wortlaut und Sinngehalt orientierte Auslegung der Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung, zu der der Senat selbständig auch als Rechtsbeschwerdegericht befugt ist (vgl. OLG Düsseldorf WE 97, 344 m.w.N.; OLG Oldenburg NZM 98, 39). Insbesondere ist für die dem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gemeinschaftsflächen aufgrund der Regelung über die Geltung der nachbarrechtlichen Bestimmungen nicht etwa § 22 Abs. 1 WEG abbedungen. Nach der letztgenannten Vorschrift ist zu allen Maßnahmen eines Wohnungseigentümers, die über die ordnungsmäßige Instandhaltung oder Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgehen, die Zustimmung eines Wohnungseigentümers nur insoweit nicht erforderlich, als durch die Veränderung dessen Rechte nicht über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden. In den beiden Bestimmungen der Gemeinschaftsordnung ist aber davon, daß - wie etwa im Fall des BayObLG WuM 93, 565 - die in § 22 Abs. 1 S. 2 WEG vorgesehene Zustimmung anderer Wohnungseigentümer zu außerordentlichen Baumaßnahmen eines Wohnungseigentümers auf der ihm zugewiesenen Sondernutzungsfläche nicht erforderlich ist, ersichtlich weder ausdrücklich noch konkludent die Rede. In § 1 Abs. 1 der im Grundbuch als Inhalt des Sondereigentums eingetragenen Gemeinschaftsordnung vom 11.04.1978 heißt es (Bl. 10 GA):
7"(1) Den jeweiligen Eigentümern eines Hauses nebst Garage wird die zu dem Haus nebst Garage jeweils gehörende Vorfläche und Gartenfläche zum Zwecke der Nutzung als Weg und als Garten zur ausschließlichen dauernden und ungehinderten Nutzung zugeteilt. (2) Die Grenzen dieser Flächen sind in dem anliegenden Lageplan rot eingezeichnet, so, als eien selbständige Grundstücke gebildet. Im übrigen gelten die nachbarrechtlichen Bestimmungen."
8Ferner ist anschließend in § 2 Abs. 2 zu den Instandhaltungs- und Instandsetzungspflichten festgelegt (Bl. 10 GA):
9................ (2) Die Unterhaltungskosten und Pflege der zum Haus gehörenden Grundstücksflächen ist ebenfalls Sache des betreffenden Eigentümers. In allen Zweifelsfällen gelten die nachbarrechtlichen Bestimmungen, so, als seien selbständige Grundstücke gebildet."
10Auch wenn danach die dem Sondernutzungsrecht unterliegenden Gemeinschaftsflächen - wie im vorgenannten Fall des BayObLG - wie selbständige Grundstücke behandelt werden sollen, folgt deshalb daraus noch nicht, daß für darauf getätigte bauliche Veränderungen konkludent die Vorschriften des WEG abbedungen sind und bei Verstößen des Nachbars gegen nachbarrechtliche Bestimmungen ausschließlich Nachbarabwehrrecht gelten soll, d. h. die Antragsgegner, wie diese meinen, auf ihrer Sondernutzungsfläche uneingeschränkt schalten und walten dürfen, solange Maßnahmen bwz. Zustände nicht gegen das Nachbarrecht verstoßen. Mit den beiden Bestimmungen ist nur festgelegt, daß die Wohnungseigentümer die ihnen zugewiesenen Gemeinschaftsflächen nach Nachbarrecht gestalten und bewirtschaften dürfen, d. h. im Einklang mit den nachbarrechtlichen Bestimmungen die ihnen zugeordnete Grundstücksfläche insbesondere einfriedigen und auf dieser Anpflanzungen vornehmen können. Zugleich wird damit allerdings das Maß dessen bestimmt, was ein benachbarter Wohnungseigentümer insoweit an Beeinträchtigung durch eine bauliche Maßnahme hinnehmen muß, ohne sich mit Erfolg auf eine über das Maß des § 14 WEG hinausgehende Beeinträchtigung gemäß § 22 Abs. 1 S. 2 WEG berufen zu können. Entspricht mithin eine Baumaßnahme auf der Grundstücksfläche dem Nachbarrecht, muß der benachbarte Wohnungseigentümer sie hinnehmen, und kann nicht etwa mit dem Einwand mangelnder Zustimmung gemäß § 22 Abs. 1 WEG deren Beseitigung verlangen. In allen anderen Fällen kann der beeinträchtigte Wohnungseigentümer bei Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3, 22 Abs. 1 WEG die Beseitigung der Baumaßnahme zu verlangen.
11Die Entscheidung des Landgerichts kann daher keinen Bestand haben, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§§ 27 Abs. 1 S. 2, 563 ZPO). Eine Zurückverweisung erübrigt sich aber, weil weitere Ermittlungen nicht erforderlich sind und der Senat selbst entscheiden kann, ob die Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs gemäß §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3, 22 Abs. 1 WEG gegeben sind.
12Die Errichtung der Sichtblende stellt eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums i. S. des § 22 Abs. 1 WEG dar, die über eine ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgeht (vgl. etwa KG NJWRR 97, 713 = WuM 97, 241 = ZMR 97, 315; OLG Düsseldorf NJWEMietr 97, 111). Darüber hinaus werden durch die Sichtblende die Rechte der Antragsteller über das in § 14 WEG bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt, so daß deren Zustimmung zu der baulichen Veränderung erforderlich gewesen wäre (§ 22 Abs. 1 S. 2 WEG).
13Es unterliegt zunächst keinen Bedenken, daß die ca. 3,70 m lange und über ca. 1,80 m hohe Sichtblende einem Teil des den Antragstellern zugeordneten Grundstücks - wie diese geltend machen und auch aus dem Foto in Hülle Bl. 95 GA ersichtlich wird - nicht nur ganz unerheblich Licht und Sonne nimmt, so daß von daher eine nach WEG grundsätzlich nicht duldungspflichtige Beeinträchtigung der Antragsteller i. S. des § 22 Abs. 1 S. 2 WEG zweifelsohne zu bejahen ist. Daß sie gleichwohl die Beeinträchtigung hinnehmen müßten, weil das Nachbarrecht die Sichtblende rechtfertigt, läßt sich indes nicht feststellen.
14Das Landgericht hat nach Auswertung der vorgelegten Lichtbilder die Ortsüblichkeit der Sichtblende als Einfriedigung mit der Begründung bejaht, in sämtlichen angrenzenden Straßen würden derartige Holzzäune sowohl als Terrassentrennwände als auch als Grundstücksbegrenzungen verwendet. Mit dieser Begründung läßt sich indes die Maßnahme aus dem Nachbarrecht nicht rechtfertigen, unabhängig davon, ob und inwieweit die Beurteilung zutrifft.
15Die nebem dem auf der Grenzlinie der Grundstücksflächen befindlichen Zaun angebrachte Sichtblende ist vielmehr weder durch die nachbarrechtlichen Bestimmungen des NachbGNW noch des BGB gedeckt. Die Regelungen in den §§ 35, 36 NachbGNW über die - ortsübliche - Beschaffenheit und den Standort einer Einfriedigung gelten nur für diejenige Einfriedigung, die der Nachbar gemäß § 32 NachbG NW auf der gemeinsamen Grundstücksgrenze beanspruchen kann. Für Einfriedigungen, die der Grundstücksnachbar aus eigenem Entschluß und ohne gesetzliche Verpflichtung (§ 32 NachbGNW) - wie hier - auf seinem Grundstück errichtet, enthält dieses Gesetz keine Einschränkungen (vgl. BGH NJW 79, 409). Nur um eine solche Einfriedigung geht es aber bei der Sichtblende, weil diese unstreitig von den Antragsgegnern nicht auf der Grenzlinie der beiden Grundstücksflächen, sondern neben dem auf der Grenzlinie bereits vorhandenen Zaun, der nach dem Willen der Wohnungseigentümer zur Abtrennung der Sondernutzungsflächen erstellt worden war, angebracht wurde. Da der bereits vorhandene Zaun als gemeinschaftlich benutzte Grenzeinrichtung i. S. des § 921 BGB anzusehen ist, durften die Antragsgegner den Zaun, auf dessen Erhaltung der Nachbar bestehen kann, nach § 922 S. 3 BGB ohne die Zustimmung der Antragsteller nicht wesentlich ändern. Dabei ist anerkannt, daß eine Grenzeinrichtung auch in ihrem Erscheinungsbild vor Beeinträchtigungen durch den Nachbarn geschützt ist (vgl. BGH NJW 85, 1458 und 79, 1409; BayObLG a.a.O.). Im Entscheidungsfall ist der von den Antragsgegnern direkt neben dem Zaun auf ihrer Sondernutzungsfläche errichtete geschlossene Holzflechtzaun geeignet, eine solche Veränderung der Grenzeinrichtung "Zaun" darzustellen, die die Antragsteller nicht hinnehmen müssen. Wenn - wie aus dem Foto in Hülle Bl. 95 GA ersichtlich - direkt neben dem ortsüblichen Zaun ein solcher ca. 3,70 m langer und über ca. 1,80 m hoher Holzflechtzaun nunmehr als Sichtblende gesetzt wird, wirkt dieser auf die vorhandene Einfriedigung so ein, daß diese in der betroffenen Länge in ihrem ortsüblich gestalteten Erscheinungsbild wesentlich verändert wird und damit ihrem Wesen nach nicht mehr dem entspricht, was der Grundstücksnachbar verlangen kann. Deshalb würde sich, wenn nicht das WEG zur Anwendung käme, der Beseitigungsanspruch aus Nachbarrecht herleiten können; §§ 922 S. 3, 1004 BGB, 50, 32, 35 NachbGNW (BGH a.a.O.).
16Damit sind die Antragsgegner gemäß §§ 14 Nr. 1, 15 Abs. 3, 22 Abs. 1 WEG in Verbindung mit § 922 BGB zur Beseitigung der Sichtblende verpflichtet und ist deshalb die Entscheidung des Landgerichts abzuändern und die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen, die mithin im Ergebnis mit Recht die Beteiligten zu 2) zur Beseitigung der Sichtblende für verpflichtet erklärt hat.
17Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 WEG. Es entspricht billigem Ermessen, die Gerichtskosten des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens den unterlegenen Beteiligten zu 2) aufzuerlegen. Hingegen besteht hinsichtlich beider Rechtsmittelinstanzen keine Veranlassung, von dem im Wohnungseigentumsverfahren geltenden Grundsatz abzuweichen, daß jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat. Dies gilt hier insbesondere in Anbetracht des Umstandes, daß die Vorinstanz in der Sache abweichend entschieden hat.
18Die Festsetzung des Geschäftswerts für das Rechtsbeschwerdeverfahren folgt aus § 48 Abs. 3 WEG und entspricht den von den Beteiligten nicht beanstandeten Wertfestsetzungen der Vorinstanzen.
19- 7 -